theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Joachim Klose (Hg.), Religion statt Ideologie? –Christliche Studentengemeinden in der DDR (Belter Dialoge. Bd. 3) Leipzig 2012, Leipziger Universitätsverlag, 140 S., 19.00 €,  ISBN 978-3-86583-649-9


Der vorliegende Tagungsband entstand im Rahmen der Belter Dialoge – Impulse zu Zivilcourage und Widerstand, die von der  Konrad-Adenauer-Stiftung und der Universität Leipzig seit 2009 durchgeführt werden. Gegenstand der Tagung waren vor allem die katholischen Studentengemeinden Leipzig und Dresden, jedoch auch die Arbeit der katholischen und evangelischen Studentengemeinden in der DDR allgemein.

Nach Grußworten des Oberbürgermeisters und der Universitätsrektorin Leipzigs sprach der langjährige katholische Dresdener Studentenpfarrer Eberhard Prause „Zum Konflikt von Universität und Kirche – Kaderschmiede zum sozialistischen Leiter?“ Er griff auf einen Vortrag von 1987 zurück, in dem er die gesamte Studentenseelsorge seit 1918 in den Blick nahm.

Der frühere Theologieprofessor und Thüringer Landesbischof Dr. Christoph Kähler ging dem "Kampf um die Köpfe“ nach und zeichnete ein Bild von den christlichen Studenten in der DDR im Spannungsfeld von Religion und Ideologie. Der Kampf wurde eher durch Macht als durch Argumente entschieden, und rein zahlenmäßig war es eine deutliche Niederlage der Studentengemeinden. Auch wenn es die DDR nicht mehr gibt, seien zwei Folgen ihrer Politik heute unübersehbar: Die christlichen Gemeinden bildeten die Minderheit und müssten sich gegenüber der nichtkonfessionellen Mehrheit rechtfertigen, und die allgemeine Religions- und Kirchenkritik marxistischer Herkunft bestimme das gesellschaftliche Bewußtsein. Bei der Darstellung der einzelnen Etappen verwies Kähler auch auf die beiden inhaftierten Studentenpfarrer Johannes Hamel und Dr. Siegfried Schmutzler.

Joachim Klose, der Herausgeber des Bandes, jetzt Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Freistaat Sachsen, berichtete aus seinen eigenen Studienjahren als Mitglied der katholischen Studentengemeinden  Halle, Berlin und vor allem Dresden in den Jahren 1980 – 1990 unter dem Thema „Gezielte atheistische Kaderpolitik“.

Dr. Peter-Paul Straube, Leiter des Bildungshauses des Bistums Dresden-Meißen, stellte das Engagement der Studentengemeinden für ein „Außeruniversitäres Studium generale?“ heraus.

Mit diesem Bildungsangebot versuchten die Studentengemeinden, Defizite der einseitig ideologisch geprägten Universitätslandschaft zu kompensieren. Straube fügte auch einen Exkurs zum Thema „Ministerium für Staatssicherheit und Studentengemeinde“ bei.

Nikolaus Krause, evangelischer Pfarrer im Ruhestand, berichtete von der Sprengung der Leipziger Universitätskirche 1968 und dem Meißener Tedeum.

Der frühere Rektor der Universität Leipzig (2003 – 2010) Professor Dr. Franz Häuser zeichnete die Diskussion um den Wiederaufbau der Universitätskirche am Augustusplatz nach.

Das Thema „Immun gegen Ideologien? Das Spannungsfeld von Wissen und Glauben gestern und heute“ wurde  gleich von zwei Autoren behandelt. Der frühere Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und jetzige Honorarprofessor für Kirchliche Zeitgeschichte in Halle, Axel Noack, und Professor Dr. Eberhard Tiefensee, Philosoph an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt gingen von der historischen Darstellung der Situation in der DDR zu den Fragen über, was dies für die heutige Situation bedeute. Auch Noack strich wie schon Kähler heraus, dass es einen echten Meinungsstreit in der DDR nicht gegeben habe, sondern lediglich Administration und Propaganda. Tiefensee stellte fest, dass Religion Routine unterbreche und zu oberflächliche Weltdeutungen unterlaufe.

Kurze Beschreibungen der gegenwärtigen Arbeit der katholischen Studentengemeinde Leipzig durch die Studentin Johanna Rogge und den jetzigen Studentenpfarrer Clemens Blattert beschließen den Band.

Die Stärke des Bandes besteht in der Verbindung von persönlichen Einzelerfahrungen und allgemeinen Beobachtungen. Es wird klar, dass die Studentengemeinden nicht in das System der herrschenden Ideologie passten und von den Regierenden deshalb mit generellem Misstrauen beobachtet wurden. Es ging den Gemeinden aber vorrangig um das Praktizieren ihres Glaubens und nicht um Widerstand. Von daher ist zu konstatieren, dass die Studentengemeinden nicht vorrangig zu den Gruppen gehörten, die die Veränderungen 1989/90 auf den Weg brachten. Eine erhebliche Anzahl der in den Studentengemeinden Erprobten stand jedoch für den Aufbau des gesellschaftlichen Lebens nach 1990 zur Verfügung.

Wer die Jahrzehnte in der DDR als Studierender erlebt hat, findet seine Erfahrungen in den Beiträgen wieder. Wer jünger ist oder aus anderen Gegenden kommt, vermag etwas vom Geist, der in den Studentengemeinden lebendig war, zu erfahren.

Es ist bei der Beteiligung von Zeitzeugen nahezu unvermeidlich, dass historische Daten nicht immer exakt wiedergegeben werden. Darauf soll kurz hingewiesen werden. Auch wenn die einzelnen Evangelischen Studentengemeinden ihre Existenz auf Daten nach 1945 zurückführen, gab es in der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung bis 1937 und in der Bekennenden Kirche vor 1945 seelsorgerliche Arbeit unter Studierenden (S.7). Die Entspannung der Lage erfolgte bereits nach dem 10. Juni 1953 (S.16 vgl. auch S. 102f.). Studentenpfarrer Hamel war in Halle bis zum 28.2.1955 tätig (S. 32). Als Leo Stern seinen denunziatorischen Brief an Walter Ulbricht schrieb, amtierte er als Rektor, weil Professor Agricola erkrankt war, war aber selbst Prorektor (S. 32). Die neue Verfassung der DDR trat am 9. April 1968 in Kraft – am 6. April hatte die Volksabstimmung stattgefunden (S. 68).

Doch diese Kleinigkeiten mindern das Verdienst der Organisatoren und Vortragenden nicht, Momente, Erfahrungen und Entwicklungen festgehalten zu haben, die es verdienen, bewahrt zu bleiben. Zugleich werden Aufgaben für die unmittelbare Gegenwart und Zukunft formuliert, die zeigen, dass der Auftrag des Evangeliums in den verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten jeweils seine eigene Sprengkraft enthält.


Zum Rezensenten:
Martin Kramer, geb. 1933, evangelischer Theologe und Pfarrer im Ruhestand, Konsistorialpräsident der Kirchenprovinz Sachsen von 1980-1990.

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