Richard Faber/Uwe Puschner (Hg.), Preußische Katholiken und katholische Preußen im 20. Jahrhundert, Würzburg: Königshausen und Neumann 2011, 336 Seiten, EUR: 39,80, ISBN: 978-3-8260-4587-5
Der Sammelband geht auf eine Fachtagung der Katholischen Akademie in Berlin im Jahr 2008 zurück. Er liefert äußerst interessante Beiträge zum Problem eines preußischen Katholizismus und eines katholischen Preußentums im 20 Jahrhundert, zugleich aber auch grundlegende Einsichten in den deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts und das Problem preußischer Dominanz im Deutschland des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die einzelnen Beiträge thematisieren immer wieder die Frage einer Bewältigung von belastender Vergangenheit. Das liegt bei der Thematik des Bandes nahe, ist doch das Preußentum durch den alliierten Kontrollratsbeschluss 1945 zur belasteten Tradition deutscher Geschichte und zum Mitschuldigen für die Herrschaft des Nationalsozialismus erklärt worden.
Wie agierten nun die Katholiken im preußischen Staat? Wie setzten sie sich mit dem Preußentum auseinander? Welchen Einfluss hatte der Katholizismus auf die Ausformung des preußischen Gemeinwesens? Wie verhielten sich katholisch-preußisches Bewusstsein und Einstellung zum Nationalsozialismus zueinander?
Einleitend behandelt Etienne François das Problem Preußen und Katholizismus grundlegend. Er schildert die „Entstehung der katholischen Frage in Preußen“, „die preußische Abwehrreaktion gegenüber der katholischen Herausforderung“ und schließlich die "Behauptung der katholischen Minderheit als Alternative zum preußischen Modell". (S.21)
Im ersten Teil soll Preußen-Deutschland, Katholizismus und Protestantismus allgemein thematisiert werden, aber tatsächlich kommen nur einige spezielle Aspekte zur Sprache. Es werden dabei das „Saarrevier als preußische Industriekolonie“ und damit der Sonderfall des saarländischen Katholizismus als eines marginalisierten Katholizismus in einer von preußischen, protestantischen Eliten geführten Industrieregion beschrieben (wieder abgedruckter Beitrag von Klaus-Michael Mallmann), die Grundlinien des preußischen Kulturkampfs nachgezeichnet (Uwe Puschner) und die hochkirchlichen und liturgischen Strömungen im deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts, insbesondere die Berneuchener Bewegung und die Evangelische Michaelsbruderschaft“ vorgestellt (Rainer Hering). Hering zeigt dabei auf, dass diese Bewegungen in vielem dem Katholizismus nahestanden und wesentliche Impulse für die Anfänge einer konservativen Ökumene geliefert haben. Gleichzeitig übten sie aufgrund ihres Rückhalts in der Pfarrerschaft einen erheblichen Einfluss auf die kirchlichen Leitungsgremien im deutschen Protestantismus aus.
In einem zweiten Teil werden Preußenbilder in katholischer Literatur und Publizistik analysiert. Der katholisch-kulturelle Umgang mit dem Preußentum wird nach seinen etatistischen, imperialistischen und militaristischen, sowie antik-römischen, italienisch-faschistischen und spanisch-ignatianischen Dimensionen hin ausgelotet (Richard Faber). Es wird die Rezeption des Deutschen Ordens und des Kreuzritterstaates im 19. und 20. Jahrhundert und die Bedeutung für die Ausbildung einer spezifisch preußischen Identität behandelt (Caspar Ehlers); sowie dem Preußentum und Katholizismus im George-Kreis nachgegangen (Daniela Gretz). Katholische Schriftsteller/innen wie Werner Bergengruen (Ralf Georg Czapla), Reinhold Schneider, Jochen Klepper (Wilhelm Kreutz), Gertrud von Le Fort und Ruth Schaumann (Joël Pottier) werden mit Blick auf ihr Verhältnis zu Preußen beleuchtet, ebenso wie der katholischen Jugendbund Quickborn (Winfried Mogge).
In einem dritten Teil, der sich mit Preußentum und politischem Katholizismus beschäftigt, untersucht Jens Flemming die Faschismusanalysen von Walter Dirks, seine Haltung 1933 und die Perspektiven seiner politischen Orientierung nach 1945. Klaus Große Kracht spürt dem politischen Werdegang Erich Klauseners und den Gründen für seine Ermordung im Zuge des "Röhm-Putsches" nach. Er würdigt ihn als ein frühes Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes, attestiert ihm aber nicht, als Vorbild für ein christlich-demokratisches Politikverständnis heutiger Zeit taugen zu können. Dominik Geppert vergleicht Adenauer, Wirth und Brüning und zeigt hier drei Spielarten des politischen Katholizismus in der Weimarer Zeit auf. Geboren in der Zeit zwischen 1876 und 1885, gehören sie im Grunde zur selben Alterskohorte. Aufgrund ihrer unterschiedlichen regionalen und sozialen Herkunft und der verschiedenen politischen Ämter, die sie im Laufe der zwanziger Jahre ausgeübt haben, werden sie jedoch zu Repräsentanten sehr unterschiedlicher Formen des politischen Katholizismus im Deutschland und Preußen der Zwischenkriegszeit. Geppert beschreibt zunächst ihre jeweiligen generationellen, regionalen und sozialen Hintergründe, dann ihre Haltung zur territorialen Neugliederung des Reiches, (und damit zum "Preußenproblem" des Deutschen Reiches), und dem Projekt einer interkonfessionellen Volkspartei. Er zeigt die Spannbreite der politischen Anschauungen im Katholizismus der Zwischenkriegszeit auf und kommt zu der Schlussfolgerung, dass „Preußentum und Katholizismus … im Regierungshandeln und in der Parteipolitik der Weimarer Republik keine Gegenpole, sondern Faktoren in einer Rechnung mit zahlreichen Variablen“ (S. 310) waren.
Im abschließenden vierten Teil, der das Verhältnis zwischen Preußen, Polen, der Bundesrepublik und dem Katholizismus darstellen soll, schildert Stephan Scholz die polnische Wahrnehmung Preußens im 19. und 20. Jahrhundert. Er zeigt, in wie starkem Maße die Wahrnehmung der preußischen Geschichte und Politik gegenüber Polen das Bild der Deutschen in Polen bis in die jüngste Vergangenheit hinein bestimmt hat, begünstigt etwa auch durch Adenauers Annahme der Ehrenritterwürde des Deutschen Ordens 1958 und seiner Ablichtung im Ordensgewand der Kreuzritter.
Gerade bei den Vertretern des politischen Katholizismus und den katholischen Schriftstellern kommen die Autoren immer wieder zu der Frage: Wie standen sie zum Nationalsozialismus? So werden etwa von Flemming erschreckende Aussagen und Fehleinschätzungen von Walter Dirks zur nationalsozialistischen Herrschaft 1933 referiert, aber auch bei den von Geppert untersuchten Politikern Wirth, Adenauer und Brüning rückt immer wieder die Frage in den Vordergrund: Wie standen sie zur Demokratie und zur Verteidigung der Weimarer Republik? Die katholischen Schriftsteller der inneren Emigration (Bergengruen, Schneider, Gertrud von le Fort) galten nach 1945 als Widerstandskämpfer und entschiedene Gegner des Nationalsozialismus. Die Autoren Czapla, Kreutz und Pottier zeichnen hier sehr viel differenziertere Bilder.
Dass das mit dem preußischen Staat aufs engste verbundene Kulturkampferlebnis der deutschen und insbesondere preußischen Katholiken dazu geführt hat, dass es zu einer katholischen Abwehrmentalität gegen staatliche Übergriffe, auch von Seiten des nationalsozialistischen Staates, kam, ist seit langem bekannt. Dieser Sammelband zeigt nun, dass es auch einen "propreußischen Affekt" gab, wie sehr sich katholisches Bewusstsein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit preußischem Geist und preußischen Idealen verbunden und das Geschick Preußens nicht unwesentlich mit beeinflusst hat.
Zum Rezensenten:
Dr. August H. Leugers-Scherzberg, geb. 1958, Historiker und katholischer Theologe, Herausgeber von theologie.geschichte, z.Zt. Lehrstuhlvertreter im Fach Kirchen- und Theologiegeschichte an der Universität des Saarlandes.
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