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Thomas Dietrich / Thomas Herkert / Pascal Schmitt (Hrsg.), Geist in Form – Facetten des Konzils, Freiburg: Herder 2015, 270 S., 19,99 €, ISBN 978-3-451-34766-5


Dokumentiert werden drei Studientage aus den Jahren 2012 bis 2014, die an der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg aus Anlass des 50. Jahrestags des Zweiten Vatikanums gehalten wurden. Für die Drucklegung wurden die Beiträge nur geringfügig überarbeitet, so dass sie auch Dokumente des kirchlichen Wandels sind, der sich in diesen drei Jahren durch den Pontifikatswechsel vollzogen hat.

Die vier Beiträge des ersten Teils stellen das Konzil in den Horizont seiner Zeit und der Hermeneutik. Peter Walter (S. 12-36) behandelt das Problem von Kontinuität und Diskontinuität. Am Beispiel der Ansprache zur Konzilsankündigung durch Johannes XXIII., der Veränderung in der Materie der Bischofsweihe und dem Streit um das Kirche-Sein der protestantischen Gemeinschaften weist er die Komplexität des Themas nach. An wenigen Beispielen macht er deutlich, dass Kontinuität allein nicht genügt, um das Konzil zu situieren und auszulegen. Der Katholizismus sei eben, so Walter, kein „Fossil“.

Barbara Henze (S. 37-62) nähert sich dem Thema durch einen Textvergleich. Anhand der Artikel zu „Mission“ aus der ersten (1935) und zweiten Auflage (1962) des „Lexikon für Theologie und Kirche“ sowie der offiziellen Gebete zu den Heiligen Jahren 1950 und 1975 lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die theologischen Veränderungen. Auch in pastoraltheologischen Zeitschriftenbeiträgen der „Lebendigen Seelsorge“ nimmt sie Krisensymptome der Kerngemeinde und den Blick auf die erweiterten Lebensräume wahr.

An Beispielen aus der Erzdiözese Freiburg arbeitet Michael Quisinsky (S. 63-99) die regionale Rezeption des Konzils in der Bildungsarbeit heraus. Dabei ist ihm ein Blick auf die Träger der Rezeption und ihre unterschiedliche generationelle Prägung durch ein oder zwei Weltkriege, durch politisch-gesellschaftliche Veränderungen und durch kirchliche Strömungen, wie etwa die Liturgische Bewegung, wichtig.

Zum Abschluss dieser Sektion bekennt sich Magnus Striet (S. 100-113) zu einem alles andere als interessefreien Zugriff auf das Konzil. Er macht das Zentralwort des „Aggiornamento“ stark und ordnet das Konzil in seine Hermeneutik der Freiheit ein.

War beim Blick auf das Konzil als Ganzes, seinen „Geist“ und seine Wirkung noch viel Einigkeit vorhanden, so differenzieren sich die Meinungen doch im zweiten Teil, wenn die Dokumente betrachtet werden. Vier Dokumente werden analysiert. Ansgar Kreutzer (S. 116-135) sieht das Konzil mit der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ „bei sich“. Diese, entstanden „aus der Dynamik des Konzilsereignisses selbst“ (S. 122), helfe der Kirche, ihre Identität durch eine Öffnung zur Moderne zu finden. Kreutzer sieht das Innovative der Konstitution in ihrem induktiven Zugang sowie in der Suche nach und in der Deutung der Zeichen der Zeit.

Georg Bier (S. 136-158) gießt viel Wasser in den Wein, wenn er die Möglichkeiten synodaler Entscheidungsfindung nach dem Konzil erörtert. Nach der Darstellung möglicher synodaler und Rätestrukturen, wie sie in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, kommt er zu dem ernüchternden Resultat: „Es bleibt mithin bei der grundlegenden Abhängigkeit aller Gläubigen von ihren Hirten. Je nach dem persönlichen Selbstverständnis des Hirten kann dieser im synodalen Bereich bestimmte Akzente setzen, mit denen er dem Wunsch nach mehr Synodalität entspricht. Eine nachhaltige Veränderung synodaler Strukturen wird dadurch indes nicht bewirkt.“ (S. 158).

Eberhard Schockenhoff (S. 159-170) macht in der Darstellung der Erklärung über die Religionsfreiheit auf zwei ungelöste Probleme aufmerksam: die religiöse Toleranz sieht er im Blick auf den interreligiösen Dialog und die weltweite Christenverfolgung ebenso als Herausforderung wie die religiöse Freiheit innerhalb der Kirche. „Wo in der Kirche Angst, Duckmäusertum, äußere Anpassung und gegenseitiges Misstrauen herrschen, bleibt eine zentrale Forderung des Konzils, die sich an alle Staaten, Religionsgemeinschaften und Individuen richtet, in ihr selbst uneingelöst.“ (S. 170).

Dem theologischen Schlüsseldokument „Dei verbum“ widmet sich Helmut Hoping (S. 171-193). Er hebt besonders den Offenbarungsbegriff als Selbstmitteilung Gottes hervor, die geschichtlich-dynamische Sicht von Tradition als lebendiger Überlieferung. Die Exegese situiert er eindeutig innerhalb der Kirche. Weiterzuentwickeln sei die Traditionskritik, der personale Glaubensbegriff und die Rolle des Lehramts bei der Schriftauslegung.

Weitere Dokumente werden im dritten Teil des Sammelbands, der sich mit den Folgen des Konzils beschäftigt, zur Sprache gebracht. Peter Walter (S. 196-210) diskutiert zwei entscheidende Punkte für die Ökumene und deren Auswirkungen. Zum einen geht es um die Aussage des Artikels 8 der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“, dass die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche „verwirklicht“ sei („subsistit in“), in Verbindung mit der Unterscheidung von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Nachkonziliare Verlautbarungen der Glaubenskongregation haben diese Unterscheidungen exklusiv, statt - wie vom Konzil gedacht -inklusiv verwendet und zu ökumenischen Irritationen geführt. Eine zweite Irritation macht Walter in der Aussage vom „defectus ordinis“ namhaft. Durch die Stärkung der Bischofsweihe und deren Verankerung in Handauflegung und Gebet wären ökumenische Brücken möglich gewesen: „Die Glaubenskongregation ist nicht über diese Brücke gegangen.“ (S 209).

Der Liturgiekonstitution und ihrer Umsetzung widmet sich Stephan Wahle (S. 211-245).  Nach einem Rückblick auf die Liturgische Bewegung, die theologischen Grundprinzipien der Liturgiekonstitution und deren Umsetzung in der Erzdiözese Freiburg sieht er neben verwirklichten Reformanordnungen wenig Realisierung in Gebetsformen jenseits der Eucharistiefeier, aber weitergehende Reformen als vom Konzil zunächst intendiert in der Liturgiesprache, der Kelchkommunion der Gläubigen und der Veränderung der Kirchenräume. Die nachkonziliare Entwicklung zeichne sich demgegenüber durch eine neue Zentralisierung und den Verzicht auf eine weitere Inkulturation der Liturgie aus.

Abgeschlossen werden die Beiträge von Ursula Nothelle-Wildfeuer (S. 246-268), die ausgehend von dem neuen Weltverständnis des Konzils die Entwicklung der katholischen Soziallehre unter den Stichworten Entwicklung, Frieden und Globalisierung beschreibt. Sie sieht in der nachkonziliaren Zeit eine Weitung der geographischen Perspektive aus einem integralen und ganzheitlichen Humanismus.

So unterschiedlich die Beiträge sind, die in dem Sammelband zusammengefasst wurden, machen sie doch alle deutlich, dass das Zweite Vatikanische Konzil alles andere als ein nostalgisch zu erinnerndes Ereignis ist. Zu seinem Verständnis müssen sowohl die Zeit der Vorbereitung wie das Ereignis selbst, aber auch die Umsetzung betrachtet werden. Johannes XXIII. hat im Vorfeld des Konzils betont, dass die Kirche kein Museum, sondern ein lebendiger Garten sei. Das gilt für die 50 Jahre nach Abschluss mindestens ebenso. Man mag mit Veränderungen in theologischer Lehre und kirchlicher Praxis einverstanden sein oder nicht. Sie sind Ausdruck der Lebendigkeit einer Kirche, die sich immer noch in einem Lernprozess befindet, was die Interpretation der Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums angeht.


Zum Rezensenten:

Dr. Joachim Schmiedl ISch, geb. 1958, ist Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und Herausgeber der Reihe „Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“.



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