Relinde Meiwes: Klosterleben in bewegten Zeiten. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1914-1962), Paderborn 2016. Schöningh Verlag, 258 S., 29,90 EUR, ISBN 978-3-506-78486-5
Die vorliegende Studie beschäftigt sich
schwerpunktmäßig mit der Geschichte der ermländischen
Katharinenschwestern im deutschsprachigen Raum in der Zeit vom Ersten
Weltkrieg bis zum Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es handelt
sich hierbei um die Fortsetzung des ersten Bandes über die
Entwicklung dieser Frauenkongregation. [1]
Meiwes präsentiert hier die Entwicklung der Kongregation als Ganze, richtet ihren Blick dabei aber auch auf die einzelnen Provinzen, die sich in dem oben genannten Forschungszeitraum im Hinblick auf ihre apostolische Tätigkeit wie auch interne Entwicklungen durchaus unterschiedlich ausrichteten. Die Basis bilden zahlreiche Quellen, die die Verfasserin vor allem dem Archiv des Generalates in Grottaferrata (Rom) sowie den verschiedenen Provinzarchiven in Deutschland, Polen und auch Brasilien entnommen hat. An dieser Stelle seien die Verzeichnisse der Schwestern hervorgehoben, die Meiwes selbst zu „den wichtigsten Quellen dieser Studie“ [2] zählt. Eine zusätzliche Bereicherung stellen die kontinuierlich eingebundenen biographischen Ansätze dar, in denen exemplarisch Kongregationsmitglieder in ihrem Werdegang und Einfluss auf die Gemeinschaft skizziert werde.
Die Ausgangslage ist im ersten der insgesamt sieben Kapitel der vorliegenden Monographie ausführlich beschrieben: Im Jahre 1914 zählten 572 Schwestern und Novizinnen zu der Kongregation der hl. Jungfrau und Martyrin Katharina, die in Deutschland, Großbritannien und Brasilien lebten und apostolisch tätig waren. Der Sitz des Generalrates befand sich zu dieser Zeit im ermländischen Braunsberg, von wo aus alle wichtigen Entscheidungen für die Gesamtkongregation getroffen wurden. Typisch für die Frauenkongregationen war der Balanceakt zwischen der vita contemplativa und der vita activa – so galt auch für die Katharinenschwestern die Selbstheiligung, die vor allem durch den kontemplativen Part erreicht werden sollte, als Hauptzweck. Der Tagesablauf der Schwestern war streng getaktet und sollte zum einen das kontemplative mit dem apostolisch-tätigen Leben in Einklang bringen, zum anderen Einheitlichkeit für die Gemeinschaft gewährleisten.
Das Apostolat der Schwestern war theoretisch, d. h. gemäß der Regel, zweigeteilt und auf die Tätigkeitsfelder der Erziehung sowie Krankenpflege gleichermaßen fokussiert. In der Praxis erwies sich dieses jedoch als äußerst ausdifferenziert und erstreckte sich – je nach Provinz – u. a. über Tätigkeiten in der Krankenpflege, Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Erziehung oder auch Ausbildung. Meiwes charakterisiert die Gemeinschaft am Ende des 19. Jahrhunderts als eine Kongregation im Aufbruch.
Darauffolgend geht die Verfasserin auf die Zeit des Ersten Weltkrieges (Kapitel 2) sowie die Phase der dynamischen Entwicklung in den 1920er und 30er Jahren (Kapitel 3) ein. Die deutschen Schwestern wurden ab 1914 durch die Versorgung der kranken und verwundeten Soldaten eingespannt, was sich freilich zu Ungunsten des kontemplativen Lebens auswirkte. Die Kommunikation zu den Schwestern ausländischer Provinzen wurde eingeschränkt bzw. ganz unterbunden, was dazu führte, dass sich die einzelnen Konvente stärker mit ihrem eigenen Land und dessen Sprache identifizierten. Die gesamte Kongregation erfuhr hier einen ersten basalen Wandel: Während Brasilien erstmals lernen musste, auf eigenen Füßen zu stehen, stellte die englische Provinz ihre Aktivitäten vorübergehend ein. Darüber hinaus verhalf die Entstehung der Republik Litauen den Schwestern zur Gründung einer litauischen Provinz, die bis zum Einmarsch der Roten Armee im Jahre 1940 vor allem im Schulwesen tätig war und einen stetigen Aufbau verzeichnen konnte.
Nach dem Ersten Weltkrieg begann eine Aufbauphase, in der es in Deutschland zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Apostolatsfelder kam. Neben der Gründung von Schwesternstationen oder Tätigkeiten in Hospitälern und Altenheimen engagierten sich die Schwestern ebenfalls in Kindergärten sowie Waisenhäusern. Im Vergleich dazu verliefen die Entwicklungen in Brasilien und Litauen divergent, wodurch sich Spannungen und Konflikte in der Kongregation ergaben.
Besonders interessant gestaltet sich das vierte Kapitel, in dem Meiwes die innere Perspektive der Kongregation beleuchtet und den Fokus auf die Spannung zwischen religiöser Motivation und dem alltäglich tätigen Handeln in der ‚Welt‘ legt. Die Verfasserin verdeutlicht hier, welche Anstrengungen die Schwestern unternahmen, um eine Stärkung des inneren Zusammenhaltes für die Gesamtkongregation zu erreichen und ihr spirituelles Gut für an die nächste Generation weiterzugeben. Instrumente zur Erreichung dieses Ziels waren u. a. die Weiterentwicklung der Noviziatsausbildung, die Professionalisierung im Hinblick auf die Apostolatsfelder, die Betonung der hierarchischen Strukturen mit Hilfe der Regelwerke und des Gehorsamsgelübdes sowie der Intensivierung des transnationalen Austausches, beispielsweise durch das Mitteilungsblatt ‚St. Katharina Gruß‘.
Die Herausforderungen an die Schwestern während der NS-Zeit werden in Kapitel 5 aufgezeigt. Wie viele andere Ordensgemeinschaften und Kongregationen blieben auch die Katharinenschwestern nicht von Hausdurchsuchungen und besonderer Beobachtung seitens des NS-Regimes im Zuge der Devisenprozesse verschont. Ebenfalls wurden die Schwestern im Hinblick auf ihre Schutzbefohlenen mit dem ‚Euthanasie‘-Programm der Nationalsozialisten konfrontiert. Die Schwestern mussten zum Teil die von den Nazis angeordneten Transporte ihrer Patienten begleiten; die Schwester M. Josefine Eich wurde selbst zum Opfer des ‚Euthanasie‘-Programmes. Den Katharinenschwestern der Heil- und Pflegeanstalt St. Andreasberg gelang es, einige ihrer Privatpatienten in deren Familien zurückzuschicken oder ihnen einen Arbeitsplatz zuzuweisen, damit diese den Deportationen entgingen. Relinde Meiwes hält fest, dass die dortigen Katharinenschwestern über die Tötung der Patienten informiert wurden, jedoch „abgesehen von der Information der Angehörigen der Patienten […] keinen Einfluss auf die Geschehnisse nehmen“ [3] konnten.
Die Schließung verschiedener Niederlassungen konnte nicht verhindert werden; hierbei ergab sich ein weiterer tiefer Einschnitt, als die Schwestern im Jahre 1945 ihren Gründungsort Braunsberg verlassen mussten.
Über die folgenschwersten Transformationsprozesse der Kongregation erfährt der Leser mehr in Kapitel 6, in dem Meiwes die für die Schwestern durch Flucht und Vertreibung gekennzeichneten Nachkriegszeit darlegt. In dieser Zeit kam es zu einer Zerstreuung der weiblichen Gemeinschaft, in deren Zuge die Katharinenschwestern neue Niederlassungen und auch Provinzen gründeten. Insgesamt waren die Schwestern der Gemeinschaft – nun verteilt auf die werdende Bundesrepublik Deutschland, auf das kommunistisch und kirchenfeindlich geprägte Litauen oder auch die DDR im Osten Berlins sowie weiterhin Brasilien – höchst unterschiedlichen politischen Verhältnissen ausgesetzt. Die Herausforderung bestand darin, die Einheit und den Zusammenhalt der Gemeinschaft im Ganzen trotz unterschiedlichster lokaler Voraussetzungen zu wahren.
Das siebte Kapitel widmet sich der Existenzkrise, die sich durch die verheerenden Folgen der (Nach-)Kriegszeit ergeben haben. Eine besonders interessante Entwicklung, die dem transnationalen Charakter der Kongregation geschuldet ist, ist hier zu beobachten: Durch das Zusammenspiel der verschiedenen Provinzen, insbesondere die Entwicklung Brasiliens, konnte sich die Gemeinschaft aus ihrer Existenzkrise befreien und neu ausrichten. Während die Niederlassungen in Brasilien noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Braunsberg aus koordiniert worden waren und deutsche Wurzeln aufgewiesen hatte, waren es die brasilianischen Schwestern, die im Laufe des 20. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit aufbauten, somit zum Rückgrat der Kongregation wurden und die Kongregation im globalen Rahmen zusammenhalten konnten.
Es kann festgehalten werden, dass mit Meiwes‘ zweitem Band über die Katharinenschwestern eine spannende und kompakt gehaltene Studie vorliegt, die dem Leser sowohl einen Gesamteindruck von der Kongregation vermittelt als auch tiefere Einblicke in die konkreten Herausforderungen der verschiedenen Provinzen bietet.
Der Verfasserin gelingt es, die Diversität der Kongregation,
die sich durch die verschiedenen Entwicklungen der jeweiligen Provinzen
ergab, prägnant einzufangen. Trotz der hohen Komplexität
bezüglich der äußeren Umstände versäumt es
die Autorin nicht, auch die inneren Entwicklungen der
Schwesterngemeinschaft, so z. B. die Frömmigkeitsformen oder die
religiöse Motivation, zu skizzieren, wodurch die Studie an
weiterer Tiefe gewinnt.
Zur Rezensentin:
Dr. theol. Kirsten Gläsel, geb. 1983, Studienrätin i. E.,
B.M.V.-Gymnasium Essen.
[2] Relinde Meiwes, Klosterleben in bewegten Zeiten. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1914-1962), Paderborn 2016, S. 12.
[3] Relinde Meiwes, Klosterleben in bewegten Zeiten. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1914-1962), S. 159.
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