Christian Werner, America First? Die U.S.-Kirchen und ihre Haltung im Zweiten Weltkrieg, Leipzig 2018, Evangelische Verlagsanstalt, 256 S., 44.- €, ISBN: 978-3-374-05683-5

„America First“ ist als Slogan des Kandidaten und US-Präsidenten Donald Trump in aller Munde. Trump hat vieles von dem, was als Rückbesinnung auf ein eng gedachtes amerikanisches Nationalinteresse gefürchtet wurde, in die Tat umgesetzt. Doch dem Autor des Werkes, Christian Werner, geht es um die historische Version des „America First“, wie sie vom berühmten und umstrittenen Luftfahrtpionier Charles Lindbergh während des Zweiten Weltkriegs vertreten worden war. Lindbergh, ein Sympathisant der Nationalsozialisten wollte mit diesem Slogan den Eintritt der USA gegen die deutschen und japanischen Aggressoren in Europa und Asien verhindern. Die folgende Arbeit zeigt, dass die amerikanischen Kirchen in der Frage eines Kriegseintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg zerrissen waren, und stellt diesbezügliche Positionen wichtiger amerikanischer Kirchen vor. 

Vier Kirchen und ihre politische Haltung zum NS-Regime

Werner, der als Lehrer in der transatlantischen Jugendarbeit tätig ist, hat für seine Dissertation jahrelang Archivmaterial in verschiedenen staatlichen und kirchlichen Archiven in den USA gesichtet und dabei auch einen Eindruck vom puritanischen Geist des Landes gewinnen können, der dazu führe, dass vom wirtschaftlichen Erfolg eines Menschen auf dessen besonderes Auserwählt-Sein vor Gott geschlossen werde. Nachdem er das komplexe Verhältnis von Religion und Politik in den USA beschrieben hat, folgt eine Darstellung der Historie der vier Kirchen, deren Entwicklung in der Frage des Kriegseintritts zum Gegenstand der Untersuchung wird: (1) die katholische Kirche, (2) die Mennoniten, (3) die Southern Baptist Convention sowie (4) die Methodisten.
Werner zeigt, dass die Haltung dieser und der meisten U.S.-Kirchen ohne deren fast völlig unkritischen „Hurra“-Patriotismus im Ersten Weltkrieg nicht zu verstehen ist. Anscheinend sollten hier durch Woodrow Wilsons „Making the world safe for democracy“ die Ideale des Social Gospel verwirklicht werden.

Großer gesellschaftlicher Einfluss der Kirchen in den USA

Die Sicht der Amerikaner auf den Nationalsozialismus wurde von der Sichtweise der Kirchen erheblich mitgeprägt. Und diese vollzogen den Weg in Richtung puritanisch-pazifistischer Traditionen, was nach ihrem unkritischen Verhalten im Ersten Weltkrieg mehr als verständlich ist . Der Verfasser zeigt in dezidierter Weise auf, wie sich die Positionen der Kirchen im Laufe des Zweiten Weltkriegs veränderten. Denn die zentrale Fragestellung der Arbeit beruht auf der gesellschaftlichen Bedrohungswahrnehmung gegenüber den Nationalsozialisten in den USA.
Hier kommt der Person Reinhold Niebuhrs, so der Autor, eine zentrale Rolle zu, weil er ein einzigartiges Scharnier zwischen der kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Sphäre herstellen konnte und sein pazifismuskritisches Wort in beiden Welten erhebliches Gewicht hatte.
An dieser Stelle können nicht die Positionen der einzelnen Kirchen dezidiert dargestellt werden, die der Verfasser in sorgfältiger Archivarbeit rekonstruiert hat, wobei deren interne Debatten und Konfliktlinien überzeugend aufgezeigt werden. Stattdessen werden die allgemeinen Entwicklungsschritte nachvollzogen, die die Kirchen in der Phase von 1939 bis 1941 durchlaufen haben.

Vier parallele Entwicklungen in den Kirchen

Ein Großteil der Kirchenführer war sich im Diskurs über einen möglichen Kriegseintritt der USA darüber einig, dass (1) man diesen Krieg keinesfalls wieder als „heiligen Krieg“ interpretieren wollte; (2) authentisch motivierte Kriegsdienstverweigerer unterstützen wollte; (3) die Kirchen die Regierungspolitik kritisch beobachten müssten und (4) die Kirchen intensiv an einer Nachkriegsordnung mitarbeiten wollten.
Grundsätzlich waren die Allianzen zwischen Neutralisten, Isolationisten und Nicht-Interventionisten, die jede Form eines Kriegseintritts ablehnten, brüchig. Andere Kirchen vermieden eine positive Einstellung zu einer Intervention gegen Hitler durch die Anerkennung der Unterstützung von Alliierten, zeigt Werner.

Von Einzelkirchen zu einem transnationalen Block

Für den Verfasser dieser Rezension war die Erkenntnis Werners am gewinnbringendsten, dass sich die Kirchen in der Zwischenkriegszeit von weitgehend autonom agierenden Einzelkirchen zu „international und ökumenisch vernetzten Kirchenorganisationen“ gewandelt hatten (S. 197). Die Kirchen übernahmen, vermittelt über diese Organisationen, gesellschaftliche Verantwortung im politischen Bereich. Von besonderer Bedeutung war der Federal Council of Churches, dem auch Außenminister John Foster Dulles und Reinhold Niebuhr angehörten und der zum Vorbild für den World Council of Churches wurde.

Es brauchte ein Pearl Harbor, um die Kirchen zu überzeugen

Selbst gegenüber den Überzeugungsversuchen der Briten zeigten sich die Kirchen immun, so die Erkenntnis Werners. Nur ein Angriff auf das amerikanische Kernland hätte die Kirchen von einem Kriegseintritt überzeugt. Man rechnete, so der Verfasser, mit einem Angriff aus dem Atlantik; eine Bedrohung auf Seiten des Pazifiks wurde in keiner der vom Autor ausgewerteten zahlreichen Quellen thematisiert. Zwar traf der Angriff auf Pearl Harbor nicht direkt amerikanisches Kernland, aber er war dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Jetzt war es nicht mehr vermittelbar, dass sich die Kirchen neutral verhielten.

Kirchen achten auf ius in bello

Wie Werner zeigt, sahen die Kirchen den Kriegseintritt der Amerikaner, als er schließlich vollzogen worden ist, als gerechten Verteidigungskrieg an. Sie beobachteten die Kriegsführung jedoch kritisch und wiesen auf Kriegsrechtsverletzungen auch auf Seiten der Alliierten hin. Vor allem die Methodisten kritisierten beispielsweise die Tatsache, dass japanisch stämmige Amerikaner während des Pazifikkrieges grundlos in Internierungslager transportiert wurden. Die Kirchen wollten nicht wieder in einen Kriegsrausch hineingezogen werden, sondern weiterhin als Friedensmacht wirken. Deshalb unterstützten sie auch vehement die Gründung der Vereinten Nationen.

„Niebuhrianische Wende“ als Übertreibung

Werners Arbeit America First zeigt, dass die seriöse Debatte um den amerikanischen Kriegseintritt auf einem hohen moralischen und intellektuellen Niveau geführt worden ist, das mit der vulgären Polarisierung zwischen Anhängern von Donald Trump und seinen erbitterten Gegnern nicht zu vergleichen ist. Die Instrumente der Entscheidungsfindung, die Genese dieses Prozesses und die Rolle zentraler Akteure und Institutionen werden plausibel dargestellt.
Ein Kritikpunkt lässt sich an dem vom Autor verwandten und auf Miscamble zurückgehenden Begriff „Niebuhrianische Wende“ verdeutlichen. Denn wenn es einen solchen, vor allem auf den punktuellen Einfluss einer Person zurückgehenden Einstellungswandel gegeben hätte, wäre der kircheninterne Diskussionsprozess, den Werner so eindrücklich schildert, lediglich von untergeordneter Bedeutung gewesen. Niebuhr selbst war sich erst spät darüber im Klaren, dass die USA militärisch in den Zweiten Weltkrieg eingreifen müssten [1] ; er sprach sich noch im Jahr 1940 kritisch gegenüber Roosevelts Aufrüstungsmaßnahmen aus [2]. Richtig ist, dass Niebuhr schon 1940 in seinem Werk Christianity & Power Politics und in früheren Schriften einen naiven Pazifismus innerhalb amerikanischer Kirchen teilweise polemisch scharf kritisiert hatte. Hier hätten einige Primärquellen zu Niebuhr gut getan; Werner verlässt sich hier vor allem auf die Urteile Freibergers [3] und [4] Miscambles. Jenseits dieser verbesserungsfähigen Darlegung der Position Niebuhrs stellt Werner dar, auf welche Weise eine produktive Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Politik in kritischen historischen Situationen möglich ist. Deshalb ist die Arbeit nicht nur für Vertreter der behandelten Kirchen, sondern auch für Historiker, Politikwissenschaftler und Theologen von hohem Interesse.


Zum Rezensenten:
Dr. Christoph Rohde war Lehrbeauftragter an der Hochschule für Politik München. Seine Dissertation ‚Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus‘ erhielt den Förderpreis der Ludwig-Maximilians-Universität München im Jahre 2002. Rohde ist als selbständiger Dozent im Bereich Volkswirtschaft und Medienpolitik für verschiedene Bildungsträger tätig.


[1] Gary Dorrien: Social Ethics in the Making, Interpreting an American tradition.
Chichester 2009.S. 111-112.
[2] Christoph Rohde:  Die Geburt des Christlichen Realismus aus dem Geist des Widerstandes. Berlin 2016, S. 172.
[3] M. Freiberger: Allianzpolitik in der Suezkrise. Göttingen 2013.
[4] W. Miscamble.: From Roosevelt to Truman. Potsdam, Hiroshima, and the Cold War. New York 2007.

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