Papenbrock_Rezension_Pawlowsky

Verena Pawlowsky, Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus. Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal (Kontexte. Veröffentlichungen der Akademie der bildenden Künste Wien, Band 1), Wien/Köln/Weimar 2015, Böhlau Verlag, 125 S., 20,00 EUR, ISBN 978-3-205-20291-2

Die Geschichte der künstlerischen und wissenschaftlichen Institutionen im Nationalsozialismus liegt bis heute erst in Ausschnitten vor. Das verbreitete Bild von den Künsten und Wissenschaften als unabhängige ethische Instanzen hat sich auf ihre Institutionen übertragen und eine kritische und politische Auseinandersetzung mit ihnen lange Zeit verhindert. Wenn sie doch stattfand, dann waren es häufig besondere Anlässe oder bevorstehende Jubiläen, die eine kritische Revision in Gang setzten. So verhält es sich auch mit der Aufarbeitung der Geschichte der Wiener Akademie der Künste. Die „Plattform Geschichtspolitik“, eine Initiative von Lehrenden und Studierenden der Akademie, warf 2011 die Frage auf, ob Josef Weinheber, einer der meistausgezeichneten Lyriker im Nationalsozialismus, noch Ehrenmitglied der Akademie sei, und zwang damit die Hochschulleitung, sich öffentlich zu positionieren. Das Rektorat gab daraufhin eine historische Untersuchung in Auftrag, die ermitteln und dokumentieren sollte, in welchem Umfang Lehrende, Studierende und Verwaltungspersonal in das NS-System verstrickt gewesen oder von ihm geschädigt worden sind. Die vorliegende Studie der Historikerin Verena Pawlowsky ist das Ergebnis dieser Untersuchung. Zusammen mit einer dazugehörenden Datenbank (http:/ns-zeit.akbild.ac.at) listet sie akribisch und detailliert die Opfer der nationalsozialistischen Politik, aber auch die Mitläufer und Begünstigten auf. Im Hinblick auf das 75-jährige Jubiläum des akademieeigenen Instituts für das künstlerische Lehramt, das 2016 gefeiert werden sollte und auf die Gründung der Meisterschule für Kunsterziehung an der Wiener Akademie im Jahr 1941 zurückgeht, stellt das Rektorat im Vorwort zur Studie fest: „Die Akademie ist nicht mehr eine der verdrängenden Künste [wie ihr noch 2011 in der Presse vorgeworfen worden war], sondern hat nun die Geschichte der Institution vom Austrofaschismus und Nationalsozialismus bis in die Jahre der Zweiten Republik untersuchen lassen.“

In vorbildlicher Weise dokumentiert Verena Pawlowsky in ihrer durch umfangreiche Archivstudien gestützten, auf die relevanten Fakten reduzierten und in Tabellen zusammengefassten Darstellung die „Schädigungen“ der Akademiemitglieder, das heißt die Entlassungen oder Exmatrikulationen aus rassistischen oder politischen Gründen und den Entzug von Ehrenmitgliedschaften. Auf der anderen Seite registriert sie – vor allem auf der Basis der Entnazifizierungsakten – die Mitgliedschaften des Lehr- und Verwaltungspersonals in der NSDAP und den ihr angeschlossenen Verbänden sowie ihren Verbleib oder ihr Ausscheiden aus der Akademie nach 1945. So ergibt sich eine informations- und faktenbasierte Statistik zur politischen Geschichte der Akademie, die vom „Anschluss“ Österreichs bis in die ersten Jahre der Nachkriegszeit reicht und dabei vor allem die Personen und ihre berufliche Situation bzw. ihren Ausbildungsstatus im Blick hat, weniger die kunst- oder bildungspolitischen Aspekte der Institutionsgeschichte, wie sie sich etwa in Lehrplänen und Ausbildungskonzepten, in Ausstellungen oder kunst- und kulturtheoretischen Manifesten artikulierten. Mit den ideologischen Aspekten hatte sich 25 Jahre zuvor schon in kritischer Perspektive der von Hans Steiger, Michael Lunardi und Peter Josef Populorum herausgegebene Band „Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der Bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik“ (Wien 1990) auseinandergesetzt, insbesondere in den Beiträgen von Elisabeth Klamper („Zur politischen Geschichte der Akademie der Künste 1918 bis 1948. Eine Bestandsaufnahme“) und von Irene Nierhaus („Adoration und Selbstverwirklichung. Künstlerische und kunstpolitische Schwerpunkte an der Akademie der bildenden Künste von den dreißiger bis Ende der vierziger Jahre“).

Das Verdienst der vorliegenden Studie liegt darin, für die Diskussion über die nationalsozialistische Geschichte der Wiener Akademie eine Reihe von Informationen und Fakten zusammengetragen zu haben. Die Ergebnisse bieten keine großen Überraschungen, sondern bestätigen im Wesentlichen die Befunde, die zuvor auch die Untersuchungen anderer staatlicher Einrichtungen im Kultur- und Bildungswesen während der NS-Zeit erbracht haben. Der Übergang vom Ständestaat zum Nationalsozialismus verlief, gemessen an der Zahl der Entlassungen, harmonischer als der Übergang vom Nationalsozialismus zur institutionellen Neuordnung in der frühen Nachkriegszeit, was nicht zuletzt durch den Austrofaschismus zu erklären ist, der in gewissem Sinne eine Pufferzone zwischen der Ersten Republik und dem Nationalsozialismus bildete. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Verhältnisse in Österreich von denen in Deutschland. Dass an staatlichen Einrichtungen, auch im Kultur- und Bildungsbereich, etwa die Hälfte aller Beamten und Angestellten Mitglieder der NSDAP waren, deckt sich dagegen mit Zahlen in Deutschland. Auffällig ist, dass die Parteimitgliedschaft innerhalb des Lehrpersonals verbreiteter war als bei den Mitarbeitern der Verwaltung. Das belegt die ideologische Anfälligkeit von Künstlern und Wissenschaftlern und lässt noch einmal deutlich werden, wie wichtig es ist, gerade diesen Bereich der Geschichte des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.

Die vorliegende Studie liefert dazu einen substanziellen Beitrag. Sie ist eine notwendige, nüchtern und gewissenhaft erarbeitete Ergänzung zum Band von 1990 („Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der Bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik“), dokumentiert zugleich aber auch, wie sich die Akzente in der Erforschung des Nationalsozialismus in den letzten 25 Jahren verschoben haben. Institutions-, Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte, insbesondere wenn sie sich mit der NS-Zeit auseinandersetzt, ist per se politisch, sei es aufgrund des eigenen Anspruchs oder aber in ihrer Funktion als symbolpolitisches Instrument des jeweiligen Auftraggebers. Die Rekonstruktion der Fakten auf der Basis der erhaltenen Dokumente ist die Grundlage jeder kritischen Auseinandersetzung, die Ideologiekritik ihre notwendige intellektuelle Fortsetzung.


Zum Rezensenten:

Prof. Dr. Martin Papenbrock, geb. 1963, ist apl. Professor für Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Vorsitzender der Guernica-Gesellschaft e.V.



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