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Gutachten und Diskussionsbeiträge zu August H. Leugers-Scherzberg, Katholische Kirche, Zwangsarbeiter und die Entdeckung des „kooperativen Antagonismus“ in der „nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft“



Übersicht:

Gutachten:

1. Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser, Marburg
2. Prof. Dr. Friedhelm Boll, Kassel

Diskussionsbeiträge:

1. Dr. Christian Schmidtmann, StR i.K. am Gymnasium St. Christophorus in Werne




Gutachten

1. Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser, Marburg

Stellungnahme zum Diskussionspapier von August H. Leugers-Scherzberg: „Katholische Kirche, Zwangsarbeiter und die Entdeckung des ‚kooperativen Antagonismus‘ in der ‚nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft‘ “

Hinter dem Beitrag von Leugers-Scherzberg verbirgt sich eine Rezension des Sammelbandes von Joseph Hummel und Christoph Kösters (Hgg.), Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939–1945. Eine Dokumentation, Paderborn et al. 2008. Der Autor nimmt seine Besprechung zum Anlass, sich über das Verhältnis der katholischen Kirche und der ihr nahestehenden Historiographie zum Nationalsozialismus in allgemeinerer Weise zu äußern und tut dies überaus kritisch und mit emotionalem Engagement. Das liest sich prima vista erfrischend und plausibel, zumal der Verfasser in einigen Punkten den Finger auf ‚bekannte Wunden‘ legt. Dabei bewegt er sich überwiegend im Mainstream der aus den Medien und Teilen der Sekundärliteratur bekannten Vorstellungen, die in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit der 1950er und 1960er Jahre heftige Debatten entfachten, aber heute in der Forschung weitgehend keine Rolle mehr spielen.

Seine Ausgangsthese lautet, dass der Band von Hummel/Kösters „beredtes Zeugnis“ darüber ablege, „ob und in welchem Maße in der katholischen Kirche die Bereitschaft vorhanden ist, die kirchliche Vergangenheit aufzuarbeiten“, und fügt sogleich hinzu, dass sich aus den Einzelbeiträgen der 27 Diözesen ein ‚hervorragender Einblick‘ in die Argumentationsstränge ergebe, wie man sich im kirchlichen Bereich bemühe, „an einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit vorbeizukommen [!]“. Damit sind Prämissen und Zielsetzung des Papiers bereits dargelegt, nämlich den vermeintlich anhaltenden Versuchen  entgegenzutreten, die Verstrickung und auch aktive Beteiligung von Katholiken und ihrer Kirche in und an der NS-Gesellschaft im Sinne einer inszenierten ‚Exkulpierungsstrategie‘ abzuschwächen oder gar zu leugnen. Nun ist es dem Verfasser unbenommen, eine kritische Position zu vertreten, die von der Auffassung der Kommission für Zeitgeschichte, welche die beiden Herausgeber vertreten, dezidiert abweicht. Was allerdings auffällt, ist der Argumentationsgang, mit dem diese Position begründet wird.

Leugers-Scherzberg macht sie am Beispiel der Behandlung des Zwangsarbeiter-Themas fest, wobei er die in der Tat nicht immer glücklich verlaufene Vorgeschichte des Projekts ausführlich darstellt und kritisch aufs Korn nimmt, um dann einzelne Ergebnisse des Sammelbandes zur Stützung seiner Generalthese heranzuziehen. Ich will mich im Folgenden auf einige Beispiele des zweiten Teils beschränken.

Zunächst nimmt er sich Hummels schon 2001 erstmals geäußerte Hypothese vor, dass es noch keine Gesellschaftsgeschichte der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg gebe, in die dann als ‚Teilaspekt‘ auch das Problem der Beschäftigung von Zwangsarbeiter/innen im kirchlichen Bereich einzubinden sei. Dieses Desiderat, das im Übrigen auch für die Ev. Kirchen gilt, stilisiert der Autor zu dem ‚erkenntnisleitenden Interesse‘ der Herausgeber, anstatt darin eine kluge methodische Beobachtung zu erkennen, mit der das Zwangsarbeitsthema in die allgemeine wie kirchliche Historiographie eingebettet werden kann. Unter ‚Einordnung‘ – so legt sein Text nahe – versteht Leugers-Scherzberg jedoch den aus seiner Sicht unstatthaften Kunstgriff, dem ‚Problemfeld Zwangsarbeit‘ ein Alleinstellungsmerkmal zu nehmen und es als untergeordneten Faktor in das umfassende Thema ‚Kriegsgesellschaft‘ zu integrieren. Dem ließe sich einmal entgegenhalten, dass jedes historische Einzelthema in seiner wissenschaftlichen Erarbeitung und Bedeutung nur kontextuell angemessen zu verorten ist, was keineswegs impliziert, dass seine Wertigkeit dadurch herabgestuft wird. Und dann macht sich an diesem Punkt auch eine sachliche Schwierigkeit fest: Zwangsarbeit in Kirche, Caritas und Diakonie war keineswegs ein Massenphänomen, das jedem (Kirchen-)Historiker, der sich mit NS und Krieg beschäftigte, bis in die 1990er Jahre hinein sogleich ins Auge springen musste. Dahinter Verschleierungstaktiken zu mutmaßen, ist m.E. abwegig.

In der modifizierten Übernahme des von Winfried Süß für das NS-Gesundheitswesen und seine schon lange vor 1933 gewachsenen Verbindungen mit der konfessionellen Wohlfahrtspflege und -gesundheitsfürsorge benutzten Begriffs ‚antagonistische Kooperation‘, die Hummel/Kösters als ‚kooperativen Antagonismus‘ bezeichnen, sieht der Autor ebenfalls ein Indiz für eine unheilige Allianz von Katholiken mit dem Dritten Reich und seiner Kriegsgesellschaft. Doch waren Caritas und Innere Mission mit ihren Anstalten und Heimen bereits lange vor 1933 Teil der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Sie blieben es während des NS und auch nach 1945 in BRD und DDR, – wenn auch von den Machthabern des Dritten Reiches ungeliebt, aber auch ‚gebraucht‘, weil sich die kirchlichen Institutionen um jene ausgegrenzten und für die Interessen des Regimes nicht ‚verwertbaren‘ Menschen kümmerten.  An ihnen hatte die staatliche Sozial- und Gesundheitspolitik nicht nur kein Interesse, sondern empfand sie als Belastung für die Volksgemeinschaft und bezog sie mit Kriegsbeginn in die Mordaktionen der sog. Euthanasie ein. Dass die karitativen Organisationen der Kirchen diese Teilintegration zwar mit Zugeständnissen bezahlten, sich andererseits aber auch auf vielen Feldern dagegen zu Wehr setzten, gerät bei Leugers-Scherzberg offenbar aus dem Blick. Aus meiner Sicht beschreibt der Terminus ‚kooperativer Antagonismus‘ zutreffend die Dilemma-Situation der konfessionellen Träger, die einerseits ihre Klienten zu schützen suchten und andererseits mancherlei Kompromisse mit Ideologie und sozialer Praxis des Regimes eingingen. Letztlich bewahrte sie das nicht davor, an den schrecklichen Geschehnissen mitschuldig zu werden. Sie begaben sich – mit einem Wort des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm – damit nolens volens auf eine schiefe Ebene, auf der es kein Halten mehr gab. Wer diese Entscheidung einseitig gegen theologische und katholisch-naturrechtliche Grundsatzpositionen ausspielt, argumentiert primär gesinnungsethisch resp. moralisch, verkennt jedoch die Zwänge, unter denen die Handlungsträger seinerzeit standen und in deren Rahmen sie agierten, weil sie ihre Pflegebefohlenen und Einrichtungen nicht gänzlich preisgeben wollten. Das kann man natürlich kritisieren und verantwortungsethische Positionen, die stets auch pragmatische Züge beinhalten, abweisen oder als wohlfeile Apologetik ex post brandmarken. Ob eine solche Kritik den historischen Gegebenheiten gerecht wird, bleibt allerdings die Frage.

Unbestreitbar ist die Beschäftigung von Zwangsarbeiter/innen in der Kirche selbst, vor allem aber in ihren karitativen Vorfeldorganisationen und deren Einrichtungen, lange nicht thematisiert worden. Es bedurfte erst eines politischen und medialen Impulses von außen, um auch von der Konfessionsgeschichte aufgegriffen zu werden. Hier finden sich auffällige Parallelen zur Forschungsgeschichte des Verhältnisses von Christen und Juden sowie zum ‚Euthanasie‘-Komplex. Und in den ersten drei Jahrzehnten nach 1945 dürften hier zugestandenermaßen auch apologetische Momente eine Rolle gespielt haben. Auf der anderen Seite stand das Selbstbewusstsein beider Großkirchen nach dem Zusammenbruch für die Auffassung, das Dritte Reich als einzige gesellschaftlich relevante Institutionen vermeintlich einigermaßen intakt durchstanden zu haben, was – abgesehen von den Deutschen Christen auf evangelischer Seite und wenigen Parteigängern des NS innerhalb des deutschen Katholizismus – ja nicht generell von der Hand zu weisen ist; jedenfalls gilt das im Hinblick auf die religiös-weltanschauliche Position, die dem Menschenbild des NS diametral entgegengesetzt war. Auch die persönlichen Opfer durch Repressalien, Haft und auch Tod sollten nicht geringgeschätzt werden, die manche Kleriker und kirchliche Mitarbeiter/innen in Ausübung ihres Dienstes für andere auf sich nahmen.

Dass Zwangsarbeit in Kirche und Caritas einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung allgemein kirchlicher, sozialer und medizinischer Einrichtungen während des Krieges geleistet hat, kann ebenfalls nicht in Abrede gestellt werden: Der Arbeitsmarkt war nicht nur leergefegt, – es gab ihn praktisch nicht mehr, so dass die Arbeitsämter der starken Nachfrage schließlich nur noch mit Angehörigen dieses Personenkreises nachzukommen in der Lage waren. Dies aufzuzeigen hat nichts mit Entschuldungsstrategien zu tun, sondern ist ein zu berücksichtigender Sachverhalt in der Zeit zwischen 1941 und 1945.

Für problematisch halte ich auch die von Leugers-Scherzberg in Anlehnung an Uwe Kaminsky angestellten Berechnungen, die letztendlich darauf hinauslaufen, die begründete Annahme einer unterhalb der Promillegrenze liegenden Zahl der Zwangsarbeiter im Vergleich mit allen davon Betroffenen, die im Deutschen Reich tätig waren, im Raum der Kirchen virtuell so zu erhöhen, dass damit auch der Grad der kirchlichen Verantwortung für die Beschäftigung dieses Personenkreises steigt. Abgesehen davon, dass es sich nicht wie behauptet um 7,5 Mio, sondern um rund 12,5 Mio Menschen handelte, erscheint der Vergleich des Zwangsarbeiteraufkommens in Korrelation zu den Zahlen des gesamten kirchlichen Personalsektors nicht wirklich schlüssig. Damit werden historisch messbare Relationen verwischt, und der Leser darf vermuten, hier addiere man Verantwortung gleichsam hoch, um ein ganz anderes Anliegen zu verfolgen, nämlich die lange Ausblendung der Zwangsarbeiterfrage aus der konfessionsnahen Forschung sowie die generelle Herabstufung kirchlicher Mitverantwortung für den NS zu attackieren.

In vielem anderen, was Leugers-Scherzberg anführt – etwa die geringe Entlohnung von Zwangsarbeit oder das fehlende Unrechtsbewusstsein der Zeitgenossen gegenüber diesem Thema –, ist ihm sicher zuzustimmen. Alles in allem bleibt jedoch der Eindruck einer methodisch wie inhaltlich-moralisierenden ‚Hermeneutik des Verdachts‘, – dass es nämlich der katholischen Kirche und einer ihr verbundenen kirchlich-zeitgeschichtlichen Forschung bis heute nicht gelungen sei, sich aus der apologetisch gefärbten Abweisung der Mitverantwortung und damit aus den Fesseln eines grundsätzlich defensiv angelegten Geschichtsbewusstseins – bezogen auf die NS-Zeit – zu befreien. Ich vermag nicht zu sehen, dass ein solches Urteil Vorgehen und Erkenntnisse der Fachforschung von heute angemessen beschreibt. Hier sind keineswegs Personen am Werk, die in strategischer Weise Verteidigungslinien konstruieren, – das wäre eine verschwörungstheoretische Sichtweise, und es gibt auch keine kirchliche ‚Geschichtsbehörde‘, die direkt oder indirekt für die historisch ‚richtige‘ Sicht auf die Kirchen in den Köpfen sorgt. Im Übrigen teile ich die Auffassung von Christian Schmidtmann, der in seinem Kommentar von jenen alten (Geister-) ‚Schlachten‘ spricht, die noch Nachwirkungen haben mögen, aber die Forschungstrends der kirchlichen Zeitgeschichte heute nicht mehr bestimmen.


2. Prof. Dr. Friedhelm Boll, Kassel

Gutachten  zum Aufsatz von A. Leugers-Scherzberg über Katholische Kirche, Zwangsarbeiter und die Entdeckung des „kooperativen Antagonismus“ in der „nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft“


Der Diskussionsbeitrag ist durchgehend klar argumentierend aufgebaut. Er verfolgt eine gut belegte These, die insgesamt überzeugend und in mehreren Schritten unterteilt dargelegt wird.

Insgesamt muss man den Eindruck gewinnen, dass der Autor aufgrund der sorgfältigen Analyse der kirchlichen Erklärungen einerseits und der erfolgten Gegenüberstellung mit den publizierten Forschungsergebnissen andererseits die diagnostizierten Trends der Verharmlosung deutlich herausgearbeitet hat. Daher dürfte dieser Aufsatz ein wichtiger Beitrag zur innerkirchlichen wie auch zur öffentlichen Diskussion um das Problem der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen sein.

Angeraten wird, die Zusammenfassung wirklich als Zusammenfassung zu konzipieren. Dabei sollte z.B. die Tendenz zur Verharmlosung und die partielle Mangelhaftigkeit der Nachforschungen benannt werden. Diese könnte mit den positiven Beispielen der Forschungen (etwa im Bistum Essen) konfrontiert werden. Auch scheint es eine zu geringe Sorgfalt der Kommission für Zeitgeschichte in der Anleitung der einzelnen Forscher gegeben zu haben. Schließlich sollten knapp nochmals die ausgelassen Forschungsfragen erwähnt werden. Der letzte Absatz der Zusammenfassung sollte den Unterschied zwischen den Begriffen der antagonistischen Kooperation und des kooperativen Antagonismus herausarbeiten. Letzterer bedeutet eine Abschwächung, da hier die Grundlinie des Antagonismus beibehalten wird, obwohl sich kirchliche Stellen gelegentlich kooperativ verhielten. Im Fall der antagonistischen Kooperation kollaborieren kirchliche Einrichtungen zu den vom Nationalsozialismus vorgegebenen Konditionen, wenn auch mit anderer Zielsetzung als der Nationalsozialismus. Dies sollte zum Schluss noch einmal unter Einbeziehen der Forschungsergebnisse von Süß gewichtet werden.

Kritisch anzumerken ist, dass der Autor nicht auf die Frage eingeht, ob die Maßgaben des NS-Regimes für die Handhabung der Zwangsarbeiterbeschäftigung auch für die kirchlichen Einrichtungen galten und wenn ja, ob die kirchlichen Arbeitgeber sich an diese Richtlinien gehalten oder diese umgangen haben. Diese Frage ist aus vielen anderen Kontexten bekannt. So durften Zwangsarbeiter nicht am gleichen Tisch essen, wie sog. Arier. Die zu unterstellende Kenntnis der Richtlinien der Zwangsarbeiterbeschäftigung verschärft die argumentative Notlage der kirchlichen Aufarbeitung. Jeder, der Zwangsarbeiter beschäftigte, hatte sich dem rassenideologischen Diktat des NS (festgelegt in den Richtlinien zur Behandlung von Zwangsarbeitern) ipso facto unterworfen. Es kommt somit gar nicht so sehr auf die Zahl der beschäftigten Zwangsarbeiter als auf die Bereitschaft an, sie überhaupt zu beschäftigen. Damit allein haben sich katholische Einrichtungen der vom NS praktizierten Unmenschlichkeit unterworfen.

An manchen Stellen wäre eine vorsichtigere Formulierung angebracht.


Diskussionsbeiträge

1.Dr. Christian Schmidtmann, StR i.K. am Gymnasium St. Christophorus in Werne


Für mich als jüngeren Forscher (Jg. 1972) hatte der Diskussionsbeitrag von August H. Leugers-Scherzberg einen gewissen Wiedererkennungswert. Werden hier am Beispiel der Zwangsarbeiterfrage doch offensichtlich Schlachten geschlagen, die ich für längst beendet hielt. Jedenfalls schreibt er im Modus des eindeutigen „wir und die Anderen“ genau jene „Lager“bildung fort, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit herausgebildet hat, in den 60er/70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und bis weit in die 80er Jahre hinein die Diskussion um die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus bestimmte.[A]

Stark vereinfacht standen auf der einen Seite (meist) katholische Intellektuelle von Walter Dirks über Rolf  Hochhuth und Wolfgang Böckenförde bis zu Georg Denzler sowie eine lebendige kritische katholische Publizistik, die in manchmal recht hohem moralischen Ton der Kirche ihre Versäumnisse im Umgang mit dem Nationalsozialismus vorwarfen und Konsequenzen aus der Geschichte für die Gegenwart ableiteten. Die andere Seite markierten kirchenloyale Historiker, die nicht erst seit Gründung der „Kommission für Zeitgeschichte“ die schwerwiegenden Vorwürfe in betont historistisch-positivistischer Manier zu entkräften suchten und sich sehr zurückhaltend in der Formulierung großer Narrative in Bezug auf die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus zeigten. Die Konstellation war m.E.  auch lange wissenschaftlich fruchtbar: Vereinfacht gesagt setzten die einen Themen, regten dementsprechende Forschung an und traten z.T. sogar methodisch als Innovatoren auf. Die anderen erledigten den wissenschaftlichen „Untertagebau“, förderten Dokument auf Dokument zu Tage und edierten außerordentlich brauchbare Quelleneditionen. In der 90er Jahren und erst recht seit der Jahrtausendwende verebbten die Auseinandersetzungen. Das ist nicht verwunderlich, wird doch rückblickend deutlich, dass das Streiten über die Vergangenheit auch in hohem Maße eine gleichfalls zu historisierende Identitätsdebatte vornehmlich der 60er Jahre war. Am historischen Beispiel wurde über die Rolle der Kirche in der Gesellschaft gestritten und die jeweils eigene Identität als Katholik herausgebildet. Der Streit um die Vergangenheit war Bestandteil der Pluralisierung des Katholizismus, und verebbte in dem Maße, in dem sich der Katholizismus selbst als plural definierte und die „Lager“ ihre jeweiligen Exklusivitätsansprüche aufgaben. Unterstützend mag hinzugekommen sein, dass im Rahmen der kulturgeschichtlichen Wende eben auch in der Geschichtswissenschaft auf Wahrheitsansprüche verzichtet wird und die Akzeptanz für divergierende Deutungen gestiegen ist.

Deswegen haben mich die Exklusivitätsansprüche und die sehr eindeutige Konstruktion „der Anderen“ im Artikel von August H. Leugers-Scherzberg doch überrascht. Ich dachte wirklich, diese Zeiten wären vorbei. Weder brauchen wir Apologetik noch eine zutiefst moralisch aufgeladene Kritik. Die Berechtigung der finanziellen Entschädigung von Zwangsarbeitern ist ja auch völlig unstrittig. Wir brauchen auch keine inhaltlich kaum nachvollziehbare und fachlich von keiner Seite wesentlich fundierte semantische Diskussion, die vor allem dazu dient, Grenzen zu markieren. Und wir brauchen im Grunde auch keine genaue Zahl der Zwangsarbeiter in katholischen Einrichtungen. Niemand bestreitet, dass es sie in einer erklärungsbedürftigen Anzahl gab. Was wir brauchen sind weitere Forschungen – auch und gerade der Kommission für Zeitgeschichte -  darüber, auf welchen mentalen Voraussetzungen die Zusammenarbeit von Kirche und Nationalsozialismus ruhte. Hier darf man möglichen beunruhigenden Befunden nicht ausweichen und hier mag eine Auseinandersetzung um die Begrifflichkeiten dann ihre Berechtigung haben.


[A] Vgl. auch zum Folgenden: Christian Schmidtmann, „Fragestellungen der Gegenwart mit Vorgängen der Vergangenheit beantworten“: Deutungen der Rolle von Kirche und Katholiken in Nationalsozialismus und Krieg vom Kriegsende bis in die 1960er Jahre, in: Andreas Holzem; Christoph Holzapfel (Hrsg.), Zwischen Kriegs- und Diktaturerfahrung. Katholizismus und Protestantismus in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2005, S. 167-202.

 


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