j

Yvonne Al-Taie

Tagungsbericht: Recht und Moral. Mediale Konstellationen gesellschaftlicher Selbstverständigung über ‚Verbrechen‘ vom 17. bis zum 21. Jahrhundert



Vom 19. bis 22. Oktober 2011 fand an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die von der Volkswagen-Stiftung geförderte Tagung Recht und Moral. Mediale Konstellationen gesellschaftlicher Selbstverständigung über ‚Verbrechen‘ vom 17. bis zum 21. Jahrhundert statt. Die Organisatoren der Tagung, Hans-Edwin Friedrich, Joachim Linder und Claus-Michael Ort knüpfen mit dieser Tagung an einen seit den frühen 1980er Jahren unter Anregung von Jörg Schönert geführten Diskurs über Literatur und Kriminalität an.

Ausgehend von Niklas Luhmanns Beschreibung der Autonomisierung des Rechts und dessen Loslösung von der Moral sowie der damit einhergehenden Universalisierung des moralischen Kommunikationssystems war die leitende Fragestellung der Tagung, inwiefern diese Differenzierung von Recht und Moral ihren Niederschlag in der Literatur gefunden hat und diese zum neuen Ort moralischer Auseinandersetzung avancierte. Dabei vertreten die Organisatoren der Tagung die Hypothese, dass es gerade Krisenzeiten waren, die zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Recht und Moral geführt haben.

Die Tagung war in sechs Sektionen gegliedert, von denen die ersten drei epochengeschichtlichen Fragen gewidmet waren, während die drei folgenden Sektionen gattungstheoretische Fragen in den Fokus rückten.

Sektion 1, die unter dem Titel Ausdifferenzierung von Recht und Moral – Konstellationen der Frühen Neuzeit und des Übergangs zur Moderne stand, wurde durch Michael Titzmanns Vortrag Die Ausdifferenzierung des Normensystems in Früher Neuzeit und Aufklärung: ‚Moral‘ vs. ‚Recht‘ eingeleitet. Titzmann, der eine mentalitätsgeschichtliche Fragestellung verfolgte, skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung der Konstellation von Recht und Moral vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, die er anhand der Schriften bedeutender Rechts- und Moraltheoretiker wie Grotius, Pufendorf, Wolff, Hobbes, Montesquieu, u. a. rekonstruierte. Dabei zeichnete er die Ablösung des juridischen Normsystems von christlich-religiösen Rechtsvorstellungen nach und zeigte eine zunehmende Trennung von „Recht“ und „Moral“ auf.
In einem zweiten Vortrag beleuchtete Hania Siebenpfeiffer unter dem Titel Affekt und Amoral – Der Fall der ‚Marquise de Brinvilliers‘ (1676/1734) die nachträgliche Konstruktion der Figur der Giftmörderin am Beispiel der Marquise de Brinvilliers. Im Vergleich der in François Gayot de Pitavals Causes célèbres et intéressantes veröffentlichten Prozessakten mit der literarischen Bearbeitung durch Niethammer/Schiller arbeitete Siebenpfeiffer zum einen die Gegenüberstellung von theologischem und juridischem Rechtsverständnis und zum anderen die Fokusverschiebung hin zum Genderaspekt heraus. Dabei zeigte sie die Giftmischerei, die auch mit der Zauberei in Verbindung gebracht wird, als Nahtstelle zwischen theologischem und weltlichem Sanktionsbereich auf. Pitaval löse seine juristische Argumentation von theologischen Begründungsmustern und ersetze diese durch die Affekte-Lehre. Schließlich stellte Siebenpfeiffer die These auf, dass es in der literarischen Bearbeitung des Falls durch Niethammer/Schiller zu einer Substitution des Affekt-Motivs durch das Geschlechtsmotiv komme und somit der Typus der weiblichen Giftmörderin geformt werde.
Thomas Weitin beschäftigte sich in seinem Vortrag Die Sichtbarkeit der Folter. Zur Fallgeschichte ‚Nickel List und seine Gesellen‘ (1660ff) mit der Rolle eines Gefängnisgeistlichen bei der Folter. Dabei konnte er aufzeigen, dass der Geistliche die Folter keineswegs ablehnte, sondern im Gegenteil die physische Gewalt der Folter durch psychisch-geistlichen Druck noch erhöhte. Weitin unterschied hierbei „reale, imaginäre und symbolische Gewalt“, wobei er die geistliche Gewalt den letzten beiden Kategorien zuordnete.
Holger Dainat beschloß die erste Sektion mit einem Vortrag über ‚Relationes Curiosae‘ oder Merkwürdige Seltsamkeiten. Frühe Kriminalgeschichten aus Hamburg, um 1700. Darin betrachtete er die Kriminalgeschichten, die in den von Rainer Happel herausgegebenen Relationes Curiosae erschienen sind. Die Kriminalgeschichten, die nur einen kleinen  Teil der erzählten Merkwürdigkeiten ausmachen, entnimmt Happel aus dem Theatrum Europaeum; er präsentiert seinem Publikum damit keine aktuellen Fälle. Happel agiert vornehmlich als Kompilator, ohne den Schilderungen eine moralische Deutung beizulegen. Dennoch, so Dainat, formt er aus den berichteten Ereignissen Erzählungen, indem er ihnen einen Titel und ein Ende gibt. Auffällig ist, dass Happel - trotz des Fehlens expliziter moralischer Wertungen - in dem neu geschaffenen Schlussteil die Strafe schildert, die den Berichten nicht zu entnehmen war. Dainat charakterisierte diese Texte als frühe Form von Massenmedienliteratur, die ein breites Publikum ansprechen sollte und ein Gegenprogramm zu den moralischen Wochenschriften darstellte.

Die zweite Sektion stand unter dem Titel Ausdifferenzierung der Systeme, konkurrierende Deutungen – Recht, Moral, Politik am Beginn des 19. Jahrhunderts und wurde von Michael Niehaus' Vortrag Zum Verhältnis von Recht und Moral bei der Zuschreibung von Zurechnungsfähigkeit eingeleitet. Die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit ist immer auch die Frage nach der subjektiven Schuld, bei der der Richter auch moralischen Erwägungen Raum gibt. Im 19. Jahrhundert wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit der Begriff des Triebes eingeführt. Heinroth moralisiert die Zurechnungsfähigkeit schließlich, indem er die Kontrolle des Triebes dem Täter zurechnet. So werden moralische und rechtliche Zurechnungsfähigkeit im 19. Jahrhundert miteinander verknüpft. Als Beispiel führte Niehaus die Giftmörderin Gesche Gottfried an. Die Verurteilung basiere dabei auf einem Narrativ, das die Taten nachvollziehbar und damit moralisch zurechenbar mache. Durch die narrative Konstruktion, so Niehaus, wird der Vergiftungstrieb erklärt und das Konzept des Triebes schließlich durch eine sich allmählich durch die Angeklagte selbst herbeigeführte Gewohnheit und Sucht ersetzt, um ihr die moralische Zurechnungsfähigkeit zusprechen zu können.
John McCarthy setzte sich in seinem Beitrag 'Nicht halbieren': 'freie Rechtslehrer' und Rechtsreformziele im Prozess des Mündigwerdens in Politik und Moral im 18. Jahrhundert und heute mit dem Typus des „freien Rechtslehrers“ auseinander, der auf die Reformbedürftigkeit von Recht und Moral verweist. Als Beispiel besprach er Christoph Martin Wielands Diogenes-Roman, in dem Wieland einen gerechten Staat fordert. Im Zentrum der im Roman entwickelten Gedanken stehen dabei die Rede- und die Pressefreiheit. Wieland liefert ein Plädoyer für die Erhebung der Erkenntnisse des gesunden Menschenverstandes zum allgemeinen Gesetz. Eine Trennung zwischen Moral und Gesetz ist für Wieland damit nicht möglich.
Beschlossen wurde die zweite Sektion von Karl Härters Vortrag Recht und Moral am Beispiel der medialen Repräsentation des politischen Verbrechers in populären Medien des 18. und 19. Jahrhunderts, der sich mit der Darstellung des politischen Verbrechens in den illustrierten Einblattdrucken des 17. Jahrhunderts beschäftigte. Die öffentliche Auseinandersetzung ging mit der politisch motivierten Tat immer schon einher ? sowohl von Seiten des Täters wie von Seiten der Gerichtsbarkeit. Es fand ein publizistischer Diskurs über die Tat statt. Pamphlete wurden dabei nicht selten beschlagnahmt und öffentlich durch den Henker verbrannt. Von Seiten des Gerichtes kam es, so legte Härter dar, häufig schon während des Verfahrens zur Veröffentlichung von Gerichtsakten. Dabei konnte Härter aufzeigen, dass es in der Publizistik nach Verhängung der Strafe zu einer erneuten Bewertung der Tat kam, in der der Angriff  zunehmend als Angriff gegen den Staat, nicht als Angriff gegen den Herrscher allein gedeutet wurde.

Eine dritte Sektion befasste sich mit dem Thema Konkurrenz der Deutungen und der Wissensproduktion: Literatur und Kriminologie im 19. und 20. Jahrhundert, die Johanna Bergann mit ihrem Vortrag Medium, Mittler, Mediation: Vermittlerfiguren um 1800 einleitete. Dabei zeigte sie anhand der beiden Beispiele des Mittlers in Goethes Wahlverwandtschaften und Hebels Der Friedensstifter auf, dass Mittlerfiguren häufig als mediale Werkzeuge der Konfliktlösung eingesetzt werden. In den Mittlern sei die rechtliche Utopie des Ausgleichs verkörpert. Auffällig sei dabei, dass diese Figuren häufig gerade nicht ausgleichend wirken, sondern den Streit entfachen, um Kommunikation in Gang zu setzen. Die Konzeption der Vermittlung als harmonisches Verfahren wird so ironisch gebrochen.
Sebastian Bernhardt befasste sich in seinem Vortrag mit der 'Tötung auf Verlangen' in der Literatur nach 1850. Um 1818 setzte in der Literatur eine Beschäftigung mit der Tötung auf Verlangen ein, befördert von dem § 216 und der mit ihm einhergehenden soziologischen Debatte. Indem die Literatur den einzelnen Fall und die subjektiv-moralischen Beweggründe darlegt, gelingt es ihr, so Bernhardt, aufzuzeigen, dass es Fälle gibt, in denen die notwendig verallgemeinernde Rechtsnorm sowie die allgemeine Moral nicht mit dem subjektiven moralischen Gefühl korrelieren.
Christian Bachhiesl beschäftigte sich in seinem Vortrag Über die Verwandlung von Werten in Wissen. Ethik und Episteme in der Kriminalwissenschaft um 1900 mit der Kriminologie Hans Gross'. In Anlehnung an die Naturwissenschaften versuchte Gross aus der Kriminologie eine exakte Wissenschaft zu machen, die mit empirischen Methoden arbeitet. Bachhiesl vertrat die These, dass die Ethik, die Gross explizit für seinen Ansatz ausgeschlossen hat, unbemerkt wieder Eingang in seine Theorie findet und es so zu einer Moralisierung des wahr-falsch-Positivismus komme.
Simone Winko und Katharina Prinz beschlossen die Sektion mit ihrem Vortrag Normen und Werte in literarischen Texten - methodische Probleme ihrer Analyse, in dem sie das literaturwissenschaftliche Analyseverfahren, mit dem Werte und Normen in literarischen Texten untersucht werden, einer kritischen Reflexion unterzogen. Ihr Ziel war es, einen Kriterienkatalog zu entwickeln, der die Untersuchung von Werten und Normen auf den verschiedenen Ebenen der Textanalyse berücksichtigt, dabei aber methodenunabhängig bleibt und so mit möglichst vielen literaturwissenschaftlichen Ansätzen kompatibel ist. Exemplarisch führten sie die Textanalyse anhand dieses Kriterienkatalogs an den beiden Beispielen des Nibelungenlieds und von E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi vor.

In einer vorgezogenen sechsten Sektion zum Thema Medialität und Serialität beschäftigte sich Stefan Höltgen mit der Frage nach Computer[n] als (Serien-)Mordwaffe im Film der Gegenwart. Höltgen konnte aufzeigen, dass Computer einhergehend mit einer Technikfurcht in Filmen stets negativ besetzt seien und die Idee einer "Mathematik des Todes" bedienten. Durch das Internet hat der Computer stärker denn je die Funktion eines Zwischenmediums erhalten. In den Internet-Thrillern der letzten Jahre zeichne sich ab, dass der Computer gerade durch seine Funktion als Kommunikationsinstrument zum Tatinstrument werden kann. Auf diese Weise wird die Frage nach der Täterschaft in diesen Film neu gestellt.

Die vierte Sektion versammelte schließlich Vorträge zu dem Themenfeld Konkurrenzen im Literatursystem: Ausdifferenzierung der Genreliteratur, Medienwandel seit 1850. Auftakt dieser Sektion bildete der Vortrag von Ulrike Zeuch zur Aktualität des Falls 'Moosbrugger'. Die Problematik, die Musil im Mann ohne Eigenschaften behandelt, so Zeuch, ist die Frage, wie ein Richter zur Innenansicht eines Täters während der Tat gelangen kann. Damit ist schließlich, wie in vielen anderen Beiträgen, die Frage nach der subjektiven Zurechnungsfähigkeit der Tat berührt. Indem Musil eine solche Innenansicht gibt, thematisiert er die Grenzen des Rechts, der Gerichtsbarkeit und der Gerechtigkeit. Zeuch wies darauf hin, dass Musil die Justiz aus einem psychologischen Interesse heraus kritisierte, ohne eine moralische Bewertung Moosbruggers zu geben.
Carsten Würmann untersuchte in seinem Vortrag Kein deutsches Genre? Der Krimi im 'Dritten Reich' ein bislang sowohl in der NS-Forschung wie in der Forschung zur Kriminalliteratur vernachlässigtes Gebiet. Er konnte aufzeigen, dass der Krimi trotz Verbot ein bedeutendes Genre der Populärliteratur während des Nationalsozialismus blieb. Dass es sich dabei um deutsche Autoren handelte, wird mitunter durch den Umstand verwischt, dass die Plots im angelsächsischen Raum spielen und die Protagonisten englische Namen tragen. Mitte der 30er Jahre begann man den Kriminalfilm propagandistisch aufzubereiten. Hierbei wurde Wert auf eine angemessene Darstellung der deutschen Polizei und der deutschen Verhältnisse gelegt. Dennoch traten antisemitische und propagandistische Elemente generell eher in den Hintergrund. Gerade in diesen wenig propagandistisch aufgeladenen Kriminalromanen und -filmen sieht Würmann eine Stützung des Systems, da sie Normalität und Alltag suggerierten.
Herbert Reinke wandte sich in seinem Beitrag Wohlstandskriminalität. Moral Panics in den 1950er Jahren dem Nachkriegsdeutschland und der medialen Debatte über eine veränderte Kriminalität in den Jahren des beginnenden Wohlstands zu. Die ab Mitte der 1950er Jahre nach einem vorherigen Rückgang wieder ansteigende Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland durchbrach die traditionellen Erklärungsmuster der Soziologen, die Kriminalität traditionell mit materieller Notlage in Zusammenhang brachten. Erstmals schien ein wachsender Wohlstand zu einer höheren Kriminalitätsrate zu führen, was unter Soziologen zunächst Ratlosigkeit auslöste und unterschiedlichste Erklärungsmodelle hervorbrachte. In den publizistischen Medien wurde das Phänomen unter dem Terminus der "Wohlstandskriminalität" breit verhandelt, der bald zum Schlagwort avancierte.
Nele Hoffmann betrachtete in ihrem Vortrag die Kriminalliteratur als Genre der kulturellen Selbstreflexion. Dabei nahm sie besonders die deutschsprachige Kriminalliteratur der letzten dreißig Jahre in den Blick und plädierte für eine neue Strukturierung der Gattung. Hoffmann vertrat, belegt am Beispiel des feministischen Kriminalromans, die These, dass es Kriminalliteratur gäbe, die, wie sie am Beispiel von Prostitution und Homosexualität darlegte, eine institutionenkritische Haltung einnähme und den gesellschaftlichen Wandel der Normalitätskonzepte reflektierte. Die Kriminalisierung des Devianten sowohl auf moralischer als auch auf juristischer Ebene werde dabei kritisch hinterfragt.

Die abschließende Sektion stand unter dem Motto Internationalisierung der Genreliteratur, Re-Visualisierung und die Ausdehnung der 'Sinnprovinz Kriminalität': Verbrechen als Erfolgsmedium. Todd Herzog eröffnete die Sektion mit einem Vortrag zu "German Noir": Deutsche Detektive und deutsche Verbrecher im englischsprachigen Kriminalroman. Herzog konnte aufzeigen, dass sich seit 1989 im anglophonen Raum eine neue Gattung von Kriminalromanen herauszubilden begann, die im Deutschland des 20. Jahrhunderts spielen und in deren Mittelpunkt immer der Nationalsozialismus steht. Dabei werden keine großen Verbrecher oder großen Helden gezeichnet, vielmehr findet eine Auseinandersetzung mit dem Alltag unter dem Nationalsozialismus statt. Wie in der Diskussion deutlich wurde, scheint die moralische Bewertung des NS-Alltags, wie sie hinter diesen Romankonzeptionen sichtbar wird, dem  Diktum Hannah Arendts von der "Banalität des Bösen" zu folgen.
Alexander Košenina befasste sich in seinem Vortrag Einzelvoten: Eine Kriminalanekdote Kleists und eine Erzählung v. Schirachs mit zwei literarischen Fallbeispielen, anhand derer er die Kriminalanekdote untersuchte, die in der Forschung bisher nicht als distinkte Gattung wahrgenommen wurde. Die Anekdoten, sowohl von Kleist als auch von Schirach, zeigen die Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit auf. Schirach spitzt dabei in einer fiktionalen Fallkonstruktion die juristische Position in einer Weise zu, die, wie sich in der Diskussion klärte, de facto juristisch so nicht möglich wäre. In beiden Erzählungen, die sich einmal mit dem amerikanischen common law und einmal mit dem kontinentalen civil law beschäftigen, wird eine Paradoxie zwischen Recht und Rechtsempfinden aufgewiesen.
Greta Olson widmete sich in ihrem Beitrag Cultural Work in 'Judge Judy' and 'Richterin Barbara Salesch' der massenmedialen Repräsentation von Recht und Justiz im amerikanischen und deutschen Fernsehen. Dabei untersuchte sie das unterschiedliche Auftreten der amerikanischen und der deutschen Fernseh-Richterin ebenso, wie sie nach deren möglichem Einfluss auf das Justizwesen fragte. Während bei den Zuschauern eine falsche Vorstellung vom Ablauf eines Strafverfahrens erzeugt würde, konnten Soziologen keinen Einfluss auf das Verhalten der Justiz nachweisen. Interessanter ist damit die Rolle, die diese Richterinnen für ihr Publikum einnehmen. Sie erscheinen als moralische Instanzen, die klare Handlungs- und Wertaussagen machen. Das Recht wird in diesen Serien ausschließlich als funktionierend vorgeführt; Moral und Recht stehen nie in Konflikt zueinander. Auch ein Blick auf die Sendezeit am Nachmittag ist soziologisch aufschlussreich: Die Zielgruppe lässt sich durch die Ausstrahlung am frühen Nachmittag überwiegend auf Mütter und Nicht-Vollbeschäftigte einschränken. In den Krimis des Abendprogramms hingegen findet sich eine durchaus kritische Darstellung von Justiz und Polizei.
Mit der Darstellung von Verbrechensaufklärung im Fernsehen beschäftigten sich auch Christian Wickert und Katrin Bliesmeister in ihrem Vortrag Moralvorstellungen im Fernsehkrimi: der CSI-Effekt, diesmal mit der Spurensicherung am Tatort. Das Crime Lab, so Wickert und Bliesmeister, wird zur Moralinstanz. Zwar führten solche Fernsehserien dazu, dass sowohl alle Beteiligten der Justiz als auch die Laien sehr gut über die technischen Möglichkeiten der Forensik informiert seien und diese bisweilen überbewerteten; ein signifikanter Einfluss auf Strafverfahren lasse sich jedoch nicht nachweisen.
Zum Abschluss der Tagung reflektierte Reinhard Merkel in seinem Vortrag Willensfreiheit und Schuld. Philosophisch-strafrechtliche Perspektiven die Problematik der Willensfreiheit aus rechtsphilosophisch-analytischer Sicht. Dabei diskutierte er die vor einigen Jahren von Neurowissenschaftlern vorgetragene Kritik an der Willensfreiheit. Merkel schloss sich der Argumentation der Kompatibilisten an, wonach die phänomenalen Empfindungen und damit das Mentale nicht restlos auf Physik reduziert werden könnten und favorisierte schließlich die Supervenienztheorie, wonach es einen asymmetrischen Zusammenhang zwischen neuronalen und mentalen Zuständen gäbe, bei dem die mentalen von den neuronalen Zuständen abhingen. Auf die genauere Erklärung der Beschaffenheit dieses Verhältnisses wird dabei verzichtet.

In den unterschiedlichen Beiträgen, die ein beachtliches epochengeschichtliches und gattungstheoretisches Spektrum abdeckten, haben sich an verschiedenen Schnittpunkten themenübergreifende Fragestellungen und Problemkonstellationen herauskristallisiert. So scheint sich die Literatur generell eher in den Dienst der Moral zu stellen und eine justizkritische Haltung einzunehmen. Gleichwohl findet man aber auch Phänomene, besonders in den Trivial- und Massenmedien, die ein Bild der durchgängigen Kongruenz von Recht und Moral zeichnen. Gerade in empirischen Ansätzen der Kriminologie lässt sich wiederholt beobachten, wie der Anspruch auf Objektivität, der auf eine ausschließliche Beschreibung des Verbrechens mit Hilfe der Kategorien ‚wahr/falsch’ beziehungsweise ‚gesund/krank’ zielt, unbemerkt von den moralischen Kategorien 'gut' und 'böse' unterlaufen wird. Eine Problematik, bei der sich Jurisprudenz und Literatur zu begegnen scheinen, lässt sich in der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit bzw. nach der Schuldfähigkeit erkennen. Sie ist für die juristische Beurteilung eines Verbrechens ebenso relevant, wie sie immer wieder im Zentrum literarisch-philosophischer Reflexionen über das Verbrechen steht.
Während die Tagung den Begriff des Verbrechens auf den einzelnen Straftäter bezogen hat, ist die Frage nach kollektiven, staatlichen Verbrechen und deren Beurteilung im Spektrum von Recht und Moral durch die Literatur nicht eigens berücksichtigt worden. Zwar wurde der Kriminalroman im Nationalsozialismus oder die Darstellung des Nationalsozialismus in der jüngsten englischsprachigen Kriminalliteratur untersucht, jedoch blieb der Fokus auf dem einzelnen, strafrechtlich geahndeten Verbrechen. Interessant wäre zu fragen, wie das staatliche, strafrechtlich nicht erfasste Verbrechen und die mit ihm einhergehenden Problemkonstellationen in der Literatur diskutiert werden - man denke nur an Hans Magnus Enzensbergers Essay Reflexionen vor einem Glaskasten, der die Problematik von Recht und Moral geradezu exemplarisch behandelt. Solche Überlegungen zeigen die Vielschichtigkeit des von der Kieler Tagung umrissenen Forschungsfeldes, die weitere interessante Untersuchungen zu dem Spannungsfeld von Recht und Moral und seiner Verhandlung in der Literatur erwarten lässt.


Zur Autorin:

Yvonne  Al-Taie, M.A., geb. 1980, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur/Literaturwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz