theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Bernd U. Schipper, Georg Plasger (Hg.), Apokalyptik und kein Ende? Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 302 Seiten, EUR 19,90, ISBN 978-3-525-61594-2

Apokalyptische Texte stellen bekanntlich Deuterätsel dar, sie verschlüsseln ihre Botschaft. Der neue Sammelband in der Reihe "Biblisch-theologische Schwerpunkte" tut dies schon in seinem Titel: Wollen die Herausgeber auf die nie endende Mode von Apokalypsen oder die sich endlos hinziehenden Diskussionen über die Apokalyptik anspielen? Dann schwänge in ihrer Titelfrage resignative Ermüdung über das Thema mit, das sie sich selbst gewählt haben. Oder soll gleich auf dem Einband auf die größte Schwäche aller bisherigen Apokalypsen hingewiesen werden: dass nämlich ein verheißenes oder befürchtetes Weltende nie eintraf? Dann wäre im Titel eine fundamentale Distanzierung vom Stoff des Buches ausgesprochen: Hier schreiben Autoren über ein Genre, dessen Kernbotschaft sie schon entschärfen, bevor die Interpretation beginnt. Entsprechend stelle ich auch meine Antwort vorneweg: Tatsächlich enthält das Buch von beidem etwas, von Ermüdung und Entschärfung.


Geschichte, Theologie, Literatur, Politik

Doch sei nicht ungerecht geurteilt: Der Sammelband bietet entsprechend der Reihe eine fundierte, auch für Nicht-Fachleute gut lesbare Einführung in sein Thema, und das auf relativ engem Raum in einer erstaunlichen interdisziplinären Breite. Die Beiträge, alle etwa 20 Seiten lang, befassen sich mit den religionsgeschichtlichen Wurzeln der Apokalyptik (Bernd U. Schipper), mit Apokalyptik im frühen Judentum (Klaus Koch) und im Neuen Testament (Bernd Kollmann), und sie verfolgen apokalyptische Strömungen im Mittelalter (Christoph Auffahrt), in der Reformationszeit (Volker Leppin) sowie im Pietismus (Manfred Jakubowski-Tiessen; nebenbei: für mich eines der überraschendsten und kurzweiligsten Kapitel!). Das Buch versucht auch eigene bibeltheologische (Ernstpeter Maurer), systematisch-theologische (Georg Plasger) und ethische (Marco Hofheinz) Bewertungen der Apokalyptik. Sein letztes Drittel befasst sich dann mit modernen Apokalypsen: mit der Kritik christlich-fundamentalistischer Apokalyptik (Heinz-Günther Stobbe) und deren Rolle in der Nahostpolitik der USA (Hans G. Kippenberg), mit dem Verhältnis von Moderne (Walter Sparn) bzw. sozialem Wandel (Alexander-Kenneth Nagel) zur Apokalyptik sowie mit apokalyptischen Szenarien in der zeitgenössischen Literatur (Heinz-Peter Preusser).


Beschwichtigung und gemäßigte Entmythologisierung

Schon in den exegetischen Beiträgen gewinnt man den Eindruck, dass der Leser der Apokalyptik begegnen soll, ohne allzu sehr schockiert zu werden. So bleiben die politischen und religiösen Kämpfe im Frühjudentum, in der formativen Phase der Apokalyptik, und deshalb auch ihr damals entstehendes scharf konturiertes geschichtstheologisches "Weltbild" seltsam blass. Symptomatisch erscheint mir, dass die gerade in dieser Hinsicht starken Forschungen des Apokalyptik-Kenners Karlheinz Müller in Text und Literaturhinweisen völlig unberücksichtigt bleiben. [1] Hat er zu sehr den Mainstream gestört? Jedenfalls führt eine weichgespülte Exegese dazu, dass uns die frühen Apokalyptiker schließlich gar als Vorläufer Teilhard de Chardins präsentiert werden, denn sie "sehen in optimistischem Vertrauen auf die Menschenfreundlichkeit des Schöpfers die Geschichte auf einen Punkt Omega endgültiger Erfüllung der göttlichen Absicht zulaufen" (49, K. Koch) - als seien evolutionäre Kontinuität und katastrophisch-revolutionäre Wende dasselbe. Leider bleiben auch die systematischen Beiträge überwiegend auf dieser Linie: So möchte Plasger die Apokalyptik christologisch sublimieren, indem er ihre Zentralaussage ganz auf die Ansage des (Wieder-)Kommens Christi konzentriert - alles andere sei Bildersprache. Eher geschichtstheologisch fordert Sparn, die unaufgeklärte Apokalyptik müsse entmythologisiert und der neuzeitliche Fortschritts-Chiliasmus sozusagen säkularisiert, also in seiner Pseudo-Religiosität durchschaut werden. Seine geschichtliche Analyse ist dicht, aber es bleibt am Ende doch das alte Lied der abendländischen Theologiegeschichte: Der Apokalyptik muss der katastrophische und messianische Stachel, den sie in die Wahrnehmung der Gegenwart treibt, gezogen werden, um sie den Sekten und Extremisten zu entwinden. Für die Gläubigen werden tranige Leerformeln gereicht von der Art des Satzes: "Apokalyptische Offenbarungen wollen den Einzelnen motivieren, sich seines geschichtlichen Ortes zu vergewissern und dadurch zu einem gelingenden Leben zu finden." (Koch, 49)


Die Ängste der Anderen

Es gibt einige aufregendere Ansätze in dem Buch: Maurer etwa versucht ausgerechnet die apokalyptische Rede von Dämonen, Teufel und Antichrist im Neuen Testament bibeltheologisch ernst zu nehmen. Wer in der Finesse einer quasi-barthianischen Bibellektüre "von innen" nicht bewandert ist, dem wird der Text allerdings recht sperrig und hermeneutisch unvermittelt erscheinen. Hofheinz führt die apokalyptisch-paulinische Rede vom "neuen Menschen" erfrischend ungeschützt gegen die biomedizinischen Heilspropheten ins Feld. Das ist mutig in einem ethischen Diskurs, in dem die Spezialisten kasuistischer Salamitaktik gern jeden aus dem Raum weisen, der ethische Zukunftsorientierung nicht im Kleingedruckten politik-kompatibler Ethikkommissionen aufgehen sieht.

Aber darüber hinaus lässt das Buch einen nicht nur an historischer Information interessierten Leser doch einigermaßen ratlos zurück: Einerseits lernt er, wie sehr von Katastrophenangst und Naherwartung durchsetzt gerade auch die Neuzeit seit der Reformation immer geblieben ist. Andererseits wird ihm aktuelle Apokalyptik nur als die Angst der Anderen präsentiert: als die von Schriftstellern in der Sackgasse der späten DDR oder als die der christlichen Fundamentalisten, welche ein nahöstliches Armageddon nicht nur erwarten, sondern auch politisch tatkräftig fördern. Dass sich moderne Apokalyptik jenseits solcher Sonderphänomene aus der Angst vor der sozialen, atomaren und vor allem ökologischen Katastrophe speist, wird zwar immer wieder erwähnt, aber nie ernsthaft aufgegriffen.


Apokalyptische Unterbrechung des Mythos

In der neuen politischen Theologie (im Umkreis von J.B. Metz) und in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie gibt es zumindest Ansätze für eine theologische Lesart der Apokalyptik jenseits der falschen Alternative von Fundamentalismus oder Entmythologisierung. Im vorliegenden Buch kommt davon nichts vor. Aber schon die Exegese der frühjüdischen und urchristlichen Apokalyptik könnte deutlich machen, dass Plasgers christologische Konzentration des Apokalyptischen nur die eine Seite der Medaille zeigt. Die neutestamentliche Christologie nährt sich eben nicht nur von apokalyptischen Bilderwelten, sondern setzt auch deren theologisches Geschichtsverständnis voraus, vor dessen Hintergrund allein das Osterereignis als messianische Krise und Wende gedeutet werden konnte. Wer das mit der "Parusieverzögerung" theologisch nicht einfach abgeurteilt sieht, dem verbleibt auch heute die Aufgabe, die Christologie apokalyptisch zu interpretieren, nicht nur umgekehrt. Eine von der Apokalyptik gereinigte Christologie führt in den zeitenthobenen Mythos einer gottmenschlichen Versöhnung überall und nirgendwo.

Das Wertvollste an dem Sammelband sind die Analysen der apokalyptischen Durchsetzung unserer abendländischen Geschichte. Die Frage, ob wir angesichts der Spaltung der Welt in eine Insel der Seligen und eine zunehmend hoffnungslose Drei-Viertel-Menschheit, angesichts der perpetuierten Möglichkeit der atomaren Selbstauslöschung und der anrollenden Wirklichkeit der globalen Klimakatastrophe einen ernsthaften philosophischen und theologischen Diskurs über die Apokalyptik führen müssten, der nicht nur in Abwehr und Sublimierung bestände, scheint irgendwie verboten.

Den besten theologischen "Definitionsversuch" von Apokalyptik finde ich im Beitrag von Maurer: "Apokalyptik in diesem theologisch qualifizierten Sinne ist demnach eine Tiefenschau in die Geschichte, die Einsicht in eine Wende der Welt oder in die radikale Neuschöpfung der Welt auf dem Hintergrund des Untergangs der alten Welt. Dieser Einblick setzt natürlich eine göttliche Offenbarung voraus, muss sich aber daran erweisen, dass die vergehende Welt angemessen beschrieben wird." (132) Dies könnte m.E. auch das Programm des apokalyptischen Themas in der Symphonie aktueller christlicher Theologie abgeben: Sie müsste keine andere Offenbarung voraussetzen als die ihr im biblischen Zeugnis anvertraute. Aber sie müsste von dieser her eine Tiefenschau in die Geschichte wagen und angesichts der eigenen, unsrigen apokalyptischen Ängste darauf hindeuten, wo sich Untergang vollzieht, wo Wende und was Neuschöpfung wäre. Sie wäre darin prophetische Theologie, aber im Gegensatz zu den billigen Fundamentalismen eine solche, die auf dem Niveau nach-aufgeklärten Denkens die vergehende Welt angemessen beschriebe. Das Buch bietet eine Menge Material für Fragen, die es nicht angreift.


[1] Vgl. K. Müller, Studien zur frühjüdischen Apokalyptik, Stuttgart 1991 sowie ein Artikel "Apokalyptik III. Die jüdische Apokalyptik. Anfänge und Merkmale" in TRE 3 (1978) 202-251.


Rezensent:
Gregor Taxacher

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