Ralf Retter, Zwischen Protest und Propaganda. Die Zeitschrift „Junge Kirche“ im Dritten Reich (Beiträge zur Geschichtswissenschaft). München 2009, Allitera Verlag, 387 S., 44,- EUR,  ISBN 978-3-86906-066-8


Die Studie durchleuchtet die Aussagen und die Stellung der Halbmonatsschrift Junge Kirche (JK) im Rahmen der evangelischen Publizistik in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Zeitschrift entstand als Mitteilungsblatt der „Jungreformatorischen Bewegung“, einer theologisch und kirchlich sehr bunten Gruppe, deren gemeinsames Ziel das Eintreten für Friedrich von Bodelschwingh als Reichsbischof bildete und umgekehrt die Ablehnung Ludwig Müllers, für den die Deutschen Christen (DC) dieses Amt forderten. Die erste Periode des Organs reichte bis zum Jahr 1936. Der Höhepunkt, kenntlich auch an der Zahl der Abnehmer mit ca. 34.000,

wurde 1934 erzielt, also in der Zeit des „Kirchenkampfes“ im engeren Sinn. Danach begann ein stetiger Rückgang (93). Der Journalist Fritz Söhlmann, der Verleger Günther Ruprecht und der Theologe Hanns Lilje trugen die Verantwortung für die JK. Sie mühten sich, die theologische und kirchenpolitische Bandbreite der gesamten Bekennenden Kirche (BK) zu repräsentieren. Doch zunehmend deutlich dominierte die Linie der „intakten Kirchen“, die also nicht von den DC regiert wurden. Die JK steuerte dann einen betont lutherischen Kurs, was die Ablehnung sowohl der Theologie Karl Barths umschloss sowie der kirchlichen Unionen, voran der Preußischen Union. Entschieden trat das Blatt zunächst für die Freiheit der Kirche gegenüber der Politik der DC ein. Für nicht zuständig hielt man sich dagegen im Blick auf die staatlichen Rechtsbrüche, getreu der „Zwei-Reiche-Lehre“, die kirchliches und staatliches Handeln betont unterschied.

Diese erste Phase der JK endete 1936. In der BK kam es nun zur Spaltung zwischen dem lutherischen Flügel einerseits und andererseits der von den Bruderräten bestimmten entschiedenen Richtung („Dahlemiten“). Diese Gruppe kam im Blatt nun kaum noch zu Wort. Auch Lilje schied als Herausgeber aus, so dass jetzt vor allem Söhlmann die Linie der JK bis zu ihrem Verbot im Mai 1941 bestimmte. Nun wuchs nicht nur die Übernahme nationalsozialistischer Wendungen und inhaltlicher Aussagen, sondern ebenso der Zielsetzungen des Regimes: vom Lobpreis auf Hitler und der Begeisterung angesichts der militärischen Erfolge im Krieg, über die offiziell geschürte Empörung angesichts der (hier als „vermeintlich“ apostrophierten) Unterdrückungen und Verfolgungen der deutschen Minderheiten in Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei bis zum Eintreten für den deutschen Lebensraum mitsamt der Kolonialisation des Ostens.

Die Leistung der ausführlichen, bisweilen allerdings recht breiten und an Wiederholungen reichen Studie besteht zum einen in der sorgfältigen Darlegung und Interpretation der einzelnen Zeitschriftenbeiträge. Zum andern werden einige verbreitete Missverständnisse überzeugend zurückgewiesen: Die JK war keineswegs das Organ der gesamten BK. Das Blatt leistete ebenso wenig Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Es bewahrte ihm gegenüber eine gewisse Resistenz, die jedoch zunehmend schwand zugunsten der Angleichung an die Sprache, die Intentionen und Überzeugungen des Regimes. Das alles ist nicht unbedingt neu, wird aber treffend entfaltet.

Die Darlegung der Fakten ist das Eine. Enttäuschend erscheint dagegen die historische Einordnung dieses Befundes. Das Bild, das von Söhlmann gezeichnet wird (bes. 38-67), beruht zu einem beträchtlichen Teil auf Verallgemeinerungen und Vermutungen. Retter sieht nicht, dass die meisten Vorstellungen, die er für Söhlmanns nationalsozialistische Einstellung in Anschlag bringt, längst vor diesem im Protestantismus wucherten – vom Antiliberalismus und Antijudaismus über den Antikommunismus und die Ablehnung des Versailler Vertrags bis zur Feindschaft gegen Polen und Tschechen. Der Nationalsozialismus konnte an diese emotionalen Vorurteile anknüpfen und sie dann gezielt radikalisieren. Interessant ist die Frage, wie das geschah und ob sich daraus eine eindeutige Identifizierung mit dem Nationalsozialismus ergab. Spricht nicht vielleicht die Tatsache dagegen, dass Söhlmann nie der SA oder der NSDAP beitrat?

Missverstanden ist jedenfalls der von Retter richtig beobachtete Rückzug in den Artikeln der JK auf Frömmigkeit, Andachten und Gebete. Dieser Vorgang wird ausschließlich negativ beurteilt: als Ausweichen, Flucht, Verweigerung angesichts der eigentlichen Herausforderungen (289-309). Hier mangelt es dem Autor schlicht an Kenntnissen über die Realitäten im Alltag eines totalitären Systems. Es ist hinreichend belegt und allgemein bekannt, in welchem Ausmaß gerade die Konzentration auf die Dimension der Frömmigkeit, auf biblische Texte, Gesangbuchverse oder Gebete geholfen hat, nicht nur eine christliche, sondern die menschliche Identität zu bewahren.

Statt des Nachdenkens über diese Probleme finden sich ausgesprochen unhistorische Vorhaltungen. Die JK habe nichts Positives über die Juden gebracht (320), keinen Widerspruch gegen den Weltkrieg eingelegt (333) und sich nicht gegen die deutschen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Polen gewandt (336)! Überhaupt wäre es die Aufgabe des Blattes gewesen, sich statt für die deutsche Aggressivität „für eine friedvolle Politik einzusetzen“ (347). Es ist dann nur konsequent, wenn der Autor zuletzt das „Urteil“ fällt und „nicht abmildern“ kann, dass die JK ihrer Aufgabe nicht gewachsen war und es schließlich „vorzog, für das NS-Regime Propaganda zu betreiben“ (366). Das hat allerdings mit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung kaum noch etwas zu tun.

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