Gutachten zu Hornung

Gutachten und Diskussionsbeiträge zu Esther Hornung, doing identity doing, biography, doing conversion in den Analysekategorien „Geschlecht“, „Konfession“, „Heimat“

Übersicht:

Gutachten:

1.Dr. Antonia Leugers, Universität Erfurt
2. Dr. Maria Heidegger, Universität Innsbruck


1. Dr. Antonia Leugers

Gutachten zum Diskussionspapier Esther Hornung, doing identity doing, biography, doing conversion in den Analysekategorien „Geschlecht“, „Konfession“, „Heimat“

1. Esther Hornung liefert mit ihrem Aufsatz einen exemplarischen Beitrag dafür, wie einer historischen Fragestellung nachgegangen werden sollte. Sie legt die für die Beantwortung notwendigen Werkzeuge bereit und erläutert ausführlich deren Funktion. Somit könnte der in inhaltlicher und formaler Hinsicht klug überarbeitete Aufsatz später zu einem Modell werden in der (kirchen-)historischen universitären Ausbildung im Hinblick auf Genderforschung, neuere Performanzansätze (doing identity, doing biography, doing conversion) und Analysekategorien („Geschlecht“, „Konfession“, „Heimat“). „Der lange Marsch in die Institution“ (Angelika Schaser, Falko Schnicke) [1] zur Etablierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an den Universitäten wird nämlich erst dann an sein Ziel gekommen sein, wenn das Wissen um die theoretischen und methodischen Grundlagen und deren Anwendung auf konkrete Fragestellungen auch praktisch eingeübt und diskutiert werden. [2]


2. Konversionserzählungen in den (Auto-)Biographien (Selbstzeugnissen) von Protestantinnen, die im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts zum Katholizismus übertraten, sind als Untersuchungsgegenstand und Untersuchungszeitraum gut gewählt. Hornung kann sich auf neuere angelsächsische, niederländische, französische und deutsche Forschungsliteratur, vor allem aber auf eine Vielfalt methodischer Ansätze diverser Disziplinen stützen. Sie zitiert diese so ausführlich, dass man tatsächlich den Eindruck gewinnt, es handele sich bei ihrem Aufsatz um einen Reader mit den wesentlichsten Originalauszügen für ein (kirchen-)historisches Theorie- und Methoden-Seminar.


3. Geht man davon aus, dass der Aufsatz in der universitären Ausbildung eingesetzt werden sollte – als open access online-Angebot von theologie.geschichte ist dies ohne weiteres möglich – , so bleibt noch der Ausbau eines bislang unzureichend dargestellten Parts. Hornung eröffnet und schließt den Aufsatz mit dem Hinweis auf die protestantische Konvertitin und religiöse Schriftstellerin Cordula Wöhler, deren Biographie eine methodische Herausforderung sei. Sie erwähnt Wöhler allerdings im Beitrag nur beiläufig an zwei Stellen (die kirchenpolitische Brisanz von Konvertitinnen in der Kulturkampfzeit; der geographische Wechsel Wöhlers von Mecklenburg nach Tirol). Erst mit einer durchgängigen Anwendung der zuvor von Hornung erläuterten methodischen Schritte auf das Exempel Cordula Wöhler wäre der Beitrag sozusagen ganz rund. Da Hornung sich mit der Biographie Wöhlers bereits befasste und sogar – was sie erstaunlicherweise unerwähnt lässt – eine Wöhler-Briefedition im Jahr des Erscheinens ihres Aufsatzes publizierte, [3] wären die Ergebnisse ihrer biographischen Wöhler-Forschungen sicher hervorragend einzuflechten.


4. Welche Ergebnisse sich hinsichtlich der Bedeutung von Männern in der Konversionserzählung Wöhlers zeigen werden (Rolle des katholischen Geistlichen im Konvertitenunterricht, Rolle des geistlichen „Seelenführers“ nach der Konversion, späte Heirat usw.), die ebenfalls mithilfe der Analysekategorien „Geschlecht“, „Konfession“, „Heimat“ zu untersuchen sind, wird nicht zuletzt kirchenhistorisch von besonderem Interesse sein. [4]


Zur Gutachterin:

Dr. Antonia Leugers, geb. 1956, Katholizismusforscherin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erfurt.


 [1] Vgl. Angelika Schaser, Falko Schnicke, Der lange Marsch in die Institution. Zur Etablierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an westdeutschen Universitäten (1970-1990), in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 16 (2013), S. 79-110; vgl. auch Esther Hornung, Die Wahrnehmung der Geschlechterkonstruktion. Ein integrativer Ansatz der Kirchengeschichte, in: Kirchliche Zeitgeschichte 22 (2009), S. 292-307.

[2] Vgl. beispielsweise die Dissertation ohne jegliche Erläuterung eines methodischen Ansatzes von: Regina Illemann, Katholische Frauenbewegung in Deutschland 1945-1962. Politik, Geschlecht und Religiosität im Katholischen Deutschen Frauenbund (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen Bd. 133) Paderborn 2016.

[3] Esther Hornung (Hg.), „Und nun, meine herzliebe Clara, behüt’ Dich Gott für heut’“. Cordula Wöhler privat. Edition ausgewählter Briefe, Hamburg 2016.

[4] Vgl. Marianne Heimbach-Steins, Die Gender-Debatte – Herausforderungen für Theologie und Kirche, Köln 2015.


2. Dr. Maria Heidegger

Gutachten zum Diskussionspapier Esther Hornung, doing identity doing, biography, doing conversion in den Analysekategorien „Geschlecht“, „Konfession“, „Heimat“

1. Der Text behandelt die Performanz in den bzw. innerhalb der Kategorien Geschlecht, Konfession und Heimat oder aber auch die Anwendung der interdependenten Kategorien Konfession und Heimat auf das Problem der alltäglichen Performanzen des doing gender. Im Zentrum stehen Methodenfragen rund um biographische Zugriffe allgemein und in Bezug auf die Forschung zu Konvertitinnen im langen 19. Jahrhundert im Speziellen. Dabei macht es die Autorin des Diskussionspapiers den Leserinnen und Lesern nicht gerade leicht, ihr durch einen Dschungel von langen Zitaten aus der Sekundärliteratur zu folgen. Was schade ist, denn den Schlüssel zu ihrem Text hält E. Hornung in der Hand in Form der ihr bestens vertrauten Biographie der 1916 verstorbenen Schriftstellerin, Konvertitin und Auswanderin nach Tirol Cordula Wöhler, bekannter als Cordula Peregrina. Diese wird einleitend mit einem ihrer innigen Marienlieder zitiert und leider nur kurz wird auf ihr heute fast vergessenes Leben verwiesen, am Ende des Textes erscheint Cordula Peregrina noch einmal und zwar als Propagandafigur der Tiroler Konservativen. Dazwischen gibt es nur wenige kurze Erwähnungen ihrer Person. Doch gerade diese kurzen Verweise oder auch Stellen, die Assoziationen zur Peregrina nahelegen, wirken wie Wegweiser durch den Text. Die Biographie der Peregrina hat aber ohne Zweifel das Potential, später im Zentrum eines fertig ausgearbeiteten Artikels zu den Performanzen des doing identiy, doing biography und doing  conversion – oder auch „Doing Heimat“ zu stehen.  Die Einflechtung autobiographischer und biographischer Details zur Peregrina könnte die methodologische Reflexion zu den Differenzkategorien Geschlecht, Konfession und Heimat geradezu vorbildlich anleiten.  Mein Vorschlag also: mehr exemplarisch anhand der eigenen Forschung argumentieren und weniger auf Basis der meiner Ansicht nach viel zu langen und auch nicht immer gut angeknüpften Zitate aus der Forschungsliteratur. Die Argumente, die für eine intersektionale und performative geschlechterkritische Methodologie sprechen, ließen sich so noch viel überzeugender herausarbeiten.

2. Und diese Argumente sind gut und wichtig. Vor allem interessant sind meines Erachtens die in den Biographien der Konvertitinnen nachspürbaren Performanzen innerhalb von „Konfession“ und „Heimat“, beides verstanden nicht als Entitäten, sondern als Fragekategorien. Die Differenzkategorie „Geschlecht“ wird zunächst, ebenfalls weitgehend nachvollziehbar, als Teil des „doing identity“ strukturell alledem unterlegt. Wobei allerdings stets ausschließlich das „weibliche“ autobiographische Schreiben und weibliche Konvertieren thematisiert werden und sich die Frage nach dem „doing conversion“ der männlichen Konvertiten im Verhältnis dazu als ungeklärt geradezu aufdrängt. Existiert hierzu eigentlich bereits Forschungsliteratur? Hinweise wären willkommen.

3. Weniger wäre manchmal mehr. Es gibt aus meiner Sicht ein paar Unsicherheiten und/oder Brüche. Manchmal gerät die Autorin entlang der ausführlichen Sekundärzitate über den Wegrand hinaus, um im Bild zu bleiben. Als Bruch habe ich beispielsweise den Verweis auf ein Konzept der Volkskultur gelesen. Und dann gehört der Text noch hinsichtlich der Fehler in den Literaturzitaten überarbeitet. Winfried Schulze nicht Schulte, beispielsweise.

4. Rund um die Kategorie „Heimat“ tauchen im Text einige wirklich spannende Assoziationen auf, die aus meiner Sicht den besonderen Mehrwert und die Originalität des Aufsatzes ausmachen – umso mehr, wenn die Autorin auch hier mit der Figur der Peregrina entsprechende Anker setzen möchte. Besonders originell in diesem Zusammenhang erscheint mir die Thematisierung des doing identity und doing conversion als Teil des doing biography vor dem Hintergrund des romantisierten Landlebens, wobei  gerade dazu, zur Konstruktion von Sehnsuchtsräumen als historischer Prozess wie auch als doing identity-Prozess noch mehr Kontextualisierung wünschenswert wäre. Ich sehe da gerade historische Prozesse in der Sattelzeit als relevant an würde von daher auch den Begriff der Sattelzeit nicht einfach gemeinsam mit einer Fundamentalkritik an großen entwicklungsgeschichtlichen Ansätzen vom Tisch wischen. Wichtig aus meiner Sicht – und entlang eines stärker exemplarischen Zugriffs wäre dies auch leichter zu gewährleisten – wäre allemal eine präzise historische Verortung der gewählten Beispiele/des gewählten Beispiels. Für die Geschichte der Konvertitinnen verweist die Autorin einmal auf die Sattelzeit, für Peregrina auf die Zeit des Kulturkampfes. Das sind keine Beliebigkeiten, hier knüpfen Fragen nach Heimat, Nation, prozesshafte Fragen historischen Wandels (und vielleicht auch Vergessens) an. Angeregt von Hornungs Text denke ich, dass es auch lohnenswert wäre, die Verknüpfung von Heimat mit Kindheit als ebenfalls narratives Konstrukt weiter zu reflektieren. Also: Aus der Lektüre von Hornung ergeben sich weitere Ideen und das ist ein großes Plus.

5. Noch ein Gedanke am Ende: Warum wählte Peregrina Tirol? Für das „Doing Heimat“ in ihrem Fall finden sich hierzu gewiss eine Reihe von interessanten autobiographischen Belegstellen. Aber: Was ist ihr Tirol? Wird Tirol narrativ oder auch sonst zu ihrer/einer Heimat? Oder ist das ein nie abgeschlossener Prozess, ein Bemühen, eine Auseinandersetzung mit einer sich abgrenzenden Umgebung. Und wie sieht es denn mit einem gleichzeitigen „Undoing Heimat“ oder Loslösen vom Konstrukt „Heimat“ aus?

Zur Gutachterin:
Dr. Maria Heidegger, geb. 1969, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck.



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