theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Lisa Busche & Kathrin Dittgen

Der Rabbiner-Rülf-Platz – Ort der Erinnerung an die saarländischen Opfer des Holocaust



Am 12. November 2013 wurde in Saarbrücken ein Platz eingeweiht, auf dem ein Erinnerungsort für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in saarländischen Gemeinden geschaffen wurde. Doch der Weg von der initialen Idee bis hin zur endgültigen Umsetzung verlief keineswegs geradlinig. Bereits im Jahr 2008 wurde kontrovers über die Namensgebung des geplanten Platzes, der an der Berliner Promenade entstehen sollte, diskutiert. Um der Bitte der Synagogengemeinde Saar entgegenzukommen, einen Namen zu wählen, der auf die damalige jüdische Gemeinde in Saarbrücken verweist, einigte sich der Bezirksrat Mitte am 04.09.2008 auf einen Namen zu Ehren des Rabbiners Dr. Friedrich Schlomo Rülf. Die Namensgebung wurde daraufhin im Oktober 2008 vom Stadtrat bewilligt. Zunächst als personale Ehrung Rülfs gedacht, sollte sich das Konzept des Platzes verändern: Es sollte ein zentraler Erinnerungsort an die jüdischen Opfer des NS-Regimes entstehen. Dies wurde schließlich vom Stadtrat am 07.12.2010 beschlossen.

Rülf wurde im Jahr 1896 als Sohn eines deutschen Rabbiners in Braunschweig geboren. Nach seinem Abitur nahm er das Studium der Philosophie, Judaistik und Geschichtswissenschaft in Erlangen und Breslau auf, wo er 1920 die Doktorwürde in Philosophie erlangte. Bereits während seiner Studienzeit, zur Zeit des Ersten Weltkrieges, wurde er als Feldhilfsgeistlicher eingesetzt. Außerdem studierte er am Rabbinerseminar in Breslau und bestand dort im Jahr 1922 das Rabbinatsexamen. An seine Ausbildung schloss sich im darauffolgenden Jahr eine Anstellung am Hamburger Tempel als Rabbiner und Leiter der Religionsschule an. Es folgte eine dreijährige Beschäftigung als Rabbiner in Bamberg, bevor er ab dem Jahr 1929 für fünf Jahre in Saarbrücken als Rabbiner und Vorsitzender der jüdischen Wohlfahrtsorganisation in Saarbrücken tätig war. Dabei war er sehr sensibel für die Belange seiner jüdischen Mitbürger. So reagierte er auf die Ungerechtigkeiten und Erniedrigungen, denen die jüdischen Schülerinnen und Schüler in den staatlichen Schulen ausgesetzt waren, indem er in Saarbrücken eine jüdische Schule gründete. Auf diese Weise konnte er die Schüler vor den immer stärker werdenden Anfeindungen und Diskriminierungen schützen. Auch auf juristischer Ebene setzte sich Rülf für seine jüdischen Mitbürger ein.

Rabbiner Rülf Platz

Im Jahr 1934 nahm er als jüdischer Vertreter an der Volksabstimmung über den Status des Saargebiets teil. Die nationalsozialistische Propaganda anlässlich der Volksabstimmung und die dabei erfahrene Machtlosigkeit des Völkerbundes veranlassten ihn im darauffolgenden Jahr zur Emigration nach Palästina, wo er fortan als Lehrer, Rabbiner und Schulleiter Anstellung fand. Kurz vor seiner Emigration trat er in einer öffentlichen Erklärung dem den saarländischen Juden gemachten Vorwurf undeutscher Gesinnung entgegen und setzte sich gegen judenfeindliche Tendenzen, insbesondere gegen die Boykottierung jüdischer Unternehmen und Geschäfte ein.

Seit seiner Emigration nach Palästina im Jahre 1935 und der dortigen Ausbildung zum Lehrer, lehrte er zunächst in Jerusalem und in der landwirtschaftlichen Schule Mikwe Israel, bevor er sich schließlich in der Agrarsiedlung Nahariya niederließ, die vorwiegend von aus Deutschland eingewanderten Juden aufgebaut worden war. Dort arbeitete Rülf zunächst als Lehrer, dann als Leiter der Chaim-Weizman-Schule und setzte sich gegen viele Widerstände, für  den Aufbau eines hebräischen Bildungswesens für die vorwiegend deutschsprachigen Einwandererfamilien ein. Wie er selbst in seiner Autobiografie beschreibt, hatte er dabei mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zum einen hatte die Erfahrung der Schüler mit der deutschen Verfolgung und Vertreibung erhebliche Auswirkungen auf deren Erziehung, weil sie sich nur schwer der Schuldisziplin unterordneten. Weiterhin erkannten auch die Eltern, die nach der Vertreibung ihre früheren akademischen Berufe nicht weiter ausübten, sondern ihren Lebensunterhalt im Landbau erwirtschafteten, den Nutzen von Allgemeinbildung nicht mehr an. Widerstand zeigte sich zuletzt auch durch die Gemeindeleitung, die angesichts der vielen praktischen Nöte der Gemeinde nur ungern Gelder für Lehrmittel und Lehrergehälter erbringen wollte. Später gründete Rülf in Nahariya eine liberale Synagogengemeinde. Doch dem Saargebiet kehrte er nie völlig den Rücken. So folgte er 1951 einer Einladung seiner ehemaligen jüdischen Gemeinde an der Saar. In dieser Zeit hatte er großen Anteil am Wiederaufbau der Gemeinde und hielt auch die erste Predigt in der neu eingeweihten Synagoge. 1976 starb Rülf in Vevey in der Schweiz.

Eingedenk seiner Verdienste, vergibt die Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes (CJAS) regelmäßig die Friedrich-Schlomo-Rülf-Medaille an Personen, Institutionen oder Initiativen, die sich um die Verständigung zwischen Juden und Christen verdient gemacht haben.

Der Platz eignet sich nicht nur aufgrund seines bedeutenden Namensgebers für ein solches Denkmal, auch der Standort ist günstig. Durch die zentrale Lage – wenngleich diese keinen authentischen Bezug zur Geschichte herstellt – soll eine alltägliche Konfrontation der Saarbrücker Bürger mit den Ereignissen der Vergangenheit ermöglicht werden. Auch Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz betonte in ihrer Rede zur Einweihung des Platzes die Lage im Herzen der Stadt. Aufrichtiges Erinnern könne nicht in Randzonen stattfinden. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hob ebenfalls die Bedeutung der Zentrumsnähe hervor: Man müsse die Erinnerung „mitten in die Gesellschaft pflanzen“, dorthin, wo sich einst viele Juden bewegten und heute eine Lücke klaffe.

Halltestelle Rülf-Platz

Um die Idee des Platzes als Erinnerungsort und -zeichen kreativ zu verwirklichen, organsierte Bernhard Purin, der Direktor des Jüdischen Museums München, einen Künstlerwettbewerb. Im Rahmen dieses Wettbewerbs wurde aus zwölf Entwürfen verschiedener Künstlerinnen und Künstler das Kunstwerk „Der unterbrochene Wald“ von Ariel Auslender als beste Umsetzung des vorgegebenen Themas von einem Symposium gewählt, obwohl dessen Vorschlag nicht die von der Synagogengemeinde Saar geforderte namentliche Nennung aller unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft getöteten saarländischen Juden vorsah. Über den Vorschlag der jüdischen Gemeinde, die Wand der Freitreppe für die Anbringung von Namensschildern zu nutzen, entbrannte im Sommer 2013 eine große Diskussion. Regierungschefin Annegret Kramp- Karrenbauer sprach sich bei der Einweihung des Platzes für die Ergänzung des „Unterbrochenen Waldes“ durch die Namensnennung der Opfer aus, die man dadurch ihrer Anonymität entheben und „noch sichtbarer“ machen könne. Dies sei die „logische zweite Stufe“, sagte die Ministerpräsidentin und ist sich hierin mit Richard Bermann, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Saar, einig.

Der 1959 in Buenos Aires geborene Bildhauer Auslender kreierte die Idee, eine Skulpturengruppe, bestehend aus 40 auf die Höhe von 1,10 m abgesägten, bronzenen Baumstämmen in die städtische Umgebung zu integrieren. Dazwischen sollten lebendige Bäume gepflanzt werden. Dazu sollten die Skulpturen ungeordnet sowohl auf dem Rabbiner-Rülf-Platz als auch auf der Freitreppe, die zum Saarufer führt, verteilt werden und sich somit von den natürlichen Bäumen, die axial auf dem Platz stehen, unterscheiden. Auslender schuf so einen natürlichen Wald und einen stilisierten Erinnerungswald, die formal harmonieren, inhaltlich jedoch kontrastieren. Die Abgrenzung der beiden Wälder wird durch die jahreszeitlich bedingte optische Veränderung der natürlichen Bäume, denen die unveränderlichen bronzenen Baumstämme wie eingefroren gegenüberstehen, verstärkt. Während rundherum also alles in Bewegung ist, bleibt die Skulpturengruppe unverändert. Das von Auslender gewählte Bild des Baumstumpfes schafft ein einfaches, geradezu handgreifliches Bild für Erinnerung, Verlust und brutal gekappte Tradition. Auch das folgende Zitat von Rabbiner Rülf, das auf dem Platz in den Boden eingelassen ist, verdeutlicht die Intention:

„Oft, wenn ich nach einem alten Bekannten fragte, bekam ich die lakonische Antwort: ‚Deportiert’. Das war ein Euphemismus für ‚ermordet’.“

Die Symbolik des Erinnerungszeichens beschränkt sich jedoch nicht nur auf Verlust und Trauer. Die Anzahl der Bäume, die für die Personengruppe steht, die den Aufbau der jüdischen Gemeinde in Saarbrücken nach dem Holocaust wieder vorangetrieben hat, impliziert gleichzeitig Hoffnung und Freude über das Wiederaufleben der damals gekappten jüdischen Tradition. Bermann unterstützte diese Deutung in seiner Rede zur Einweihung, indem er betonte, dass das Denkmal keine Schuldgefühle auslösen solle. Auch will er es nicht als rückwärtsgewandtes Signal verstanden wissen, sondern es soll – ganz im Gegenteil – ein Zeichen der Hoffnung auf die Überwindung der Diskriminierungen von Minderheiten sein. Diese Hoffnung manifestierte sich im Appell, sich auch künftig Diskriminierungen überall auf der Welt entgegenzustellen – ein Symbol für Toleranz und Schutz.

Buslinie 111

Die Bevölkerung steht sowohl dem Platz als auch dem Mahnmal ambivalent gegenüber, wie eine Umfrage der Saarbrücker Zeitung aus dem November 2013 deutlich macht. Viele loben die optische Veränderung nach der Umgestaltung. Problematisch wird von den Bürgern allerdings die hektische Umgebung des Platzes gesehen. Sie befürchten, dass dem Mahnmal dadurch nur wenig Beachtung geschenkt werden könne. Doch vielleicht liegt genau hierin die Chance für den Einzelnen, seinen Alltag mit einem Moment des Innehaltens und des Erinnerns zu unterbrechen, um den zentralen Platz gleichsam zu einem Ort der Ruhe werden zu lassen. Es zeigt sich jedoch, dass viele Saarbrücker mit dem Namen Rabbiner Rülf sowie mit der Skulpturengruppe, vor allem aufgrund fehlender Informationen, wenig anfangen können. Deshalb ist es notwendig, auf vielfältige Art und Weise über das Projekt zu informieren. Es bietet sich an, die Geschichte des Holocaust in Verbindung mit dem neu errichteten Platz in den saarländischen Schulen zu thematisieren. Ein gemeinsamer Ausflug dorthin mit der Schulklasse würde den Inhalt des Unterrichts mit der eigenen Umgebung in Verbindung bringen und damit stärker erfahrbar machen. Ein erster Schritt zur Bekanntmachung ist bereits mit der Umbenennung der Haltestelle am ehemaligen Saar-Center in „Rabbi Rülf Platz“ getan. Auch für Saarbrücker Stadtführungen ist der Erinnerungsort nun ein attraktives Ziel.


Zu den Autorinnen:

Lisa Busche, geb. 7.3.1992, und Kathrin Dittgen, geb. 10.4.1992, studieren Katholische Theologie und Germanistik bzw. Katholische Theologie und Biologie an der Universität des Saarlandes. Sie sind studentische Mitarbeiterinnen an den Lehrstühlen Systematische Theologie bzw. Kirchen- und Theologiegeschichte.

Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz