theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Florian Bruckmann, in IHM erkannt: Gott und Mensch. Grundzüge einer anthropologischen Christologie im Angesichte Israels (Studien zu Judentum und Christentum 28), Paderborn u.a. 2014, Schöningh Verlag, 290 S., 39,90 €, ISBN 9783506779410



Die Studie von Florian Bruckmann „in IHM erkannt: Gott und Mensch. Grundzüge einer anthropologischen Christologie im Angesichte Israels“ erscheint zu einem Zeitpunkt, da sich die christlich-abendländische Theologie wieder ihres problematischen Verhältnisses zum Judentum bewusst wird. Mit dem 70. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges im kommenden Mai gehen die Erinnerungen an die Bilder von der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager unmittelbar einher. Die evangelische Kirche problematisiert in schonungsloser Offenheit den tief sitzenden Antijudaismus Martin Luthers im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 500. Jahrestages der Reformation, und schließlich bereitet der latent vorhandene, geschichtsvergessene neue Antisemitismus in weiten Teilen der Bevölkerung große Sorgen. Dagegen, so die einleitende These des Verfassers, erweist sich seine Studie als „eine nicht-antijüdische Christologie, die die bleibende Erwähltheit des ersterwählten Volkes ernst nimmt und diese besonders im Hinblick auf die Entstehung von Judentum und Christentum in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten mit den christologischen Konzilien der Antike reflektiert“ (11). Vf. weiß dabei um die Exponiertheit seines Vorhabens und leitet daraus den subjektiven Charakter seiner Untersuchungen ab, was dem literarischen Genus eines um Neutralität bemühten Lehrbuches nicht unbedingt entgegenstehen muss.

Im Bewusstsein der eingangs skizzierten, höchst problematischen Grundspannung des Christentums zum Judentum stellt Bruckmann seinen Ausführungen ein Plädoyer für die Bedeutsamkeit einer Theologie nach Auschwitz voran (vgl. 15–26), wie sie seines Erachtens zum unverzichtbaren Bestandteil einer dogmatischen Gottrede gehören muss, damit – im Sinne Adornos – „Auschwitz nicht noch einmal sei“ (26). Diesem Auftakt folgt dann die eingangs bereits angekündigte hermeneutische Kalibrierung des Gesamtrahmens. Für eine anthropologisch fundierte Christologie scheint insbesondere die Theologie Karl Rahners geeignet, dessen transzendental-anthropologische Wende das notwendige Scharnier bietet, um sich im Kontext der Moderne dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes reflektierend anzunähern. (Bemerkenswert ist, dass die Seiten 27–44 eine sehr lesenswerte Einleitung in die Gesamttheologie Rahners darstellen, die auch unabhängig von der Fragestellung der Studie mit Gewinn gelesen werden können.) Diese Wende wird mit den postheideggerianischen Phänomenologien bei Derrida, Levinas und Marion verbunden. Aber, so drängt sich dem Rezensenten die Frage auf: Ist diese Linie auch plausibel? Erweist sich das postmoderne Denken der Differenz kompatibel mit den Rahnerschen Transzendentalbestimmungen des Menschen? Das Denken in Alteritätsmarkierungen scheint ja zunächst dem Gnadenbegriff Rahners diametral entgegen zu stehen. Dies macht der Autor selbst deutlich: „Sinn und Bedeutung ergeben sich nach Derrida nicht von einem absoluten Ursprung her, sondern entstehen als Differenz; sie sind an der Spur ablesbar (…) Die Bedeutung wird als Differenz geboren.“ (58, Hervorh. i. Orig.) Wie lässt sich dann aber dieser Ansatz mit dem Rahnerschen Begriff eines „übernatürlichen Existentials“ verbinden, dessen fundamentales Ziel nicht die Radikalität des Anderen, sondern die Einheit des Menschen mit Gott, christologisch formuliert, die hypostatische Union und damit die Überwindung von Alterität im Blick hat? Mit den Worten Rahners: „Wenn nun ein Mensch dieses sein Wesen so in absoluter Reinheit und Radikalität von Gott her empfängt und so auf ihn hin vollzieht, (….) die Gott dasein lässt, dann ist das gegeben, was wir ‚Inkarnation’ in einem dogmatisch rechtgläubigen Sinn nennen.“ (37 f.) Bruckmann scheint diese Spannung zu spüren und löst sie höchst originell, insofern er im Rückgriff auf die biblischen Texte die Gotteserkenntnis in ihrer „Analogizität“ ausweist und hier eine zeichentheoretische und rezeptionsästhetische „Grammatologie der Spur“ im Anschluss an Levinas und Dirscherl formuliert, die die Alterität Gottes als verblichene Anwesenheit wahrnimmt. Gerade hierin dokumentiert sich die Eigenart v.a. der alttestamentlichen Gottrede, sofern sich die „wesentlichen Aspekte biblischer Gotterkenntnis“ in negativer Differenz von Signifikant und Signifikat erschließen lassen (46–84). Solche alttestamentlichen Voraussetzungen erleichtern dann den lückenlosen Übergang zu den ausführlichen historisch-kritischen und theologisch-systematischen Rekonstruktionen von Jesus dem Christus (48–201), womit allein mit einer so gearteten makrostrukturellen Texteinheit die eingangs postulierte Kontinuität von alttestamentlich-„jüdischer“ und neutestamentlich-„christlicher“ Perspektive gewahrt bleibt. Im Anschluss an diesen ersten Hauptteil entfaltet Vf. den zweiten, trinitätstheologischen und christologischen Teil (203–316), der im Wesentlichen die dogmengeschichtlichen Entwicklungen bis Chalkedon bündig und vollständig behandelt. Dagegen werden die weiteren ökumenischen Konzilsentscheidungen bis Nizäa II nur noch in groben Zügen auf knapp fünf Seiten (317–321) abgehandelt, wobei gerade diese Zeit versucht, den überstrapazierten Hypostasenbegriff wieder mit der Einheit Gottes zu verbinden, um den Grundgedanken des Monotheismus, auch in Auseinandersetzung mit einem sich zur selben Zeit rasant ausbreitenden Islam, gerecht zu werden. Zu diesen beiden Teilen noch folgende Beobachtungen:

Bruckmann macht deutlich, dass das traditionelle Harnacksche Apriori von der „Hellenisierung“ des altkatholischen Christentums als Verfall nicht die Genese der damit kritisierten Dogmengeschichte widerspiegelt, weil unsere Sicht der Quellen von vorneherein keine neutrale und objektive Differenzierung zwischen dem historischen Jesus und dem geglaubten Christus gestattet. Die neutestamentlichen Texte bezeugen stets den im Osterglauben bereits interpretierten Jesus als den geoffenbarten Christus (vgl. 211). Jede Auslegungstradition ist daher zunächst legitimer Ausdruck eines „Christus traditus“. Aus der bleibenden Erwählung Israels lässt sich der historische Trennungsprozess von Juden und Christen als „Schisma“ interpretieren, wobei die heutige Theologie sich mehr denn je vor die Herausforderung gestellt sieht, ihre Glaubensüberzeugungen nicht anti-jüdisch zu formulieren (vgl. 218). Dass dies innerhalb der Theologiegeschichte nicht immer der Fall war, beweisen bereits die ersten „Weichenstellungen im 2./3. Jahrhundert“ (221–228), allen voran die radikale Position Markions, der „die Theologiegeschichte bis heute beeinflusst“ (224). Besondere Bedeutung in der darauf folgenden Rekonstruktion bis zur durchaus kritisch zu lesenden Würdigung der klassischen Zwei-Naturen-Lehre erhalten die Seiten 309–316, weil hier Vf. dem (bislang kaum beachteten) Gedanken nachgeht, inwieweit die christologischen Auseinandersetzungen um das rechte Inkarnationsverständnis von jüdischer Seite überhaupt eingeholt werden können. Während der arianische Streit noch im weitesten Sinne einen innerjüdischen Diskurs um die Einheit und Vielfalt in Gott widerspiegelt (wobei Studien des Tübinger Judaisten Peter Schäfer belegen, dass es im zeitgenössischen Judentum zu ähnlichen Trinitätskonzeptionen gekommen ist; der Autor greift aber lediglich auf Daniel Boyarin, einen eher orthodox-konservativen Autor, zurück), scheint der christologische Streit prima facie nicht mehr dem Judentum vermittelbar. Auch in diesem Punkt greift Bruckmann auf Levinas und den „Gedanken einer unvordenklichen Vergangenheit“ (313) zurück: Die Andersheit Gottes im Christusereignis kann nicht verstanden werden als „der liebenswerte andere, der mir Gutes tut“ (313 f.), sondern als der, der mir in seiner Unbedingtheit meine Verantwortung für alle anderen radikal aufzeigt, was wiederum dem christologischen Grundgedanken der Stellvertretung bis in die Wortwahl hinein sehr nahe kommt. In seinen Schlussüberlegungen benennt Vf. die für ihn wesentlichen Topoi einer anthropologischen Christologie im Angesichte Israels (323–337) und finalisiert diese Reflexionen mit Überlegungen zum Gebet (339–342).

Bruckmann hat in der Tat Neuland betreten, insofern er gerade die dogmengeschichtlichen Entwicklungen der ersten fünf Jahrhunderte mit der provozierenden Anfrage konfrontiert, ob hier die Verbindungen zum erwählten Volk Israel noch gewahrt werden können oder nicht. Am Ende der Lektüre scheint es dem Rezensenten ein eher schmaler Pfad zu sein, den Bruckmann aufzeigt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Einbeziehen zeitgenössischer jüdischer Denker und Ansätze in die zentralen Aussagen der Christologie bleibt nach wie vor ein Desiderat (von wenigen Ausnahmen abgesehen), aber Vf. ist ein weiterer, sehr wertvoller und lohnenswerter Schritt in diese Richtung gelungen. Ob er auch von jüdischer Seite mit der gleichen Deutlichkeit befürwortet wird, bleibt abzuwarten, aber ein erster Anfang ist mit diesem Buch gemacht, und dafür gebühren Vf. Anerkennung und großer Respekt.


Zum Rezensenten:
PD Dr. Wolfgang Baum ist Dozent an der Kath.-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg.



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