Karl-Joseph Hummel
(Bearb.), Paulus van Husen
1891-1971. Erinnerungen eines Juristen vom Kaiserreich bis zur
Bundesrepublik Deutschland, Paderborn, München, Wien,
Zürich 2010, Ferdinand Schöningh Verlag, 614 S., 88 EURO,
ISBN 978-3-506-75687-9
Mit dieser Veröffentlichung der Kommission für Zeitgeschichte werden die Lebenserinnerungen von Paulus van Husen (1891-1971) herausgegeben. Dieser stark katholisch geprägte westfälische Jurist ist bislang vorrangig als Mitglied des sogenannten Kreisauer Kreises wahrgenommen worden und damit als Teil einer herausragenden Gruppe des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Deutschland. In diesem Zusammenhang steht er eher im Schatten der anderen, bekannteren Kreisauer, insbesondere von Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, den führenden und treibenden Köpfen des Kreises. Paulus van Husen war ein wichtiges und produktives Mitglied dieser Widerstandsgruppe. Er hat neben organisatorischen und konspirativen Tätigkeiten an den verfassungsrechtlichen und –politischen Planungen des Kreises für einen Neuaufbau Deutschlands mitgewirkt und dazu wichtige Beiträge geleistet. [1]
Das Bild, das auf Grund der bisherigen Veröffentlichungen über Paulus van Husen entstanden ist, wird durch die Herausgabe seiner umfangreichen Memoiren erheblich angereichert und abgerundet. Van Husen hat sie in einem Zeitraum von knapp zehn Jahren zwischen 1957/58 und 1967 auf 977 Seiten niedergeschrieben. Das allein ist schon eine bemerkenswerte Leistung. Die Länge des Manuskripts machte erhebliche Kürzungen durch Karl-Joseph Hummel erforderlich, die aber den Schwerpunkt und den Gesamteindruck nicht verfälscht haben. Auf 585 Seiten werden die Lebenserinnerungen wortgetreu wiedergegeben. Sie sind in folgende, unter- schiedlich lange Kapitel gegliedert: Jugend (1891–1909), Berufsausbildung (1909–1920), Oberschlesien (1920-1934), Berlin (1934-1940): Oberverwaltungsgericht, Berlin (1940-1944): Oberkommando der Wehrmacht, Kreisauer Kreis und 20. Juli, Berlin (1949-1948): Nachkriegselend und Amerikanische Militärregierung, Köln (1948/49): Deutsches Obergericht und Münster (1949-1971): Oberverwaltungsgericht, Verfassungsgerichtshof und Lebensabend.
Schon anhand dieser Gliederungspunkte kann man erahnen, welch abwechslungsreiches Leben Paulus van Husen geführt hat. Er zeichnet es mit den familiären, beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen in einer sehr persönlichen, detaillierten und dichten Art nach. Sein Text ist gut lesbar und klar strukturiert. Einige detailverliebte Passagen hätten vielleicht noch zusätzlich herausgekürzt werden können. Paulus van Husen schildert auch geschichtliche Zusammenhänge oder reißt sie zumindest an. In einem umfangreichen Fußnotenapparat werden von Karl-Joseph Hummel sehr hilfreiche ergänzende Erläuterungen dazu gegeben. In den Lebenserinnerungen van Husens werden trotz der vorgenommen Kürzungen mehr als 1.000 Personen erwähnt, vorgestellt oder sogar charakterlich bewertet. Ein besonderes Verdienst des Herausgebers ist es, für die meisten dieser Personen ausführliche Biogramme zu liefern. Durch das Personen- und Ortsregister im Anhang lassen sie sich leicht wiederfinden.
Die Memoiren des Juristen Paulus van Husen legen die Karten eines vielschichtigen Lebens gleichsam offen auf den Tisch. Sie umfassen 75 ereignisreiche Jahre vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, die Paulus van Husen in verschieden persönlichen Phasen und beruflichen Stationen erlebt und zum Teil (wie insbesondere die Haftzeit nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944) durchlitten hat. Die Lebenserinnerungen spiegeln das Bild eines sehr gebildeten, vielschichtig interessierten und stark katholisch geprägten [2] Juristen wieder, der seine konservative Weltanschauung sein Leben lang beibehalten und mutig sowie zum Teil vehement vertreten hat. Paulus van Husen hat es aber auch verstanden, sich schwierigen äußeren Lebensumständen (wie etwa in der Nachkriegszeit in Berlin) anzupassen und sich pragmatisch und geschickt um Verbesserungen zu bemühen.
Karl-Joseph Hummel hat der Wiedergabe des Manuskriptes von Paulus von Husen eine umfangreiche und gelungene Einleitung vorangestellt. Darin werden die Lebenserinnerungen unter den Gesichtspunkten Lebenslauf, Katholik, Bildungsbürger, Pater familias, Freunde, Der Verwalter, Der Staatsdiener, Im Widerstand, Unabhängigkeit der Dritten Gewalt, und Als Christ in der Dritten Gewalt zusammengefasst und bewertet. Bereits dabei werden die für die Einordnung der persönlichen, gesellschaftlichen oder politischen Hintergründe notwendigen Erläuterungen geliefert und somit der Grundstein für ein ertragreiches Lesen der Memoiren gelegt.
Mit der Herausgabe der Lebenserinnerungen von Paulus van Husen wird nicht nur ein weiterer wichtiger Baustein zum Verständnis und zur Erforschung der Arbeit und der Zielrichtung des Kreisauer Kreises geliefert. Das nahezu ungekürzte, auf 95 Seiten wiedergegebene und an vielen Stellen detailreiche Manuskript von Paulus van Husen zu diesem Thema stellt eine wahre Fundgrube für die Widerstandsforschung dar. Der Wert und der Reiz des Buches besteht auch darin, aus der Sichtweise van Husens und damit aus dem Munde eines Zeitzeugen, seine eigene Wahrnehmung seines überaus abwechslungsreichen und interessanten Lebens zu erfahren. Dabei werden neben dem Widerstand auch andere zeitgeschichtlich bedeutsame Abschnitte oder Ereignisse anhand seiner Erlebnisse von Paulus van Husen beleuchtet. So etwa seine Zeit in der gemischten Kommission für Oberschlesien, die Erlebnisse im Oberkommando der Wehrmacht in Berlin, die dortige Nachkriegszeit mit der Gründung der CDU und der Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist schade, dass die Lebenserinnerungen Paulus van Husens erst fast 40 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden.
[1] Vgl. Frank Schindler,
Paulus van Husen im Kreisauer Kreis,
Paderborn, München, Wien, Zürich 1997, S. 14, 43 ff.
[2] Vgl. Frank Schindler,
a.a.O., S. 32 ff.
Zum Rezensenten:
Dr. Frank Schindler, geb. 1963, ist Richter am Schleswig-Holsteinischen
Finanzgericht in Kiel.
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