Annette Jantzen, Priester im Krieg. Elsässische und französisch-lothringische Geistliche im Ersten Weltkrieg, (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Bd. 116), Paderborn 2010, Verlag Ferdinand Schöningh, 367 S., 49,90 EUR, ISBN 978-3-506-76873-5


Das Buch ist eine wichtige Studie zur Rolle der Religion und der Seelsorge im Ersten Weltkrieg aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet. Es macht deutlich, dass die Kirchenleitungen und die Theologen den Krieg auf beiden Seiten der Front als Werk der "göttlichen Vorsehung" gedeutet und unterstützt haben. Das Buch ist das Ergebnis einer  Tübinger Dissertation zur Zeitgeschichte.

Nun haben die Bischöfe und Theologen zwischen 1914 und 1918 auf beiden Seiten ähnlich argumentiert. Der Krieg sei "gerecht" (bellum iustum), er folge dem göttlichen Heilsplan und diene den Menschen zur Umkehr und moralischen Besserung. Das Tötungsverbot sei aufgehoben, nun gelte eine Moral in einem höheren Licht, auf die Gefallenen warte die ewige Seligkeit. Die Katholiken sollen nicht am leiblichen Leben hängen, die blinden Pazifisten seien im Unrecht. Gewiss sei der Krieg auch eine Strafe für die Sünden der Menschen.

Dieser Kriegstheologie folgten die deutschen und die französischen Bischöfe, sie orientierten sich an der alten Kriegslehre des Aurelius Augustinus. Übrigens taten sie dies bis weit nach 1945; Mahatma Gandhi hatte geschrieben, sie folgten damit der "Lehre Satans", aber nicht Jesu. Das Buch zeigt aus vielen historischen Quellen, wie der Krieg auf beiden Seiten der Front erlebt wurde. Das Deutsche Reich hatte ab August 1914 nicht die Vereinbarung der Haager Land-Kriegsordnung von 1905 akzeptiert, dass die Zivilbevölkerung bei Partisanentätigkeit zu schonen sei. Die Quellen berichten vom "Franktireurswahn" auf deutscher Seite und von Priestererschießungen. Die Franzosen nannten die deutsche Kultur "Barbarei". Die Priester deuteten den Tod der Soldaten als "Christusnachfolge" und als "Opfer" für das Vaterland. Berichtet wird von der Tätigkeit der Militärseelsorger, von der Betreuung der Flüchtlinge, von französischen und deutschen Hirtenbriefen, von Prozessen wegen Wehrkraftzersetzung, von ökumenischen Gottesdiensten an der Front.

Einige Seelsorger predigten, der Tod an der Front sei die göttliche Strafe für die sexuelle Selbstbefriedigung der Soldaten. In der Gefangenschaft wurden Priester wie Offiziere behandelt. Bischof Ch. Ruch schrieb an die Militärpriester, der göttliche Weltenlenker wolle den Krieg, die Soldaten müssten dem Willen der Vorsehung freiwillig folgen. Der Krieg sei ein Übungsfeld der moralischen Tugend und eine Quelle moralischer Verdienste bei Gott. Die Soldaten seien für würdig befunden worden, in der Nachfolge Jesu zu leiden. Christus ernte auf den Schlachtfeldern die Seelen der Menschen, diese müssten gerettet werden, auch wenn die Körper verbluteten. Ähnliches hatte der Jesuit Teilhard de Chardin in sein Kriegstagebuch geschrieben.

Die deutschen Prediger schimpften über die Egalité der Franzosen, diese widerspreche der göttlichen Ordnung. Ab 1917 nahm die Kriegsbegeisterung deutlich ab, die Deutschen wurden von den Franzosen als "Hunnen" bezeichnet. Die Friedensinitiative des Papstes Benedikt XV. im Jahr 1917 wurde weder von den französischen, noch von den deutschen Bischöfen unterstützt, sie wurde weitgehend totgeschwiegen. Der Nationalismus stand über dem Evangelium. Viele Franzosen sahen im Krieg das Ringen zwischen französischer Demokratie  (civilisation)und deutschem Autoritarismus (Kultur). Der Gott der Christen stand auf beiden Seiten und segnete die Waffen. Die Namen der gefallenen Priester wurden aufgezeichnet, sie wurden als Martyrer des Vaterlandes verehrt. Bischöfe und Theologen waren stolz auf das "Gold" des vergossenen Blutes, Gott sei mit Frankreich und schenke den Franzosen den Sieg.

Fast 100 Jahre später sind wir erschüttert über diese Kriegstheologie, die aber im Christentum seit dem Mittelalter ihre Gültigkeit hatte. Heutige Kritiker sehen diese Lehre eng verbunden mit den theologischen Lehren der allgemeinen Erbsünde und des Opfertodes Christi. Viele von ihnen sind der Überzeugung, dass diese Lehren erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zusammengebrochen sind. Erst viele Jahrzehnte danach haben einzelne Theologen zögerlich begonnen, diese abstruse Theologie des Tötens kritisch aufzuarbeiten. Die moralischen und politischen Lernprozesse sind in den letzten Jahrzehnten über diese Lehren hinweg gegangen. Doch den Theologen steht die umfassende Aufarbeitung dieser dunklen Schatten ihrer dogmatischen und moralischen Lehren erst bevor. (Vgl. dazu meine Bücher: Hitlers mythische Religion. Wien 2008. und: Hitlers Theologie des Todes. Kevelaer 2009.) Die Autorin hat mit dieser Arbeit einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Erinnerungsarbeit geleistet.



Zum Rezensenten:

Anton Grabner-Haider, geb. 1940, Professor für Religionsphilosophie an der Universität Graz.

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