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Hartmut Zinser, Religion und Krieg, Paderborn 2015, Wilhelm Fink Verlag, 200 Seiten, 24,90 EUR, ISBN: 978-3-7705-5833-9

Der Berliner Religionswissenschaftler Hartmut Zinser verfolgt in seinem Buch "Religion und Krieg" als zentrales Anliegen, »das Kriegspotential der Religionen« darzustellen. Damit legt er von vornherein den Schwerpunkt auf die bellizistischen Traditionen und lässt die friedensfördernden Elemente religiöser Traditionen weitgehend außen vor. Diese Schwerpunktsetzung soll die gewaltlegitimierenden und -fördernden Aspekte religiösen Lebens umso deutlicher herausarbeiten.

Das Buch ist in einem Zeitraum von über zehn Jahren entstanden. Zinser behandelt darin in Kapitel I die Themen "Religionskriege, Heilige Kriege und andere religiös konnotierte Kriege", in  Kapitel II: "Was ist Krieg, was ist Religion?", wobei er ausführlich auf die Kriegstheorie von v. Clausewitz eingeht, dagegen nur kurz auf die Definition von Religion und stattdessen auf seine übrigen Publikationen verweist. In Kapitel III »Heldentum, Ruhm und Herrschaft« setzt er sich mit der Bedeutung von Religionen für die Konstituierung individueller und kultureller Identitäten auseinander, die in Kriegen - auch mit Unterstützung von Religionsvertretern - verteidigt werden sollen. In Kapitel IV behandelt er christliche Kriegslegitimationen: die Lehre vom gerechten Krieg, v. a. in der Ausformung von Thomas von Aquin, und die Grundlagen der christlichen Kreuzzugstheologien, die für Zinser einen bellum sanctum konstituierten, der das Töten zur religiösen Tat werden ließ. Daran anschließend wendet er sich in Kapitel V den Kriegslehren im Hinduismus, Buddhismus und Islam zu, wobei er - in impliziter Abgrenzung zu Jan Assmann - zeigt, dass nichtmonotheistische Religionen ebenso gewaltförderlich sind wie monotheistische, und sich explizit bemüht, die islamischen Kriegstheorien zurückhaltend darzustellen, um die notwendige Distanz zu islamistischen Interpretationen der islamischen Tradition zu schaffen. In Kapitel VI beschäftigt er sich mit Religion, Bürgerkrieg und Terrorismus und greift dabei insbesondere auf Carl Schmitts Bestimmung des Politischen zurück, dessen Freund-Feind-Schema er mit der religiösen Einteilung in Gläubige und Ungläubige und einer daraus resultierenden Bereitschaft zur Gewalttätigkeit parallelisieren kann. Kapitel VII schließlich thematisiert, wie Religionen mit militärischen Siegen und Niederlagen in ihrer Geschichte umgegangen sind und welche Konsequenzen dies für ihr heutiges Verhältnis zum Krieg hat.

Neben der Tatsache, dass sich Zinser bewusst nicht mit den Thesen von Jan Assmann auseinandersetzt, ist der Rückgriff auf die Kriegstheorien von v. Clausewitz und den Begriff des Politischen von Carl Schmitt für die Argumentation des Berliner Religionswissenschaftlers konstitutiv. Im dogmatischen Absolutheitsanspruch von Religionen erkennt Zinser eine Parallele zu v. Clausewitz’ Beschreibung, dass es das Ziel des Krieges sei, dem Kontrahenten seinen Willen aufzuzwingen, sowie zu Carl Schmitts Bestimmung des Politischen als "Unterscheidung von Freund und Feind". Hierin liegt die Schnittstelle zur Aufnahme von Kriegslehren in allen Religionen und, angesichts konkreter historischer und gesellschaftlicher Verhältnisse, die Ursache für die Zurückdrängung der in allen Religionen vorhandenen friedenstheologischen Vorstellungen.

Zinser spricht immer wieder an, dass die Religion seit etwa 40 Jahren weltweit zu einem wesentlichen Faktor in den kriegerischen Auseinandersetzungen geworden sei. Dafür bietet er im Verlauf seines Buches eher beiläufig zwei Erklärungsmuster, die er nicht explizit ausarbeitet und zwischen denen er keine Verbindung herstellt.

Zum einen geht er davon aus, dass die antikolonialen Befreiungsbewegungen, die sich ursprünglich an den Idealen der französischen Revolution und der Aufklärung orientierten, sich vor etwa 40 Jahren bewusst von den  aus der westlichen Tradition stammenden Inhalten abkehrten und den eigenen kulturellen Traditionen, und das bedeutet, auch den religiösen Traditionen, als Legitimationsmuster für ihren Befreiungskampf zugewandten (S.169).

Zum anderen macht er die Beobachtung, dass seit etwa 50 Jahren keine »regulären« Kriege mehr zwischen Staaten geführt werden, sondern »asymmetrische Kriege« (Herfried Münkler), die eher Bürgerkriegen als dem klassischen Krieg zwischen Staaten ähneln, und in diesen Kriegen religiöse Faktoren oftmals eine entscheidende Rolle spielen (vgl. S. 43).

Trotz dieser - m. E. - analytischen Unschärfe bei der Bestimmung der Ursachen für die Bedeutung, die Religion in heutigem Kriegsgeschehen weltweit spielt, liefert dieses Buch eine ganze Reihe interessanter Einblicke und inspirierender Thesen zum Thema. Indem Zinser den Schwerpunkt auf die bellizistischen Traditionen der (Welt-)Religionen legt, arbeitet er umso schärfer heraus, wie notwendig es ist, diese Traditionen in allen Religionen aufzuarbeiten, um den Anspruch heute friedensdienlich zu sein, einlösen zu können. Dass  Zinser letztlich darauf abzielt, die friedensfördernden Traditionen der Religionen zu stärken, wird deutlich, wenn er schreibt: "Es wird darauf ankommen, von den Religionen und ihren Anhängern und ihren Amtsträgern zu fordern, daß sie eindeutig und ohne Einschränkung Krieg und mit allen militärischen Mitteln geführten Kampf abweisen und dies vor allem auch gegen Positionen und Gruppen ihrer eigenen Religion öffentlich vertreten. Religionen könnten damit zu einer friedenstiftenden Instanz werden." (S. 191)


Zum Rezensenten:

Dr. August H. Leugers-Scherzberg, geb. 1958, Historiker und katholischer Theologe, Herausgeber von theologie.geschichte, vertritt z.Zt. den Lehrstuhl  im Fach Kirchen- und Theologiegeschichte an der Universität des Saarlandes.



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