Christian Wevelsiep
„Umstrittene Geschichte. Der Genozid an den Armeniern und die Aufgabe der Historie“
Einleitung
Die Debatten um die vom Bundestag zuletzt verabschiedete Resolution
(„Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und
anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916) erinnern
daran, dass Geschichte nicht vergeht, dass eine schlimme Vergangenheit
immer wieder die Gegenwart „einholt“. Das gilt für die Geschichte
der Gewalt im allgemeinen, für die juristische Aufarbeitung von
Massenmord und Genozid im besonderen. Es gilt auch für den
ältesten, vermeintlich vergessenen Völkermord des 20.
Jahrhunderts, den Genozid an den Armeniern.
Dieser
Völkermord von 1915 fand nicht nur im Schatten der Ereignisse des
Ersten Weltkrieges statt, er kennzeichnet ebenso ein historisches
Umschlagmoment. Er ereignete sich vor dem Hintergrund der
Herausbilddung des türkischen Nationalstaats, bzw. dem Verfall des
großosmanischen Reiches und stand zugleich im Schnittpunkt der
Kriegsverläufe an der Kaukasusfront. Die Begleitumstände der
Morde erschienen wie ein Vorspiel zukünftiger genozidaler
Handlungen: die Verfolgung begann nach der verheerenden Niederlage der
Dritten Osmanischen Armee bei Sarikamis im Januar 1915 gegen die
russischen Truppen. Für die Niederlage wurden die Armenier
verantwortlich gemacht, vorrangig von dem nationalistisch und
pantürkisch eingestellten Komitee für Einheit und
Fortschritt. Die der osmanischen Armee dienenden Armenier wurden
entwaffnet, demobilisiert und in Arbeitsbataillone zusammengezogen. Die
Entwaffnung wurde auf die gesamte armenische Bevölkerung
Ostanatoliens ausgeweitet, bis schließlich im April 1915
Deportationen von Zaitun aus begannen. Der Innenminister Talat Pascha
ließ Tausende von armenischen Gemeindeführern verhaften und
hinrichten wie auch armenische Notabeln in Istanbul und Smyrna;
schließlich wurden die in den Ostprovinzen ansässigen
Armenier ausgesiedelt, die Männer an Ort und Stelle hingerichtet,
während Frauen, Alte und Kinder zu Fuß oder mit Zügen
deportiert wurden. [1].
Der armenische Genozid steht in einem größeren strukturellen Zusammenhang. Wenn auch von pantürkisch eingestellten Mitgliedern des Komitees für Einheit und Fortschritt Gründe geltend gemacht wurden, die auf den Vorwurf der Kollaboration oder des Verrats zielten, so stehen doch tieferreichende Motive hinter den Ereignissen. Dan Diner erblickt in den Verfallsprozessen des Osmanischen Reiches vorrangig den Prozess der „Ethnifizierung der Religion“[2]. Religiöse Gemeinschaften des imperialen Großreiches verwandelten sich nach und nach in „Millets“. Territoriale Ordnungsvorstellungen breiteten sich aus, geltende lokale Repräsentationen wurden national überschrieben; Mehrheiten und Minderheiten formten sich heraus. Osmanische Territorialverluste flankierten die Ereignisse: Bulgarien sagte sich 1908 von osmanischer Herrschaft los, Bosnien-Herzegowina wurde durch Österreich-Ungarn annektiert, der tripolitanische Krieg von 1911 gegen Italien und die Balkankriege von 1912/13 trieben den Prozess der Auflösung des osmanischen Imperiums voran. Die über mehrere Generationen erfolgende Umwandlung eines multinationalen und multireligiösen Großreiches in einen homogenen Nationalstaat führte zu Radikalisierungen, an deren Ende die Gewalt stand – die Gewalt etwa der gegenseitigen Vertreibungen von Muslimen und Orthodoxen im Lauf der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen von 1919 wie eben auch der armenische Genozid. Als konkrete „Gründe“ des Völkermordes kann man insofern die mörderische politische Dynamik benennen, die ja zu Beginn des Jahrhunderts mehrere Großreiche betraf und geradezu einer Signatur des 20. Jahrhunderts ähnelte: Ethnische Attribute der sich türkifizierenden Individuen bestimmten den nationalen Charakter, die Unterscheidung von Dazugehörigen und Nichtdazugehörigen gehört bekanntlich zu diesem Muster. Die politische Dynamik entäußerte sich im schwelenden Konflikt zwischen Minderheiten und Mehrheiten, in systematischer Entrechtung, die von administrativer Hand gesteuert wurde.
Der armenische Völkermord hat insofern sowohl eine historische wie auch eine politische Seite. Die historischen Gewalterfahrungen, die durch weitere Gewalthandlungen in den folgenden Jahrzehnten fortgesetzt wurden, waren Ausdruck einer politischen „Rationalität“. Nicht das gerne bemühte Motiv, dass sich tief verwurzelte Abneigungen von verfeindeten Gruppen Bahn brechen, ist hier entscheidend, sondern die dahinter stehende Politik. Diese Politik zeichnete sich, wie Mihran Dabag schreibt, durch konsequente Planung der Maßnahmen, Konsequenz anhand von Gesetzen und Erlassen sowie durch besondere Legitimationsstrategien aus, insgesamt also Maßnahmen, mit denen das jungtürkische Regime seit 1908 die Gestalt des Osmanischen Reiches in seinem Sinne zu ändern versuchte. Der Genozid erscheint demnach als „integraler Bestandteil dieses konstruktiven Prozesses der Gestaltung einer modernen türkischen Nation“ [3]. Freilich werden diese Geschehnisse bis heute nicht in dem Maße von der Republik der Türkei anerkannt, wie es die historischen Erkenntnisse nahelegen würden: die den Völkermord planenden Täter werden mitunter als „nationale Helden“ verehrt, die Muster der Relativierung und Verharmlosung werden von amtlicher Seite gestützt. Die Feststellung eines systematischen Genozids wird einem staatsfeindlichen Akt gleichgesetzt und kann „als Beleidigung des Ansehens der Türkei“ verstanden und sogar strafrechtlich verfolgt werden[4].
Nun soll es im folgenden keineswegs alleine um ein nationales Narrativ oder um die Kritik an einer hermetischen Staatswahrheit gehen, sondern um die schwierige, umkämpfte Rolle der Geschichtswissenschaft im weiten Feld der Gewaltgeschichte. Denn, wenn man zunächst offenlegt, dass z. B. die nationale Historiographie den möglichen Nachweis einer systematischen Vernichtungsabsicht verneint und sich die Historie unter bestimmten Bedingungen für politische Zwecke vereinnahmen lässt, dann scheint sich die Funktion der Geschichte vordergründig der Wiederherstellung einer Gerechtigkeitsvorstellung zu verschreiben. Die Phänomene der Leugnung, Verdrängung und Relativierung wären somit in einem Prozess der Versachlichung zu thematisieren, nicht zuletzt um für die Gemeinschaft der Überlebenden und deren Nachkommen Formen der Erinnerung zu ermöglichen. Allerdings ist die Frage aufzuwerfen: geht es hierbei um nachholende Gerechtigkeit? Wenn aus einer bloßen Vergangenheit eine spezifische oder persönliche Geschichte wird, werden entweder kalte Verfahren der objektivierenden Repräsentation oder gleichsam „heiße“ Aspekte der Vergangenheit bemüht, die lebensdienlich sein sollen. Der „heiße“ Aspekt der Geschichte ist aber gleichsam der schwierigere: jedwede Form der Erinnerung hat immer auch mit Fragen der Gegenwart, der Identitätssuche, des jeweiligen Identitätsgefühls zu tun. Stets kann sich in die Erinnerungsarbeit ein Motiv mischen, das nach dem Eigenen fragt, stets können sich in kollektiven Akten Überhöhungen, Egoismen, Sakralisierungen, Ausschließungsprozesse entfalten.
Diese Schwierigkeit ist bekannt und kann natürlich reflektiert werden. Aber eine weitere Schwierigkeit auf theoretischer Ebene ist zu erkennen, wenn der Geschichte selbst eine Gerechtigkeitstendenz zugeschrieben wird. Seit die Geschichte als Gesamtzusammenhang überhaupt denkbar ist, steht sie vor der berechtigten Frage, inwieweit ihr eine innewohnende Gerechtigkeit angesonnen werden kann. Reinhart Koselleck spricht in diesem Zusammenhang von letzten und vorletzten Modellen der Geschichte, die zueinander in Konkurrenz stehen[5]. Die Geschichte wird für ihn dann absurd, wenn unter nachtheologischen Bedingungen die ausgleichende Gerechtigkeit des Jüngsten Gerichts entfällt. In der Geschichte ist eine absurde Unauflöslichkeit mangelnder Gerechtigkeit enthalten. Das Absurde und Unfassbare, was mit herkömmlichen Maßstäben einer begründeten Gerechtigkeit zu bewerten wäre, versagt im Angesicht der totalitären Gewalt. Was hier für die Sinnlosigkeit der Vernichtung in Auschwitz gilt, kann man durchaus auf andere Aspekte der Gewalt ausweiten: Gerechtigkeit als nachholende Sinnstiftung versagt, denn „keine Schuldzurechnung und keine Erklärung kann das Ereignis selbst einholen“[6]. Moral und Rationalität, Gerechtigkeit und Wiederherstellung sind mit anderen Worten Anliegen, die in diesem Fall kategorial fehlerhaft sind. Die Ungerechtigkeit der Gewalterfahrung bleibt unauflösbar. Allerdings: Man kann Koselleck in dieser abstrakten Diktion folgen und man kann doch gleichzeitig nach Sinnformen der Geschichte suchen, die nicht in utopischen oder heilsgeschichtlichen Vorstellungen aufgehen. Nicht eine Absage an den Sinn der Geschichte, sondern der Anlass, eine Dimension historischen Denkens freizulegen, wird im Angesicht der historischen Gewalterfahrungen offenbar. Beide angedeuteten Schwierigkeiten: die Tendenz einer selektiven Erinnerungsarbeit wie auch die Überfrachtung der Vergangenheit mit säkularisierter Heilsgeschichte führen hier zur Notwendigkeit, den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart eingehend zu reflektieren. Der Genozid an dem armenischen Volk ist dabei keineswegs ein Mittel zum Zweck, sondern an diesem Gewaltereignis zeigt sich die Dringlichkeit, Spannungsmomente der Geschichte auf eine Weise zu thematisieren, so dass historiographische Sinngebungen möglich sind. Die nun folgenden Überlegungen dienen daher dem Nachweis, dass die Einordnung der Vergangenheit des Genozids auf Grundlagen der Historik und Anthropologie verwiesen ist.
Wenn wir im allgemeinen nach den günstigen Strategien der historischen Vergegenwärtigung von Gewalterfahrungen fragen, wird man auf Kulturen der Erinnerung verwiesen, die besonderen Prinzipien folgen: das Bedenken der Vergangenheit in der Gegenwart benötigt einen spezifischen Dialog, die gesellschaftliche Begegnung unterschiedlicher Kollektive, den Austausch zwischen Nationen und Gemeinschaften von unten. Dies beschreibt eine Erinnerungspraxis mit einem hohen Anspruch: nicht der manichäische Wertehimmel ethnozentrischer Gemeinschaften, sondern die wechselseitigen Begegnungen je eigener „Geschichten“ ermöglichen ein angemessenes modernes Geschichtsbewusstsein[7]. Im Idealfall erwirbt die Geschichte, bzw. das historische Wissen eine kulturelle Orientierungsfunktion. Die Vergangenheit wird nicht nur einfach verobjektiviert und einer Wahrheit angenähert, sondern sie erhält Deutungen und Bedeutungen für jemanden. Darüber hinaus gewinnt sie den Status einer Geschichte für die Gegenwart, das heißt, sie macht den Menschen dazu fähig, Handeln und Leiden im jeweils aktuellen zeitlichen Wandel der Lebensverhältnisse zu reflektieren.[8] Freilich klingt dies, als würde jede Erinnerung im luftleeren Raum, bzw. in einem recht unpolitischen Bedeutungsrahmen verbleiben. Dass dies nicht der Fall ist, wird insbesondere im Fall des armenischen Genozids deutlich, wenn wir die geschilderte Tendenz zur politischen Schließung von Geschichtsbildern bedenken. Der entscheidende Punkt, von dem die folgenden Ausführungen ausgehen, liegt insofern im Schnittfeld zwischen Erinnerung, Macht und Moral: Die Vergegenwärtigung der Geschichte thematisiert moralische Selbstauslegungen der Menschen; die Moral aus historischer Erfahrung heraus zu formulieren, ist aber eine erheblich komplexere Angelegenheit. Ein Verständnis von Moral, das aus historischen Gewalterfahrungen und im besonderen aus dem Ereignis des armenischen Genozids abgeleitet werden soll, lässt sich zwar auf eine Idee moralischer Unbedingtheit beziehen, muss aber auch die historische Realität unterschiedlicher Moralentwürfe in einem moralischen Universum anerkennen[9]. Anders formuliert: es gibt einen philosophischen Gewissheitsanspruch, der auf Unbezweifelbares im Modus objektiver Geltung zielt. Im Bereich der modernen Geltung des Menschenrechts sind solche unbezweifelbaren „Wahrheiten“ jedermann zugänglich. Aber mit Blick auf die Geschichte lässt sich ebenso ein Bereich moralischer Grundüberzeugungen ausgrenzen, dessen moralische Weltbeschreibung keineswegs wohlgeordnet erscheint. Die moralisch-praktische Aufgabe ist es insofern, die historische Erfahrung als Ressource zu nutzen, um kommunikative Zusammenhänge zu erschließen, die den universalistischen Hintergrund der spezifischen Gewalterfahrungen bilden. Die Erfahrung der Ausbildung dominanter moralischer Selbstauslegungen kann als ein Schlüssel dienen, um einen universell zugänglichen, moralischen Standpunkt zu erwerben. Nur ein hermeneutischer Zugang, der sich über fundamentalanthropologische Begriffe definiert, kann dieser Zielstellung genügen: aus der Unmittelbarkeit der historischen Erfahrungen der Gewalt des Genozids einen moralischen Bedeutungsraum für die Gegenwart zu erschließen.
1. Umstrittene Erinnerung: Der
Völkermord an den Armeniern
Ein erster oberflächlicher Blick auf die Umstände des
Gedenkens verrät freilich nicht, warum die Politik der Erinnerung
so schwierig sein sollte. Ein nüchterner, die objektiven Fakten
resümierender Blick könnte die international anerkannte
Faktenlage der historischen Ereignisse zusammenfassen. Demnach
ließen am 24. April 1915 die jungtürkischen Machthaber im
Osmanischen Reich Hunderte von Armeniern, darunter Journalisten,
Geistliche, Juristen in Istanbul verhaften und später ermorden,
wurden christliche Armenier der Kollaboration mit den Russen
verdächtigt und offiziell aus dem Osten des Landes deportiert. Im
Zuge dieser Deportationen kam es zu einem der größten
Verbrechen des angehenden 20. Jahrhunderts, wurde eine Anzahl von
Personen, deren Schätzungen von 800.000 bis 1,5 Millionen
variiert, getötet[10].
Die Anerkennung einer systematischen
Mordaktion, die sich in verschiedensten Dokumenten niederschlägt,
gehörte demnach zu dieser nüchternen Betrachtungsweise.
Verschiedene
Indizien sprechen dafür, dass es im Fall des
armenischen Genozids zu einer problematischen Inanspruchnahme, bzw.
Instrumentalisierung der Geschichte kommt. Höchst aktuell
erscheint die Entscheidung der türkischen Regierung, den Tag der
Gedenkfeier des 18. März auf den 24. April zu verschieben, wobei
zwei geschichtsträchtige Ereignisse von 1915 miteinander
konfligieren. Am 18. März 1915 rückte bekanntlich eine
französisch-britische Koalition auf die Halbinsel Gallipoli vor,
um die Dardanellen zu erobern und Russland über das Schwarze Meer
im Kampf gegen den Kriegsgegner Deutschland beizustehen; der 18.
März gilt im türkischen Gedächtnis als heroische
Abwehrschlacht, als Tag der Märtyrer nach einer Reihe von
demütigenden Niederlagen des Osmanischen Reiches. Die
Überschreibung des 24. April, der als Auftakt zu den folgenden
Ereignissen des Genozids gilt, ist somit ein zumindest eigenwilliger
politischer Akt. Er rückt den „ehrenhaften Widerstand“ der Nation
in Gallipoli an die Stelle, an der es um das Gedenken an die Opfer des
armenischen Genozids gehen müsste[11].
Diese Entscheidung ist
freilich im Kontext einer Bildungs- und Geschichtspolitik zu
betrachten, die von vielen Seiten problematisiert wird. Der historische
Unterricht, der die politischen Entwicklungen des Osmanischen Reiches
im 20. Jahrhundert behandelt, ist an objektiven Maßstäben
gemessen durch selektive historische Betrachtungen, Auslassungen und
einseitige Interpretationen geprägt. Der Mord an den Armeniern
wird auf ein „Armenierproblem“ herunter gestuft, der Genozid von 1915
wird verschwiegen, wohingegen die Beschuldigungen der europäischen
Öffentlichkeit als ungerecht dargestellt werden. Erwähnt wird
in den aktuellen didaktischen Werken[12]
lediglich der Beschluss und die
Verabschiedung des Deportationsgesetzes, nach dem etwa 700.000
armenische Staatsbürger in ein kriegsfreies Gebiet nach Syrien
umgesiedelt wurden.
Historiker/innen sprechen angesichts dieser Sicht auf die Geschichte von Gedächtnisverlust, von Realitätsverweigerung und Verdrängung. Nicht aber die naheliegende Kritik an der aktuellen Geschichts- und Bildungspolitik soll hier wiederholt werden, sondern etwas erheblich Schwierigeres. Wie ist der allgemeine Rahmen einer Theorie historischer Verantwortung zu beschreiben, der die traumatischen Erfahrungen und Opferperspektiven einerseits, die hemmenden Faktoren der Gedächtnispolitik andererseits umgreift? Eine historiographische Perspektive, die sich der Entwicklung eines universalen, am Menschenrecht orientierten Gedenkens orientiert, müsste verschiedene Gesichtspunkte integrieren. Sie müsste sich zum einen an einem Begriff menschlicher Authentizität orientieren, was vorrangig bedeutet, die Leidenserfahrungen der Betroffenen und damit Sinnperspektiven geschichtlicher Brüche zu thematisieren. Nicht allein die politischen Begleitumstände – dass der Völkermord im Schatten des Ersten Weltkrieges von der Regierung des Osmanischen Reiches inszeniert wurde, dass er bei den Nichtbeteiligten ins Nichtbewusste herabsank und durch politisches Kalkül ins Vergessen geriet – sondern die Tatsache, dass die Überlebenden und Nachkommen „unter einem doppelten Trauma der unverjährbaren Last des Erlittenen und der zusätzlichen Last durch die Leugnung“[13] leiden müssen, kennzeichnet solche Authentizität. Subjekt- und erfahrungsorientierte Authentizität wird des weiteren aber auch durch historische Objektivität flankiert. Die historischen Fakten von genozidalen Ereignissen verweisen auf systematische Planungen, soziale und politische Handlungsmuster, die die Isolierung und Vernichtung einer bestimmten Gruppe im Vorfeld ermöglichen, schließlich auf die Umsetzung eines Vorhabens ethnisch-politischer „Säuberung“, das als politische Lösung ausgeflaggt wird. Diese Orientierung am Maß des Objektiven und Faktischen wird jedoch durch den Prozess der historischen Urteilsbildung durchzogen, bei der Ursachen, Motive, Strategien, Methoden und weitere ursächliche Faktoren bestimmt werden. Die Genozidforschung steht damit nicht nur im Spannungsfeld von Objektivität und Parteinahme, sondern auch von Vergangenheit und Zukunft[14]. Sie ermöglicht einen unverstellten Blick auf verallgemeinerbare Strukturen und Motivationen im zeitlichen Vorraum eines Völkermordes, der im Auftrag einer (nationalen) Zukunft, im „Wissen um die Radikalität der Tat“ sowie mit dem „Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Transformation in kürzester Frist“ geschieht[15]. Die Genozidforschung ermöglicht des weiteren auch eine Thematisierung von Strukturen der Leugnung, die nicht selten die Strukturen des Genozids in bestimmter Weise fortführen. Mihran Dabag identifiziert die wichtigsten Argumentationsmuster, die darin bestehen, dass die Zahl der Toten und der Opfer langfristig immer wieder neuen Diskussionen um ihre Richtigkeit ausgesetzt wird, dass den Genozid ermöglichende Strategien als nachvollziehbare Maßnahmen deklariert werden oder dass an tradierte Redewendungen über das „Wesen“ oder die substantiellen Eigenschaften eines Volkes angeschlossen wird[16]. Muster der Leugnung, Relativierung oder der Widerlegung lassen sich jedoch bis in die politisch-diskursive Gegenwart nachverfolgen, was sich etwa an der Amtlichkeit der diskursiven Muster belegen lässt. „Die Feststellung, dass 1915/16 ein öffentlicher, systematischer Genozid stattgefunden hat, der 1,5 Millionen Tote verursachte und das armenische Leben in der Türkei radikal beendete, wird als staatsfeindlicher Akt eingestuft und kann als `Beleidigung des Ansehens der Türkei` strafrechtlich verfolgt werden. Eine homogene Herrschaftselite, die sich auf sämtliche Institutionen stützt, hat ihre Version der Geschichte gewissermaßen als Staatswahrheit nach innen und nach außen festgeschrieben und ist bemüht, jeden Diskurs über den Gegenstand, jedwede Differenzierung zu unterbinden und alle Spuren armenischen Lebens in der heutigen Türkei zu löschen.“[17] Die Notwendigkeit, einen theoretischen Rahmen historischer Narrativität zu ziehen, darf man insofern als gegeben betrachten. Aber die semantischen, formalen und normativen Bedingungen eines Argumentationsrahmens, der eine umfassende und universale Geschichtsbetrachtung ermöglicht, sind nicht unproblematisch. Es geht nicht alleine um die Verhinderung der Schließung eines politischen Diskurses noch um die Kritik einer historiographischen Zweckbindung. Weit anspruchsvoller geht es beim Bedenken der Geschichte in einem historisch-moralischen Rahmen um das Wechselspiel von Selbstkritik und Anerkennung dessen, welches sprachlich schwer fassbar erscheint.
2. Zur Frage der Übertragbarkeit
von Gewalterfahrungen
Eine der Möglichkeiten, der Geschichte der Gewalt einen
Sinn zu
verleihen, besteht verkürzt gesagt darin, Geschichte „von unten“
zu erzählen und die Perspektive der Betroffenen und der Nachkommen
einzunehmen, Geschichte also aus der Mitte existentieller Erfahrungen
heraus zu erzählen. Die oben beschriebene Ambivalenz spiegelt sich
exemplarisch in einer einzelnen Biographie, der Geschichte des
Armeniermädchens Asiya, deren Mutter Safiye 1915 auf einem der
Deportationsmärsche von einem Soldaten mitgenommen wurde. Asiya,
eine der vermeintlich letzten Nachfahren der Opfergeneration wohnt in
den anatolischen Bergen in einem Dorf namens Cüngüs; sie ist
eine derjenigen armenischen Nachkommen, die bei türkischen oder
kurdischen Familien aufgenommen wurden, um zu überleben. Die
Bekanntmachung der Existenz Asiyas wurde zum Anlass von Pilgerfahrten,
von Zusammenkünften der Nachfahren in der Diaspora, die in der
Frau ein Verbindungsglied zu den eigenen Vorfahren erkennen wollten[18]18.
Die Bürde der Vergangenheit wiegt auch hier schwer, insofern
Überleben bedeutete, die eigene Identität als christliche
Armenierin zu verbergen. Die Versuche nachfolgender Generationen, das
historische Unrecht ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken, stehen
dabei in einem besonderen Zwiespalt: die schwach dokumentierten
Ereignisse zu „beweisen“, und gleichsam aber auch
Identitätskonstruktionen und Identitätsfixierungen in Kauf zu
nehmen. Gleichwohl stellt sich zuallererst eine viel grundlegendere
Frage. Sind spezifische Erfahrungen, zumal solche der Gewalt,
überhaupt übertragbar? Die Frage der Memoria auf diese Weise
zu stellen, bedeutet mit Reinhart Koselleck, Formen und Traditionen des
negativen Gedächtnisses zu beschreiben. Erfahrungen des Negativen,
zu denen Genozid und Vertreibung gehören, sind in Formen der
Erinnerung zu überführen. Das Ethos der Memoria der Gewalt
verpflichtet dazu, die Erinnerung an Terror und Massenmord,
Vernichtungswillen und Vernichtungshandlungen aufrecht zu erhalten.
Gleichwohl ist die Frage Kosellecks in einem besonderen Sinne hoch
bedeutsam: ob mit der Erinnerung an das Vergangene gleichsam ein
Maßstab der Gerechtigkeit gefunden wird, mit dem die Geschichte
ein nachträgliches Korrektiv erwirbt. Die Frage mag irritieren und
zu Missverständnissen führen. Es geht freilich nicht um die
Frage, ob es einen Maßstab der Moral gibt, mit dem man Gewalt
verurteilen könnte, was natürlich der Fall ist. Es geht
vielmehr um das Bestreben, dem Ausmaß und der Abgründigkeit
der Gewaltverbrechen durch die Vorstellung einer hinreichend
einklagbaren Gerechtigkeit zu begegnen. Im Falle der
nationalsozialistischen Verbrechen versagt für Koselleck dieser
Maßstab, denn die Absurdität und Sinnlosigkeit von Auschwitz
lässt herkömmlichen Maßen keinen Raum, sie erstickt
jedweden Versuch der Sinnstiftung, die versuchte, rückwirkend die
Totalität der Verbrechen der nationalsozialistischen Deutschen
einzuholen oder einzulösen[19]19.
Es gibt keinen Sinn und keine
ausgleichende Gerechtigkeit „nach Auschwitz“ – man ist
unwillkürlich versucht, diese Einsicht auf andere
außergewöhnliche Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts
auszudehnen. Für die Erfahrung der Gewalt gilt, dass sie eine
Primärerfahrung ist, die nicht einfach „weitergegeben“, „vererbt“
oder „übertragen“ wird. Eine Phänomenologie der Gewaltsamkeit
verdeutlicht, was hier mit Unübertragbarkeit gemeint ist:
Ängste, die dem Bewusstsein in den Lagern gleichsam eingebrannt
wurden, Schmerzen, die an Körper und Seele hervorgerufen wurde,
Ohnmacht, die durch Prozeduren der Gewalt erzeugt wurde, ferner die
Aussichtslosigkeit entschwundener Freiheit oder die Hoffnungslosigkeit,
die mit der ständigen Drohung des Todes einher ging – dies sind
primäre Erfahrungen, die im eigentlichen Sinne nicht
übertragbar sind und die sich, wie Koselleck einprägsam
schreibt, wie „Lavamasse“ in die Leiber der Zeitgenossen ergossen
haben[20]. Diese
Erfahrung lässt sich vielleicht zum Ausdruck
bringen, aber sie bleibt eine primäre Negativerfahrung des
Terrors, die nicht auf das Gedächtnis Anderer zu übertragen
ist. Gilt dies nicht auch in dem hier gemeinten Sinne für die
„einmaligen“ Erfahrungen, die dem armenischen Volk zugemutet wurden?
Auch in diesem Fall müssen wir uns Situationen unmittelbarer
Gewalt vor Augen halten: wenn den Armeniern eröffnet wurde, dass
sie innerhalb kürzester Zeit die Städte verlassen und dabei
ihre Habe zurück lassen sollten, wenn Truppen in die Häuser
eindrangen und mit gezückten Waffen die letzten Winkel nach
„unerwünschten“ Personen suchten, das anhaltende Gewehr- und
Geschützfeuer, das Zusammentreiben der Menschen mit allen
denkbaren Gewaltmitteln, die Todesmärsche und der allseits
spürbare Tod durch die Hand gewaltfähiger Gruppen, durch
Hunger oder Erschöpfung – vor diesen Erfahrungen versagen alle
Versuche reflexhafter Sinnstiftung. Sie lassen sich vielleicht
nacherzählen, aber geben doch auch einen Einblick in die
existentielle Grundsituation zwischen möglicher Sprache und
unmittelbaren Leiden. Nicht unerheblich erscheint angesichts dessen die
Frage, mit welchen begrifflichen Mitteln wir die Konstitution der
geschichtlichen Welt überhaupt beschreiben können.
Skeptische
Stimmen der Historik betonen die negative Botschaft, mit
denen die Nachgeborenen umgehen müssen. Für diese Einsicht
lässt sich eine hermeneutische Tiefendimension heranziehen:
interexistentielle Verhältnisse, in die wir von Anbeginn
eingelassen sind, sind von Ferne und Entzogenheit,
Schutzbedürftigkeit und Negativität durchdrungen. Solche
Negativität in der Interexistenz wird zuallererst durch die
Einsicht in die instrumentell und pragmatisch untilgbare Entzogenheit
und Unverfügbarkeit der Mitmenschen erzeugt. Jegliche
Sinnentwürfe sind unableitbar und aus sich selbst heraus
gültig, die singuläre Totalität des Lebens zeigt sich in
der Gestalt der Nichtobjektivierbarkeit und nur unter Einbezug von
pragmatischer Entzogenheit und Fragilität[21]. Was aus Sicht der
Historik mit Blick auf die Unwiederbringlichkeit der historischen
Existenz gesagt wird, findet aus universalanthropologischer Sicht ein
begriffliches Kreditiv: nur in den Aspekten negativer Selbsterkenntnis
zeigen sich die Grenzen der Konstitution der moralischen Praxis, nur
mit Blick auf die Einmaligkeit der singulären Totalität
können wir kommunikative Interexistentiale, etwa des dialogischen
Erinnerns, sinnvoll beschreiben.
Die Behauptung einer Unübertragbarkeit einmalig gemachter Erfahrungen ist dabei um einiges tiefgreifender, als man vielleicht vermutet. Das, was nicht übertragbar ist, resultiert aus einer primären interexistentiellen Ferne. Die Entzogenheit im Leben der Menschen füreinander meint freilich keineswegs, vor der unausweichlichen Gewalt zurückzuweichen und die vergangenen Geschehnisse achselzuckend hinnehmen zu müssen. Im Gegenteil, aus der unverfügbaren Gegebenheit der menschlichen Grundsituation ergeben sich moralische Perspektiven. Die Weise des Erinnerns des Negativen ist primär moralischer Natur; das moralische Urteil über das, was vor, während und nach dem Furor der Vernichtung passierte, ist eindeutig, klar, unzweifelhaft, es ist als Unrecht moralisch unbestreitbar. Die für die Gemeinschaft der Überlebenden möglichen Formen der Erinnerung sind allerdings vor schwierige Bedingungen gestellt: da sie durch die Gewalt das Zentrum ihres Gemeinschaftslebens verloren hatten und durch verschiedene Phasen der Segregation und Ausgrenzung gedrängt wurden, konnten die armenischen Nachfahren nur sehr bedingte Formen der Memoria entwickeln. Die überwiegende Mehrheit der Überlebenden waren Kinder im Alter von bis zu neun Jahren, „die durch Zufall unter den Leichen liegenblieben, die aus den Todesmärschen herausgenommen wurden und in kurdischen Dörfern am Wegesrand blieben.“[22] In welchen Formen ließe angesichts dessen sich die Memoria dieser Leidenserfahrung bilden? Wie könnte eine verbindende identitätsstiftende Erzählung an diese Ereignisse anknüpfend formiert werden? Neben den wenigen offiziellen Formen der Bewahrung und Weitergabe, verbindender Rituale und Gedenktage dominiert die mündliche Weitergabe des Erfahrenen, die Vergegenwärtigung des extremen Verlusts, die „Konversion der Erfahrung in Erinnerung und Erzählung“[23], wie sich auch zuletzt künstlerische Formen in Film und Literatur als Eigenschaft der Memoria ausgeprägt haben – Formen des Widerstands gegen staatlich sanktionierte Gedächtnispolitik. Für Mihran Dabag ruft insofern die armenische Erinnerung primär die „Frage nach Worten und nach politischer Anerkennung“[24] hervor. Zwei Aspekte sind es insofern, die im Besonderen darzustellen sind, die Frage, wie sich Erfahrungen und Erinnerungen in Erzählungen oder gar Historisierungen fortsetzen könnten sowie die weitreichende Frage nach einer umfassenden historischen Verantwortung.
3. Die Frage der Bewahrung der
Erinnerung
Verschiedene Probleme sind mit dem Prozess der Umwandlung von
Erfahrung
in Erinnerung verbunden. Nicht nur für den Fall des armenischen
Genozids, sondern im allgemeinen gilt, dass negative Ereignisse der
Vergangenheit mit der Privilegierung von Opferkollektiven
verknüpft werden können. Das Leiden an den
Unrechtserfahrungen der Vergangenheit kann zu Verengungen führen,
bei denen es im schlechteren Fall zu Opferhierarchien, Konkurrenzen, zu
einem Streit der Identitätspolitik kommt. Das Leiden wird
gleichsam zu einem kostbaren Besitz, das zur Abgrenzung benötigt
wird[25]. Allerdings ist
eine Lösung im weiten Feld der
Identitätspolitik nicht ohne Widersprüche zu haben.
Verschiedene Spannungsmomente der Bedingungen möglicher Geschichte
zählen zu diesen nicht eindeutig aufzulösenden Problemen.
Zwischen der Möglichkeit der sprachlichen Bewältigung der
Gewalt und der vergangenen Wirklichkeit besteht eine unaufhebbare
Differenz, Ereignisse haben im Vollzug des Geschehens eine andere
Seinsweise als die Sprache selbst, die danach gesprochen wird. Zwischen
dem unmittelbaren Leiden und der nachfolgenden Sprachhandlung bleiben
Differenzen, an denen sich Historik und Hermeneutik vergeblich
abarbeiten[26]. Grenzen
der Darstellbarkeit und Grenzen der sprachlichen
Erfassung bedingen daher die narrativen Strukturen. Es ist schwierig,
wenn nicht unmöglich, schreckliche Wahrheiten gleichzeitig
kognitiv zu durchdringen und sie zum Ausdruck zu bringen, denn die
Wirklichkeit bleibt „außerhalb der Grenzen menschlicher
Vorstellung; auch diejenigen, die sie erlebt haben, können sie
nicht in ihrer Ganzheit erzählen; alle stammeln, jammern,
vergießen Tränen und erzählen verstümmelte
Tatsachen.“[27] Das
Erfahrene stößt an die Grenzen der
Sprache. Das Katastrophale entzieht sich den Bemühungen der
Narration, die narrative Struktur muss das Bruchhafte der Erfahrung –
dass der gewöhnliche soziale Rahmen zerstört, die
fortschreitende Geschichte „beendet“ und die gültigen Bedeutungen
verloren wurden – integrieren.
Auf einer anderen Ebene der Historie erschließt sich in diesem Zusammenhang aber eine weitere Schwierigkeit. Wenn, wie gezeigt, zwischen Sprache und Leiden eine unaufhebbare Differenz bestehen bleibt und sich in der Geschichte der Gewalt gewissermaßen elementare Kräfte zeigen, an denen sich die Sprache vergeblich abarbeitet, stellt sich gleichsam das Problem der Wiederkunft des Gleichen. Die Wiederholungsstrukturen der Geschichte bilden ein granitenes Fundament. Hermeneutische Bemühungen des Sinnverstehens sind scheinbar dazu verurteilt, auf ein selbstläufiges Geschehen, auf den ewigen Tanz um Macht, Gewalt und Zerstörung zu reagieren. Die vorsprachlichen Strukturen, bzw. die „ewigen“ Bestimmungen der Geschichte, zwischen oben und unten, innen und außen, Freundschaft und Feindschaft, können zwar sprachlich vermittelt werden, aber sie sind doch auch etwas Eigenständiges, das der Sache nach nicht in sprachlicher Verständigung aufgeht. Die Wiederholungsstrukturen der Geschichte gleichen demnach Formationen der Endlichkeit in einem auch außersprachlichen Bereich.
Zwei grobe Richtungen lassen sich nun unterscheiden, mit diesem Problem umzugehen. Sehr vereinfacht gesprochen, könnten sie als pragmatische und geschichtsphilosophische Wege der Auseinandersetzung beschrieben werden. Pragmatisch können wir mit Blick auf die Geschichte der Gewalt fragen, warum Feindschaft und Gewalt die Menschheit seit Anbeginn begleiten und warum spezifische Gewalterfahrungen wie ein steinerner Gast der sozialen Welt erscheinen. Man könnte darüber hinaus gehend fragen, wie sich die Wiederholungsstrukturen der Gewaltfeindschaft vermeiden lassen und wie zu verhindern sei, dass sich eine schlimme Erfahrung der Vergangenheit wiederholt. Aber dieser Weg ist schwierig. Zwar sind die normativen Konsequenzen einer schrecklichen Vergangenheit schlichtweg eindeutig. Sie sollten sich, wie alle extremen und belastenden Formen der Gewalt, nicht wiederholen. Aber es kann freilich nicht darum gehen, die Rolle der Historie als „Magistra Vitae“ zu erneuern, wie sie in früheren Zeiten geltend gemacht wurde im Sinne von: aus den Erfahrungen der Vergangenheit klug für die Gegenwart zu werden. Es bedarf einer anderen Geschichtsphilosophie, deren Sinn sich nicht darin erschöpft, aus exemplarischen Geschichten der Vergangenheit zeitenthobene Geltungen und Regeln für die Gegenwart zu erhalten: Die Historik als Lehre von den Bedingungen möglicher Geschichte fragt nicht nach dem, was zu tun sei und wie die Zukunft zu gestalten sei. Die Machbarkeit der Geschichte ist missverständlich, denn es geht in der Historie vielmehr um die theoretisch zu erbringenden Vorgaben, die begreiflich machen, warum sich bestimmte Geschichten ereignen. Die Erfahrung des gegenseitigen Totschlagenkönnens wird in diesem Rahmen zu einer Art transzendentaler Kategorie[28]. Dass Gewaltfeindschaften sich wiederholen, dass Menschengruppen in der Geschichte immer wieder glaubten, sich gegenseitig umbringen zu müssen, verweist die Geschichte auf die fundamentale Opposition von Feindschaft und Freundschaft. Anders formuliert: Feindschaft ist als denknotwendige und unhintergehbare Kategorie zu verstehen, die jederzeit existentiell ausgefüllt werden kann und die – in dieser abstrakten Diktion – erst die eigentliche Leistung des Friedens hervortreten lässt.
Der Standpunkt der Historik zentriert sich um eine Form skeptischer Anthropologie. Aber er muss keineswegs auf die granitene Gestalt des Politischen im Sinne Carl Schmitts bezogen werden; jedenfalls geht dieser Standpunkt nicht in jenem Begriff des Politischen auf. Eher ist es so, dass die Erfahrung der Gewalt jenseits der rein pragmatischen Perspektive einen geschichtsphilosophischen Fluchtweg offenhält. Am Leitfaden einer geschichtsphilosophischen Erzählung erhält die erzählte Geschichte eine grundsätzlich andere Verhältnisbestimmung. In der normativen Dimension erkennen wir in der gewaltsamen Vergangenheit eine Aufgabe. Etwas, das sich als unmittelbare und erschreckende Gewaltsamkeit zu erkennen gibt, ist für zukünftige Zeiten zu bedenken. Die Vergangenheit zeigt sich als nicht-sein-sollende, ungewisse Zukünftigkeit. Die vergangenen Erfahrungen gleichen uneinholbaren Sinnvorgaben, die die Geschichte allem Verstehen aufnötigt. Damit ist eine bestimmte Form der Geschichtsphilosophie vorgezeichnet, die sich von den herkömmlichen Formen abhebt. Nicht die Geschichten von Siegern und Verlierern, weder die Geschichte großer Männer, noch der Blickwinkel der Ausgeschlossenen und Unterdrückten im Schatten bilden den letztgültigen Standpunkt. Sondern die Auseinandersetzung mit dem verborgenen, entzogenen und in sich selbst intransparenten Sinn, das sich dem Verstehen direkt Widersetzende. Die philosophische „Bewältigung“ der Gewalt ringt mit einem Negativen, das nicht verstanden werden kann, weil es aus dem Bereich des Erkennbaren ausgeschlossen ist und zugleich die Grenze des Verstehenkönnens berührt. Es ist das Motiv der Leidenserinnerung, bzw. das Bemühen, das unbegriffene Leiden als grundlegende Sinnlosigkeitserfahrung zu bestimmen, das den Kern historischer Arbeit ausmacht.
4. Die Kategorie der Verantwortung
Somit
wäre abschließend zu fragen, in welchem Sinne
historische Verantwortung zu verstehen ist, damit das zuvor Gesagte
sinnvoll integriert werden kann. Zwei Schwierigkeiten der historischen
Arbeit wurden zuvor aufgezeigt: die eigentliche Unübertragbarkeit
primärer Erfahrungen und die immer nur bruchstückhafte
Erinnerung an das Geschehene, das an der Grenze des
Verstehenkönnens steht. Beide Aspekte mahnen zur Vorsicht
gegenüber dem Bestreben, einen rein pragmatischen Umgang mit
Geschichte zu verfolgen. Nicht die Machbarkeit der Geschichte, sondern
die Herausforderung des Negativen, die zwischen Sinnverlangen und
Sinnentzug steht[29],
bildet den Inhalt und Zweck kulturell-historischer
Sinnbildung. Gerade deshalb aber ist es wichtig, den Begriff der
historischen Verantwortung als Sinnkriterium zu schärfen.
Verschiedene Möglichkeiten, durch historisches Erzählen dem
Vergangenen einen Sinn zu verleihen, böten sich an. Woraufhin die
historische Sinnbildung, bzw. die konkrete Orientierungsfunktion
historischen Erzählens im Zusammenhang von äußersten
Gewalterfahrungen abzielt, ist jedoch eine komplizierte Fragestellung.
Denn es geht zum einen natürlich um Sprachhandlungen, mit denen
sich vergangenheitsorientierte Bedürfnisse in bestimmte Interessen
umsetzen lassen. Durch den Prozess des Erinnerns schreiben sich die
Menschen in den Fluss der Zeit ein und versuchen dabei, ihre
Identität zu bewahren und darüber hinaus konkrete
Vorstellungen zu verwirklichen. „Historisches Erzählen bildet
Kontinuitätsvorstellungen über Erfahrungen des zeitlichen
Wandels. Es wird dabei getragen von dem Bedürfnis seiner Autoren
und Adressaten, in einem solchen Wandel ihre Identität zu
behaupten, sich selbst in ihm nicht zu verlieren, sondern zu gewinnen,
sich in ihm durch ihr Handeln als Subjekte zur Geltung zu bringen.“[30]
Solches Erzählen verwandelt auf der Ebene von
Handlungsorientierungen Naturzeit in menschlich gestiftete Zeit, es
gibt sich als ein Erzählen zu erkennen, das Wunden heilt.
Erzählte Geschichte steht daher hier vorrangig zwischen
traditionalen und kritischen Narrativen, genauer betrachtet steht es im
Schnittpunkt beider Erzählformen. Für die Erinnerung zentral
ist zunächst die Überlieferung des Geschehens, bei der die
Erinnerung in etwas Überdauerndes geführt wird. Wir kennen
diese Form der Historiographie von den sogenannten „großen
Geschichten“: eine göttliche oder königliche Herkunft wird
erinnernd hervorgebracht, eine Gemeinschaft erinnert sich ihres
mythischen Ursprungs, um sich ihrer selbst zu vergewissern, Nationen
festigen ihre Identität durch die Erzählung ihrer Entstehung,
usw.. Jeweils scheint sich ein historisches Bedürfnis an
Kontinuität und Identität auszudrücken. Kreist die
erinnernde Vergegenwärtigung jedoch um ein radikal Negatives, dann
wird die traditionale Erzählung durchbrochen. Die
Selbstverständigung über eine Herkunft verliert ihre Mitte,
sie kann sich jedenfalls nicht einfach auf einen positiven Kern der
Stiftung berufen, sondern muss sich gleichsam im Modus kritischen
Erzählens gegen die herkömmliche Tradition wenden.
Ist
somit der Begriff der historischen Verantwortung als Erinnerung an
die Gewalt der Vergangenheit zu verstehen? Historische Verantwortung
lässt geschichtliche Erfahrungen und moralische Verhältnisse
ineinandergreifen. Sie greift aber über die bloße Markierung
von Identität und Erinnerung hinaus, insofern sie verlangt,
dass man sich im öffentlichen Raum über Vergangenheit
und Gegenwart auseinandersetzt. Ein systematisch tragfähiger
Begriff von Verantwortung zielt insofern besonders auf die Bereitschaft
und die Fähigkeit, sich mit Ereignissen der Vergangenheit, auch
mit den schmerzvollen und tiefgreifenden Erfahrungen, zu
beschäftigen. Diese Verantwortung ist gewissermaßen
grenzenlos, denn sie umfasst die Interaktion zwischen mehreren
Generationen, verschiedenen Kollektiven, zwischen Nationen und
Völkern mit ihren jeweiligen Ideen und Interessen. Die enge
Verbindung von moralischen Prinzipien, politischen Interessen in einem
historischen Bedeutungsraum macht diese Dinge nicht einfacher: aktuell
lässt sich beobachten, wie sich Realpolitik gegen wertegeleitete
Politik behaupten muss, insoweit die deutschen und türkischen
Regierungen faktisch auf enge Zusammenarbeit verwiesen sind, es aber
nach wie vor Probleme mit der Erinnerungspolitik gibt, die immer wieder
das Tagesgeschäft durchbrechen. 2015 fanden im Deutschen Bundestag
Debatten um das Gendenken an den armenischen Völkermord vor
einhundert Jahren statt, bei denen einige Abgeordnete klare Worte zur
Tatsache des Genozids fanden, andere wiederum diplomatische
Formulierungen bevorzugten, um auf aktuelle Befindlichkeiten der
türkischen Regierung Rücksicht zu nehmen[31]. Bekanntlich
mündeten diese Debatten in der Resolution: „Erinnerung und
Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und andern
christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916.“[32], die von
einer Vielzahl von intensiven, auch internationalen politischen
Auseinandersetzungen begleitet wurde.
Wie
immer man diese aktuellen Entwicklungen bewertet – die Kategorie
historische Verantwortung ist auf beiden Seiten wahrzunehmen.
Bekanntlich war das Deutsche Kaiserreich als enger Verbündeter der
Osmanen für den Massenmord in einem besonderen Sine
„verantwortlich“: Zumindest war man über die Ereignisse gut
informiert und trotz zahlreicher Proteste linker und konservativer
deutscher Politiker hatte die Regierung dem Morden tatenlos
gegenüber gestanden. Verantwortlichkeit meint hier also nicht nur
die konkrete Ausführung von Handlungen, sondern auch die
vielfältigen sozialen Verflechtungen eines Geschehens, die Distanz
zu einem Geschehen, das bewusste Wegschauen, das mangelnde Interesse an
bedrohten Subjekten zugunsten machtpolitischer Präferenzen. Eine
wertegeleitete Politik könnte sich auf diese Aspekte konzentrieren
– und scheitert dann letztlich doch, wenn sie sich einfach „nur“ auf
die universalistischen Werte ihrer eigenen Kultur beruft. Die
Schwierigkeit der dialogischen Auseinandersetzung liegt in der
möglichen ethnozentrischen Drift, bei der die eigenen kulturellen
Lebensformen unterschwellig auf- und die andern abgewertet werden. Die
Gefahr eines „wertebasierten“ Diskurses liegt in dem kurzfristigen
Gewinn der kulturalistischen Eindeutigkeit, der eigentlich eher einem
Verlust gleichkommt. Eindeutigkeit meint Sätze, die auf kulturelle
Überlegenheit unterschwellig abzielen: die eigene historische
Kultur wird positiv bewertet, weil sie normative Tiefe und
einen
positiven Ausgang hat, die eigene
Entwicklung wird als kontinuierlicher
Verlauf vorgestellt, ohne fremde Einflüsse und Verflechtungen zu
bemerken; schließlich kann sogar die wertegeleitete Entwicklung
einer Kultur als hochwertig angesehen werden. Polemisch gesprochen:
„Andere“ können diesen Grad an Reflexion nicht erreichen, weil sie
sich dieses Niveau durch partikulare Interessen und vermeintlich
niedrige Beweggründe verstellen. Im Extremfall stellt sich Europa
dann als Hort der Menschenrechte und als Vorzeigemodell des Friedens
„gegen die Unruhe der Welt“[33]
dar. Ein anderer Weg ist also
vonnöten, der sich, wie oben beschrieben, auf negativistische
Impulse einlassen muss. Einen Gewinn erzielen kann ein gemeinsames
Geschichtsbewusstsein nur im Rückbezug auf negative Erfahrungen in
das historische Selbstverständnis, aber dies ist wohl ein Prozess,
den keine Gemeinschaft für andere vollziehen kann. Ethnozentrische
Geschichtsbilder, die gut und böse, rohe Gewalt und
Friedensfähigkeit, Toleranz und Fundamentalismus in
manichäischen Bildern ausdrücken, verfehlen die notwendige
kommunikative Struktur eines geteilten Geschichtsbewusstseins. Dessen
Kern liegt in einem stetigen Prozess von Erfahrung, Verarbeitung und
Interpretation, der einen geschichtlichen Bedeutungsraum erst hervor
treten lässt[34].
Was es verlangt, ist: Anerkennung von Brüchen
und negativen Erfahrungen, Eingedenken an Schreckenserfahrungen der
eigenen Geschichte, die ohne ethnozentrische Abwertung gelingt – eine
ungemein schwierige Herausforderung nicht nur für die kulturelle
Sinnproduktion, sondern schon für den alltägliche
Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb europäischer Grenzen.
Der „Fall“ des armenischen Genozids hat insofern eine zweifache
geschichtspolitische Bedeutung. Er steht für den notwendigen Blick
in den Schatten der Geschichte, in dem sich politische Gewalt entfalten
konnte. Die konkrete Erinnerung an diesen Genozid gilt den Nachfahren
der armenischen Opfer, die für ihr Anliegen seit Jahren einen
Platz auf der globalen Agenda suchen. Die Politik der Geschichte im
allgemeineren Sinn ist aber, wie gezeigt, auf die philosophische
Rahmung eines gemeinsamen geschichtlichen Bedeutungsraums verwiesen.
[1]
Benz, W.: Ausgrenzung Vertreibung
Völkermord. Genozid im 20. Jahrhundert. München 2006,
S. 54-71
[2]
Diner, D.: Das Jahrhundert
verstehen. 1917-1989. Eine
universalhistorische Deutung. Köln, Pantheon Verlag, S. 203
[3]
Dabag, M.: Der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. In:
Knigge, V./Frei, N. (Hrsg.): Verbrechen
erinnern. München Beck, S.
33-56, hier S. 37
[4]
Ders., S. 45
[5]
Koselleck, R.: Geschichte, Recht und Gerechtigkeit. In: Ders.:
Zeitschichten. Studien zur Historik.
Frankfurt a. M. 2000, S. 336-358
[6]
Ebd., S. 344
[7]
Rüsen, J.: Europäisches Geschichtsbewusstsein. In: Ders.:
Kann gestern besser werden? Zum Bedenken der Geschichte. Berlin
2003,
S. 101; Assmann, A.: Ist die Zeit aus
den Fugen? Aufstieg und Fall des
Zeitregimes der Moderne. München 2013
[8]
Rüsen 2003, S. 96 ff.
[9]
Zimmermann, R.: Moral als Macht.
Eine Philosophie der historischen
Erfahrung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2008, S. 161 ff.
[10]
Hierzu u. a.: Benz, W.: Ausgrenzung
Vertreibung Völkermord.
Genozid im 20. Jahrhundert. München 2006, S. 54-71; Dabag,
M.:
Jungtürkische Visionen und der Völkermord an den Armeniern,
in: Genozid und Moderne. Strukturen
kollektiver Gewalt im 20.
Jahrhundert, hrsg. von Mihran Dabag und Kristin Platt, Opladen:
Leske
und Budrich 1998, S. 152-206.; ders.: Der Genozid an den Armeniern im
Osmanischen Reich. In: Knigge, V./Frei, N (Hrsg.): Verbrechen erinnern.
Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord.
München
2006, S. 33-56
[1]
Martens, M.: Erinnern, um zu vergessen. In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung vom 24. April 2015, Seite 3
[1]
Der Verfasser ist hier auf die Aussagen über türkische
Geschichtsbücher für die 10. Klassen angewiesen.
M. Martens („Es war einmal ein gutes
Osmanisches Reich“. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 04. 2015, S. 3) analysiert die
Auslassungen und Interpretationen der Verfasser türkischer
Geschichte im 20 Jahrhundert in aktuellen Lehrwerken, z. B.: Ziya
Demirel, Murat Iseri, Avni Arslan.
„10 Sinif Tarih“, Esen Verlag,
[13]
Benz 2006, S. 55
[14]
Dabag, M.: Genozidforschung. Leitfragen, Kontroversen,
Überlieferung. In: Zeitschrift
für Genozidforschung 1, 1999,
S. 6-35; Dabag, M./Platt, K. (Hrsg.):
Identität in der Fremde,
Bochum 1993; Dies.: (Hrsg.): Generation
und Gedächtnis, Opladen
1995; Dies.: (Hrsg.): Genozid und
Moderne, Bd. 1: "Strukturen
kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert", Opladen 1998;
Dabag,
M./Kapust, A./Waldenfels, B. (Hg.): Gewalt. Strukturen, Formen,
Repräsentationen. München 2000
[15]
Dabag 2006, S. 39
[16]
Ebd., S. 41-48
[17]
Ebd., S. 45
[18]
Meier, C. H.: Niemand soll uns als Armenier erkennen. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 24. 04. 2015, S. 9
[19]
Koselleck, R.: Formen und Traditionen des negativen
Gedächtnisses. In: Ders.: Vom
Sinn und Unsinn der Geschichte.
Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten. (hg. v.
Carsten
Dutt). Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014, S. 241-254, hier S. 243
[20]
Ebd., S. 244
[21]
Rentsch, Th.: Die Konstitution der
Moralität. Transzendentale
Anthropologie und praktische Philosophie. Frankfurt a. M. 1999,
S.
182-189
[22]
Dabag 2006, S. 48
[23]
Ebd., S. 49
[24]
Ebd.
[25]
Mit den folgenden Worten wendete sich der amerikanische Historiker
Charles Maier gegen die von ihm identifizierten Auswüchse der
Gedächtnisindustrie: „Warum nicht ein Museum der amerikanischen
Sklaverei? Wäre es nicht ein angemessenerer Einsatz von nationalem
Grund und Boden und Finanzen, an Verbrechen zu erinnern und zu
veranschaulichen, wofür unser eigenes Land Verantwortung
übernehmen muss? (…) Warum nicht ein Museum über indianisches
Leiden, von den Pocken und der Schlacht am Wounded Knee bis zum
Alkoholismus in den Reservaten?“ Um dieses Zitat einordnen zu
können, muss das Geflecht von politischer Erinnerungspraxis, der
Gedächtnisindustrie, damit einhergehenden Opferdiskursen und
Opferkonkurrenzen entwirrt werden. Es gibt offensichtlich ein
nachvollziehbares Bedürfnis, das Ausmaß, die
Begleitumstände und sozialen Folgen von Gewaltereignissen ins
Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Dabei entsteht jedoch in
manchen Fällen etwas, das weit über die Anerkennung des
Opfers hinausgehen kann. Maier, C. S.: „A Surfeit of Memory?
Reflections on History, Melancholy and Denial, in: History and Memory
5, Nr. 2, 1993, S. 136-151 (hier 143), zitiert nach Assmann, A.:
Das
neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.
München 2013, S. 142 f.
[26]
Koselleck, R.: Sprachwandel und Ereignisgeschichte. In: Merkur 43,
1989, S. 657-673, hier S. 660
[27]
Yessayan, Z.: In den Ruinen
(Avegneru metsch), Beirut 1957, S. 26
zitiert nach Dabag, Der armenische
Genozid, 2002, S. 50
[28]
Koselleck, R.: Historik und Hermeneutik. In: Ders.: Zeitschichten.
Studien zur Historik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 97-119
[29]
Angehrn, E.: Die Herausforderung des
Negativen. Zwischen
Sinnverlangen und Sinnentzug. Basel: Schwabe reflexe 2015
[30]
Rüsen, J.: Die vier Typen historischen Erzählens. In:
Ders.: Zeit und Sinn. Strategien
historischen Denkens. Frankfurt a. M.:
humanities online. 2012, S. 148-218, hier 162
[31]
Carstens, P.: Wie weit geht Realpolitik? In: Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung, 21 Februar 2016, Nr. 7, S. 8
[32]
Hierzu der Link: http/www.welt.de/155908117
[33]
Rüsen 2003, S. 101
[34]
Zum Begriff eines historischen Bedeutungsraums: Zimmermann, R.:
Moral als Macht. Eine Philosophie der
historischen Erfahrung. Reinbek
bei Hamburg: rowohlt 2008, S. 177-210
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