Anton Grabner-Haider, Hitlers Theologie des Todes, Kevelaer 2009 (topos taschenbücher 682), 175 S., 9,90 EUR, ISBN 978-3-8367-0682-7


In diesem Werk setzt sich Anton Grabner-Haider mit den religiösen, theologischen und philosophischen Wurzeln der NS-Ideologie, die er als eine „Theologie des Todes“ charakterisiert, auseinander. Diese „Theologie des Todes“, zu deren wesentlichen Elementen der Autor einen blinden Gehorsam, den Glauben an die eigene Erwählung und die darin liegende göttliche Vorsehung, sowie das Vorhandensein totaler Feindbilder zählt, habe deutliche Anleihen beim Christentum getätigt, auch wenn in der NS-Ideologie christliche Grundwerte abgelehnt und zerstört worden seien.

Zahlreiche religiöse, theologische und philosophische Denklinien mündeten in die Ausformung der NS-Ideologie. Dazu gehörten nach Ansicht des Autors Kriegsmythen, der Monopol-Anspruch des jüdischen und des christlichen Glaubens sowie die philosophischen Traditonen des autoritären Staates und des Irrationalismus als Reaktion auf die Aufklärung. Allen drei Bereichen, aus denen die NS-Ideologie schöpfte, ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Das Kapitel über die Kriegsmythen behandelt Opfer-, Kampf- und Heldenmythen. Grabner-Haider verortet diese Mythen einerseits in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und in die Kriegszeit, andererseits führt er sie auf das Verständnis Jahwes als Kriegsgott und auf die „totalitäre“ Herrschaft der Kirche zurück. Der mit dem Monotheismus verbundene Monopol-Anspruch, der zur Ausschaltung weiblicher Gottheiten und der Ablösung des toleranteren Polytheismus geführt habe, sei von den NS-Ideologen als Vorbild totalitärer Herrschaft übernommen worden: aus Gottesfeinden wurden Volksfeinde; die NS-Eliten verstand sich als Vollstrecker des göttlichen Weltgerichts.

Das Kapitel Christliche Denklinien betont wiederum das Verhängnisvolle des monopolistischen Monotheismus. Verbunden mit dem Ethnozentrismus jüdischer Kreise als Reaktion auf die Hellenisierungstendenzen und später die römische Besatzung habe dieser Monopolanspruch schließlich zur Selbstzerstörung geführt. Ungeachtet ihrer Judenfeindschaft habe die NS-Ideologie diese jüdische Glaubenslehre übernommen. Darüber hinaus sei die gesamte Geschichte des Christentums, abgesehen von der Frühzeit, von diesem Monopol-Anspruch durchzogen. Er äußere sich im Arianismus-Streit ebenso wie in der Inquisition, der Judenfeinschaft und der Hexenverfolgung. Der Nationalsozialismus habe sich außerdem das immer wieder aufflammende apokalyptische Bewusstsein und die damit verbundene Bildersprache und Metaphorik zunutze machen können.

Zu den philosophischen Denklinien, die in die NS-Ideologie mündeten, rechnet Grabner-Haider die Vorstellung des „starken Staates“ bei Platon, Machiavelli und Hobbes sowie die irrationalistische Philosophie Schellings, Schopenhauers, Nietzsches, Schelers und Heideggers. Dieser „Sonderweg“ der deutschen Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sei in der NS-Ideologie fortgesetzt worden; verantwortlich sei dafür vor allem die Zerstörung der kritischen aufklärerischen Vernunft.

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der intellektuellen Aufrüstung am Vorabend des Ersten Weltkrieges, zu der Theologen beider Kirchen maßgeblich beitrugen. Diese beteiligten sich an Opferdiskurs und Durchhalteparolen, beschworen das göttliche Strafgericht über die Unmoral und andere kulturelle Übel und strebten nach einem maskulinisierten Christentum. All dies bereitete den Boden für eine gleichartige Aufrüstung durch die NS-Ideologie.

Nach einem Kapitel über die Maschinerie des Tötens im NS-Staat endet das Buch mit einem Aufruf für eine Kultur des Erinnerns und zur Anerkennung von Schuld. Gerade die christlich geprägten Länder müssten eine Vorbildfunktion hinsichtlich der Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten und der Durchführung des interreligiösen Dialogs erfüllen, indem sie gegen die „Theologie des Todes“ eine „Theologie/Philosophie des Lebens“ setzten, die maßgeblich von aufklärerischer kritischer Vernunft geprägt sei.

Zu Recht macht Grabner-Haider auf die vielfältige Verarbeitung philosophischer, theologischer und religiöser Motive in der NS-Ideologie aufmerksam. Leider werden jedoch viele zutreffende Einzelbeobachtungen, z.B. zur Beteiligung der Theologen an der intellektuellen Aufrüstung des Kaiserreichs oder zur Rolle des Todesverständnisses in der Heideggerschen Philosophie,  in ein „genealogisches“ System gepresst, das zu undifferenzierten und auch unrichtigen Aussagen führt. Undifferenzierte Monotheismus-Schelte und romantisierendes Polytheismus-Lob scheinen die Vorstellung nahe zu legen, dass die Juden in der Antike durch ihre Gottesvorstellung und ihren „Ethnozentrismus“ zu ihrer Selbstzerstörung (!) beigetragen hätten, in anderen Worten selber schuld an ihrer Verfolgung seien. Die direkte Übertragung dieser vermeintlichen jüdischen Haltung ebenso wie der autoritären Herrschaftsform der Kirche auf den Nationalsozialismus ist nicht das Ergebnis seriöser Quellenarbeit und Begriffsbildung. Ohne den Totalitarismus-Begriffs zu reflektieren, wird von kirchlichen Strukturen als „totalitären“ gesprochen; historische Ereignisse werden auf einer Ebene miteinander verglichen, wie z.B. die kirchliche Bekämpfung der christologischen Position der Arianer mit dem sog. Röhm-Putsch. Insgesamt gesehen, beeinträchtigt die von einem nicht ausreichend reflektierten Vorverständnis geprägte Gesamtkomposition des Bandes dessen Aussagekraft.


Zur Rezensentin:
Dr. Lucia Scherzberg, geb. 1957, Professorin für systematische Theologie, Universität des Saarlandes

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