theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Gutachten und Diskussionsbeiträge zu Daniel Bogner, Welche Autorität?

Übersicht:

Gutachten:

1. Bernd Jochen Hilberath,Tübingen
2. Wolfgang W. Müller,Luzern

Diskussionbeiträge:



Gutachten

1. Bernd Jochen Hilberath, Tübingen

Das Vorhaben, die aktuellen Probleme der Großinstitution Kirche durch eine Analyse der in ihr gelebten Autoritätsverständnisse zu analysieren, ist nicht ganz neu, aber dennoch notwendig. Nicht zuletzt deshalb, weil theologische Reflexionen paradoxerweise in der eigenen Kirche wenig bewegen. Das liegt einerseits an Kommunikationsproblemen zwischen den drei Großsubjekten binnenkirchlicher Kommunikation – Volk Gottes, wissenschaftliche Theologie, bischöflich-päpstliches Lehramt (vgl. dazu B.J. Hilberath, Wahrheit und Glaube. Anmerkungen zum Prozeß der Glaubenskommunikation, in: Dimensionen der Wahrheit. Hans Küngs Anfrage im Disput, Tübingen – Basel 1999, 51-80; M. Scharer – B.J. Hilberath, Kommunikative Theologie. Eine Grundlegung, Mainz ²2003). Andererseits, aber nicht ganz unabhängig davon, liegt es daran, dass nicht genuin theologische Faktoren zu theologisch höchst relevanten werden. Einiges deutet D. Bogner in seinem Beitrag an. Ich verstehe ihn als Impuls, verstärkte Aufmerksamkeit auf das Phänomen der Autorität zu legen. Dabei wäre dann noch deutlicher herauszuarbeiten, inwiefern und weshalb sich in den skizzierten "drei verschiedene[n] Typen des Umgangs mit der Krise“ eine jeweils spezifische Form des Verständnisses und der Ausübung von Autorität zeigt. Bogners Beitrag widmet ja mehr Zeilen der Beschreibung dieser drei Typen als dem „Begriff der Autorität“.

Die Unterscheidung von Max Weber kann als erste Sonde herangezogen, müsste aber differenziert und auf den römisch-katholischen Organisationstyp bzw. den „real existierenden Katholizismus“ hin spezifiziert werden. Mir scheint, dass vor allem die Kollusion (das „Zusammenspiel“) zwischen Autoritätsinhabern und „Untergebenen“ beachtet werden sollte. Weltweit gesehen wird es nicht wenige Katholiken geben, die mit dem Führungsstil ihres Pfarrers, Bischofs, des Papstes bzw. der Kurie einverstanden sind. Welche Auffassungen, vor allem aber: welche Bedürfnisse stehen dahinter? Was erwarten Menschen in der heutigen Weltgesellschaft von der Religion und deren Führungspersönlichkeiten? Wie weit kann diesen Erwartungen entsprochen, wo muss ihnen widersprochen werden? Es ist weiterhin fundamental richtig, dass die erste (und bleibende!) Autorität in der Kirche die Autorität Gottes ist. Daraus folgt formal zunächst eine Relativierung aller menschlichen Autorität, auch wenn sie „in persona Christi capitis“ (in der Rolle Christi, des Hauptes der Kirche) ausgeübt wird. Eine zweite Relativierung ergibt sich von daher, dass alle Getauften (und Gefirmten) in der Nachfolge Jesu eine Autorität „in persona Christi“ ausüben, indem sie die Autorität Christi für die Menschen bezeugen. „Wer euch hört, der hört mich“ gilt nicht nur für die ordinierten Amtsträger. Das Zweite Vatikanische Konzil hat herausgestellt, dass alle Glieder des Volkes Gottes an Christi Hirten- (Leitungs-) Amt Anteil haben. Es ist dem Konzil zwar noch nicht gelungen, das Verhältnis zwischen der Teilhabe der Ordinierten und der der Nicht-Ordinierten („Laien“) präziser zu bestimmen, aber der Weg ist gewiesen (vgl. B.J. Hilberath, Zwischen Vision und Wirklichkeit. Fragen nach dem Weg der Kirche, Würzburg 1999). Was vor allem fehlt bzw. zu wenig ausgebaut ist, sind Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, die dem Selbstverständnis der Kirche als communio entsprechen (vgl. B.J. Hilberath [Hg.], Communio – Ideal oder Zerrbild von Kommunikation = QD 176, Freiburg 1999).

In all dem ist die interdisziplinäre Berücksichtigung von Organisations- und Kommunikationstheorien anregend. Aber so wenig das Heranziehen von Unternehmensberatern den leitenden Autoritäten in der Kirche das theologische Urteil darüber, was sie sehen lernten und welches Handeln daraus folgt, ersparen kann, so wenig kann theologische Reflexion auf die Urteilsbildung nach genuin theologischen Kriterien verzichten. Und hier ist nun als drittes Spezifikum christlich-kirchlicher Autorität – über die formale Relativierung auf die erste Autorität und das Eingebundensein in ein alle umfassendes Autoritätsgefüge hinaus – das inhaltliche Proprium stark zu machen: Wenn Christenmenschen Autorität ausüben, dann orientieren sie sich an der Autoritätsausübung Jesu Christi, der gekommen ist, „nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45). Der den Seinen die Anweisung gegeben hat: „Bei euch soll es nicht so sein“ (Mk 10,43), nämlich wie bei den Herren dieser Welt! Es ist, wie Eberhard Jüngel im Kontext der Autoritätsdiskussionen der 60er/70er Jahre betont und auf die Debatte um die Unfehlbarkeit eingebracht hat, „die Autorität des bittenden Christus“ (in: Ders., Unterwegs zur Sache, München 1972, 179-188). Damit wird auf spezifische theo-logische Weise sichtbar, was der Begriff der Autorität von seinem Ursprung her bedeutet: das Selbstsein dessen, demgegenüber ich Autorität ausübe, zu stärken, zu vermehren (vgl. das dazugehörende Verb augere = vermehren, vergrößern!).

Autorität hat durchaus mit Macht zu tun. Macht zu verteufeln, ist nicht christlich. Amtsträger sollten nicht verleugnen, dass sie Macht ausüben. Entscheidend ist, wie sie es tun: als Beherrscher oder als Vermehrer, um zu entmächtigen oder um zu ermächtigen. So gesehen, liegen Autorität und Charisma nicht weit auseinander, wenn sie auch im „real existierenden Christentum“, in dem, was Bogner die complexio oppositorum nennt, immer in Spannung zueinander stehen werden.

Ich danke D. Bogner für seinen Beitrag, der mir die Gelegenheit gibt, an eigene Arbeiten zu erinnern und gemeinsam zu lösende Aufgaben anzusprechen.


2. Wolfgang W. Müller, Luzern

Das Institutionelle wurde in klassischen Ansätzen katholischer Ekklesiologien nicht eigens theologisch reflektiert. In der vorkonziliaren Ekklesiologie wurde der institutionelle Aspekt kirchlichen Lebens gnaden- und sakramententheologisch überhöht. Die ekklesiologischen Ansätze um das II. Vatikanum fingen an, die Spannungen, die die katholische Ekklesiologie kennt (Amt/Charisma, allgemeines/spezielles Priestertum etc.) aufzuarbeiten (z.B. H. Küng: Strukturen der Kirche, 1962; Die Kirche, 1967). In der heutigen kirchlichen Krisensituation manifestiert sich eine ambivalente Situation: Einerseits ruft die aktuelle Krise der katholischen Kirche in den europäischen Gesellschaften nach einer vermehrten Reflexion des Institutionellen. Andererseits besteht die Gefahr, den sakramentalen Ansatz, den das II. Vatikanum mit seiner Kirchendefinition initiierte, in der aktuellen Situation als Gegenpol zu methodologischen Überlegungen des Kirchlichen zu benutzen. Spannungen, die die real existierende Kirche in Europa kennt, können dafür als Indiz gesehen werden. M.a.W.: Die Ekklesiologie ist herausgefordert, das Theologische und Institutionelle gemeinsam zu bedenken. Die Kirche, so berechtigter Weise Daniel Bogner, versteht sich als ‚complexio oppositorum’ und ist als solche in ihrem dynamischen Zueinander von Institutionellem und Theologischen zu analysieren. Die spezifischen Funktionsweisen kirchlichen Lebens müssen daher sowohl institutionell als auch theologisch verortet werden.

Der Aufsatz von Daniel Bogner ist aus diesem Grund zu begrüßen, insofern er explizit dem Institutionellen in der katholischen Kirche nachgeht und einen Versuch liefert, das derzeitige kirchliche Leben methodologisch aufzuarbeiten. Seine Phänomenologie der Strategien der Krisenreaktion liest sich mit Gewinn. Sein Vorschlag, das Institutionelle mit dem Begriff der Autorität zu verbinden, hat einige Berechtigung. Max Webers Theorie der ‚Typen der Herrschaft’ verhilft ihm, in die Komplexität kirchlichen Lebens einige erkenntnistheoretische Schneisen zu schlagen. Max Webers Analysen der Formen legitimer Herrschaft sind sicherlich für die katholische Ekklesiologie nutzbar zu machen. Hier besteht gewiss großer Handlungsbedarf. Eine kritische Beurteilung kirchlicher Formen kann mehrere Phänomene bzgl. der Ausübung von Macht ausfindig machen. Wird klassischer Weise nicht von Macht gesprochen (‚Kirche wird nicht kritisiert’), versuchen kritische Bewegungen in der katholischen Kirche Reformen mit Hilfe außerkirchlicher Strömungen auszulösen (z.B. gesellschaftliche und politische Menschenrechtsdebatte als Auslöser für eine Reform der kirchlichen Ämter). Zugleich scheint es gegensätzliche Äußerungen zu geben, die wiederum auf eine Negation der Reflexion der Machtausübung hinauszulaufen (z.B. Ausübung von Macht in neueren geistlichen Bewegungen). Die angeführten Beispiele, subjektiv ausgewählt, zeigen die Berechtigung, die Machtfrage in der katholischen Kirche zu stellen. Macht an sich ist nicht schlecht, Macht ist aber auch nie neutral. Karl Rahner hatte erstmals Ansätze für eine Theologie der Macht geliefert, sie wurden m.E. aber in der theologischen Reflexion nicht weiter berücksichtigt.

Von daher ist der Versuch Daniel Bogners nur zu begrüßen, die Machtfrage wieder in die Mitte der ekklesiologischen Reflexion zu stellen. Sicherlich muss an dieser Stelle die Reflexion weitergehen, um das Proprium einer kirchlichen Ausübung von Macht näher zu fassen. Es muss, darauf hat das Gutachten von Bernd Jochen Hilberath bereits hingewiesen, das Miteinander institutioneller und theologischer Elemente bedacht werden.

Die Theorien des Institutionellen in das Gespräch mit der Ekklesiologie zu bringen, ist ein Gebot der Stunde. Sollten neben diesen methodischen Ansätzen nicht auch Klassiker des politischen Denkens in Dialog zu ekklesiologischen Fragestellungen gebracht werden?

Es fragt sich jedoch, ob beispielsweise Verantwortliche der Kirchenleitungen oder Träger des lokalkirchlichen Selbstverständnisses solche Theorieelemente für ihr Handeln rezipieren (Welche Theorieelemente werden in der Schrift der Deutschen Bischofskonferenz „’Mehr als Strukturen …’ Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen – Ein Überblick“, Bonn 2007, verwendet?)

Die Reflexion bzgl. der Herrschaftsformen in der Kirche hat, darauf hat Daniel Bogner nicht hingewiesen, ebenfalls eine ökumenische Dimension. Die Groupe de Dombes, eine Gruppe ökumenisch gesinnter Theologinnen und Theologen in Frankreich, hat ihre letzte Publikation gerade dem Thema der Machtausübung unter einer ökumenischen Perspektive gewidmet (Un seul maître, 2005). In dieser beeindruckenden und wegweisenden Schrift werden die Grundzüge weiter ausgefaltet, wie das NT mit der Frage der Macht umgeht.

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