Tanja Hetzer, „Deutsche Stunde“. Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus (Beiträge zur Geschichtswissenschaft), München 2009, Allitera Verlag, 296 S., 28.00 EUR, ISBN 978-3-86520-328-1 


Tanja Hetzer wurde mit der vorliegenden Arbeit 2007 an der University of Sussex / England Sussex promoviert. Sie will unter Einbezug der Biographie von Paul Althaus und unter Zugrundelegung des sozialwissenschaftlichen Modells der „politischen Kohorte“ zeigen, wie sich sein Weltbild incl. des tief religiös verwurzelten Antisemitismus schon längst vor 1933 festigte (11), und will einen Beitrag zur Erforschung derjenigen bislang vernachlässigten Deutschen Christen leisten, die als gemäßigt galten (17).

Ausgangspunkt der Darstellung sind die Vorgänge anlässlich der Entnazifizierung der Universität Erlangen. Paul Althaus, zunächst Vorsitzender des Entnazifizierungsausschusses, wurde bekanntlich dann selbst angeklagt und vorübergehend aus dem Universitätsdienst entlassen. Aufgrund von Presseberichten über antidemokratische Vorgänge in Erlangen sah sich die amerikanische Militärregierung zu einem neuen Kurs veranlasst, wonach nicht mehr nur die Nichtmitgliedschaft in der NSDAP, sondern der Nachweis demokratischer Gesinnung als Voraussetzung für die Bekleidung öffentlicher Schlüsselstellungen galt (29). Althaus wurde, wie aus einem mitgeteilten Aktenvermerk hervorgeht, vorgeworfen, die Entnazifizierung sabotiert zu haben (30), und vor allem wegen der. Schriften „Die deutsche Stunde der Kirche“ und „Obrigkeit und Führertum“ entlassen (31).

Von da aus spannt Tanja Hetzer den Bogen bis in die Familiengeschichte Althaus’ zurück. Aus der Nachzeichnung der Biographie Althaus’ ist vor allem der Hinweis auf den Einfluss von Max Lehmanns Idee der von Luther inaugurierten „Durchdringung der Nation mit dem Geiste des ‚Deutschtums’“ (45) erhellend. Sachgerecht wird auf die prägenden Jahre im „Kampf für deutsche Identität in der kulturellen Grenzlage“ (50) in ?ód? verwiesen, in denen  Althaus seine völkische Theologie unter den Leitkategorien „Sprache, Rasse, Religion“ entwickelte. Althaus verstand Geschichte incl. der Kriege als Verwirklichung des Willens Gottes und nahm deshalb, so Hetzer, menschliche Entscheidungsfreiheit und individuelle oder kollektive Verantwortung kaum wahr. Damit habe sich Althaus im Übrigen „früh von der traditionellen lutherischen Unparteilichkeit in politischen Dingen“ (55) entfernt. Die Niederlage von 1918 habe eine ganze Generation als Zusammenbruch der bisher tragenden Ordnungen erlebt; anders als viele Zeitgenossen konnte Althaus jedoch der Entflechtung von Staat und Kirche auch positive Aspekte abgewinnen, nämlich die Chance, „noch einmal um das Volk zu ringen“ (70); die „Überwindung des Individuellen und Partikularen“ (71) in der Kirche sollte aber wiederum zugleich ein Bollwerk sein gegen allen genusssüchtigen Eigensinn und alle Zersetzung auch in der Gesellschaft (77). Hier lag auch von Anfang an, ähnlich wie bei Emanuel Hirsch, der Gegensatz zur Weimarer Republik, zum Pazifismus wie zum Religiösen Sozialismus begründet, wie Althaus sich auch gegenüber allem theologischen Liberalismus in den von ihm geförderten oder begründeten Fachorganen abgegrenzt hat.

Das geistige Klima in Erlangen nach 1925 (zum Wintersemester 1925/26 folgte Althaus dem Ruf dorthin) wird als nationalkonservativ gezeichnet. Schon vor 1933 war die Lage für die jüdische Minderheit bedrückend (113), bedingt durch das Erstarken des Nationalsozialistischen Studentenbundes (bereits 1929 hatte er die Mehrheit in der Studentenvertretung erobert). Dem Treiben dieser Kräfte sahen die Professorenschaft wie die Universitätsleitung ebenso tatenlos zu (118-123) wie später der Entrechtung und Verfolgung der Minderheiten (157-170).

In die durch den erstarkten Antisemitismus in Russland und Deutschland erzwungene jüdische Identitätsdebatte griff Althaus ebenfalls ein, nämlich in Form der Auseinandersetzung mit Constantin Brunner, Martin Buber, Max Brod und Franz Rosenzweig. Hetzer argumentiert schlüssig, dass der Absolutheitsanspruch des Christentums, verbunden mit der Deutungshoheit darüber, wer eigentlich jüdische Identität beanspruchen dürfe und wie die Heilige Schrift des Judentums zu verstehen sei, bei Althaus ein sachliches Gespräch mit jüdischen Intellektuellen von vornherein unmöglich gemacht hat (124–141). In seinem Königsberger Vortrag von 1927 zielte Althaus auf die Neuausrichtung der Theologie auf den völkischen Gedanken und bezeichnete die „jüdische Frage“ als eine der „schwersten Volkstumsfragen“ (153) der Deutschen; gerade dadurch, dass er sich von Formen eines offenen Antisemitismus absetzte, machte er seine Volkstumsideologie, basierend auf seiner Theologie der Schöpfungsordnungen, prinzipiell auch für gemäßigte Kreise erträglich. So war u.a. durch Althaus’ Wirken die Volkstumsfrage vom Rand in die Mitte des deutschen Protestantismus gerückt.

Unter der Überschrift „In politischer Mission“ werden „Die deutsche Stunde der Kirche“, das „Theologische Gutachten über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der Deutschen Evangelischen Kirche“ und der „Ansbacher Ratschlag“ (beide Texte werden im Anhang abgedruckt), ebenso aber auch die kirchenpolitischen Aktivitäten des Erlanger Theologen einer kritischen Würdigung unterzogen und mit Tendenzen der Selbst-„Arisierung“ der Erlanger Universität in Zusammenhang gebracht; als Althaus’ Rolle wird die Vermittlung zwischen den konservativen Lutheranern der Bekennenden Kirche und den Gemäßigten unter den Deutschen Christen bestimmt (157-201).

In der Nachkriegszeit habe Althaus seinen Predigthörern durch den Verhängnisbegriff wie durch die ausschließliche Betonung der Opfer nur der deutschen Seite emotionale Entlastung geboten; Schuld sei als Unterlassung, aber nicht als aktive geistige Mittäterschaft beschrieben worden. Aber noch in der Podiumsdiskussion am Nürnberger Kirchentag 1979 (Druckfehler: der beteiligte Neutestamentler war Jürgen Roloff, nicht Rohloff o.ä.) habe der Begriff der Verblendung dazu geführt, ähnlich wie in vorangegangenen kirchlichen Erklärungen aktive Mittäterschaft nicht als solche zu benennen; die Solidarität sei allgemein „in der deutschen Nachkriegsgesellschaft nur in einer Richtung  ..., und zwar rückwärts“ (216) gelebt worden, indem man die vorangegangene Generation nicht allzu sehr mit kritischen Rückfragen bedrängen wollte. Ein Wandel sei erst ab 1995 erkennbar gewesen.

Dem resümierenden Schluss folgt die Wiedergabe der beiden o.a. Texte; davor ist noch eine Ansprache Althaus’ zur Enthüllung eines Kriegerdenkmals vom 1. Juli 1930 abgedruckt, die Althaus’ romantische vaterländische Theologie vor Augen führt.

Insgesamt gesehen wird in dieser kritischen Althaus-Darstellung zu Recht auf die Problematik der Reaktion Althaus’ auf seine Erfahrungen zunächst in ?ód? und dann in der Weimarer Republik verwiesen sowie Althaus’ kirchenpolitische Vermittlerrolle beleuchtet. Im Einzelnen könnte nuanciert werden: Althaus hat auch Judenchristen als „Seminarsprecher“ beschäftigt und der Familie Hensel die Treue gehalten.

Die Lektüre des Buches ist – und das soll und muss sie auch sein –  beklemmend.

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