Gutachten und Diskussionsbeiträge zu Daniel Bogner, „Das Dorf des Deutschen“. Die Verwicklungen von Geschichte, Erfahrung und Geltung im Spiegel des jüngsten Romans von Boualem Sansal
Übersicht:
Gutachten:
1. PD
Dr. August H.
Leugers-Scherzberg, Duisburg-Essen
Diskussionsbeiträge:
Gutachten
1. PD. Dr. August H.
Leugers-Scherzberg, Duisburg-Essen
Gutachten
zu Daniel Bogner, „Das
Dorf
des Deutschen“. Die Verwicklungen von Geschichte, Erfahrung und Geltung
im Spiegel des jüngsten Romans von Boualem Sansal
Daniel Bogner hat im November 2008 Boualem Sansals Werk „Das Dorf des Deutschen“ bei einer von Berliner und Jerusalemer Juristen veranstalteten Tagung zum Thema Menschenrechte zum Anlass genommen, um über das Verhältnis von „historischen, kontingenten Erfahrungen“ und der „Geltung der Menschenrechte“ zu reflektieren. Die frühneuzeitlichen Befreiungskämpfe mit ihren Leidenserfahrungen“ seien entscheidend für die „Formulierung der Menschenrechte“ gewesen. Bogner vertritt die These, dass nicht nur die Entstehung der Menschenrechte, sondern auch ihre aktuelle Geltung im Kontext der historischen Erfahrung zu interpretieren sei. „Man kann nicht über die Geltung der Menschenrechte sprechen, ohne über die Umsetzungschancen dieser Rechte zu sprechen.“
Der irritierende Kern des Romans des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal, der auf einer Erfahrung beruht, die Sansal Anfang der 1980er Jahre gemacht hat, ist die Information, dass ein – hoch geachteter und im Volk verehrter - Militärberater der algerischen Revolution sein Handwerk als SS-Offizier in den NS- Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs gelernt haben soll. Dies ist offenbar die historisch-kontingente Erfahrung, dass Menschen, die in einem historischen Kontext Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, in einem anderen historischen Kontext Kämpfer für die Durchsetzung der Menschenrechte sein können.
Bogner skizziert, welche „unterschiedlichen Rezeptionsräume“ der Roman in Frankreich, Algerien und Deutschland hat und haben kann. Dabei weist er auf die unterschiedlichen historischen Erfahrungsräume der Kulturen und ihre unaufgearbeiteten Vergangenheiten hin (Frankreich: unaufgearbeitetes Erbe des Algerienkrieges, Algerien: Verbrechen der korrupten FLN, Deutschland: Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen). Die Rezeption des Romans in diesen unterschiedlichen historisch-kulturellen Kontexten zeigt nach Bogner „wie sehr die gelebten Standards menschlichen Zusammenlebens in Abhängigkeit von geschichtlicher Erfahrung stehen.“ Mit einer „umsichtigen Ansprache solcher Erfahrungsräume“ könnten „unterstützende Kräfte“ für die Geltung der Menschenrechte erschlossen werden.
Bogner weist darauf hin, dass historische Erfahrungen „niemals direkt und unmittelbar“ sondern „stets symbolisch“ in die Gegenwart vermittelt werden. So ist es offenbar auch mit der „historischen Erfahrung“, die dieser Roman vermitteln will. Denn für die militärische Schlagkraft der algerischen Befreiungsfront war es unerheblich, wo ihre Berater ihr militärisches Handwerk gelernt haben. Militärberater können im Hinblick auf ihre fachliche Aufgabe nicht als „sittlich gut“ oder „sittlich böse“, sondern nur als „fachlich gut“ oder „fachlich schlecht“ beurteilt werden. Sansal hatte nach eigenen Angaben „romantische, idealisierende Vorstellungen vom algerischen Unabhängigkeitskampf“ gehabt, bis er Anfang der 1980er Jahre von der Geschichte des „Dorfes des Deutschen“ erfuhr. Der Militärberater stellt für Sansal offenbar damals wie heute in symbolischer Weise die Ambivalenz des algerischen (aber auch des islamistischen) Befreiungskampfes zwischen Emanzipation und totalitären Tendenzen dar, die für ihn einen Vergleich mit dem Nationalsozialismus nahelegen.
Für die Veröffentlichung würde ich mir wünschen, dass Daniel Bogner das „Skandalon“ des Romans aus der Sicht Sansals noch stärker herausarbeitet und die daran geknüpften Erwägungen der Protagonisten des Romans kritisch beleuchtet. Außerdem wäre es wünschenswert, dass er die öffentlichen Reaktionen nachzeichnet, die der Roman hervorgerufen hat, seitdem er im November 2008 seine Thesen auf der Tagung in Israel vorgestellt hat.
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