Maria Anna Zumholz
(Hrsg.), Katholisches Millieu
und Widerstand. Der Kreuzkampf im Oldenburger Land im Kontext des
nationalsozialistischen Herrschaftsgefüges, Münster
2012, [Vechtaer Universitätsschriften 29], LIT-Verlag, 160 Seiten,
€ 24.90 EUR, gb., ISBN 978-3-643-11937-7
Zum 70. Geburtstag des Historikers Joachim Kuropka fand im September 2011 in der Katholischen Akademie Stapelfeld ein Akademieabend zum Thema Kreuzkampf im Oldenburger Münsterland statt. Der vorliegende Band umfasst die überarbeiteten und ergänzten Versionen der zu diesem Anlass gehaltenen Vorträge sowie zwei zusätzliche Beiträge. Dieses Buch will „die historische Bedeutung des Kreuzkampfes und seine Folgen für das NS-Herrschaftssystem sowie die kontroverse Rezeption der bisherigen Kreuzkampfforschung […] aus unterschiedlichen Perspektiven“ beleuchten und analysieren (S.7). Dabei sollen auch Quellenbestände genutzt werden, die vor der Wiedervereinigung westdeutschen Forschern nicht zugänglich waren. (S.7) Der 160 Seiten umfassende Band würdigt somit nicht nur den Historiker Joachim Kuropka (S.9-16), sondern rezipiert auch gut 25 Jahre Kreuzkampfforschung.
Als Kreuzkampf wird einer der wenigen öffentlichen Proteste gegen Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung bezeichnet, der 1936 im Oldenburger Münsterland stattfand: Julius Pauly, Minister für Kirchen und Schulen hatte in einem Erlass verfügt, religiöse Zeichen wie Statuen, Bilder und Kruzifixe aus allen staatlichen Gebäuden, damit auch aus katholischen Konfessionsschulen, zu entfernen. Dieser Erlass führte, ermutigt durch kämpferische Predigten einer Gruppe von Geistlichen um Kaplan Franz Uptmoor, zu massiven Protesten der Bevölkerung im überwiegend katholischen Oldenburger Münsterland. Letztendlich sah sich der Oldenburger Gauleiter Carl Röver gezwungen, den Erlass zumindest teilweise wieder zurückzunehmen und Kreuze in Klassenzimmern weiterhin zu erlauben. Durch diesen Erfolg ermutigt, stellten die Oldenburger Münsterländer weitere Forderungen wie den Verzicht auf die Vermittlung nationalsozialistischer Erziehung und Rassenlehre im Schulunterricht. Im Zuge des Kreuzkampfes kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Vertreter der Staatsmacht. So wurden beispielsweise ein NS-Blockwart verprügelt, SA-Sturm- und Truppenführer beschimpft und mit Steinen beworfen. Lange wagten es die NS-Machthaber nicht, gegen diese Proteste und die Predigten der katholischen Geistlichen vorzugehen. Erst ab der Mitte des Jahres 1937 setzte eine Welle von Verhaftungen und anderen Repressionen gegenüber Teilnehmern am Kreuzkampf ein, was letztendlich auch zum Ende des Kreuzkampfes führte.
Wissenschaftlich wurde der Kreuzkampf in den 1980er Jahren im Rahmen eines Forschungsprojektes unter der Leitung des Historikers Joachim Kuropka aufgearbeitet. Der 1986 von Kuropka herausgegebene Sammelband „Zur Sache – Das Kreuz! Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs, zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarisch-katholischen Region“[1] hat eine Forschungskontroverse ausgelöst, die sich überwiegend um die Frage dreht, ob es sich beim Kreuzkampf im Oldenburger Münsterland überhaupt um Widerstand im Sinne einer generellen Infragestellung des Regimes gehandelt habe, oder ob die Proteste nicht viel eher Ausdruck milieuegoistischer Interessen bzw. von Milieubehauptung gewesen seien.
Der vorliegende Band greift diese und andere Fragen der Kontroverse, die der Kreuzkampfband von 1986 ausgelöst hat, auf und erweitert die Kreuzkampfforschung um verschiedene Aspekte.
Im Zentrum des Sammelbandes stehen zwei ausführliche Aufsätze der Herausgeberin Maria Anna Zumholz:
In „Der Kreuzkampf- Katholisches Milieu und Widerstand im Oldenburger Münsterland 1934-1938“ (S.17-87) untersucht die Autorin den Kreuzkampf hinsichtlich der erkenntnisleitenden Begriffe Milieu und Widerstand. Dabei arbeitet sie in einem ersten Schritt spezifische Merkmale des katholischen Milieus im Oldenburger Münsterland heraus (S.17-22). Um die Frage zu beantworten, ob der Kreuzkampf wirklich unter den Begriff Widerstand falle, analysiert sie die einzelnen Phasen des Kreuzkampfes (S.35-67) unter dem Gesichtspunkt, ob und inwiefern der Kreuzkampf über milieuinterne Interessen hinausging und sich nicht nur punktuell, sondern generell gegen das NS-Regime richtete (S.17). So kommt Zumholz zu dem Ergebnis, dass sich im katholischen Milieu des Oldenburger Münsterlandes, bedingt durch eine starke katholische Identität, die in scharfer Abgrenzung zum Nationalsozialismus wahrgenommen wurde, ein bestimmtes Staatsverständnis herausgebildet habe, das den omnipotenten Staat abgelehnt habe und von vorstaatlichen, natürlichen Rechten aller Menschen ausgegangen sei (S.74). Dem entspreche ein Rechtsverständnis, das auf natürlichem und auf positivem Recht beruhe. Demnach hätten die Oldenburger Katholiken nicht allein milieuspezifische Ziele verfolgt, sondern sich in ihrem Kampf gegen Rechtsbeugung und gegen die nationalsozialistische Weltanschauung ausdrücklich für das Gesamtwohl Deutschlands eingesetzt. (S.75) Sie verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Einsatz verschiedener Katholiken aus Vechta für jüdische Mitbürger, was gerade auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Konsequenzen, die im Zuge des Schul- und Kreuzkampfes deutlich geworden waren, hervorzuheben ist (S.77-78). Zumholz gelingt es somit den Kreuzkampf im Oldenburger Münsterland in einem spezifisch geprägten katholischen Milieu zu verorten. Auf Grund eines spezifischen Menschenbildes, Staats- und Rechtsverständnisses habe sich hier Widerstand entwickelt, der über Milieuegoismus hinausgegangen sei und sich auf weltanschaulicher Ebene nicht nur punktuell, sondern generell gegen den Nationalsozialismus gerichtet habe.
In ihrem zweiten Beitrag „Das NS-Regime und der Kreuz- und Schulkampf im Oldenburger Land“ (S.95-130) untersucht Maria Anna Zumholz den Kreuzkampf aus der Perspektive des NS-Regimes. Dadurch vermittelt die Autorin einen Einblick in die nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen. Außerdem stellt sie die Auswirkungen widerständigen Handelns auf das Herrschaftsgefüge im Dritten Reich dar (S.128). Hierzu behandelt sie zuerst die Grundlinien nationalsozialistischer Kirchenpolitik und verortet diese zwischen den weltanschaulichen Grundlagen der NS-Bewegung, die maßgeblich durch Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ geprägt seien, und dem Vorgehen seitens der polizeilichen Exekutivorgane des NS-Staates, an deren Spitze Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich standen (S. 96-101) Im folgenden Abschnitt stellt Zumholz mit Carl Röver, Georg Joel und Julius Pauly die NS-Entscheidungsträger vor, deren Handeln maßgeblich für den Kreuzkampf waren (S.101-106), bevor der Kreuzkampf aus Sicht der maßgeblichen NS-Entscheidungsträger skizziert wird (S. 106-112). Dabei wird deutlich, dass diese von der Entrüstung und dem Protest der katholischen Bevölkerung vollkommen überrumpelt wurden und erst einmal zurückhaltend reagierten. Die teilweise Rücknahme des Kreuzerlasses durch Carl Röver am 25.11.1936 bedeutete eine Totalniederlage und eine Blamage für den Nationalsozialismus, die national wie international wahrgenommen wurde und nicht ohne Folgen im NS-Herrschaftsgefüge bleiben sollte. Über die verschiedenen Phasen des Kreuzkampfes zeigt die Autorin, wie Heydrich die 1936/37 noch unklaren Zuständigkeiten für die Kirchenpolitik immer mehr dazu nutzen konnte, um das Reichskirchenministerium zu neutralisieren und Kirchen- und Religionspolitik vor Ort zu kontrollieren (S. 116, S.129). Analog dazu lässt sich eine quantitative und qualitative Zunahme an Repressionen durch Gestapo und SD im Kreuzkampf feststellen (S. 113-128). Insgesamt bewertet die Autorin die Ergebnisse des Kreuzkampfes zwiespältig: Einerseits habe die partielle Rücknahme des Kreuzerlasses eine Stärkung der katholischen Identität bewirkt und einen grundlegenden Autoritäts- und Legimitätsverlust des Regimes (S.129-130) herbeigeführt. Auch konnte so die Illusion einer NS-Volksgemeinschaft aufgezeigt werden. Dennoch habe sich der Kreuzkampf aber auch direkt auf die Professionalisierung im Vorgehen gegen Widerstand ausgewirkt und die Schaffung klarerer Strukturen im Kampf gegen die Kirchen gefördert. Letztendlich hätten sich die Menschen dem Regime gebeugt um zu überleben. (S.128-130)
Die Miszellen „Schule – Kirche – Kreuzkampf. Anmerkungen aus evangelischer Perspektive“ (S.79-94) von Reinhard Rittner und „Die Folgen: Kreuzkämpfe in Deutschland“ (S.131-138) von Michael Hirschfeld gehen über die eigentliche Erforschung des Kreuzkampfes im Oldenburger Münsterland hinaus und werfen einen Blick darauf, wie die protestantische Seite mit dem Schulproblem umging (Rittner) bzw. welche Bedeutung der Kreuzkampf für andere überwiegend katholische Gebiete in Deutschland hatte (Hirschfeld).
Neben einer Würdigung der Kreuzkampfforschung (S.79-85) macht Rittner darauf aufmerksam, dass es auch auf evangelischer Seite Unmut gegen die Abnahme der Kruzifixe und Lutherbilder in den Schulen gegeben habe (S.81), dieser jedoch nicht in offenen Protest umgeschlagen sei. Vielmehr hätte die Mehrheit der evangelischen Christen im Oldenburger Land eher auf stille Diplomatie als auf klare Worte in dieser Angelegenheit gesetzt. (S.81). Dass es aber auch auf protestantischer Seite herausragende Persönlichkeiten gab, die klar Stellung gegen die Schulpolitik im Oldenburger Land im Speziellen und gegen den Nationalsozialismus im Allgemeinen bezogen, zeigt Rittner im zweiten Teil seiner Miszelle: Zeitgleich zum Kreuzkampf war im Herbst 1936 die „Denkschrift über die Lage der evangelischen Schulen in Oldenburg“ entstanden, die vom Präsidium der Oldenburger Bekenntnissynode an den Minister der Kirchen und Schulen geschickt wurde (S.85-91) Das Schriftstück biete ein Exempel dafür, „wie Kirchenleute im totalitären Staat um die Präsenz des Christentums in Schule und Gesellschaft gerungen haben“ (S.86) Er bilanziert, „dass sie [die Denkschrift] das offene Wort“ riskiere und „ganz konkret Ross und Reiter“ benenne, sich aber auf Recht und Gesetz berufe, die faktisch nur noch auf dem Papier bestanden hätten (S.91). Rittner ist es überdies gelungen mit Heinrich Tilemann den Autor der Denkschrift zu identifizieren. (S.88) Mit ihm, Wilhelm Flor und Heinrich Iben, die alle in seiner Miszelle kurz vorgestellt werden (S.89-93) kann Rittner den „Akteuren von damals“ evangelische Persönlichkeiten zur Seite stellen, „die sich auf ihre Weise bewährten“ (S.93)
Hirschfeld stellt fest, dass der Kreuzkampf im Oldenburger Münsterland recht gut erforscht sei. Warum es jedoch nur hier zu Massenprotesten gekommen ist, müsse ebenso noch untersucht werden wie der Vorbildcharakter, den diese Erhebung für andere Regionen im Reich gehabt habe (beides S. 131). Der Autor stellt heraus, dass Kreuzkämpfe nur in spezifisch katholisch geprägten Regionen Deutschlands stattgefunden hätten. Zudem sei der Oldenburger Kreuzkampf gut über Bischöfe und Pfarrer kommuniziert worden und habe sich somit als geschickte PR-Strategie der Kirche erwiesen. Der geschlossene Protest im Oldenburger Münsterland stelle jedoch eine Besonderheit dar, weil er nicht (wie andere Kreuzkämpfe) nur lokal begrenzt war, sondern eine ganze Region erfasste. Hinsichtlich der Breitenwirkung des Kreuzkampfes im Oldenburger Münsterland gibt es somit Singularitätsmerkmale. (S.138)
Einen Überblick über die kontroverse Rezeption seiner Kreuzkampfforschung bietet Joachim Kuropka in „Kreuzkampfforschung im Rückblick: Volkserhebung ohne Widerstand?“ (S.139-150). Hierbei nimmt er zu positiven wie negativen Bewertungen des oben genannten Sammelbandes kurz Stellung. Dabei betont er, welche Absicht seine Forschungen gehabt habe, und rechtfertigt sowohl sein Vorgehen als auch die Entscheidung, gewisse Elemente, wie einen theoretisch-reflexiven Hintergrund, nicht bearbeitet zu haben. (S.140-144). Unter der Überschrift „Falsche Fragen und falsche Antworten?“ nimmt er zu zwei inhaltlichen Punkten der Forschungskontroverse noch einmal Stellung: Er widerspricht Thesen, die dem Katholizismus ein politisches Konzept absprechen ebenso, wie dem Vorwurf, katholischer Widerstand sei nur Milieuegoismus (S.147). Er betont ausdrücklich, dass es im Kreuzkampf nicht nur um Rituale und Symbole gegangen sei, sondern konkret um katholischen Glauben und die Vermittlung von Glaubenswerten, was per se nicht politisch sei, aber durch die Bedingungen des Nationalsozialismus ein Politikum geworden sei. Dann erklärt er, warum Nationalsozialismus und Katholizismus ideologisch nicht miteinander zu vereinbaren seien: Hierbei verweist er auf die jeweiligen Wertesysteme, die sich diametral entgegenstehen würden. (S.147-148)
Insgesamt erfüllt diese Auswahl an Aufsätzen und Miszellen die selbst gesetzten Ziele: In direktem Bezug zur Forschungskontroverse stehen die beiden Miszellen und der Aufsatz der Herausgeberin, in dem sie den Kreuzkampf im Oldenburger Münsterland in einem spezifischen katholischen Milieu verortet und die These widerlegt, der Kreuzkampf sei kein Widerstand, sondern Ausdruck von Milieuegoismus gewesen. Mit ihrer Analyse der Seite des NS-Regimes beleuchtet Zumholz die historische Bedeutung des Kreuzkampfes sowie seine Folgen für das NS-Herrschaftssystem. Zudem schließt sie eine Lücke in der Kreuzkampfforschung, die Kuropka selbst in seinem Beitrag eingeräumt hat (S.142)
Der vorliegende Band ergänzt somit nicht nur die bereits bestehende Kreuzkampfforschung um wesentliche Aspekte und neue Perspektiven, sondern vermittelt auch einen Eindruck von gut 25 Jahren Kreuzkampfforschung sowie der damit verbundenen Kontroversen und Forschungsprobleme.
Zum Rezensenten:
Rik Sauer, geb. 1982, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Kirchen-und Theologiegeschichte im Institut für
Katholische Theologie an der Universität des Saarlandes.
[1]Joachim Kuropka, Zur
Sache – Das Kreuz! Untersuchungen zur
Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen
Oldenburgs, zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem
nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarisch-katholischen
Region, Vechta 1986 ²1987.
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