theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Niklaus Meier, Warum Krieg? Die Sinndeutung des Krieges in der deutschen Militärelite 1871-1945. (Krieg in der Geschichte, Bd. 73). Paderborn/ München/ Wien 2012, Schöningh-Verlag, 354 S., geb., 44,90 €, ISBN 978-3-506-77363-0


Niklaus Meier untersucht in seiner von Rudolf Jaun (Universität Zürich) betreuten Dissertation Kriegsdiskurse deutscher Militärs vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, wie sie sich in deren Schrifttum niederschlugen. Ausführlich stellt er im Einleitungskapitel den von ihm gewählten theoretisch-methodischen Zugang der historischen Diskursanalyse vor.

Meier unterscheidet sechs Kriegsdiskurse, die er jeweils in ausgewählten Texten von Militärs aufweist und die er in ihren wesentlichen Merkmalen charakterisiert.

Der politisch-instrumentelle Kriegsdiskurs versteht Krieg nicht als Selbstzweck, sondern nur als letztes Mittel, wenn alle anderen Schritte der Politik versagt haben.
Der machtstaatsfundierte Kriegsdiskurs ist geprägt durch den souveränen Machtstaat, der seine Ansprüche gewaltsam durchsetzen kann, sich an kein internationales Schiedsgericht gebunden fühlt und sein Verhältnis zu den anderen Staaten agonal-antagonistisch und konfliktiv-kämpferisch gestaltet.
Der bellizistische Kriegsdiskurs schreibt dem Krieg eine unentbehrliche Rolle als Promotor der geschichtlich-kulturellen Entwicklung und als Medium der Vitalisierung, Katharsis und Tugendbewährung für Individuum und Volk zu. Dem Kriegstod kommt dabei ein Sinn an sich zu, unabhängig von Zweck, Ziel und Ausgang des Krieges.
Der sozialdarwinistische Kriegsdiskurs geht vom naturgesetzlichen Daseinskampf aus, durch den die Führerschaft der stärkeren Staaten, Völker und Rassen bestätigt wird.
Im Diskurs des Vernichtungskrieges und Rassenkampfes, bei dem völkerrechtliche und humanitäre Rücksichtnahmen wegfallen, wird ein ursprünglich militärisch-operativer Vernichtungsgedanke, der sich nur gegen Streitkräfte und Kombattanten richtete, entgrenzt und radikalisiert.
Der existentiell-apokalyptische Kriegsdiskurs wertet den Krieg als Kampf um Sein oder Nichtsein, bei dem selbst im Wissen um den sicheren Untergang keine Kapitulation erfolgt, sondern die Selbstaufopferung als ehrenhaft und heroisch idealisiert und sakralisiert wird.

Meier widmet sich auch dem Prozess der Modifizierung und Veränderung der einzelnen Kriegsdiskurse. So änderte sich der politisch-instrumentelle Kriegsdiskurs mit dem Wandel des Politikverständnisses: Der Krieg wurde zum Instrument der nationalsozialistischen Politik, die Wehrmacht ordnete sich der politischen Führung Adolf Hitlers unter, der Soldat wurde zum nationalsozialistischen politischen Soldat.
Kriegsdiskurse fanden also nicht im luftleeren Raum statt. Meier zeigt auf, wie sie auf die Kriegspraxis und Kriegführung zurück wirkten. Sie erzeugten eine Gewaltakzeptanz und legitimierten bestimmte Handlungsweisen. So wurde eine überstaatliche Schiedsgerichtsbarkeit abgelehnt, das Völkerrecht verletzt, der genozidale Vernichtungskrieg biologistisch-rassistisch geführt, die Selbstzerstörung und der Untergang der eigenen Armee hingenommen.

Die Legitimität des konkreten Kriegshandelns und die als „wahres“ Wissen über Sinn und Zweck des Krieges behaupteten Sichtweisen der jeweiligen Epochen bestritten nur wenige Offiziere. Meier nennt einige Beispiele von pazifistischen Offizieren. Die Militärelite verband Pazifismus und Friedensbewegung mit Materialismus, Dekadenz, Verweichlichung, Egoismus, „Fäulnis“ und „Versumpfung“, also mit der Gefährdung des individuellen und nationalen Wehrwillens.

Die Arbeit von Meier ist klar gegliedert und gut lesbar. Sie bietet erstmals eine Zusammenschau der Hauptkriegsdiskurse der deutschen Militärelite von 1871 bis 1945. Damit sind jene erfasst, die während ihrer eigenen militärischen Ausbildung Rezipienten von Sinndeutungen des Krieges waren und die durch ihre spätere Position selbst zu Produzenten von Kriegsdeutungen wurden. Für Studien zum Schrifttum anderer Gruppen oder für einzelbiographische Untersuchungen eröffnen sich dadurch interessante Vergleiche.


Zur Rezensentin:
Dr. Antonia Leugers, geb. 1956, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Eberhard Karls Universität Tübingen.


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