Albert Franz/ Wolfgang Baumann (Hgg.), Theologie im Osten Europas seit 1989. Entwicklungen und Perspektiven, (Theologie Ost – West. Europäische Perspektiven, Bd. 12), Berlin 2009, LIT Verlag, 190 S., ISBN 978-3-8258-1529-5


Der vorliegende Band ist Ergebnis zweier Tagungen, die die Europäische Gesellschaft für katholische Theologie 2006 und 2008 durchgeführt hat. Sie standen unter dem Thema „Kirche und Theologie im Europa von heute: Traditionen – Herausforderungen – Perspektiven“, das also für die Publikation leicht modifiziert wurde. Zweck dieser Begegnungen war es, „das ost-westliche Gespräch im Bereich der Theologie in Gang zu bringen und zu fördern und so am Aufbau eines neuen Europa mit zu wirken“ (Einleitung, S. 9). In der Publikation finden sich 22 Beiträge, die sich auf Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Ungarn, die Slowakei (drei Beiträge), die Tschechische Republik (acht Beiträge – eine der Tagungen hat dort stattgefunden), Litauen, Russland und Polen (zwei Beiträge) beziehen; zwei weitere Aufsätze am Ende des Bandes sind nicht länderbezogen, sondern nehmen ganz Europa in den Blick. Die Beiträge sind vorwiegend in deutscher und englischer Sprache verfasst; je ein Beitrag ist auf Französisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch geschrieben. Allen Artikeln ist ein englisches Abstract beigefügt, sofern sie nicht ohnehin in englischer Sprache verfasst sind.

Vor einem Blick auf einzelne Beiträge müssen zwei nach Auffassung des Rezensenten schwerwiegende Versäumnisse angemeldet werden. Das erste: Der Band bezieht sich ausschließlich auf die katholische Theologie, ohne dass das (etwa im Vorwort) thematisiert oder gar problematisiert würde. Die katholische Kirche ist in Osteuropa Minderheitskirche; die meisten Christen dort gehören der Orthodoxie an. In dem Band werden fast alle Länder mit orthodoxer Mehrheit einfach ausgeblendet. Der einzige Beitrag, der sich mit einem vorwiegend orthodoxen Land beschäftigt, ist der zu Russland. Für die Europäische Gesellschaft für katholische Theologie ist es natürlich legitim, sich auf katholische Theologie zu beschränken. Doch hätte deutlicher gemacht werden sollen, dass es sich nur im sehr eingeschränkten Sinne um ein „ost-westliches Gespräch“ handelt, zumal im Vorwort vom Verschwinden der Hemisphären und von der nun zutage tretenden Vielfalt der Theologie die Rede ist – die theologischen Hemisphären in Europa sind aber ja vor allem ost- und westkirchlich geprägte gewesen, und Länder wie Polen, die Tschechische Republik oder Slowenien lassen sich zurecht nicht gerne als europäischer „Osten“ betrachten. Hier wird also implizit ein politischer Osteuropabegriff verwendet.

Das zweite Versäumnis des Bandes liegt darin, dass manche Länder überhaupt nicht thematisiert werden und die Auswahl der Fallbeispiele daher willkürlich wirkt. Es sind vor allem Rumänien und die Ukraine, deren Behandlung aus mehreren Gründen interessant gewesen wäre: Es gibt dort katholische und orthodoxe Christen, wobei die Katholiken (anders als in Russland) nicht nur eine verschwindend kleine Minderheit sind; es gibt innerhalb der katholischen Kirche neben der lateinischen Tradition auch jeweils eine griechisch-katholische Kirche und Theologie; und es gibt in beiden Ländern mehrere akademische theologische Einrichtungen, oft in interessanten Konstellationen (etwa die Universität in Cluj-Napoca mit vier theologischen Fakultäten). Doch auch Albanien, Belarus oder Lettland sind Länder mit katholischen akademischen Einrichtungen, die nicht erwähnt werden (auch in Serbien ist inzwischen eine katholische theologische Hochschule eingerichtet worden, allerdings erst nach den Konferenzen, aus denen der Sammelband hervorgegangen ist).

In der Einleitung des Herausgebers  A. Franz wird das Fehlen einiger Länder auch vermerkt (hier wird auch Bulgarien genannt, wo es jedoch erst seit 2010 eine theologische Einrichtung der katholischen Kirche gibt) und mit dem noch nicht genügend weit fortgeschrittenen „theologischen(n) Integrationsprozess Europas“ (10) in Zusammenhang gebracht. Es ist jedoch eher zu vermuten, dass hier pragmatische Gründe (Kontakte, erreichbare Referenten) eine Rolle gespielt haben; es gibt keinen sachlichen Grund, in einem Band etwa acht Beiträge über die Tschechische Republik zu publizieren und zugleich die Ukraine (wo es immerhin eine bedeutende katholische Universität gibt) und Rumänien auszulassen. Dann aber ist der Band in seiner Anlage nicht so sehr Ergebnis inhaltlicher Überlegungen, sondern vor allem das von editorischen und konferenzorganisatorischen Zufälligkeiten. Das ist gerade bei einem so wichtigen Thema bedauerlich.

Dabei bieten die einzelnen Beiträge durchaus interessante und wichtige Informationen. Einige seien exemplarisch herausgehoben: Mato Zovkić unterrichtet in bewährter Weise über die Situation in Bosnien-Herzegowina, wobei er neben den Fakten besonders auch auf die theologischen Beziehungen zur islamischen Fakultät in Sarajevo hinweist. Auch die Beiträge zu Kroatien (Nediljko A. Aničić) und Slowenien (Avgustin Lah) sind kurze, aber inhaltsreiche Darstellungen der theologischen Situation in den beiden Ländern. In den Artikeln, die sich mit der Slowakei beschäftigen, wird auch die griechisch-katholische Kirche thematisiert (ein Beitrag ist ihr ganz gewidmet). Hinsichtlich der Tschechischen Republik sind die Beiträge zum Teil sehr spezifisch (Fundamentaltheologie, Moraltheologie, Liturgiewissenschaft oder Pastoraltheologie in der Tschechischen Republik), manche beschränken sich fast nur auf Aufzählungen. Für Russland wird die spezifische Situation katholischer Theologie angesichts der Bedeutung der orthodoxen Kirche für das Land angesprochen, wobei zuweilen deren Theologie holzschnittartig dargestellt wird. In den beiden Beiträgen zu Polen finden sich manche Doppelungen, was jedoch hinnehmbar ist, da der Beitrag in polnischer Sprache wohl nicht vielen Leserinnen und Lesern zugänglich ist. Während die meisten Länderartikel sehr knapp sind, überschreiten nur die zu Litauen und zu Polen einen Umfang von zehn Seiten. Schließlich sind noch ein knapper Beitrag über die Bedeutung der katholischen Theologie für „Person und Kultur“ in Europa (K. Kaucha) und ein ausführlicher über das Engagement der Laien (H.J. Meyer) zu verzeichnen, die übergreifende Perspektiven versuchen. Eine Liste der Beiträger (nur zwei von 22 sind Frauen) beschließt den Band.

Die eingangs genannten Desiderata beeinträchtigen nicht den Wert der einzelnen Beiträge, die vor allem zahlreiche Informationen hinsichtlich von Fakten bringen. Eine weitergehende Perspektive steht noch aus, aber das wird vom Herausgeber im Vorwort auch ausdrücklich anerkannt. Der Band erhebt nicht den Anspruch einer Gesamtdarstellung, sondern will einen Anstoß für das weitere Gespräch bieten. Es ist zu hoffen, dass es zu einem solchen Gespräch kommt, wobei über die Vermittlung von Sachinformationen hinaus auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vielen theologischen Traditionen Europas wünschenswert wäre, und zwar durchaus auch in Überschreitung der Konfessionsgrenzen.

Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz