test1

Fings, Karola; Opfermann, Ulrich Friedrich (Hg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2012, 389 S., 29,90 €, 978-3-506-77356-2


Zur Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma sind in den letzten Jahren eine erstaunlich große Anzahl von Dokumentationen und Aufsätzen erschienen, die Vorgänge vor Ort rekonstruieren. Auch Regionalstudien sind vorhanden, nicht allerdings bis zum Erscheinen dieses Buches zum größten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Karola Fings und Ulrich F. Opfermann, die seit vielen Jahren Bücher, Aufsätze und Ausstellungen zur Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma, meist mit dem Schwerpunkt Köln, Düsseldorf oder Siegerland, veröffentlichten und präsentierten, haben nun eine Art Handbuch zusammengestellt.

Im vorliegenden Sammelband steht die Verfolgung der Sinti und Roma sowie der als „Zigeuner“ angesehenen Personen im rheinisch-westfälischen Raum im Mittelpunkt. Die Geschichte der Verfolgung wird in drei Hauptthemenbereich dargestellt: 1. Von den Anfängen bis 1945, 2. achtzehn Beiträge zu einzelnen Orten und 3. Aufarbeitung. Ergänzt wird dies durch eine ausführliche Chronologie, ein Glossar, eine umfassende Bibliographie, und durch Orts- und Personenregister. 18 der 27 Einzelbeiträge stammen aus der Feder von Fings und Opfermann. Eine Karte (S. 18/19) zeigt die Orte und Regionen der beiden früheren preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland, deren „Zigeunerpolitik“ näher betrachtet wird.

In zwei Übersichten skizzieren Ulrich Opfermann die Vorgeschichte der rassistischen Verfolgung und Karola Fings den „Weg zum Völkermord“. Beide Aufsätze, basierend auf vielen konkreten Vorarbeiten, stellen gute Einführungen in das Thema dar, auch für diejenigen, die sich überhaupt in die Thematik einarbeiten wollen.

Es folgen in alphabetischer Reihenfolge 18 sehr unterschiedliche Aufsätze, die zum Teil größere, frühere Studien zusammenfassen oder ganz neue Perspektiven zeigen. (s. Goch, Lüpkes-Schwarz etc.).

Wie schon in anderen Regionaldokumentationen angedeutet oder beschrieben, wird hier in diesen hier vorgelegten Lokal- und Regionalstudien noch einmal bestätigt, dass die nachgeordneten Behörden bzw. deren Mitarbeiter vom Staat eine reichseinheitliche Verfolgung forderten, die mit den Erlassen 1937/38 auf den Weg gebracht wurden, und dass sich Verwaltungs- und Polizeibeamte das Recht zur Interpretation der einschlägigen Anweisungen und Erlasse bei der Umsetzung von Abschiebung und Deportation herausnahmen – zuungunsten der Verfolgten. Wer „Zigeuner“ war, bestimmten – so ein Fazit – nicht allein die Rassenforscher um Robert Ritter, sondern im Einzelfall immer auch wieder örtliche Beamte oder Angestellte.

Dass auch Nachbarn eine Rolle bei der Verfolgung spielten, zeigen nicht zuletzt die Ausführungen von Ulrich Opfermann zu Siegen/Wittgenstein und zum münsterländischen Greven: es gab Denunziationen, zum Teil mit Bereicherungsabsichten.

Die einleitende Feststellung, dass kein „geradliniger Weg“ von 1933 zum Völkermord führte, wird ebenfalls bestätigt. Unübersehbar ist, dass viele Individuen in den Städten und Gemeinden ihre Möglichkeiten zur Beteiligung an Vertreibung und Deportation nutzten und damit am Völkermord beteiligt waren. (S. 70).

Im dritten Teil des Bandes wird die „Erinnerung“ in den Fokus der Darstellung gestellt. Eine gewisse Enttäuschung möchte der Rezensent hier nicht verbergen, denn vor der spät einsetzenden Erinnerung gab es die Phase der Entschädigung oder besser der zum großen Teil verweigerten Entschädigung. Spannend wäre hier die Frage gewesen, wie unter britischer Aufsicht die ersten Verfahren verliefen, ob sich etwa unter deutscher Regie etwas bei Entscheidungen in Wiedergutmachungsverfahren veränderte. Bemerkungen finden sich im zweiten Abschnitt des Bandes. Aber vielleicht ist hier die Erwartungshaltung bei der Lektüre zu hoch. Der Titel gemahnt ja eindeutig an die Jahre des Nationalsozialismus.

Karola Fings und Ulrich F. Opfermann ist dank ihrer Zusammenstellung ein gut lesbares Buch gelungen, das auch durch die vielen Dokumente einen Zugang zur Verfolgung der Sinti und Roma im 20. Jahrhundert erlaubt, auch durch die ausführliche Chronik.

Eine persönliche Nachbemerkung: Als gebürtiger Münsterländer hätte ich gern auch über weitere Orte Informationen gehabt. Das Münsterland erscheint beinahe als weißer Fleck.

Es ist deshalb zu hoffen, dass es bald oder demnächst einen zweiten Band gibt, um einen vollständigeren Überblick über diese Region zu haben, vielleicht dann auch mit Anmerkungen zu Entschädigungsverfahren, die bisher nur in Nebensätzen erwähnt wurden.


Zum Rezensenten:

Dr. Udo Engbring-Romang ist Historiker und Diplom-Politologe aus Marburg.



Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz