Gutachten und Diskussionsbeiträge zu Jutta Koslowski, Religion und Gewalt. Annäherungsversuche an ein unbewältigtes Problem.
Übersicht:
Gutachten:
1. Prof. Dr. Hartmut Zinser
2. Prof. Dr. Mouhanad Khorchide
Diskussionsbeiträge:
1. Dr. John D’Arcy May, Melbourne
Gutachten
1. Prof. Dr. Hartmut Zinser
Ich danke für die Anfrage nach einem Gutachten zum Aufsatz: Religion und Gewalt. Annäherungsversuche an ein unbewältigtes Problem von Jutta Koslowski.
Nun möchte ich ein Gutachten nicht schreiben, da ein Gutachten je nach Aufgabenstellung und Zielen ausgerichtet sein sollte. Hier könnte es doch nur um die Frage gehen, ob ein Aufsatz in theologie.geschichte aufgenommen werden sollte. Diese Frage kann ich mit einem deutlichen „Ja“ beantworten. In diesem Aufsatz wird konsequent eine Selbstreflexion der Religionen auf ihre Lehren und geschichtliche Praxis von Gewalt eingefordert und damit Positionen wie, Religion habe mit Gewalt nichts zu schaffen, oder religiöse Gewalttäter seien psychopathologische Fälle, überwunden. Ich bin der Auffassung, dass jenseits dieser Positionen, die in bestimmten Fällen zutreffen mögen, nach dem Eigenanteil von Religion an Gewaltausbrüchen gefragt werden und deshalb dieser Aufsatz veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden muss.
Nun geht es ja nicht nur um diese gutachterliche Frage, sondern um Beiträge zu einer Diskussion der verhandelten Probleme, andernfalls hätte eine Veröffentlichung der gutachterlichen Stellungnahmen wenig Sinn. Ich möchte einige Fragen zu diesem Aufsatz als Diskussionsbeitrag stellen und einige Bemerkungen machen.
1. In dem Aufsatz wird zu allgemein nach der Beziehung von Religion zur Gewalt gefragt. Dabei wird nicht unterschieden zwischen Krieg und anderen Formen militärischer Gewalt, wie z.B. dem Terrorismus, und der staatlichen, früher gesellschaftlichen Gewalt zur Aufrechterhaltung des Lebens und einer friedlichen Regelung der innergesellschaftlichen Ordnung. Nun haben alle historisch wirksamen Religionen eine solche, durch anerkannte Gesetze geregelte und damit legitimierte, Gewalt gut geheißen, denn eine der Aufgaben und Ziel aller Religionen war und ist die Herstellung einer „solidarischen und moralischen Gemeinschaft“ (E. Durkheim). Im NT ist dies deutlich von Paulus, Röm 13, 3-4 formuliert[1]: „dann tue das Gute, und du wirst Lob von ihr [gemeint ist die Obrigkeit, H.Z.] haben; denn Gottes Dienerin ist sie für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert; denn Gottes Dienerin ist sie, eine Rächerin zum Zorngericht für den, der Böses verübt.“ Die Welt ist nun einmal kein Paradies. Es muss deshalb zwischen der legitimen und legalen und damit begrenzten Gewalt des Staates, der Gewalt von Gesetzesbrechern sowie Krieg und militärischer Gewalt unterschieden werden. Ohne eine Differenzierung von Gewalt, z.B. der staatlich legitimen, der Gewalt von Kriminellen und der zwischenstaatlichen Gewalt des Krieges, einschließlich der sog. neuen Kriege, wird man schnell hilflos.[2] Zu berücksichtigen ist dabei auch die gesellschaftliche und geschichtliche Entwicklung, die z.B. unter der Monopolisierung der Gewalt durch den Staat völlig anders aussieht als in vorstaatlichen Gesellschaften. Ebenso wird man die unterschiedliche Bewertung der Beteiligten beachten müssen. Was dem einen sein Freiheitskämpfer ist, ist dem anderen ein Terrorist, lautet ein nicht mehr so ganz neuer Spruch. Schließlich hat sich im Laufe der Jahrhunderte das, was als Menschenrechte heute nicht einmal in allen Staaten anerkannt ist, geändert, auch wenn die Idee der Menschenrechte, vor allem der Religionsfreiheit, bereits von Tertullian angeführt wird.
2. Ob Mohamed und der Islam die Regeln für den Krieg aus dem Judentum übernommen haben, würde ich bezweifeln. Eher scheint Mohamed die Regeln, die auf der arabischen Halbinsel (und bei anderen tribalen Gesellschaften im Orient) in Gebrauch waren, übernommen zu haben. Die Katastrophe besteht darin, dass diese Regeln, denen Mohamed wahrscheinlich nicht ausweichen konnte, für Muslime im Koran für immer gültig festgeschrieben wurden. Das Christentum hat im NT deutliche Kritik an den Kriegsregeln und Praktiken, wie sie in Josua, Könige und anderen Schriften des AT berichtet sind, geübt und das rabbinische Judentum ebenfalls. Eine vergleichbare Kritik wird im Islam bisweilen angeführt, aber hier hat der Islam noch eine Aufgabe, die durchaus von einigen zu lösen versucht wird. J. Koslowski hat dafür einige Belege angeführt. Doch überlasse ich die Frage einer geschichtlichen Kontinuität des Judentums zum Islam gerne den Islamwissenschaftlern. (Vgl. dazu: Hans-Joachim Schoeps: Theologie und Geschichte des Judenchristentums, 1949). Ich habe Zweifel, ob der Ausdruck „abrahamitische Religionen“ wirklich sinnvoll ist, denn er verschleiert, dass die Gottesvorstellungen der hebräischen Bibel, der griechischen Bibel und des Korans verschieden sind. Man kann die Gottesvorstellungen als Antworten auf Fragen verstehen; dann zeigt sich, dass die Antworten der Religionen sich deutlich und konfliktträchtig unterscheiden. In dem Ausdruck abrahamitische Religionen aber wird diese Verschiedenheit ausgeblendet.
3. Der Aussage, dass „Gewalt – völlig zu Recht – als Fehlform bzw. Missbrauch von Religion betrachtet“ wird, möchte ich entschieden widersprechen. Fast alle Religionen haben Kriegsgötter, die im Kriege für den Sieg angerufen werden. Ares, Mars und Athene sind bekannt, weniger bekannt sind Murugan im Hinduismus, ohne nun die Kriegsgötter aller Religionen anzuführen. Zum Gott der hebräischen Bibel schreibt J. Milles (Gott. Eine Biographie, München 1995, S. 130 et al.): „Gott ist ein Krieger, und die Bibel handelt von Sieg“. In vielen orthodoxen Kirchen gibt es Darstellungen der Militärheiligen und in manchen orthodoxen Staaten haben die verschiedenen Waffengattungen bis heute ihre speziellen Heiligen. Solche Militärheiligen der einzelnen Waffengattungen gibt es auch heute noch in einigen katholischen Ländern. Von den großen Religionen haben nur das Christentum und der Buddhismus Gewaltlosigkeit in der Lehre verkündet. In der Praxis sah das dann über Jahrhunderte anders aus bis dahin, dass das Töten in den sog. Kreuzzügen zum religiösen, Vergebung der Sünden versprechenden Akt wurde und damit Töten religiös gerechtfertigt wurde. Religionen mussten und müssen zur Friedfertigkeit angehalten oder sogar zum Verzicht auf Gewalt gezwungen werden. In der Religionskritik des 18. und 19.Jh.s ist dies immer wieder deutlich formuliert worden. Heute wird dies von H. Küng mit dem Satz: „Kein Friede unter den Nationen ohne einen Frieden unter den Religionen“ ausgesprochen.[3] Nachdem die großen christlichen Konfessionen sich an die modernen Verhältnisse angeglichen haben, wird es darauf ankommen, auch die anderen Religionen für diese Position zu gewinnen. In der abendländischen Geschichte wurde nach den verheerenden Religionskriegen im 16. Jh. für einen Frieden zwischen den Konfessionen und Religionen der Weg einer politischen Neutralisierung und Privatisierung von Religion gefunden. Ob es einen anderen Weg geben kann, kann ich nicht entscheiden. Bisher jedenfalls sind dafür keine einsichtigen Vorschläge gemacht worden. Beobachten können wir vielmehr, dass von einer Rückkehr zu den jeweilig konstruierten Ursprüngen und damit von einer Rückkehr zu vormodernen Verhältnissen das Heil erwartet wird. Die Religionen, die heute wirksam sind, stammen alle aus vornehmlich agrarischen Lebensverhältnissen, die mit den Erfordernissen einer industriell-bürokratischen Lebensweise allzu häufig in Spannung, vielfach sogar in Widerspruch stehen. Man wird deshalb die sog. großen Weltreligionen mit ihren Antworten zu den Fragen, wie soll ich leben, was kann ich tun und was nicht, was darf ich hoffen, grundsätzlich in Frage stellen müssen und zwar alle. Keine Religion darf von der Religionskritik ausgenommen werden. Es ist vielleicht daran zu erinnern, dass Religionskritik bereits in ihren Anfängen ein Unternehmen der Religionen selber war. Kaum ein Topos der Religionskritik der Neuzeit konnte sich nicht auf die Bibel berufen. Es muss von den Religionen gefordert werden, dass sie eine kritische Selbstreflexion auf ihre Gewaltlehren und Gewaltgeschichte, vor allem in Kriegen, ohne Wenn und Aber selber in die Hand nehmen.
Bei diesen Bemerkungen und Fragen möchte ich es für heute belassen, da sich diese sonst leicht zu einem Umfang ausweiten, der den Artikel selber überschreiten würde. Ich habe meine Positionen zu dieser Problematik in meinem Buch: Religion und Krieg, Paderborn 2015, im Einzelnen dargelegt.
Zum Gutachter:
Prof. Dr. Hartmut Zinser, geb. 1944, ist Religionswissenschaftler, Religionshistoriker und Ethnologe.
[1]
Es wäre vielleicht
sinnvoll, hier Röm 13, 1-7 insgesamt
anzuführen, aber ich gehe davon aus, daß den Lesern von
„theologie.geschichte“ dies und die Diskussion darüber, z.B. von
K. Bart bekannt ist.
[2] Als Sonderfall kommt noch die Selbstverteidigung bei unmittelbarer Bedrohung und Gewalt hinzu.
[3] Hans Küng: Projekt Weltethos, München, 1990, S. 102.
2. Prof. Dr. Mouhanad Khorchide
Religion und Gewalt, beziehungsweise die Legitimation von Gewalt durch Religion, ist ein Themenkomplex, der aufgrund schmerzlicher Anlässe in den letzen beiden Jahrzehnten verstärkt in den Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit gerückt ist. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, wie die Sozial- und Politikwissenschaften, die Geschichtswissenschaft sowie die Theologien der christlichen Kirchen und Vertreter der islamischen Theologie haben diese Thematik aufgegriffen und sie aus ihren jeweiligen wissenschaftlichen, beziehungsweise wissenschaftlich-theologischen Perspektiven heraus betrachtet.
Darüber hinaus begegnet uns das Thema Religion und Gewalt fast täglich in ‚den Medien‘. Hierbei steht insbesondere das Verhältnis von Religion und Gewalt im Islam im Mittelpunkt des Interesses. Oft finden sich im medialen Diskurs Darstellungen, nach denen ‚der Islam‘ Gewalt legitimiere, die Sphären von Politik und Religion nicht voneinander trennbar seien oder ‚der Islam‘ ein Integrationshemmnis darstelle. Solche vereinfachenden Darstellungen wurden in verschiedenen Medienanalysen herausgearbeitet und kritisiert.[1]
In ihrem Diskussionspapier Religion und Gewalt -
Annäherungsversuche an ein unbewältigtes Problem in
theologie.geschichte benennt die Verf. einleitend zu Recht die
Gräueltaten des sogenannten Islamischen Staats in Syrien und
Libyen, zudem verweist sie auf Boko Haram, al-Schabab oder Terroristen
in Europa, die ihre Gewalttaten islamisch legitimieren. Die
beschriebenen Nachrichten und Bilder sind wirkmächtig und
prägen das Islambild im ‚Westen‘. Das von der Verf.
angeführte Erklärungsmuster der westlichen Medien, dass die
Täter keine wirklichen Muslime seien, sich zu Unrecht auf den
Islam beziehen und demzufolge ihre eigene Religion missbrauchen
würden, existiert, zeichnet aber ein unvollständiges Bild.
Diesem Bild gegenüber steht der Erklärungs- und
Rechtfertigungsdruck, welchem Muslime und muslimische Verbandsvertreter
in Deutschland immer wieder nach terroristischen Gewalttaten, mit der
Forderung sich zu distanzieren, ausgesetzt sind. Allerdings nutzen auch
Verbandsvertreter das zuvor beschriebene Erklärungsmuster für
ihre Argumentationen.
An diesem Punkt setzt auch der Aufsatz von Jutta Koslowski an, der eine
tiefgehende Reflexion und Selbstreflexion des Verhältnisses von
Religion und Gewalt innerhalb der jeweiligen eigenen Religion und im
Dialog zwischen den Religionen fordert. Es geht also um nichts
Geringeres, als sich kritisch, und zwar theologisch und
historisch-kritisch, mit heiligen Schriften auseinanderzusetzen.
Die drei monotheistischen Religionen verfügen jeweils über einen Allgemeingültigkeitsanspruch. Dieser begünstige, so die Verf. einer These von Jan Assmann folgend, die Legitimation von Gewalt im Namen der Religion. Die Autorin legt hierbei das wesentliche Augenmerk auf die genuin religiöse Motivation von Gewalt als einer Fehlform oder Form des Missbrauchs von Religion. Historisch betrachtet scheint diese Interpretation nicht ganz zutreffend zu sein, da die Anwendung von Gewalt oft nicht nur religiös legitimiert, sondern mit einer Entlohnung verbunden wurde. Dies betrifft beispielsweise die sogenannten Schlachtfeldmärtyrer, die an der Seite Muhammads im 7. Jh. in einer schwierigen Zeit gegen die polytheistischen Mekkaner kämpften und als Lohn den Eintritt in das Paradies erhielten. Kreuzrittern wurde ebenfalls von der Institution Kirche ein vollkommener Ablass, d.h. ein Erlass der Sündenstrafen, für die Teilnahme an den Kreuzzügen des Mittelalters in Aussicht gestellt.
Die Befürwortung von Gewalt ist ein Teil der klassischen islamischen Tradition, wobei der Koran auch so gelesen werden kann und muss, dass Gewalt nur zur Abwehr von Gewalt, also zur Verteidigung angewendet werden darf. Angriff und Zwang aus religiösen und politischen Erwägungen sind demzufolge nicht gestattet. Nicht alle Gelehrten der islamischen Geschichte vertraten diese Sichtweise. So vertrat zum Beispiel al-Schaybani (gest. 805), ein Vertreter der hanafitischen Rechtsschule, die Ansicht, dass Gewalt auch ohne den Zweck der Verteidigung gegen Nichtmuslime angewendet werden dürfe. Das ist eine Argumentation, der heutige islamistische Terroristen folgen. Auch sie erhoffen sich für diesen Kampf eine Entlohnung im Paradies. Religionen haben also durch Konzepte und Gesetze Gewalt legitimiert, gut geheißen, verherrlicht oder missbraucht. Andere Ursachen für Gewalt im Namen der Religion, wie politische Unterdrückung, wirtschaftlich prekäre Situationen oder mangelnde Bildungsmöglichkeiten, treten bei der Verf. in den Hintergrund.
Neuere Forschungen zum Koran verstehen die koranischen Offenbarungen
als eine Art Mitschrift der Gemeindebildung der sich neu etablierenden
muslimischen Gemeinde in Mekka und Medina.[2] Daher ist es für die
heutige Auseinandersetzung mit dem Koran wichtig, nicht nur die Suren
des Korans in chronologischer Abfolge ihrer Entstehung zu betrachten,
sondern darüber hinaus auch deren Offenbarungsanlässe zu
berücksichtigen, sofern diese überliefert sind. Durch diese
Form der Betrachtungsweise lassen sich Aushandlungsprozesse, das
heißt Prozesse der Anerkennung und Ablehnung von christlichem und
jüdischem Gedankengut im Koran verdeutlichen und sie erlaubt
darüber hinaus das Aufzeigen genuin arabischen Gedankengutes.
Bereits früh haben muslimische Korankommentatoren sich mit der
Surenchronologie und den Offenbarungsanlässen auseinandergesetzt.
Sie haben die Verse des Korans, wie beispielsweise al-Tabari (gest.
923), nicht nur grammatikalisch und lexikalisch beschrieben, sondern
sie auch in ihrem historischen und sozialen Kontext verortet, um eine
Grundlage für ihre Interpretation zu bereiten. Diese frühe
und über lange Zeit tradierte Vorform einer historisch-kritischen
Methode ist jedoch nicht mit heutigen wissenschaftlichen Standards und
Möglichkeiten zu vergleichen. Aufgabe heutiger Theologen und
Historiker ist es daher, immer wieder Verse zu hinterfragen und im
heutigen Licht zu betrachten. Ein prominentes Beispiel dafür sind
die Verse der Sure 2, 190-193 [… Und tötet sie, wo immer ihr sie
trefft, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben. …], die
oft als sogenannte Gewalt- oder Skandalverse bezeichnet werden. Sie
werden häufig aus ihrem Offenbarungskontext herausgerissen und von
religiösen Eiferern, selbsternannten Islamkritikern, Politikern
oder Journalisten geleichermaßen genutzt, um ihre jeweiligen
Argumentation zu untermauern. Beachtet man den Offenbarungskontext, so
ergibt sich aus diesen Versen keine allgemeingültige Erlaubnis zum
Kampf gegen Andersgläubige, sondern Regelungen für eine
zeitlich befristete und umfänglich begrenzte Anwendung von Gewalt
gegen die Bewohner Mekkas. Die Verse beziehen sich auf einen speziellen
Anlass, den Bruch des Vertrags von Hudaybiya im Jahr 628 oder 629. Es
gilt daher zu untersuchen, ob Verse eine allgemeine Gültigkeit
aufweisen und wie diese zu interpretieren ist, oder, ob Verse auf ein
spezielles einzelnes Ereignis bezogen sind.
Frau Koslowskis Aufsatz zeigt eine Fülle von
gewaltbefürwortenden Passagen in den drei monotheistischen
Religionen. Sie plädiert für eine neutrale und
vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit diesen problematischen Passagen.
Eine solche Herangehensweise kann zukünftig sowohl innerhalb einer
Religion, als auch im interreligiösen Dialog zu notwendigen und
fruchtbaren Debatten führen.
[1] Vgl. beispielsweise:
Tim Karis: Mediendiskurs Islam. Narrative in
der Berichterstattung der Tagesthemen 1979-2010, Wiesbaden 2013.
[2] Vgl. Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin, 2010.
Zum Gutachter:
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, geb. 1971, ist Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für Religiöse Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Diskussionsbeiträge
1. Dr. John D’Arcy May, Melbourne
Dieser Aufsatz ist wichtig und erscheint zur richtigen Zeit. Die Verbindung von Religion und Gewalt - in den Einstellungen der Menschen aber auch in der politischen Wirklichkeit - ist zum wichtigsten Einwand gegen Religion überhaupt geworden. Wie die Autorin mit Recht betont, ist diese Verbindung gerade für die monotheistischen ‚Abrahamischen’ Religionen eine Herausforderung. Darunter fällt die ‚Kriminalgeschichte’ des Christentums, nicht zuletzt der Römisch-Katholischen Kirche, doch das heikelste Thema in der gegenwärtigen Diskussion ist der Ruf des Islam als Förderer religiös legitimierter Gewalt. Die Autorin greift diese Frage unerschrocken auf und lenkt unsere Aufmerksamkeit – meines Erachtens völlig zu Recht – auf deren theologischen Charakter. Der Islam, wie das Christentum, ist eine Offenbarungsreligion, deren Denkstruktur selbstrechtfertigend ist. In breiten Schichten des heutigen Islam wird eine Fundamentalkritik an seiner Basis in einer heiligen Schrift und seiner Auslegungs- und Rechtstradition vollkommen ausgeschlossen. Dies macht es schwierig bis unmöglich, in eine theologische Auseinandersetzung mit dem Islam in westlich-christlichen Kontexten einzutreten.
Die Autorin ist sich bewusst, dass die Religion im Hinblick auf ihre
Beziehung zur Gewalt zutiefst ambivalent ist. Zwar kann sie ohne
Schwierigkeit aus dem Qur’an den Satz rechtfertigen, der Islam
fördere Gewalt gegen Ungläubige und drohe mit grausamen
göttlichen Strafen. Doch ebenfalls lässt sich belegen, dass
der Islam extrem tolerant ist und Ansätze zur Friedfertigkeit
enthält. Nur die Muslime selbst können die grundlegenden
theologischen Probleme ihrer Tradition lösen, so wie nur
Katholiken die Öffnung zur modernen Welt und zu den anderen
Kirchen und Religionen, die das II. Vatikanische Konzil einleitete,
vollbringen konnten. Doch die Autorin weist auch darauf hin, dass in
mehreren muslimischen Ländern das gemeine Volk und manche
Würdenträger die Terrorakte islamischer Extremisten insgeheim
gutheißen. An dieses Phänomen heran zu kommen, wird ungleich
schwieriger sein – aber wiederum können nur die Muslime selbst
dies leisten.
Judentum, Christentum und Islam haben gemeinsam die
gewaltdurchtränkte Tradition der hebräischen Bibel, die zur
Rechtfertigung von Kriegen, Verfolgungen und dem Foltern von
Abtrünnigen immer wieder herhalten musste. Gerade die
Abraham-Isaak-Geschichte spielt eine zentrale Rolle in allen drei
Überlieferungen, vielleicht am Angemessensten in der islamischen.
Interessanterweise meint die Autorin, dass im Mittelpunkt der
Erzählung nicht so sehr der Glaubensgehorsam steht, wie die
konventionelle christliche Interpretation lautet, sondern das Versagen
Abrahams, der dem unmenschlichen göttlichen Befehl nicht
widersteht, sondern in letzter Minute von der grausamen Tat durch Gott
abgehalten werden muss. Überhaupt scheut sie sich nicht, ihre
eigene Meinung zu vertreten („Ich vertrete die These...“). Die ist
manchmal kontrovers (Rehabilitierung der apokatastasis panton des
Origenes, Gewalt im Neuen Testament). Aber das Thema fordert neue
Denkwege, um an das Problem der behaupteten Unfehlbarkeit schriftlicher
Quellen und dogmatischer Instanzen heran zu kommen. Der Artikel ist
sehr gut geschrieben und ausführlich dokumentiert, und er verdient
es auf jeden Fall veröffentlicht zu werden.
Dr. John D’Arcy May, geb. 1942, Australian Catholic University, Melbourne.
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