Konrad Hartelt, Ferdinand Piontek (1878-1963). Leben und Wirken eines schlesischen Priesters und Bischofs (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 39), Köln/Weimar/Wien 2008, Böhlau Verlag, 455 S., 54,90 EUR, ISBN 978-3-412-20143-2


Es gibt gute Gründe, sich mit der Biographie von Ferdinand Piontek (1878-1963) zu beschäftigen. Er war nicht nur eine wichtige Gestalt des schlesischen und deutschen Katholizismus, sondern auch Zeuge prägender historischer Ereignisse, deren Betrachtung in einer personenbezogenen Mikroperspektive durchaus sinnvoll ist. „Hier wird de facto ein Stück Geschichte des ehemaligen deutschen Erzbistums Breslau wie auch der katholischen Kirche in der DDR geschrieben“, betonte der Herausgeber der von Konrad Hartelt verfassten Biographie, der 1. Vorsitzende des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte, Mons. Dr. Paul Mai. „Und ein Stück Geschichte Ostmitteleuropas“, möchte man hinzufügen.

Der gebürtige Oberschlesier Piontek erlebte das Kaiserreich und die Weimarer Republik, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und den Stalinismus, den Verlust Ostoberschlesiens 1922 und Restschlesiens 1945, die Teilung Deutschlands und den Mauerbau. Diese bewegte Zeit verbrachte er an sehr unterschiedlichen Stationen. Zuerst als Jugendlicher im katholisch und multiethnisch geprägten Oberschlesien, dann als Kaplan in der Haupt- und Großstadt Berlin (1903-1910), später als Pfarrer in der evangelisch dominierten Mittelstadt Köslin in Hinterpommern (1910-1921), und schließlich als Mitglied des Domkapitels und Kapitelsvikar in der schlesischen Metropole Breslau (1921-1946). Mit Ausnahme Berlins erhielten all diese Orte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein völlig neues nationales und konfessionelles Gesicht.

Piontek war unmittelbarer Zeuge der Blüte und des Niedergangs der damals größten Diözese Deutschlands, des Erzbistums Breslau. Er selbst wurde im Sommer 1945, nach dem Tod von Kardinal Bertram, zum Kapitelsvikar gewählt. Vom polnischen Primas August Hlond zum Jurisdiktionsverzicht im polnisch verwalteten Schlesien veranlasst, begab er sich nach Görlitz, um den deutsch gebliebenen Restteil der Erzdiözese, aus dem später die heutige Diözese Görlitz hervorging, zu verwalten. Dort hatte er die schwierige Aufgabe, unter den ungünstigen Bedingungen eines kirchenfeindlichen Staates und einer tiefen Diaspora die einheimischen und vertriebenen, deutschen und sorbischen Katholiken zu einer neuen Diözesangemeinschaft zu formen.

Konrad Hartelt gliedert sein Werk in sechs Kapitel, die er den einzelnen Lebensabschnitten des schlesischen Kirchenmannes widmet. Die ersten drei, sich mit den jungen Jahren Pionteks befassenden Kapitel, können dabei mit ihren etwa 50 Seiten eher als Einführung für die nachfolgende, fast 400 Seiten umfassende Schilderung der restlichen Lebensstationen betrachtet werden. Fast die Hälfte des Buches widmete der Verfasser der Tätigkeit Pionteks in Görlitz.

Die einzelnen Kapitel gliedert Hartelt inhaltlich und widmet sie unterschiedlichen Aspekten des Lebens und Wirkens Pionteks in den jeweiligen Lebensabschnitten, etwa seinem seelsorglichen Einsatz oder seinem Umgang mit der Familie.

Die Hauptquelle für die Studie war das Tagebuch, das Piontek ab seinem 17. Lebensjahr fast das ganze Leben hindurch führte, sowie einige andere Quellen seiner Autorenschaft. Nur sporadisch zieht Hartelt andere Quellen, meistens Aussagen katholischer Zeitzeugen, heran (z. B. S. 158f.). Damit ist auch das zentrale, grundsätzliche Manko des Buches genannt: Das Leben Pionteks und die sie begleitenden historischen Gestalten und Ereignisse wurden überwiegend anhand der Angaben Pionteks geschildert. Diese Angaben - und hier liegt ein weiteres gravierendes Problem - wurden vom Verfasser keiner geschichtswissenschaftlichen Kritik unterzogen, sondern einfach als zuverlässig betrachtet und übermittelt. Insofern kann sein Werk nicht als eine auf wissenschaftlichen Grundsätzen basierende, kritische biographische Studie betrachtet werden, sondern eher als eine redigierte und kommentierte Autobiographie Pionteks.

Wie wichtig es wäre, die Angaben des Breslauer Kapitelsvikars mit anderen Quellen zu konfrontieren, konnte sich Hartelt selber überzeugen, als er anhand amtlicher Urkunden feststellte, dass dieser seine uneheliche Geburt verschwiegen hatte. Aus diesem Befund zog der Verfasser jedoch keine methodologischen Konsequenzen. Geradezu unentschuldbar ist auch die Nichtberücksichtigung der Piontek-bezogenen Dokumente der Staats- und Parteibehörden aus der NS- und DDR-Zeit, die zweifelsohne existieren und auffindbar sind.

Ein anderes, fundamentales Problem stellt die mangelnde Bereitschaft Hartelts zur vertieften Reflexion und Analyse dar. Der Erfurter Theologieprofessor begleitet Piontek durch sein Leben aus nächster Nähe und versäumt es, ihn ab und zu aus größerer Distanz zu beobachten. Deshalb wird der Leser mit unzähligen, bisweilen unerheblichen Aussagen und Begebenheiten konfrontiert, kann aber am Ende nicht beurteilen, inwiefern Piontek eine in intellektueller, seelsorglicher oder organisatorischer Hinsicht herausragende, oder durchschnittliche, typische oder originelle, inspirierte oder inspirierende Persönlichkeit war.

Typisch ist das Vorgehen des Verfassers mit dem „seelsorglichen Einsatz“ Pionteks in seiner Kösliner Zeit, der im ganzen Unterkapitel geschildert wurde (S. 68-82). Darin zählt Hartelt die Aktivitäten des Pfarrers auf, gibt aber keine Auskunft, welches theologische Konzept dahinter steht, und ob sich Piontek damit als ein typischer Repräsentant seiner Zeit und Umwelt erweist, der althergebrachte Muster kopierte, oder ob er vielleicht mit innovativen, originellen Ideen andere Seelsorger inspirierte.

Einen Schritt weiter geht der Verfasser etwa, wenn er die pastoraltheologischen Schwerpunkte der Hirtenbriefe, Predigten und Ansprachen Pionteks aus seiner Görlitzer Zeit analysiert und das Gebet als Leitmotiv ausmacht (S. 385f.). Aber auch hier drängt sich dem Leser die Frage auf, was dieser Befund über Piontek aussagt?

Um derartige Fragen zu beantworten, hätte der Verfasser die Biographie Pionteks viel stärker in ihren politischen, sozialen und kirchlichen Kontext einbetten müssen. Er schildert aber beispielsweise die Haltung Pionteks gegenüber den Protestanten, der Monarchie, dem Krieg, ohne aufzuklären, inwiefern diese damals typische oder untypische Verhaltensmuster waren. Nur sehr selten gibt er an, dass eine Haltung Pionteks „in der Tradition mit Kardinal Bertram“ gestanden sei, „der so etwas auch tat“ (S. 387), oder mit seiner „mährisch-polnisch-deutschen“ Herkunft zu erklären sei (S. 401).

Interessant wäre es, die Auffassungen Pionteks zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf Kontinuität und Wandel zu überprüfen. Inwiefern veränderten etwa die Erfahrungen der zwei antichristlichen Totalitarismen das Denken Pionteks über die Ökumene, den Krieg, den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit? Der Leser kann versuchen, dies zu erfahren, indem er an verschiedene Stellen des Buches versprengte Auskünfte miteinander vergleicht. Der Verfasser bietet eine derartige Reflexion nicht an.

Eine weitere Unterlassung des Biographen liegt darin, dass er zwar minutiös wiedergibt, was Piontek in seinen Texten niedergelegt hat, aber nicht die Frage stellt, was darin nicht steht. Welche wichtigen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Themen waren für Piontek kein Thema? Das erfährt der Leser nur dann, wenn er selber dieser Frage nachgeht.

Besonders interessant wäre es gewesen, den Einfluss der multiethnischen Herkunft Pionteks auf sein Weltbild zu untersuchen. Hartelt informiert, dass der gebürtige Oberschlesier, der einen Teil seiner Kindheit in Polen verbracht hatte, sich „den beiden Völkern verbunden“ gefühlt habe (s. 319). Der Leser erfährt, dass Piontek ein lebhaftes Interesse für die polnische Kultur und eine positive Einstellung gegenüber Polen hatte. Er erfährt aber nicht, dass er sich damit im Gegensatz zur deutschen Mehrheitsgesellschaft positioniert hatte. Abgesehen von der Auskunft, dass Piontek als erster Würdenträger vor den sorbischen Katholiken in ihrer Muttersprache gepredigt hat (S. 401) erfährt er ebenfalls nicht, inwiefern der polnische und mährische Teil der „Seele“ Pionteks seine Haltung beeinflussten. Dabei verdient die von Piontek verkörperte und später weitgehend verlorengegangene Multiethnizität des deutsch-polnisch-tschechischen Grenzlandes nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über die bi- und multinationalen Identitäten einer zunehmenden Anzahl deutscher Bürger Beachtung.

Hartelt scheut sich nicht immer, Bewertungen anzubieten. Im Bezug auf „neue Formen und Wege der Seelsorge“ bescheinigt er etwa, dass der Görlitzer Oberhirte „kaum initiativ“ gewesen sei (425). Seine anderen Urteile fallen hingegen durch ihren pauschalen Charakter auf. Piontek habe „allenthalben hohes Ansehen“ genossen (S. 121). „Der schärfste Kritiker seiner Predigten war er selbst“ (144). „Er war klug und besonnen, aber auch unerschrocken“ (359). „Seine Diözesanen sahen in ihm in jeder Hinsicht den ‚guten Hirten‘“ (S. 425). Man merkt anhand dieser Beispiele, wie sehr sich der Verfasser in den Spurrinnen der althergebrachten katholisch-biographischen Aufbauliteratur bewegt.

Um die Liste der wichtigeren Mängel zu vervollständigen sei noch darauf hingewiesen, dass die wenigen Titel der Sekundärliteratur, auf die sich Hartelt stützt, nur zum Teil als solide wissenschaftliche Veröffentlichungen eingestuft werden können. Mehrheitlich beruft er sich hingegen auf Autoren aus dem schlesischen Vertriebenenmilieu, wie etwa Herbert Hupka, Emil Brzoska oder Franz Scholz, die sich eher durch umstrittene, nationalkonservative  Streitschriften als durch profunde Fachkenntnisse ausgezeichnet haben. Entsprechend einseitig ist auch in seinem Buch die Sicht der deutsch-polnischen Thematik, etwa der Maßnahmen des polnischen Primas August Hlond in den Oder-Neiße-Diözesen 1945.

Schließlich seien die zahlreichen Wiederholungen einzelner Aussagen und Zitate (z. B. S. 88 u. 99) erwähnt. Für Leser, die sich nur mit einzelnen Fragmenten des Buches bekannt machen, mögen sie hilfreich sein, für jemanden, der das ganze Buch oder weite Teile liest, sind sie ermüdend und störend.

Trotz all dieser Mängel ist das Buch Hartelts eine fesselnde Lektüre. Der Leser wird in eine nicht mehr existierende Welt des ostdeutschen Katholizismus eingeführt und lernt einen faszinierenden Vertreter dieser „Atlantis des Ostens“ (Robert Traba) kennen, einen Kirchenmann, der auf Seelsorgereisen auf dem Stroh übernachtet, um seelische Bedürfnisse verwahrloster Menschen zu erfüllen (S. 95) und zugleich „eine gute Zigarre“ schätzt (S. 57) und ab und zu „zu viel Wein“ trinkt (S. 49). Der einerseits weise Hirtenbriefe schreibt, und andererseits sich freut, Fieber „durch starke Alkoholisierung (Cognac und Portwein)“ unterdrückt zu haben (S. 115). Der fähig ist, die Schwachpunkte seines Vorgesetzten, Kardinal Bertram, präzise auszumachen und zu benennen (S. 156), und zugleich eine schwedische Badefrau anschreit, weil sie ihn im Einklang mit der Landessitte abbürsten will (S. 114). Einen Kirchenmann, der letztlich trotz zahlreicher Schicksalsschläge an seinem Glauben festhält und der Kirche dient.

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