theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Diskussionspapier:

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Daniel Bogner

„Das Dorf des Deutschen“ Die Verwicklungen von Geschichte, Erfahrung und Geltung im Spiegel des jüngsten Romans von Boualem Sansal



Dass Menschenrechte mit den Erfahrungen von Menschen zu tun haben, ist keine neue These. Bei genauerem Hinsehen liegt darin jedoch einige Spannung. Denn es wird zwar immer wieder betont, dass die Menschenrechte aus konkreten Erfahrungen von Leid, Unrecht und Gewalt hervorgehen, aber es bleibt doch offen, wie genau beides aufeinander bezogen ist – historische, kontingente Erfahrungen und die aktuelle Geltung der Menschenrechte heute. Im Folgenden soll anhand eines literarischen Beispiels ein Aspekt zur Klärung dieser Frage erörtert werden. Es handelt sich um einen zeitgenössischen Roman, und zwar um das Anfang 2008 erschienene Werk des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal, das den Titel trägt: „Das Dorf des Deutschen. Oder das Tagebuch der Brüder Schiller“. Bevor der Blick auf das Buch selbst gerichtet wird, soll in knappen Worten der konzeptionelle Rahmen skizziert werden, in dem die anschließende Textlektüre verortet ist. [1]

Wie genau haben die Menschenrechte mit Erfahrung zu tun? Zunächst ist es hilfreich, Entstehung und Geltung voneinander zu unterscheiden. Dass die frühneuzeitlichen Befreiungskämpfe mit ihren Leidenserfahrungen, etwa in England oder den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch die Französische Revolution entscheidend waren für die Formulierung der Menschenrechte, wird wohl keiner bestreiten. [2] Aber wie verhält es sich mit deren Geltung: Ist dafür ebenfalls in so prominenter Weise die Ebene der Erfahrung erforderlich?

Meine These lautet: Ja, aber um die Bedeutung von historischen Erfahrungen für die Geltung von Menschenrechten erheben zu können, bedarf es einer sorgfältigen Hermeneutik dieser Erfahrungen, das heißt der kontext-bezogenen Auslegung ihrer Sinngehalte. Historische Erfahrungen werden niemals direkt und unmittelbar, sondern stets symbolisch in die Gegenwart vermittelt: Sie liegen in Form von Zeugnissen, fiktiven oder dokumentarischen Texten, in Archiven verschlossen oder auf den medialen Benutzeroberflächen der Gegenwart zugänglich vor und müssen ausgelegt werden. Erst in ihrer Auslegung erschließt sich, ob und wenn ja, was sie sagen können hinsichtlich normativer Geltung. Eine Hermeneutik von Erfahrung hat zu ermitteln, in welche Richtung, mit welcher Sinnspitze, mit welcher Wirkung, gegebenenfalls zu welchem Preis solche Zeugnisse eine Aussagekraft entfalten können. Ziel solcher Auslegungen ist es zu ermitteln, was der „Resonanzraum“ von Erfahrungen in der Gegenwart sein kann, und damit auch ihre Bedeutung für die Suche nach Sinn, Geltung und Normativität. [3] Methodisch wird also angesetzt, indem zunächst nicht die Frage nach der Normbegründung, sondern die nach der Normgeltung gestellt ist.

Die Arbeitshypothese, welche auch für Juristen, Politologen und Praktiker der Menschenrechtsarbeit interessant sein dürfte, lautet deshalb: Man kann nicht über die Geltung der Menschenrechte sprechen, ohne über die Umsetzungschancen dieser Rechte zu sprechen. Es interessiert also die gelebte Rechtspraxis der Menschenrechte. Geltung wäre dann doppelseitig verstanden: als gültiges gesetztes Recht auf der einen Seite, aber ebenso als angenommene, lebbare, akzeptierte Vorgabe, die politisch und gesellschaftlich umgesetzt wird, auf der anderen Seite. Mit der Rechtspraxis ist man im Feld der historischen Kontingenz. [4] Die Vermessung von Erfahrungsräumen legt sich nahe, weil kommunizierte Erfahrungen ein wichtiger Indikator sein können für diesen Raum der Rechtswirklichkeit, die bestehenden Chancen, aber auch Grenzen für ein Ethos der Menschenrechte.

Soviel vorab zum methodischen Hintergrund. Am literarischen Beispiel möchte ich eine solche Vermessung von Erfahrungsräumen nun exemplarisch und ansatzhaft durchführen. Worum geht es in dem Buch von Boualem Sansal: „Das Dorf des Deutschen“. [5] Der Text ist gestrickt aus den Tagebüchern zweier Brüder algerischer Herkunft, die in Paris aufwachsen. Von ihren Eltern werden sie als Kinder zu dem in Frankreich lebenden Onkel gebracht, wegen der besseren sozialen Lebenschancen und um dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland zu entgehen. Der ältere von beiden, Rahel, wird wirklich zum sozialen Aufsteiger, er arbeitet in guter Position bei einem erfolgreichen Unternehmen. Der jüngere, Malrich, ist ein Kind der banlieue, immer wieder verwundert, wie schlecht das Leben doch sein kann inmitten der sozialen Benachteiligung im Milieu, dem Rückzug des Staates aus den Problemvierteln des Pariser Umlands, den Kumpels, die zwischen Islamismus und traditioneller Moral hin- und hergerissen sind.

Rahel, der ältere, begeht Mitte der 1990er Jahre Selbstmord, und das Buch von Sansal beginnt mit der Aushändigung seiner persönlichen Utensilien an den jüngeren Bruder Malrich. Bei diesen Utensilien findet sich auch das Tagebuch von Rahel, in dem dessen Weg zum Selbstmord beschrieben wird. Malrich führt sein eigenes Tagebuch, in dem er die Einträge des Bruders reflektiert. So werden zwei unterschiedliche Umgangsarten mit einem selben Schicksal sichtbar: Ihr Vater, Hans Schiller – das wussten sie – stammte ursprünglich aus Deutschland. Eines Tages erfährt Rahel von einem schrecklichen Massaker der islamistischen Terrorgruppe GIA (Islamische Bewaffnete Gruppe), die sich in den 90er Jahren in Algerien auf dem Rücken der Zivilbevölkerung einen fürchterlichen Bürgerkrieg mit dem staatlichen Militär liefert. Die Terroristen haben das Heimatdorf der Familie der beiden Brüder beinahe dem Erdboden gleichgemacht, ein Großteil der Bevölkerung ist ermordet. Getrieben von der Erinnerung an seine Eltern macht sich Rahel auf den Weg in das kleine Dorf im algerischen Hinterland. In der Ortschaft wird sein Vater als „Scheich“, als weiser alter Mann und Wohltäter, als ein Dorfältester und kluger Verwalter verehrt. Nicht ohne Grund, hat er doch im algerischen Befreiungskrieg von 1954 bis 1962, in dem sich die Algerier von der französischen Kolonialherrschaft befreiten, als „Moujahid“ auf der Seite des FLN (Front de la Libération Nationale / Algerische Befreiungsfront) gekämpft. Hier setzt nun die Wendung der Erzählung ein: Der Vater wirkte als Militärberater für die algerische „Revolution“ und er verkaufte sein Wissen, das er in ganz anderem Kontext erworben hatte: als Offizier der SS-Division „Totenkopf“ während des Nationalsozialismus, in den Konzentrationslagern, im Zweiten Weltkrieg.

Diese Kenntnisse schockieren Rahel: Er macht sich auf die Recherche der Vergangenheit seines Vaters und entdeckt die Singularität der Verbrechen, an denen dieser beteiligt war. Seine Kenntnisse treiben den Bruder in den Wahnsinn, er stellt sich die Frage nach der Erblichkeit von Schuld. Schließlich nimmt er sich das Leben, nicht ohne dem Bruder sein Tagebuch zu vermachen, damit dieser erfährt, was es mit den Eltern auf sich hat. Malrich geht ganz anders damit um: Konfrontiert mit der „Talibanisierung“ seines Pariser Stadtviertels drängen sich ihm Vergleiche zwischen Nazismus und Islamismus auf. Ihm wird gesagt, dass solche Vergleiche Ärger einbringen können, aber er bezieht daraus vor allem eine Ressource für seinen täglichen Überlebenskampf in der banlieue.

Soweit der Inhalt dieses aufregenden Buches. Zwar handelt es sich um einen fiktiven Text, aber, wie der Autor mehrfach betont hat, gibt es – zumindest für die Figur des Vaters – ein reales, historisches Vorbild, auf das Sansal sich bezieht. Und ohnehin bezieht der Text seine Spannung aus existierenden sozialen und historischen Spannungen. Interessant ist nun die Frage nach der Rezeption: Wie wird dieser Text verstanden? Welche Wirkung kann er überhaupt entfalten? Wie unterscheiden sich diese Wirkungen, je nach nationalem Kontext, in den hinein er gesprochen wird?

Veröffentlicht vom französischen Verlag Gallimard entfaltet er zunächst in Frankreich seine Wirkung in unterschiedliche Richtung: Widerhall findet dort zuallererst die schonungslose Kritik Malrichs an der Politik der Republik in den Problemvierteln der Großstädte. Hier vernimmt man eine Innenperspektive, jemanden, der eigentlich an die Segnungen der republikanischen Zivilisation mit ihren Menschenrechtsverheißungen glaubt, an das Versprechen der Gleichbehandlung und gleicher Rechte für alle, die sich zur Republik bekennen. Malrichs Stimme ruft der französischen Republik ihre uneingelösten Versprechen in Erinnerung, ihre Brüche und Verwerfungen. Viele der Einwanderer, mittlerweile Franzosen, aber nach wie vor von Benachteiligung und Exklusion betroffen, sind algerischer Herkunft. Sansals Text schlägt für französische Rezipienten die Brücke zwischen den eklatanten Problemen der französischen Integrationspolitik und dem historischen Erbe des Algerienkrieges. Auch der ist immer noch eine offene Wunde im Gewebe der politischen Identität Frankreichs. Zermürbt, sieglos, zwar mit Einsicht, aber gegen das Herz verließ man auf de Gaulles Geheiß 1962 nordafrikanischen Boden; die algerischen Söldnertruppen, die für die Grande Nation und gegen ihre eigenen Landsleute kämpften, ließ man hilflos und verraten zurück; die Kriegsverbrechen wie Folter, außerlegale Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von Personen wurden nie wirklich aufgearbeitet. Sansal ruft in Erinnerung, dass Gegenwart und Vergangenheit miteinander zu tun haben, und dass die Verdrängung des Gestern zu Fehlern im Heute führt.

Eine ambivalente Wirkung vermag die Figur des ehemaligen SS-Offiziers Hans Schiller, der zum Militärberater des FLN geworden ist, auslösen: Werden nicht so die Unterdrückung des algerischen Unabhängigkeitsstrebens und der Kolonialkrieg nachträglich wieder ein bisschen legitimiert? Wenn die „Aufständischen“ sogar mit alten Naziverbrechern kooperierten? Zumindest, so mag es die national-französische Lesart begreifen, wiegen dann die Vorwürfe an die eigenen Kriegspraktiken nicht mehr gar so schwer und vernichtend…[6]

Soweit zu den möglichen Resonanzen des Textes in Frankreich. Wie aber steht es damit in Algerien, dem Heimatland des Autors? Nun, dort darf das Buch gar nicht erscheinen. Seit 2005 werden in Algerien keine Bücher von Sansal mehr zugelassen; das immer noch von der ehemaligen Befreiungsfront (FLN) getragene Regime beschuldigt den Autor, die „heiligen Werte der Revolution“ zu verletzen. Sansal, der selbst bis vor einigen Jahren ein hoher algerischer Ministerialbeamter war, hat sich entschieden, in Algier zu leben und nicht wie viele andere Schriftsteller zu emigrieren. Was sagt das Buch den Algeriern, wenn sie es auf Umwegen lesen? Es könnte vor allem Breschen schlagen in die in Algerien verordnete Lesart der nationalen Geschichte, die Ikonografie vom siegreichen Kampf gegen die Franzosen und der daraus für alle Zeiten folgenden Legitimität der alten, korrupten Befreiungspartei, die jede Aufarbeitung der eigenen Verbrechen verhindert. So wie Rahel im Buch Sansals sich an die Behörden wendet, um die Aufklärung der islamistischen Terrortaten der GIA einzufordern und darauf nie eine Antwort bekommt, geht es vielen Algeriern bis heute mit ihrer Regierung. Sansals Text muss in algerischen Ohren wie die längst überfällige Anklage des Regimes klingen, für das die Bevölkerung nicht aus Bürgern, sondern aus Untergebenen besteht. Und wie ein Sprengsatz wirkt es, wenn ein arabischer Schriftsteller seinem Volk ins Gesicht erzählt, auf welch dunklen Kanälen der FLN sich sein militärisches Wissen erwarb. Ein algerisch-arabisches Tabu wird gelüftet, wenn über die Schoah gesprochen wird, von einem Algerier, für seine Landsleute und durch den Mund der Seinen. Die Mischung aus Gleichgültigkeit, Zweifel und offenem Negationismus, die Sansal in Algerien hinsichtlich dieses Kapitels der Geschichte feststellt, geht er mit seinem Text offen an. [7]

Was wäre schließlich die Geografie eines deutschen Erfahrungsraumes mit dem Buch und dessen Themen? Man mag sich nicht sofort sicher sein. Ist es die Beklommenheit, die vorherrscht, weil Sansal Nazismus und Islamismus vergleicht? „Wenn ich sehe“, so Sansal, „was die Islamisten bei uns (in Frankreich) und anderswo tun, dann sage ich mir, dass sie eines Tages, wenn sie an der Macht sind, selbst die Nazis übertreffen werden.“ Lädt das etwa ein, irgendetwas zu relativieren, eventuell gar die deutsche Geschichte? Oder ist es der Blankoscheck, um Islamismus und Islam in einen Topf zu werfen und Muslimen die Demokratiefähigkeit abzusprechen? Macht Sansals Buch verlegen, weil es vor Augen führt, wie sympathisch der Nationalsozialismus in Teilen der arabischen Welt aufgenommen wurde? Weil damit sichtbar wird, dass es von Westdeutschland aus eben nicht nur die emanzipatorisch gesinnte Unterstützung des FLN durch die „Neue Linke“ gegeben hat, sondern auch handfeste Militärberatung aus ganz anderer Tradition? Das alles mag aufgerufen werden, wenn man mit deutscher Brille durch die Erzählung schreitet.

Erwähnenswert ist aber auch ein anderer Punkt, der noch viel wesentlicher erscheint und die Sprengkraft des Textes ausmacht. Boualem Sansal zeigt, wie wenig „normal“ die Akzeptanz und Geltung der Menschenrechte doch ist, die in Deutschland oft mit größter Selbstverständlichkeit für ein Grunddatum der Zivilisation gehalten werden, das auf alle Zeiten Bestand hat. Sansal erinnert an die Kämpfe, die mit den Menschenrechten immer verbunden sind, und ohne die es sie nicht geben würde. Indem er ein um das andere Tabu seines Landes lüftet, sich als erster Schriftsteller Algeriens überhaupt öffentlich zum Antisemitismus äußert[8], den Totalitarismus des Regimes seines Landes, Korruption und Machtmissbrauch anprangert, riskiert er sich und seine schriftstellerische Existenz. Er erinnert daran, dass Menschenrechte Mut erfordern, dass sie nie ein Geschenk des Himmels sind, sondern stets von neuem historisch erkämpft werden müssen. Wo der Prozess der Verrechtlichung der Menschenrechte einsetzt, darf man nicht der Illusion erliegen, der Kampf höre auf. Geschichte wiederholt sich nicht, aber weil die Menschenrechte gerade die Ohnmacht des Individuums gegenüber fremder Gewalt als Gegenstand haben, drohen die Standards der Menschenrechte immer an Boden zu verlieren. Ihre Akzeptanz muss jeweils neu erarbeitet werden, und das schlägt sich dann auch irgendwann in der Gesetzgebung nieder – womit die Spirale von neuem beginnt.

Am Ende des Ausflugs in die unterschiedlichen Rezeptionsräume des Textes soll nochmals der Bogen zum methodischen Ausgangspunkt der Überlegungen gespannt werden. Man könnte nach den Versuchen, die französischen, algerischen, deutschen Erfahrungsräume zu diesem Text zu vermessen, weiter fragen: Wie wäre seine Rezeption anderswo, etwa in Israel, oder in Palästina? Die Topologie solcher Erfahrungsräume ist unabgeschlossen, und sie zeigt, wie sehr die gelebten Standards menschlichen Zusammenlebens in Abhängigkeit von geschichtlicher Erfahrung stehen. Diese Erfahrungen sind jeweils sehr unterschiedlich und müssen sich natürlich nicht nur entlang nationaler Kriterien definieren. Das mag ernüchtern, weil in den Wein der universalen Geltung der Menschenrechte das Wasser der historischen Bedingtheit ihrer Akzeptanz und Rezeption geschüttet wird. Aber es eröffnet zugleich ein riesiges Potential: Sichtbar wird damit die ungeheure Chance, die darin liegt, mit einer umsichtigen Ansprache solcher Erfahrungsräume deren unterstützende Kräfte zu erschließen. Kontingente, das heißt kontext-, zeit- und situationsbezogene Erfahrungen von Menschen, Gruppen und Gesellschaften können zu einem energetischen Verstärker der rechtlichen Ansprüche werden. Die Rolle der Geschichte, des Vergangenen, Erlebten ist in diesem Sinne nicht linear zu verstehen, im Gegenteil, wie der Philosoph Paul Ricœur unterstreicht: Es sind gerade die „uneingelösten Versprechen der Vergangenheit“ [9], die es im hermeneutischen Verfahren zu eruieren gilt, und die zu politisch relevanten Faktoren in der Gestaltung der Gegenwart werden können. Das gilt auch für die Politik der Menschenrechte, die ohne solche fiktiven, visionären Potentiale nicht auskommt.



[1]Dieser Text geht auf einen Beitrag zurück, der bei einer von Berliner und Jerusalemer Juristen gemeinsam veranstalteten Tagung zum Thema Menschenrechte im November 2008 in Israel vorgetragen wurde. Für die hiesige Veröffentlichung wurde er neu überarbeitet und erweitert.
[2]Vgl. Heiner Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte. Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos, Darmstadt, 1998, 230 S.
[3]Darin liegt der Anspruch zu ermessen, wie Erfahrungen zum Ausgangspunkt für Normbildung und Normgeltung werden können. Dass die Funktion, die Erfahrungen damit zukommt, je nach philosophischer Grundausrichtung sehr unterschiedlich bewertet werden kann, sei unbenommen: Mal gilt Erfahrung als Ausgangspunkt, Verstärker, Sprungbrett, mal als Grund, Haftpunkt oder Akzeptanzquelle für Normativität. Idealistische, transzendentalphilosophische stehen neben phänomenologischen oder pragmatistischen Denkwegen. Eine Entscheidung soll hier gar nicht getroffen werden.
[4]Bezüglich des Paradigmas der Kontingenz in Geschichts- und Sozialwissenschaften vgl. Wolfgang Knöbl, Die Kontingenz der Moderne. Wege in Europa, Asien und Amerika, Frankfurt, 2007, 361 S. Ebenso: Michael Makropoulos, Kontingenz. Aspekte einer theoretischen Semantik der Moderne, in: Archives Européennes de Sociologie 45 (2004), S. 369-399.
[5]Boualem Sansal, Le village de l’Allemand. Ou le journal des frères Schiller, Gallimard: Paris, 2008, 264 S. In Kürze wird der Titel im Hamburger Merlin Verlag auch in deutscher Übersetzung verfügbar sein: Das Dorf des Deutschen, Gnifkendorf, 2009, ca. 340 S.
[6]Einen Überblick zu den verschiedenen Debatten über die Bedeutung des Algerienkrieges bietet Frank Renken, Frankreich im Schatten des Algerienkrieges. Die Fünfte Republik und die Erinnerung an den letzten großen Kolonialkonflikt, Göttingen, 2006, 569 S.
[7]Auf dem Pariser Salon du Livre im März 2008 gehörte Sansal zu den wenigen arabischen Schriftstellern, die das Treffen wegen des Gastlandes Israel nicht boykottierten.
[8] „Die Schoah stand unter vollständigem Schweigen in Algerien, wenn nicht sogar präsentiert als eine schäbige Erfindung der Juden. Diese Tatsache hat mich geschockt. Bis zum heutigen Tag hat das algerische Fernsehen keinen Film oder Dokumentation über dieses Thema gesendet, niemals hat ein Verantwortlicher ein Wort gesagt, niemals hat, nach meiner Kenntnis, ein Intellektueller über dieses Thema geschrieben. Das ist umso unverständlicher, als wir aus unserem Drama während des Algerienkrieges das Alpha und Omega des nationalen Bewusstseins gemacht haben. Ich denke, dass wir uns deswegen ebenfalls für die Dramen hätten interessieren müssen, die andere Völker getroffen haben, überall auf der Welt.“ Boualem Sansal im Interview, in: Le Nouvel Observateur, zugänglich unter: http://bibliobs.nouvelobs.com/print/2505.
[9]Paul Ricœur, Die Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen, Göttingen 22004 (1998), S. 64. (Essener Kulturwissenschaftliche Vorträge 2).





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