1111


Kathrin Hoffmann-Curtius, Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess, Marburg 2014, Jonas Verlag, 272 S., 25,00 EUR, ISBN 978-3-89445-495-1

 
Hoch aktuell und doch irgendwie aus der Zeit gefallen: Angesichts der bis heute andauernden Prozesse zu den Verbrechen des Nationalsozialismus und ihrer öffentlichen Diskussion, aber auch der nicht abnehmenden rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Gewalt in Deutschland, ist eine historische Zusammenstellung von künstlerischen Positionen zum Völkermord an den Juden, Sinti und Roma, wie sie Kathrin Hoffmann-Curtius zusammen mit Sigrid Philipps erarbeitet hat, seit langem überfällig. Bei der Lektüre des Bandes, der Bilder zum Judenmord in der Kunst beider deutscher Staaten von 1945 bis zu den westdeutschen Auschwitz-Prozessen der 60er Jahre zusammenstellt, kontextualisiert und kommentiert, fühlt man sich zurückversetzt in die späten 70er und frühen 80er Jahre, als die politischen Traditionen in der Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere auch der frühen Nachkriegsjahre, wiederentdeckt, dokumentiert und neu bewertet wurden.

Ausstellungen wie „Zwischen Krieg und Frieden. Gegenständliche und realistische Tendenzen in der bildenden Kunst nach 45“ (Frankfurter Kunstverein 1980) und Monographien wie die von Jutta Held zur „Kunst und Kunstpolitik in Deutschland 1945-49“ (Berlin 1981) eröffneten damals eine ganz neue Perspektive auf die Nachkriegskunst. Die entscheidende Anregung verdankt die Untersuchung von Kathrin Hoffmann-Curtius aber wohl der seinerzeit bahnbrechenden Arbeit von Ziva Amishai-Maisels, „Depiction and Interpretation. The Influence of the Holocaust on the Visual Arts” (Oxford 1993), die in internationaler Perspektive die Auseinandersetzung der bildenden Künstler mit der Ermordung der Juden in Europa dokumentierte.

Es zeichnete die frühen Arbeiten aus, dass sie nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch motiviert waren. Die engagierte Haltung, die Verbindung von Wissenschaft und politischer Ethik, die heute nicht mehr opportun und in den Kunst- und Kulturwissenschaften nur noch selten anzutreffen ist, scheint in der Arbeit von Kathrin Hoffmann-Curtius noch einmal auf. Sie hat einen klaren Kompass und scheut sich nicht, die Marginalisierung jüdischer Themen durch die Kunstgeschichtsschreibung in Deutschland immer wieder zu kritisieren. Diese Kritik bezieht sie – nicht ganz zu Unrecht – auch auf jene Arbeiten, denen sie ansonsten viel verdankt.

Die Kunstwerke, die Kathrin Hoffmann-Curtius für ihre Untersuchung zusammengetragen und ausgewählt hat, etwa 150 Arbeiten von rund 40 Künstlerinnen und Künstlern, findet man nur selten in den Museen. Sie gehören nicht zum Kanon der nachkriegsdeutschen Kunstgeschichte. Trotzdem behauptet sich in diesen Werken eine Tradition politischer Kunst mit besonderem Nachdruck und moralischer Kraft. Die Untersuchung setzt sich über das in der Kunstgeschichtsschreibung gängige Ost-West-Schema hinweg und nimmt die Bilder quer zu den kunstpolitischen Frontlinien des Kalten Krieges in den Blick. Dadurch wird eine andere, politische Geschichte der deutschen Nachkriegskunst sichtbar.

Mehr als die Hälfte des Bandes ist den frühen Nachkriegsjahren gewidmet. Es beginnt mit Horst Strempels „Nacht über Deutschland“ (1946), den Kohlezeichnungen von Otto Pankok über das Leben und die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma und den graphischen Zyklen von Lea Grundig zum Warschauer Ghetto. Bilderfolgen von Willi Geiger („12 Jahre – 20 Zeichnungen“), Leo Haas („Aus deutschen Konzentrationslagern“) und Carl Lauterbach („Ghetto-Mappe“) werden ebenso vorgestellt wie einzelne Arbeiten von Hans Grundig, Hermann Bruse, Heinrich Ehmsen und Karl Schwesig zu den Ermordungen in deutschen Konzentrationslagern. Bei dieser Auswahl wird deutlich, dass es überwiegend linkspolitische Künstlerinnen und Künstler waren, die sich in den späten 40er Jahren mit dem Thema der Verfolgung und Ermordung von Juden, Sinti und Roma und politischen Widerstandskämpfern auseinandersetzten. Eine wichtige Rolle spielten auch die Impulse aus dem Exil. Viele der Arbeiten, die nach 1945 entstanden oder erschienen, sind im Exil konzipiert oder vorbereitet worden.

Kathrin Hoffmann-Curtius rekonstruiert jeweils die Entstehungsgeschichte der Arbeiten, beschreibt und interpretiert sie, fragt nach den bildlichen Markierungen und Emblemata des Jüdischen, untersucht die Körperbilder der Opfer und stellt Vergleiche mit zeitgenössischen Pressefotografien an, die die deutsche und die internationale Öffentlichkeit 1945 mit Bildern der Opfer aus den Konzentrationslagern konfrontierten. Sporadisch wird auch die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der einzelnen Werke in den Blick genommen. Dieser Aspekt ließe sich sicherlich noch weiterverfolgen. Es wäre interessant zu fragen, ob und in welchen zeitgenössischen Ausstellungen die Werke gezeigt wurden, auf welche vorhandenen Rezeptionsbedingungen und –strukturen sie trafen und in welcher Beziehung die Kunst zu den politischen und intellektuellen Diskussionen über die Ermordung der Juden in Deutschland standen, um daraus Rückschlüsse auf den künstlerischen, politischen und kunstpolitischen Stellenwert dieser Arbeiten in ihrer Zeit ziehen zu können.

In drei weiteren Kapiteln wird das künstlerische Erinnern und Gedenken an die jüdischen Opfer in den 50er Jahren, den frühen 60er Jahren und in der Zeit der Auschwitz-Prozesse untersucht. Insbesondere in den Ausführungen zu den 50er Jahren, bei denen neben den Arbeiten von Otto Pankok auch Werke und Werkgruppen von Lea Grundig, Willi Sitte, Gerhard Richter und Carlfriedrich Claus im Fokus stehen, wird in der Bildauswahl deutlich, dass das Thema der Ermordung der Juden in der Kunst der DDR keine geringere Rolle spielte als in der westdeutschen Kunst. In der DDR waren es in den 50er und 60er Jahren eher „staatstragende“ Künstlerinnen und Künstler wie Grundig, Sitte und Werner Tübke, die dieses Thema aufgriffen, in der Bundesrepublik dagegen oppositionelle Künstler wie Wolf Vostell und Joseph Beuys. In unterschiedlicher Perspektive ging es beiden Gruppen darum, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in Westdeutschland im Vorfeld und während der Auschwitz-Prozesse zu kommentieren und künstlerisch auf sie einzuwirken. In Westdeutschland erhielt das künstlerische Engagement in diesem Feld im Laufe der 60er Jahre eine zunehmend aktivistische Prägung, insbesondere als es sich mit der aufkommenden Studentenbewegung verband. Diese Entwicklung weist aber bereits über den von Kathrin Hoffmann-Curtius für ihre Untersuchung gesteckten historischen Rahmen hinaus.

Die Dokumentation und die Diskussion der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus in Europa und dem von den Deutschen begangenen Völkermord ist bis heute aktuell, nicht zuletzt vor dem Hintergrund gegenwärtiger politischer Entwicklungen und Konflikte. Sie verdeutlichen die Gefährdungen, aber auch das kritische Potenzial einer politisch engagierten Kunst und deren Bedeutung für historische und aktuelle Demokratisierungsprozesse. Der kunsthistorische und der gesellschaftliche Wert von Untersuchungen wie den „Bildern zum Judenmord“ sind deshalb nicht hoch genug einzuschätzen.


Zum Rezensenten:
Prof. Dr. Martin Papenbrock, geb. 1963, ist apl. Professor für Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Vorsitzender der Guernica-Gesellschaft e.V.


Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz