Matthias Küntzel, Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik: „Heimliches Einverständnis“? (Politik aktuell, Bd. 6), Münster 2007, LIT-Verlag, 134 S., 19.90 EUR, ISBN 978-3-8258-0805-1


Antisemitische Einstellungen und Verhaltensweisen sind heutzutage nicht auf westliche Gesellschaften beschränkt. Besonders in islamisch geprägten Staaten verbindet sich Kritik an der Politik des Staates Israel häufig mit antisemitischer Polemik. Herausragendes Beispiel hierzu ist der Iran, wo ein aggressiver Antisemitismus zur Staatsdoktrin zu gehören scheint. Gerade im Blick auf den Iran aber zeigt sich seit vielen Jahren: antisemitische Äußerungen von Staaten zu kritisieren, die für sie bedeutende Handelspartner sind, stellt westliche Politiker vor ein Dilemma. Gefährden sie doch mit einer allzu offenen Kritik ökonomische Interessen und heimische Arbeitsplätze.

Vor diesem Hintergrund weckt eine Publikation, in der das Verhältnis zwischen „islamischem Antisemitismus“ und deutscher Politik beleuchtet werden soll, hohe Erwartungen. Dem Autor, dem Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel, geht es darin freilich nicht nur um die Dilemmata westlicher Politiker. Mindestens ebenso breiten Raum nimmt seine Darstellung dessen ein, was er „islamischen Antisemitismus“ nennt.

Das Buch versammelt Reden und Aufsätze, die Küntzel – er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim „Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism“ an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Vorstandsmitglied der internationalen Wissenschaftlervereinigung „Scholars for Peace in the Middle East“ – in den Jahren 2002 bis 2007 verfasst hat. Bis auf zwei Vorträge sind alle zehn Texte des Buches bereits andernorts veröffentlicht. Die damit unvermeidlich gegebenen Wiederholungen bleiben im Ganzen erträglich.

Die Texte sind nach inhaltlichen Schwerpunkten angeordnet und in vier Teile gegliedert. Nach einer „Einleitung“ (1-8) geht es im ersten Teil (9-30) um die Entstehung, die Besonderheit und die Ausbreitung des „islamischen Antisemitismus“ in der islamischen Welt. Der zweite Teil (31-70) diskutiert die Zusammenhänge zwischen dem „islamischen Antisemitismus“ und dem Nahost-Konflikt. Im dritten Teil (71-106) skizziert Küntzel die historischen Beziehungen zwischen dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus in der islamischen Welt. Der vierte Teil (107-142) widmet sich der Leugnung des Holocaust und dem Antisemitismus im schiitischen Islam. Im Anschluss an einen „Epilog“ (143-149) bietet der Autor eigene Übersetzungen maßgeblicher Texte zum islamischen Antisemitismus (151-174). Ein Literaturverzeichnis (175-179), ein Personenregister (181-184) sowie ein „Fundstellenverzeichnis“ (besser wohl: „Quellenverzeichnis“; 185) schließen den Band ab.

Im ersten Teil des Buches bietet Küntzel eine Art Phänomenologie des Antisemitismus in der islamischen Welt. Vorgestellt werden unter anderem antisemitische Pamphlete wie Sayyid Qutbs „Unser Kampf gegen die Juden“ von 1950, die Gründungs-Charta der Hamas (1988) oder die antisemitische Propaganda des libanesischen Hisbollah-Senders Al-Manar. Alle diese Phänomene deutet Küntzel als direkte Fortsetzung des nationalsozialistischen Antisemitismus. Und wie dieser auf die Vernichtung sämtlicher Juden gezielt habe, so konstatiert er auch in der islamischen Welt einen „eliminatorischen Antisemitismus“: „Wir haben es mit einem Hardcore-Antisemitismus zu tun, der Juden dehumanisiert und dämonisiert, um sie zu vernichten“, so bereits in der Einleitung (3).

Der islamische Antisemitismus hat nach Küntzel weit reichende Folgen. Er sei nämlich nicht nur verantwortlich für die Stagnation des Friedensprozesses im Nahen Osten und für den islamistischen Terrorismus weltweit, sondern für die gesellschaftliche, ökonomische und politische Krise der islamischen Welt insgesamt (27f).

Im zweiten Teil seines Buches fragt Küntzel nach Ursprung und Bedeutung des islamischen Antisemitismus im Kontext des Nahost-Konflikts. Judenfeindliche Tendenzen gebe es bereits im Koran und im frühen Islam. Sure 5:82 etwa, wonach „unter allen Menschen die Juden und die Götzendiener die erbittertsten Gegner der Gläubigen sind“, finde sich regelmäßig in antisemitischen Kampfschriften aus der islamischen Welt zitiert, die sich nicht zuletzt auch gegen die Existenz Israels richten. Allerdings wurden Juden über Jahrhunderte hinweg von Muslimen eher diskriminiert als gefürchtet. Im Islam habe es zwar eine traditionelle Judenfeindschaft, aber keinen Antisemitismus gegeben. Dieser sei Ende des 19. Jahrhunderts in Europa entstanden und erst in jüngster Vergangenheit in die islamische Welt verpflanzt worden: „Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden diese aus Europa importierten Bestandteile des Antisemitismus – der Rassismus und die Weltverschwörungstheorie – mit den antijüdischen Kernbeständen der islamischen Tradition und einer islamistisch inspirierten Koran-Auslegung verknüpft“ (40). Aufgrund dieser Traditionslinie, so Küntzel, lebt im antisemitischen Islamismus die Ideologie der Nationalsozialisten wieder auf: „Wir blicken der Fratze der eigenen Geschichte ins Gesicht“ (41).

Küntzel betont den ideologischen Charakter des islamischen Antisemitismus. Dieser sei vom Verhalten von Juden oder von der Politik des Staates Israel gänzlich unabhängig. Weder die Friedensverhandlungen der 90er Jahre noch Israels Rückzug aus dem Gaza-Streifen (2005) hätten die Haltung islamischer Antisemiten verändert. Doch schon immer habe sich Antisemitismus „nicht an dem entzündet, was Zionisten tun, sondern an dem, was Zionisten sind“ (49).

Im dritten Teil zeichnet Küntzel Traditionslinien zwischen dem nationalsozialistischen Antisemitismus und der islamisch geprägten Welt nach. Bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts war es Amin Al-Husseini (1895-1974), dem Mufti von Jerusalem, gelungen, die moderaten Kräfte innerhalb der palästinensischen Bevölkerung zu marginalisieren und dem politischen Konflikt eine religiöse Dimension zu verleihen. Darüber hinaus habe die wohl organisierte Propaganda der Nationalsozialisten wesentlich dazu beigetragen, antisemitisches Gedankengut in der islamischen Welt zu verbreiten. Dabei habe der deutsche Propaganda-Sender Zeesen (nahe Berlin) eine konstitutive Rolle gespielt. Mit Unterstützung des Mufti sei von Zeesen aus zwischen April 1939 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges massive antisemitische Propaganda in den Vorderen Orient ausgestrahlt worden.

Nach Küntzel ist der „eliminatorische Antisemitismus“ der Deutschen bei den Muslimen deshalb auf fruchtbaren Boden gefallen, weil dort bereits zuvor – vor allem in der ägyptischen Muslimbruderschaft – antisemitisches Gedankengut verbreitet gewesen sei. Dass der Mufti den politischen Konflikt zu einem Religionskrieg stilisierte und dazu auch antisemitische Stereotype mobilisieren konnte, habe sich bis in die Zeit des Kalten Krieges ausgewirkt.

Im vierten Teil befasst sich Küntzel mit den auch in der deutschen Öffentlichkeit am deutlichsten wahrgenommen Gestalten des Antisemitismus in der islamischen Welt, dem Antisemitismus im Iran und bei der schiitischen Hisbollah. Allerdings sei die von der iranischen Staatsspitze propagierte Holocaust-Leugnung in sich widersprüchlich. Denn sie diene zwar einerseits der Delegitimierung der Existenz Israel, werde aber zugleich als vorbildlich für das eigene Vorgehen gegen Israel beansprucht. Wiederholt übt Küntzel in diesem Teil deutliche Kritik am konzilianten Verhalten deutscher Politiker gegenüber dem Iran und der Hisbollah.

Auf wissenschaftlichem Gebiet sieht Küntzel im Blick auf den Antisemitismus im schiitischen Islam ein Forschungsdefizit. So sei „der von Ahmedinejad und Nasrallah verbreitete schiitische Antisemitismus bislang nur wenig erforscht“ (124). Tatsächlich wohl bedarf etwa der Hinweis auf das „schiitische Dogma von der »Unreinheit« der Juden“ (najas: 125f) einer wissenschaftlichen Nachfrage.

Im „Epilog“ kommt Küntzel noch einmal auf die Haltungen westlicher Regierungen zum islamischen Antisemitismus zu sprechen. Demnach verfolge der Westen nicht allein ökonomische Interessen in der islamischen Welt, wenn er den dortigen Antisemitismus ignoriere. Vielmehr fragt Künzel, ob nicht ein „heimliches Einverständnis“ des Westens mit dem islamischen Antisemitismus bestehe. Europaweite Umfragen zeigten, dass sich der Westen inzwischen anti-israelische Stereotypen des militanten Djihadismus zu eigen gemacht habe. Besonders in Deutschland werde „über den islamischen Antisemitismus mit seiner genozidalen Tendenz deshalb nicht diskutiert, weil man eine Sichtweise, die hauptsächlich Juden [heute: Israel] für die Spannungen in der Weltpolitik verantwortlich macht, teilt“ (144), so Küntzels weit reichende These. Und weiter: „Gibt es […] in Europa ein sozialpsychologisch motiviertes »heimliches Einverständnis«, Israel am liebsten auf der Anklagebank zu sehen?“ (148). Träfe dies zu, dann wäre dieses wohl als Teil europäischen und besonders auch deutschen Bemühens zu deuten, sich von seiner dunklen Vergangenheit zu befreien.

Küntzels Interpretation, wonach es sich bei dem in der islamischen Welt zu beobachtenden Antisemitismus um eine direkte Übernahme jenes rassistischen Antisemitismus handelt, wie er seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und besonders durch den Nationalsozialismus propagiert wurde, ist nicht neu. Sie findet sich bereits in seinem Buch „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg“ (Freiburg 2003). Die Muslimbrüder und Al-Husseini hätten die islamische Konzeption des Jihad mit der rassistischen Ideologie des Antisemitismus verbunden und so eine militante Verbindung zwischen beidem geschaffen, die bis heute fortwirke. Nach Küntzel „fand die in Deutschland seit dem 8. Mai 1945 unterdrückte Wahnidee in der arabischen Welt […] ihr seither wirkmächtigstes Exil“ (18). Im Kontext der gewaltsamen Opposition zunächst gegen das „zionistische Projekt“ und – nach 1947/48 – gegen den Staat Israel seien Antisemitismus und Judenhass zu Wesensmerkmalen des global operierenden Islamismus geworden.

Auf die Einseitigkeiten einer solchen Deutung des Nahostkonflikts und des islamischen Extremismus haben Islamwissenschaftler wie Alexander Flores oder Michael Kiefer bereits hingewiesen. Die politische Dimension des Nahostkonflikts – der Streit zweier Parteien um dasselbe Land – spielt bei Küntzel kaum eine Rolle. Er dürfte aber schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bedeutsam gewesen sein, als sich in der Folge der Balfour-Erklärung das „zionistische Projekt“ in Palästina konkretisierte und die Einwanderung jüdischer Siedler die palästinensische Bevölkerung zwangsläufig beunruhigen musste.

Widerstand gegen das „zionistische Projekt“ und den Staat Israel artikulierte sich in den ersten Jahrzehnten des Nahostkonflikts keineswegs nur in religiösen oder antisemitischen Kategorien. Nassers panarabischer Nationalismus beispielsweise wandte sich explizit gegen den islamistischen Extremismus der Muslimbrüder. Auf islamischer Seite gewannen religiöse Motive erst nach dem Sechs-Tage-Krieg wieder an Bedeutung, als der Anspruch auf „Erez Israel“ auch von jüdischer Seite mit religiösen Argumenten geltend gemacht wurde und als sich das Scheitern der sozialistisch-kommunistischen Staatsutopien abzuzeichnen begann.

Der militante und antisemitische „Jihadismus“ richtete sich Küntzel zufolge nach der Gründung des Judenstaates zwar in erster Linie gegen Israel, damit zugleich aber gegen die Moderne insgesamt (45-50). Israel werde als Vorreiter einer westlich dominierten Moderne wahrgenommen, welche die islamischen Staaten benachteilige, sie unterdrücke und ausbeute. Damit bedrohe der Islamismus nicht nur Israel, sondern den säkularen Westen insgesamt. Jede Politik, die die Ernsthaftigkeit der gegen Israel und den Westen ausgesprochenen Drohungen missachte, ist nach Küntzel grob fahrlässig. Hieraus ergibt sich für ihn ein politisch-publizistischer Imperativ: westlicher, namentlich deutscher Beschwichtigungspolitik gegenüber könne heute „unsere Stimme nicht alarmistisch genug sein“ (142).

Tatsächlich dürfte Künzels Besorgnis nicht unbegründet sein, ob europäische Politiker den Stellenwert antisemitischer Äußerungen aus der islamischen Welt treffend einzuschätzen wissen. Die säkulare Tradition, die Europa spätestens seit der Französischen Revolution bestimmt, erschwert den Blick auf eine Region, in der das Zuordnungsverhältnis von Religion und Politik zumindest verbal oft anders bestimmt wird als im Westen. Hier zwischen ernst gemeinter Drohung und Rhetorik zu unterscheiden fällt nicht immer leicht. Wenn Küntzel hierzu mit einigem Recht an das Beispiel des frühen Hitler erinnert, so könnte sich doch – gerade auch im Kontext säkularer Pragmatik – ein überzogener Alarmismus als kontraproduktiv erweisen.

Obwohl das Buch sehr lesenswerte Passagen enthält – darunter m.E. vor allem der Beitrag über den nationalsozialistischen Propaganda-Sender Zeesen – verliert es durch seine Betonung der ideologischen Dimension des Konflikts viel von seiner Überzeugungskraft. Weil Küntzel den islamischen Antisemitismus als wesentlich ideologisch einstuft, sieht er in ihm eine existenzielle Bedrohung Israels wie des Westens. Dem gegenüber müssen vermittelnde Positionen europäischer Politiker unvermeidlich als wirklichkeitsfremd erscheinen. Ob Küntzels teils massive Kritik an westlichen Politikern diese zu einem Sinneswandel bewegen kann, erscheint jedoch mehr als fraglich.


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