theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Stefan Zinsmeister

Tagungsbericht: Gott denken nach der Schoah in Christentum und Judentum

Von Gott reden in dunklen Zeiten – darüber diskutierten Studierende, Wissenschaftler/innen und Zeitzeugen auf der Tagung „Gott denken nach der Schoah in Christentum und Judentum“, die vom 17.-18. Mai 2007 in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Stuttgart-Hohenheim mit finanzieller Unterstützung des Akademievereins stattfand. Geleitet wurde die Tagung von Maria Theresia Zeidler, Akademiereferentin, und Johanna Rahner, Professorin für Dogmatik an der Universität Bamberg. Studierende aus Bamberg hatten sich bereits im Vorfeld in einem von Prof. Dr. Rahner angebotenen Seminar mit dieser Thematik befasst und konnten so aktiv am Tagungsgeschehen teilnehmen.

Stand die Frage „Wo war Gott in Auschwitz?“ im Zentrum klassischer Ansätze einer Theologie nach der Schoah, beschäftigt die jüngere theologische Diskussion eher die Frage „Wo war der Mensch in Auschwitz?“. Die Tagung befasste sich mit der Reflexion dieser Entwicklung in der Gottesrede, mit einer aktuellen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen in Deutschland sowie der unterschiedlichen Perspektive verschiedener Generationen auf die Schoah. Vor allem Letzteres prägte die angeregten Diskussionen, denn nicht nur die Referent/inn/en, sondern auch die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren recht unterschiedlichen Alters.

„Brauchen wir einen anderen Gott?“

Im einleitenden Referat „Brauchen wir einen anderen Gott?“ thematisierte Daniel Krochmalnik, Professor für Jüdische Philosophie in Heidelberg, alte jüdische Deutungen und neue Herausforderungen im Angesicht der Geschehnisse von Auschwitz. In einem Rückblick über die letzten 60 Jahre legte er dar, wie im Judentum angesichts der Schoah, wo kein Gott „mit starker Hand und ausgestrecktem Arm“ sich zeigte, mit jüdischen Traditionen, beispielsweise der Haggada, versucht wurde umzugehen. Außerdem erläuterte Krochmalnik, wie sich in der jüdischen Theologie die Frage „Wo warst du Gott?“ zu der Frage „Wo warst du Mensch?“ gewandelt hat.

Mit diesen Fragen beschäftigten sich daraufhin kleine Arbeitsgruppen. In den Workshops stellten die Studierenden der Katholischen Fakultät Bamberg jüdische und christliche Ansätze einer Gottesrede nach Auschwitz vor. In einer vertiefenden Textarbeit näherten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Anleitung der Studierenden den Ansätzen von Autoren wie Johann Baptist Metz, Elie Wiesel, u.a. an. Angeregt durch die teilweise provokanten Thesen entbrannte eine lebhafte und intensive Diskussion zwischen Alt und Jung.

Hans Hermann Henrix, Direktor der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen i.R., bündelte im Anschluss die in den Kleingruppen diskutierten Denkansätze und unterstrich in seinem Vortrag die Bedeutung jüdischer Konzepte für die christliche Theologie. Neben den Ansätzen von David R. Blumenthal und Hans Jonas als Herausforderung für die christliche Theologie und ihrer Rede von Gott nach Auschwitz, hob Henrix Emanuel Lévinas’ These hervor, dass die Sehnsucht nach der Allmacht Gottes ihren prospektiven Sinn darin enthalte, dass der ethische Anspruch des Menschen die unbegrenzte Verantwortung für den Anderen einfordere. Dies gelte sogar für diejenigen, die von der gegenwärtigen Verantwortung nicht mehr erreicht werden könnten, also die Leidenden der Vergangenheit und die Toten.

Dialog der Generationen

Dass eine jüngere Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Vergangenheit auf neue Weise wahrnimmt, verdeutlichte der zweite Tag der Tagung. Im Mittelpunkt stand die neuere theologische Beschäftigung mit der Gottesrede nach der Schoah, welche das heutige jüdisch-christliche Verhältnis und die Täterperspektive stärker in den Blick nimmt. Die in Edinburgh lehrende Judaistin Hannah Holtschneider fragte in ihrem Referat nach der Relevanz der Kategorien, in denen Christen und Juden bislang miteinander gesprochen haben, für eine konkrete Verhältnisbestimmung zwischen Juden und Christen im heutigen Deutschland. In einer kritischen Auseinandersetzung mit früheren gegenseitigen theologischen Zuschreibungen von Christen und Juden, forderte die junge Wissenschaftlerin, diese durch eine Kontrastierung mit der konkreten Lebenswirklichkeit aufzubrechen So fragte sie, welchen Beitrag säkulare Juden zum Dialog leisten könnten und ob tatsächlich Juden beim Dialog stören würden, wenn sie die ihnen zugewiesene Rolle nicht spielen könnten oder wollten. Oder, so formulierte Holtschneider provozierend, könnte die postulierte christliche Abhängigkeit vom historischen wie lebendigen Judentum gefährlich für Juden werden?

Norbert Reck vertrat in seinem engagierten Vortrag die These, dass es auch nach Auschwitz für Christinnen und Christen möglich sei, von Gott in starker Form zu sprechen. Johann Baptist Metz komme das Verdienst zu, die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt theologischer Überlegungen gerückt und die verbliebenen Träger der NS-Gesellschaft ihrer Selbststilisierung als Opfer enthoben zu haben. Durch die Beschäftigung mit Erzählungen von Holocaust-Überlebenden kam Reck allerdings zu dem Ergebnis, dass er sich nicht mehr mit den Opfern identifizieren dürfe. Vielmehr gelangen nun die, die sie geopfert haben, - die Täter - ins Blickfeld. Deshalb gelte es, nicht selbstgefällig zu fragen, „Wo war Gott damals?“, sondern „Wo waren die Christen damals?“. Vehement wehrte sich der Münchner Theologe gegen Rechtfertigungsfiguren und Unschuldsmythen, die aus der Perspektive der Täter unbewusst tradiert werden könnten. Im Rekurs auf den Glauben von Christen und Christinnen im Widerstand entwickelte er dagegen eine Theologie, die die Täter nicht entlastet. Am Beispiel Martin Niemöllers und Sophie Scholls zeigte er, dass beide, indem sie ihren Glauben mit Blick auf die Täter erkämpften und bewahrten, Gott als jemanden bezeugten, der Unrechtstaten nicht billige, sondern Menschen in die Verantwortung rufe, in ihrem Handeln gegenwärtig sei und dadurch machtvoll wirke. Ein solcher Glaube an Gott sei kein billiger Trost. Umso mehr mache er bestürzt.

Angeregt durch die Vorträge kam es zu einer lebhaften Abschlussdiskussion. Die Studierenden hatten zuvor schon in den Pausen jede Gelegenheit zum Gespräch mit den anderen Teilnehmern genutzt, um von deren Erfahrungen zu lernen und Eindrücke auszutauschen. Dadurch konnte der beabsichtigte Dialog zwischen den Generationen stattfinden. Es wurde allerdings auch deutlich, wie verschieden die Fragestellungen der älteren und jüngeren Generation auf Grund ihrer unterschiedlichen biographischen Ausgangspositionen sind.

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