Bordat

Josef Bordat

Regulativ der Konventionen. Antikes und Modernes Naturrecht im Vergleich




Vorbemerkung

In der vorliegenden Abhandlung geht es mir darum, das Naturrecht als notwendiges Regulativ menschlicher Konventionen zu begreifen und damit Grundlagen unseres Rechtsverständnisses überhaupt zu klären. Ich möchte mich dabei auf die Versuche, das Naturrecht auch und gerade in Abgrenzung zum „althergebrachten“ Götter- oder Gottesrecht zu bestimmen, konzentrieren und komme daher von der Antike gleich zur Neuzeit, ohne auf die reiche Naturrechtstradition in der Hochscholastik (Thomas von Aquin) bzw. der Spanischen Spätscholastik näher einzugehen, deren Kenntnis gleichwohl vorausgesetzt wird. Ferner liegt der Schwerpunkt im Bereich des neuzeitlichen Vernunftnaturrechts auf deutschen Autoren.

Dabei ist einem Klischee vorzubeugen: Das moderne Naturrecht ist nicht „gottlos“, im Gegenteil. Zum einen handelt es sich bei der Exklusion Gottes aus dem philosophischen Denken der Neuzeit um eine hypothetische Figur. Zum anderen schafft, wie mit Schockenhoff gezeigt wird, das moderne Naturrecht – ironischerweise gerade durch die Arbeiten der pietistischen Naturrechtsschule – lediglich die Möglichkeit, den „Glaubensanteil“ von der Naturrechtsidee zu subtrahieren, weil er separat vorliegt (statt Wille Gottes kann beispielsweise der Wille der Mehrheit eingesetzt werden), und den Vernunftbegriff anzupassen, weil Vernunft als rein menschliches Phänomen interpretierbar wird. Mit dem scholastischen Naturrecht nach Thomas von Aquin lässt sich freilich nicht so verfahren, weil hier Mensch und Gott über die Vernunft verbunden sind und diese Vernunft das Naturrecht seinem Wesen nach erkennt.

Zweck der vorliegenden Darstellung ist es zudem, uns, die wir täglichen Umgang mit dem positiven Recht pflegen, zu veranlassen, dessen überpositive Fundierung in philosophischen Begriffen wie dem der Gerechtigkeit zur Grundlage dieses Umgangs zu machen. Denn ein aus Wachsamkeit und – wo nötig – auch aus Zweifeln am Gegenstand des Rechts erwachsenes systematisches Misstrauen ist die Basis des Vertrauens in die Politik eines Rechtsstaats, der sich nicht verabsolutiert, sondern sich immer wieder den Spiegel vorhält, um regelmäßig zu prüfen, ob sein Recht wirklich das ist, was es sein sollte: die gesellschaftliche Operationalisierung des tief in der menschlichen Natur verankerten Gerechtigkeitssinns.


Naturrecht in der Antike

Ursprung und Begriff

Der Begriff des Naturrechts ist unmittelbar mit dem der Natur verbunden.[1] Anders gesagt: Solange keine Reflexion über die Natur stattfindet, solange die Natur unentdeckt ist, kann es kein Naturrecht geben. Diese Reflexion wird von der Philosophie geleistet, die sich von der kritiklosen Übernahme tradierter Mythen emanzipiert und den Zweifel an göttlichen Autoritäten ins Zentrum ihrer Betrachtung stellt.[2]

Die vorphilosophische Etablierung von Recht und Gerechtigkeit ist mit dem Glauben an Götter verbunden, die eben jenes Recht als Akt der Offenbarung stiften. Diese Vergöttlichung von Recht und Gerechtigkeit ist allen archaischen Kulturen gemein. Sowohl in Ägypten und Israel als auch in den Hochkulturen Mesopotamiens und Griechenlands ergibt sich die vorstaatliche Ordnung, welche die Blüte der Kulturen erst möglich machte, aus göttlichen Vorgaben.

Sowohl der ägyptische Sonnengott Re als auch der Gott Jahwe des Alten Testaments schenken dem Menschen Recht und Gerechtigkeit und bilden damit Rechtsquelle und Appellationsinstanz in einem, wie dies in Psalm 7, dem Klagelied Davids, deutlich wird: „Herr, steh auf in deinem Zorn, / erheb dich gegen meine wütenden Feinde! – Wach auf, du mein Gott! / Du hast zum Gericht gerufen. / Der Herr richtet die Völker.“[3] Gott erscheint gleichsam als Rechtsstifter und Rechtsprecher, im positiven Sinne der Belohnung – „Herr, weil ich gerecht bin, verschaff mir Recht, / und tu an mir Gutes, weil ich schuldlos bin!“[4] – und im negativen Sinn der Sanktion von Gebotsmissachtung: „Gott ist ein gerechter Richter, / ein Gott der täglich strafen kann.“[5] In der hebräischen Bibel kommt das Wort „Natur“ nicht vor; die Begriffe „Himmel“ und „Erde“ beschreiben das Verhältnis zwischen Gott und Menschen, das von göttlichen Geboten und dem Befolgen dieser Gebote bestimmt ist. Die Frage nach dem Ursprung von Moral und Recht, gleichsam nach den ersten Dingen, wird mit der rechtsetzenden Autorität selbst beantwortet, die sich wiederum aus sich selbst heraus rechtfertigt, als Singularität sui generis, als causa sui, als nicht zu hinterfragende Entität, wie es aus der Offenbarungsbotschaft Jahwes („JHWH“) erkennbar wird: „Ich bin der Ich bin da.“[6]

Eine bemerkenswerte Ausnahmen zur Vorstellung theokratischer Jurisdiktion bildet der im 17. Jahrhundert v. Chr. in Mesopotamien unter König Hammurabi entstandene Kodex, der schon tausend Jahre vor dem Beginn philosophisch-skeptischen Reflektierens über Gott und die Natur in den Werken der Vorsokratiker Ansätze eines naturrechtlichen Prinzips beinhaltet: die Billigkeitserwägung. Nach dem Kodex Hammurabi steht es im Ermessen des Königs, die Durchsetzung an und für sich gültiger Rechtsnormen an überpositive Bedingungen zu knüpfen, was das Recht einschließt, erlassene und prinzipiell für gerecht erkannte Gesetze unter bestimmten Umständen außer Kraft zu setzen.[7] Freilich bleibt der König auch für den Gebrauch dieses Gerechtigkeitskorrektivs den Göttern verantwortlich, doch mit dieser Ermächtigung setzt sich naturrechtliches Gedankengut gegen die Allgewalt des göttlichen Rechtes durch. Es handelt sich beim Kodex Hammurabi also um eine Rechtsordnung, die zwar einen göttlichen Ursprung hat, aber dennoch als säkularisiert gelten kann.

In Griechenland zeugt die Theogonie des Hesiod aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. von einer göttlichen Rechtsgenese, wobei hier auffällt, dass die Göttin des Rechts und der Gerechtigkeit, Themis, als Tochter der Gaia („Erde“) und des Uranos („Himmel“) der Urgeneration angehört und damit älter ist als der „Götterkönig“ Zeus. Damit wird das göttliche Recht auch den olympischen Göttern vorangestellt, auch die Götter haben sich ihm infolgedessen zu unterwerfen. Es hat eine zeitlose, irreversible Gültigkeit, die auch die Antigone beansprucht, als sie sich über das (positiv-rechtliche) Gebot des Kreon hinwegsetzt und ihren Bruder Polyneikes bestattet: „Auch hielt ich nicht für so stark dein Gebot / Daß Menschenwerk vermöcht zu überholen / Das ungeschriebene, heilige Recht der Götter. / Denn nicht von heute oder gestern, ewig / Lebt dieses ja, und keiner weiß, seit wann.“[8]

In dieser Atmosphäre göttlicher Rechtsetzung und menschlichen Gehorsams können „die ersten Dinge und der rechte Weg [..] nicht in Frage gestellt oder Gegenstand einer Untersuchung werden“[9], mit der Folge: „Philosophie kann nicht entstehen und die Natur nicht entdeckt werden.“[10]

Voraussetzung für die Entdeckung der Natur und die Konstituierung eines Naturrechts ist der Zweifel an der Autorität. Hierzu ist zunächst die Freiheit von dieser Autorität Bedingung.

Bevor in Platons Staat über das Naturrecht, d. h. über die Gerechtigkeit, gesprochen wird, geht der alte Kephalos, Symbol einer überkommenen Zeit, dahin, den Göttern ein Opfer zu bringen und macht der Diskussion Platz.[11] Die Diskussionsteilnehmer dagegen vergessen über ihrem hitzigen Wortgefecht um eine adäquate Gerechtigkeitsdefinition den Fackellauf zu Ehren der Göttin, an dem sie teilnehmen wollten und für den Sokrates eigentlich nur in der Stadt geblieben war.[12] Die Naturrechtsdebatte hatte den Götterkult verdrängt. Die Freiheit von den göttlichen Vorgaben mündet im Verlauf der Diskussion ein in die Freiheit zum Naturrechtsdenken, in den freien Diskurs über alternative Gerechtigkeitsdefinitionen.

Das Naturrecht entspricht mithin einer rechtlichen Substantiierung des durch Philosophieren gewonnenen Naturbegriffs. Philosophieren wiederum ist eine aus der Freiheit von der Autorität entstandene Tätigkeit, die jedoch gleichsam ihrerseits zur Befreiung von tradierten Mythen beiträgt. Daraus entsteht ein sich selbst verstärkender Emanzipationsprozess, in dessen Folge Naturentdeckung und Naturrechtsdenken stehen. Dem zugrunde liegt als treibende Kraft der Zweifel.

Wie aber kam es zu den notwendigen Zweifeln, wo doch alles göttlicherseits wohlgeordnet zu sein schien? Zwei Aspekte lassen sich hier erkennen: 1. Widersprüche in den Geboten und 2. offene Ungerechtigkeiten, d. h. unverhältnismäßig harte Gesetze, gegen die sich – damit sind wir schon beim Thema – die menschliche Natur sträubt. Als Beispiele mögen zum einen die unter dem Schutz der Götter geübte brutale Privatjustiz des Odysseus in Homers Odyssee[13] und zum anderen der inflationäre Gebrauch der Todesstrafe im biblischen Buch Exodus[14] dienen. Die Widersprüche und Ungerechtigkeiten provozierten Fragen und Zweifel und lieferten damit die Basis für das Naturrecht als Emanzipation aus dem göttlichen Recht.

Das epochale Resultat dieser Emanzipation ist die Erkenntnis, dass nicht aus dem Chaos, sondern aus der Natur des Menschen Recht entsteht und sich Grundbegriffe wie „das Gute“ und „Gerechtigkeit“ ableiten lassen. Damit wird die göttliche Autorität jedoch zunächst nur ersetzt durch die Autorität der Natur. Das gute und gerechte Leben war bislang das nicht hinterfragte Althergebrachte. Nun spaltet sich die Lebensweise in Natur einerseits und Konvention anderseits auf, in das, was dem Menschen eingeschrieben ist und das, was er sich und seiner Kommunität selbst an Regeln gibt. Leo Strauss sieht darin den entscheidenden Schritt: „Die Entdeckung der Natur oder des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen Natur und Konvention ist die notwendige Bedingung für die Entstehung der Idee des Naturrechts.“[15]

Doch ist in dem Spannungsfeld zwischen Gott, Natur und Konvention kein Brückenschlag möglich? Stehen sich die Positionen unvermittelbar gegenüber? Um den Begriff des Naturrechts in der klassischen Phase genauer erfassen zu können, ist eine Abgrenzung „in beide Richtungen“ nötig, hin zum göttlichen und zum positiven Recht.

Die Festlegung der künftigen Stellung des klassischen Naturrechts zum göttlichen Recht bringt je nach Interpretation des Menschen und seiner Natur in der griechischen Antike zwei grundlegende Positionen hervor: Die Mehrheit, v. a. Heraklit, Sokrates, Platon und Aristoteles, verfolgt die Richtung, dass das Naturrecht aus dem göttlichen Recht entstanden ist und dieses nicht aufgegeben, sondern nur menschlich modifiziert werden sollte (kosmologisches Naturrecht). Lediglich das absolute Moment der göttlichen Autorität wird in Abrede gestellt, nicht jedoch das wegweisende ihrer Offenbarung.

Doch kann der, der „das Dasein eines persönlichen Schöpfers und Weltregierers ablehnt, [....] das Naturrecht nicht mehr festhalten“[16]? Nicht zwangsläufig: Eine andere Denktradition, v. a. vertreten von Protagoras, stellt den Menschen ins Zentrum und das Naturrecht über das göttliche Recht, das als überholt angesehen wird. Der Mensch wird zum „Maß aller Dinge“[17], das Naturrecht zu einem anthropologischen.[18] Es geht bei der Frage nach dem kosmologischen oder anthropologischen Ursprung im Verhältnis zur Existenz Gottes nicht um ein striktes „Entweder-Oder“, denn es ist denkbar, das Naturrecht ohne göttliche Quelle anzunehmen und die Rechtsgrundsätze alleine in der menschlichen Natur zu verorten. Ich werde unten ausführen, dass dies zwar denkbar ist, aber nicht weit trägt.

Die Abgrenzung zum positiven Recht als das entscheidende Problem des neuzeitlichen Naturrechtsdiskurses wurde bereits in der vorklassischen Antike als bedeutendes konstitutives Merkmal des Naturrechts identifiziert. So gibt es im altägyptischen Ma’at[19]-System zweierlei rechtsprechende Instanzen: das gewöhnliche Gericht, das Rechtsverletzungen wie Mord, Diebstahl oder Betrug im irdischen Leben ahndet, und das Totengericht, das darüber hinaus auch nicht justitiable Vergehen wie moralische Verfehlungen gegen Ma’at bestraft. Das Bewusstsein für die Möglichkeit des Auseinanderfallens von positivem Recht und göttlichem Recht überträgt sich auf die Betrachtung der Differenz zwischen positivem Recht und Naturrecht.[20]


Konventionalismus und Naturrecht

In der Antike entwickelt sich trotz des gemeinhin akzeptierten kosmologischen Ursprungs des Naturrechts, trotz der Annahme, dass es „von den Göttern“ stammt, schon bei den Vorsokratikern[21] ein Konventionalismus, der die Gerechtigkeit als menschliche Annahme betrachtet, die für die Götter keinen Maßstab der Differenzierung darstellt.[22] Dabei führt die konventionalistische Haltung im Extremfall dazu, anzunehmen, jede Norm sei beliebig zu vereinbaren, etwa nach dem größten zu erwartenden Nutzen. Damit würde die Existenz eines vorkonventionellen Naturrechts rundweg abgelehnt, so dass der Begriff „Naturrecht“ im Zusammenhang mit dieser Doktrin nur noch eingeschränkt verwendet werden kann.

Der Konventionalismus kann jedoch mit der Naturrechtstradition vermittelt werden, wenn angenommen wird, dass sich die Konventionen, und entsprechend das über die Konventionen entstehende positive Recht, mit der Natur im Einklang befinden muss, um das Ideal des guten Lebens zu befördern. Denn erst ein Leben, das der von Konventionen, Bräuchen und Normen bestimmte Mensch im Einklang mit seiner Natur lebt, ist ein gutes Leben; eine Ansicht, die nach Cicero „fast alle“ Philosophen der Antike teilen.[23]

Die Frage im Verhältnis des Guten zum Gerechten ist nun aber die, ob das Gerechte von Natur aus unmittelbar mit dem Guten identifiziert werden kann (naturrechtliches Postulat) oder ob das Leben in Übereinstimmung mit der Natur Gerechtigkeit als Dreingabe von außen erfordert, um zu einem guten Leben zu werden (konventionalistisches Postulat).[24] Kann man die Gerechtigkeit vom guten, mit der Natur harmonierenden Leben trennen und zur notwendigen Bedingung für eben jenes Leben machen?

Die Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit – der menschlichen Natur innewohnend oder eine bloße äußere Konvention – ließe sich vor diesem Hintergrund wie folgt beantworten: Auch wenn das Gerechte dem Menschen nicht natürlich vorgegeben sein sollte[25] und es unterschiedliche Ansichten über die Gerechtigkeit gibt,[26] der freien konventionellen Verfügung über den Begriff der Gerechtigkeit steht die „Rücksichtnahme“ auf die menschliche Natur im Wege. Denn wie könnte etwas, das gerade der menschlichen Natur zuwider läuft, hilfreich oder gar nötig sein, um ein Leben, das im Einklang mit dieser Natur geführt wird, zu einem guten Leben zu machen? Selbst wenn die Natur das Gerechte nicht direkt hervorbringt, so ist sie doch stets als Regulativ des Gerechten wirksam.

Daher muss die naturrechtliche Gerechtigkeit wahrhaft existieren und „überall die gleiche Macht haben“[27]. Gibt es unterschiedliche Ansichten zur Gerechtigkeit, sorgt dies für jene Verwirrung, welche die überragende Gewissheit einer Einmütigkeit aller Menschen hinsichtlich gemeinsamer Prinzipien des Naturrechts fundiert. Dieses verwirrende Gefühl des Widersprüchlichen ist bei unterschiedlichen Konventionen zu außermoralischen Dingen wie Währungen oder Maßeinheiten nicht zu spüren.[28] Damit sind gerade durch diesen unterschiedlichen Umgang mit der Unterschiedlichkeit die Konventionalisten widerlegt. Es ist mithin so, dass sich in der „Nichtübereinstimmung in den Gerechtigkeitsprinzipien [...] eine Verwirrung [offenbart], die von etwas Selbständigem oder Natürlichem hervorgerufen ist, welches sich der menschlichen Fassungskraft entzieht“[29]. Der Konventionalismus verweist so ironischerweise auf das Naturrecht. 


Das moderne Naturrecht als „Vernunftrecht“

Ich hatte die klassische Naturrechtstheorie als Emanzipation des Menschen vom schicksalhaft-mythischen „Götterrecht“ beschrieben. Philosophie als anthropogene Form der Naturbeschreibung versuchte fortan, die Kernthemen der Ethik – Gerechtigkeit und gutes Leben – in der Auseinandersetzung mit Naturrechtspostulaten und Konventionen zu ergründen und mit dem Recht eine Appellationsinstanz jenseits des als „göttlich“ verklärten Herrscherwillens zu schaffen. Weiterhin erwuchs aus der Naturrechtslehre der Gedanke eines Gerechtigkeitsgefühls, das die Menschen qua ihrer Natur teilen, denn die „Nichtübereinstimmung in den Gerechtigkeitsprinzipien [offenbart] eine Verwirrung, die von etwas Selbständigem oder Natürlichem hervorgerufen ist, welches sich der menschlichen Fassungskraft entzieht“[30]. Der empirische Beleg dieses übereinstimmenden, kultur- und religionsübergreifenden Ethos liegt in der Goldenen Regel vor, die nach religionswissenschaftlichen Erkenntnissen unabhängig an mehreren Orten entstanden ist, was sie zu einer sittlichen Grundformel der Menschheit macht, zu einem zwingend und zeitlos gültigen ethischen Prinzip, das der menschlichen Natur innezuwohnen scheint.

Dennoch bleibt die Frage bestehen, was mit „Natur des Menschen“ genau gemeint ist. In der Ausdeutung der menschlichen Natur liegt immer auch ein Setzungsmoment, das dann von den Konventionalisten dazu benutzt werden kann, darauf hinzuweisen, dass es eben doch kein Recht jenseits des positiven, gesetzten Rechtes gibt, kein unbedingtes, natürliches Recht, das „von Anfang an“ existierte. Die Rückbesinnung auf Gott als Stifter der Vernunft und damit letzten Garanten des vorpositiven Rechts, wie es der thomistischen Naturrechtslehre eignet, scheitert – da sie den Glauben an Gott voraussetzt –[31] ebenso daran wie Platons Vorstellung vom Naturgesetz als eine dem Menschen „eingeborener Idee“, die man nur „zu schauen“ lernen müsse, da diese Fähigkeit gerade einer Elite vorbehalten bleibt, also nicht alle Menschen in diesen Stand der Einsicht gelangen können.

Die „apriorische Vernunfteinsicht in das Gerechte“ (Antike, Scholastik) wird durch ein „praktisches Erkenntnisvermögen“ (Moderne) abgelöst,[32] ohne damit inhaltlich in allen Fällen zu neuen Ergebnissen zu kommen; Grotius etwa beruft sich bei der Begründung des politischen Widerstandsrechts explizit auf Thomas.[33] Doch: Um den Naturrechtsgedanken zu fundieren, müsste – so die Idee des modernen Vernunftnaturrechts – ein Grund gefunden werden, der existiert, ohne dass Gott notwendig zu existieren braucht, und der auch nicht auf eine metaphysische Ideenschau referenziert, die einer Elite vorbehalten bleibt. Die Leistung der modernen Naturrechtstheorie ist es nun gerade, diese Letztbegründungsinstanz in der „natürlichen Vernunft“ gefunden zu haben, die auch dann ihre Aufgabe erfüllen kann, wenn es keinen Gott gäbe (so argumentieren später v. a. Grotius und Wolff). Den Ansatz der „gedanklichen Einklammerung Gottes“ findet man bereits in der Barockscholastik (etwa bei Vásquez und Suárez), neu ist im modernen Naturrecht jedoch die „politisch-öffentliche Zielsetzung“ des etsi Deus non daretur, die auch von den Erfahrungen des Dreißigjährigen Kriegs motiviert wurde.[34]

Im modernen Naturrecht geht es also weder um eine theologisch-religiöse Manifestierung des Rechts, in der die Vernunft als „von Gott erleuchtet“ aufgefasst wird (Scholastik), noch um eine metaphysische Grundlegung, in der die Vernunft als Dünkel einer Elite für eben diese die unmittelbare Einsicht in die Idee des Naturrechts ermöglicht (Platon[35]) oder als naturreligiös verklärte All-Vernunft auftritt, die jedem das Naturrecht ebenso unmittelbar einsichtig erscheinen lässt (jüngere Stoa[36]), sondern es geht darum, das Recht auf die natürliche Vernunft als anthropologische Konstante und somit geeignete überkonfessionelle Bestimmungsgröße vorkonventioneller Rechtsideen zurückzuführen.

Fest steht dabei – sowohl für Thomas als auch für die modernen Naturrechtler –, dass die natürliche Vernunft allen Menschen zu eigen ist. Für die neuzeitliche Naturrechtstheorie ermöglicht sie daher einen gemeinsamen Rechtsfindungsprozess, der Recht und Gesetz kommunikativ und argumentativ generiert. So weist Grotius der „Vernunftgemäßheit des von Natur aus Rechten“ keinen festen Platz in einer ordinatio rationis zu, aus der die moralischen, sittlichen und rechtlichen Normen hervorgehen, sondern überträgt der menschlichen Urteilskraft die Aufgabe, „die rechten Umstände einer Handlung und ihre angemessene Wesensstruktur zu erkennen“.[37] An die Stelle des „Unmittelbaren“ tritt das „Prozedurale“, an die Stelle der „Schau“ oder „Eingebung“[38] tritt die „Auseinandersetzung“[39].

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts vertritt der Calvinist Johannes Althusius (1557-1638) in seiner Staatsrechtslehre[40] als „Fortsetzer der Schule von Salamanca“[41] sehr ähnliche Positionen wie Francisco Suárez, wenn er das Prinzip der Volkssouveränität und des Widerstandsrechts naturrechtlich begründet,[42] und sie – im Gegensatz zu Hobbes – auch durch den Vertragsschluss nicht als verwirkt ansieht.[43] Die mutua obligatio (gegenseitige Verpflichtung) zwischen Volk und Herrscher, von der Althusius spricht, begrenzt auch unter den Bedingungen des Herrschaftsvertrags die Macht des Fürsten. Aus der Tatsache, dass das Individuum historisch betrachtet älter ist als jeder Herrschaftsverband, folgert Althusius die grundlegende Priorität des Menschen vor dem Staat. Der Staat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. Mit Althusius gelangt der Gedanke individueller Rechte, wie er später v. a. in der Aufklärung entwickeln wird, in die Naturrechtskonzeption: „Nun erst wuchs unaufhaltsam jenes System der angeborenen, unveräußerlichen Menschenrechte empor, welches zuletzt als eigentlicher Kern der gesamten Naturrechtslehre erschien.“[44]

Mit der Loslösung des Naturrechts von der Theologie werden die Lehren von Recht und Staat in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als unmittelbare Folge der Arbeit Hugo Grotius’ auf säkularen Boden gestellt. Kofler hebt hervor, dass „[d]ie spekulative und unhistorische Methode zur Behauptung anthropologischer Weisheiten [verleitet], die die Grenzen der geschichtlichen Erfahrung überschreiten“[45]. Das Naturrecht verhalte sich „gegenüber der geschichtlichen Erfahrung, der einzigen Erscheinungsform, die auf den Menschen als soziales Wesen anwendbar ist, transzendent“[46], ohne dass diese Transzendenz wieder auf Gott verweist. Es entsteht in dieser Zeit eine neue Transzendenz in Form rationaler Visionen einer Gesellschaft, die auf Vernunft gegründet sein soll, um nach Wegen überkonfessioneller Verständigung zu suchen, die zu finden an der Zeit war.

Verantwortlich für die Verbreitung und Systematisierung dieses säkularisierten Naturrechts war in Deutschland insbesondere Samuel von Pufendorf (1632-1694), der 1661 den ersten Lehrstuhl für Naturrecht an einer deutschen Universität (Heidelberg) erhielt.[47] In seinem Naturrechtsverständnis sind zwei Dinge entscheidend: die deduktiv-empirische Rechtsentwicklung und die Begründung eines naturwissenschaftlichen Naturrechts.

Die Begründung eines naturwissenschaftlichen Naturrechts aus dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen als lex naturalis übernimmt Pufendorf von Hobbes, der den Menschen im Naturzustand im „bellum omnium contra omnes“[48] (Krieg aller gegen alle) befindlich sieht und für den die gesellschaftliche Ordnung und die staatliche Konstitution entsprechend eine Schutzfunktion hat; nur durch freiwillige Unterwerfung unter die Herrschaft eines absoluten Souveräns kann sich der Mensch vor seinen Mitmenschen in Sicherheit bringen. Pufendorf geht zwar von einem grundsätzlich friedlichen Naturzustand der „Geselligkeit“ aus (worin er Grotius folgt), doch leben die Menschen s. M. n. in diesem – bedingt durch ihre Schwäche – immer latent gefährdet. Diese Gefährdung kann letztlich nur der Staat beheben. So hält er in seinem Staatsrechtsverständnis an der unteilbaren Souveränität des absoluten Fürsten fest und gelangt zu dem Ideal eines „gemäßigten Absolutismus“, der deswegen „gemäßigt“ ist, weil sich der Fürst nur aufgrund eines freiwillig geschlossenen Herrschaftsvertrags in seiner Position befindet, aber dennoch ein „Absolutismus“ bleibt, weil die Übertragung des Herrschaftsrechts eine unumkehrbare und absolute ist; ein Widerstandsrecht – wie es Suárez hervorhebt – kennt Pufendorf nicht, auch nicht im Fall einer Tyrannei.[49]

Die Gesetze der Natur werden von logischen Prinzipien gelenkt, die Gott als Schöpfer der Welt gestiftet hat und die es zu entdecken gilt, was dadurch möglich wird, dass sie mit der Vernunft in Einklang stehen. Die Welt wird also nicht durch den Zufall oder andere vom Menschen nicht direkt erkennbare Mechanismen gesteuert, sondern ihre Ordnung ist klar einsehbar: „Denn, gemäß seinem Obersatz, die Dinge müssten und können klar erkannt, beschrieben, verknüpft und abgeleitet werden, war es ihm gewiss, dass die Welt als solche einsehbar, in gewisser Weise vernünftig sei. [...] Das Leben könne daher begrifflich juridifiziert werden, die Naturrechtslehre eine die Gesamtordnung menschlichen Lebens, das soziale Handeln [...] umgrenzende und analysierende Wissenschaft sein.“[50] Dieses Konzept der göttlich eingerichteten „Gesamtordnung“, das sehr stark an Leibnizens „prästabilierte Harmonie“ erinnert, führt Pufendorf zu seiner deduktiv-empirischen Rechtsentwicklung. Deduktiv entsteht das Recht deshalb, weil seine Grundsätze aus eben jenen Ordnungsprinzipien ableitbar sind, welche wiederum empirisch erfahr- und beschreibbar sind, da sie sich in der menschlichen Natur als Ausdruck der Universalordnung wiederfinden lassen: „Die Normen menschlichen Verhaltens wurden [...] nicht mehr aus den eingeborenen Begriffen der menschlichen Vernunftnatur als direkter Niederschlag einer göttlichen [..] Schöpfungsordnung oder eines transzendent begründeten normativen Logos verstanden, sondern sollten sich durch rationale Konstruktion und Deduktion aus den empirisch fassbaren Antrieben und Verhaltensformen der menschlichen Natur selbst ergeben.“[51] Es liegt nahe, hierin den naturalistischen Fehlschluss vom Sein auf das Sollen zu vermuten, doch umgeht Pufendorf diesen Vorwurf damit, dass er ja davon ausgeht, die menschliche Natur selber sei „geordnet“ und hinter dieser Ordnung stehe der göttliche Schöpfer. Wer also das beobachtete Verhalten eines Menschen normativ auffasst, schließt letztlich von der göttlichen Ordnung auf menschliches Recht. In diesem letztlich tief religiösen Bekenntnis lässt sich nur dann – ausgehend von Grotius – eine weitere „Säkularisierung des Naturrechts“[52] sehen, wenn beachtet wird, dass Pufendorf die göttliche Ordnung als vernünftige und – was entscheidend ist – qua Vernunft vom Menschen erfahrbare Ordnung beschreibt. Die Vernunft steht über allem, was deutlich wird an Pufendorfs Worten zum Selbstverständnis des Philosophen, die andeuten, was später bei Thomasius und Wolff umgesetzt wird: Die Verwissenschaftlichung, im besten Falle Mathematisierung der philosophischen Methode. So schreibt er: „Im übrigen aber hat kein Schriftsteller ein besonderes Anrecht auf Beifall; sondern was mit der Vernunft in Einklang steht, das wird angenommen, von wem es auch überliefert sein mag. Weiter ist es keine Schande, seine früheren Ansichten aufzugeben, wenn etwas besseres gefunden wird. Dann gibt man sich Mühe, durch sorgfältige Überlegung und Untersuchung in die innersten Geheimnisse der Wissenschaft und der Natur der Dinge einzudringen. Auf diesem Wege haben die Mediziner ihre Wissenschaft in diesem Jahrhundert hervorragend weitergeführt und tun es noch heute.“[53] Dem sollten sich die Philosophen anschließen.

Der Gedanke der intelligiblen, harmonischen Weltordnung führt bei Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) dazu, dass er den Willen Gottes, der „von Natur aus“ höher als das positive Recht oder menschliche Gerechtigkeitserwägungen steht, als letzte Appelationsinstanz des Rechts – auch des Naturrechts – betrachtet, denn „Gott [..] bestätigt das reine Recht und die Billigkeit, weil er allwissend und weise ist“[54]. Der Wille Gottes, der mit der „Schönheit und Harmonie der Welt zusammen[fällt]“[55], durchströmt das gesamte Rechtssystem und hat teils Gesetzescharakter, nämlich in den Geboten als „positive[m] göttliche[n] Recht“, teils ist er „natürlich“ und prägt so die „Pietät“ als dritte (und höchste) Stufe des leibniz’schen Naturrechtskonstrukts, die den beiden darunter angesiedelten Stufen „strenges Recht“ und „Billigkeit“ erst „Vollendung und Wirksamkeit verleiht“.[56] Der leibniz’sche Begriff des Naturrechts weicht dabei etwas von dem ab, was bisher unter „Naturrecht“ verstanden wurde, also etwa eine vor- und überpositive Rechtsidee, die sich vom positiven Recht durch Unveränderlichkeit und Unbedingtheit unterscheidet. Leibniz zählt – neben der Pietät als Manifestation des göttlichen Willens und der Billigkeit als naturrechtliche Komponente i. e. S. – auch das strenge oder reine Recht als „Kriegs- und Friedensrecht“[57] zu seinem komplexen „Naturrecht“. Ohne den Gedanken der prästabilierten Harmonie kann man Leibniz‘ rechtsphilosophisches Modell nicht verstehen und würde es wohl für naiv halten, doch unter dieser Grundvoraussetzung seiner Philosophie erscheint es vernünftig, davon auszugehen, Gott sorge für das Band „zwischen dem strengen Recht und der Billigkeit“, sein „willentlicher Beistand“ fungiere mithin als Verbindung zwischen positivem Recht und Naturrecht, so dass alles, was „für das Menschengeschlecht und die Welt nützlich ist, zugleich so geschieht, daß es auch für die einzelnen nützlich ist, und daß somit alles Ehrenvolle nützlich und alles Schädliche schädlich ist“ und „für die Gerechten Belohnungen und für die Ungerechten Strafen festgesetzt“ seien.[58] Als Fazit resümiert Leibniz, dass „[d]ie Existenz des weisesten und mächtigsten Wesens, d. h. Gottes, [..] folglich der letzte Grund des Naturrechts [ist]“ und spricht davon, ein Gottesbeweis „mit mathematischer Gewißheit“ werde einst für diese Erkenntnis sorgen.[59]

Um „mathematische Gewissheit“ kümmerten sich in der Folge Christian Thomasius (1655-1728) und Christian Wolff (1679-1754). Ihr Anliegen, Philosophie mit (natur-)wissenschaftlicher, d. h. idealer Weise mathematischer Methodik zu betreiben, führt schließlich zu einer weiteren Perfektionierung des Säkularisierungs- und Deduktionsansatzes Pufendorfs.

Thomasius[60] stellt die Sittlichkeit über das Recht, eine Trennung, welche die spätere Unterscheidung von Legalität und Moralität, wie sie etwa von Kant vorgenommen wird, begünstigen sollte. Die Sittlichkeit betrachtet Thomasius als immanent, während es ohne Gemeinschaft kein Recht geben könne. Damit entsprach er der Auffassung eines Naturrechts als übergeordnetes Rechtssystem, das jedes religiösen Bezugs entbehren solle und auf drei Grundprinzipien reduzierbar sei: die Regel des Ehrbaren (honestum), des Wohlanständigen (decorum) und des Gerechten (iustum). Er widersprach jedoch der Bindung des Naturrechts an die Vernunft des Einzelnen und bindet es stattdessen an die Gemeinschaft, vertreten durch den Staat, dessen positiver Gesetzgebungswille „zur alleinigen Rechtsquelle aufsteigt“[61]. In seiner Radikalität leugnet er – gegen Pufendorf – die Willensfreiheit. Bei ihm bestimmt das individuelle Glücksstreben den Willen des Einzelnen. Der Sinn des Rechts liege in der Abwehr von Gefahren, die dem Wohl des Einzelnen entgegenstünden. Der innere Friede des Individuum sei gefährdet durch die eigenen Leidenschaften, zu deren Eindämmung es des honestum und des decorum bedürfe, während die Bedrohungen von außen durch die Gerechtigkeit, das iustum, abgewehrt sein sollen.

Wolffs Beitrag zum Naturrecht ist – wie in allen philosophischen Fragen seiner Zeit – ein äußerst umfangreicher: Er legt sein Naturrechtskonzept in acht Bänden unter dem Titel Ius naturae methodo scientifica pertractatum (1740-48) vor. Sein ehrgeiziger Versuch, aus obersten Prinzipien ein vollständiges, widerspruchsfreies, alle Rechtsgebiete umfassendes System von exakten, absolut gültigen Gesetzen logisch herzuleiten, scheitert jedoch an der Komplexität der Materie. Schon im Entstehungsprozess des Werkes wird ihm dies klar, so dass er noch in ihm „das Scheitern seines unbedingten Vertrauens in den aufgeklärten Absolutismus zu verarbeiten begann“[62]. Hier wurde die mathematische Gewissheit von der Wirklichkeit lebensweltlicher Ungewissheit eingeholt und muss der Erkenntnis Tribut zollen, dass sich Recht nicht „ein für alle Mal“ – wie eben Mathematik – bestimmen lässt. Dennoch wurde Wolff zum Lehrmeister und Wegbereiter für die europäischen Menschen- und Bürgerrechtserklärungen und für die ersten großen Kodifikationen als Mittel der Gesellschaftsorganisation und -planung, etwa das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten (1794), eine umfassende Normensammlung mit fast 20.000 Paragraphen als Ausdruck des Vernunftrechts wolff’scher Provenienz.

Die Aufklärung hatte in diesen Mathematisierungsversuchen ihren Höhepunkt erreicht, und als die Rede davon war, dass die Vernunftnatur nicht maßgeblich bestimmend, sondern als einzige und ausschließlich bestimmend gelten soll für die Bildung des Rechts, ja sogar für Gerechtigkeit und Moral, sank der Stern der reinen Vernunft im Rechtswesen auch schon wieder. Einen Eindruck davon vermittelt die berühmte Encyclopédie (1751-72) von Diderot und d’Alembert, die der französischen Aufklärung ihren Namen gab. Unter dem Stichwort „Naturrecht“ – gedeutet als Ausgangspunkt und Rückhalt jenes „allgemeinen Willens“, welcher schon die kontraktualistisch geschaffene und rational organisierte Gesellschaftsordnung bei Hobbes und Locke bedingt hatte – findet man u. a. folgendes: „Die Unterwerfung unter den allgemeinen Willen ist das Band aller Gesellschaft. [...] Da von den zwei Willen – dem allgemeinen und dem besonderen – der allgemeine niemals irrt, so ist es nicht schwer einzusehen, welchem Willen – zum Glück der Menschheit – die gesetzgebende Gewalt gehören sollte und welche Verehrung man jenen erhabenen Sterblichen schuldig ist, deren besonderer Wille die Autorität und die Unfehlbarkeit des allgemeinen Willens vereint. [...] alle diese Konsequenzen sind evident für denjenigen, der vernünftig denkt, und wer nicht vernünftig denken will, verzichtet darauf, Mensch zu sein, und muß deshalb als entartetes Wesen behandelt werden.“[63] Hier schlägt die Würdigung der Vernunft und des Vernunftrechts in aufklärerischem Übereifer um in Fanatismus. Hier greift denn auch die Kritik Kants ein und die der Idealisten, von denen v. a. Fichte und Hegel sich intensiv mit dem Naturrecht beschäftigt haben.[64] Diese „nachaufklärerische“ Epoche der Naturrechtsentwicklung umfassend zu schildern, würde den Rahmen dieser kurzen Darstellung sprengen. Insoweit werde ich lediglich einige Stichworte liefern, die diesen philosophiehistorischen Abschnitt und die drei genannten Denker kennzeichnen.

Immanuel Kant (1724-1804) bricht gleich doppelt mit der Tradition: Einmal durch die grundsätzliche Trennung von Moral und Recht, die zwar im Grunde schon von Thomasius vertreten wurde, aber erst bei Kant klar herausgebildet wird,[65]  und zum anderen durch die Ablehnung einer auf die Erfahrung gegründeten Moral und die Schaffung eines formal-prinzipienethischen Ansatzes, der im Kategorischen Imperativ[66]  seinen Ausdruck findet.

Die Trennung von Moral und Recht sowie die formalisierte Darstellung eines ethischen Grundsatzes ist einerseits eine epochale Leistung, die der Theorie ethischer Begründung sowie der Positivierung des Rechts Vorschub leistete, andererseits droht damit gerade das wesentliche Element wegzubrechen, welches das Naturrecht ausmacht, nämlich die moralische Kontrolle über das positive Recht als nötig und möglich anzunehmen und in Denkfiguren wie etwa der „natürlichen Vernunft“ einer Instanz zuzuweisen, die unbestechlich ist und über den Launen des politisch-juridischen Zeitgeistes steht.[67] 

Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) versucht jenen Zusammenhang zu stärken, indem er auf die Bildung eines „Vernunftstaats“ insistiert, in dem der Widerspruch zwischen Naturrecht und positivem Recht aufgehoben ist. Hinzu treten zwei Aspekte, die sich ebenfalls von Kant deutlich abheben: die Entwicklung sozialer Anschauungen und die Begründung eines Rechts auf Revolution, das Kant strikt ablehnt.

Schließlich soll mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) einer der herausragenden Rechtsphilosophen Erwähnung finden. Auf die „kühne Architektonik“[68]  der idealistischen Naturrechtsschriften reagiert Hegel mit einer durchgreifenden Kritik des Naturrechtsdenkens, die schließlich – in Hegels später Rechtsphilosophie –[69]  zur Synthese von rechtsbegrifflicher Konkretion und freiheitsidealistischer Spekulation führt. Kritik übt Hegel – ausgehend von seiner Leibniz-Rezeption – insbesondere an dem seiner Ansicht nach unklaren Begriff „Vernunftnatur“.

Leibniz wirft er vor, mit dem Gottesbezug im Recht überhaupt keine Erklärungen zu leisten; seinen Optimismus, was die harmonische Ordnung betrifft, hält er für „Geschwätz“[70] . Er meint, Leibniz‘ Einlassung, die Natur sei von Gott auf das Bestmögliche eingerichtet, weil sie von Gott eingerichtet wurde, gebe keine plausible Erklärung ab, sondern verweise lediglich zirkulär von der Güte Gottes über die Güte seiner Schöpfung auf seine Güte: „,Nach der Weisheit Gottes müssen wir annehmen, daß die Gesetze der Natur die besten sind.’ Im allgemeinen ist man damit zufrieden; aber die Antwort ist für die bestimmte Frage nicht hinreichend. Man will das Gute dieses Gesetzes erkennen. Das wird nicht geleistet. [...] Leibniz [sagt nur]: ,Gott hat es gemacht’; das ist keine Antwort. Wir wollen den bestimmten Grund dieses Gesetzes erkennen; solche allgemeinen Bestimmungen lauten fromm, sie sind aber nicht genügend.“[71]

Dabei leugnet Hegel die Bedeutung des Naturrechts nicht, sondern fühlt sich der modernen Naturrechtstheorie durchaus verpflichtet. Ausgehend von der hobbes’schen Beschreibung des anarchischen Naturzustands – „Das Recht der Natur ist darum das Dasein der Stärke und das Geltendmachen der Gewalt, und ein Naturzustand ein Zustand der Gewalttätigkeit und des Unrechts, von welchem nichts Wahreres gesagt werden kann, als daß aus ihm herauszugehen ist.“[72] – entwickelt Hegel eine Theorie des Fortschritts der Geschichte, in dem sich der Geist vom Naturzustand der Unfreiheit zur Freiheit entwickelt: „In der Tat aber gründen sich das Recht und alle seine Bestimmungen allein auf die freie Persönlichkeit, eine Selbstbestimmung, welche vielmehr das Gegenteil der Naturbestimmung ist.“[73] Trotz dieser Diskrepanz in der Beurteilung des als „unfrei“ beschriebenen Naturrechts und des in freier Bestimmung gegründeten positiven Rechts, wäre es, so Hegel, „ein großes Mißverständnis“, anzunehmen, „daß sie einander entgegengesetzt und widerstreitend sind“[74]74; tatsächlich verhielte sich das Naturrecht zum positiven Recht wie die „Institutionen zu [den] Pandekten“[75]. So scheint bei Hegel auf paradoxe Weise in der Ablehnung der Naturrechtssysteme doch auch eine naturrechtliche Basis des Rechts gegeben, und sei es nur als Negation des freien Geistes.


Grundprobleme des modernen Naturrechts

Die prinzipielle Schwäche des modernen Vernunftnaturrechts ist die „innere Auflösung der naturrechtlichen Denkform“[76] (gemeint ist der Ansatz des Aquinaten), eine Dynamik, die von zwei Richtungen angetrieben wird:

1. Der erkenntnistheoretisch aufkommende Empirismus führt auch in der Naturrechtsdebatte zu einer stärkeren Berücksichtung der situativen Gegebenheiten und der historischen Umstände, welche die Sicht auf die natura humana verändert: das dictamen rationis, das bei Thomas aus der Teilhabe des Menschen an der göttlichen Vernunft erwächst, wird bereits bei Grotius zu einem empiristischen Denkmodell. Das Gute und Gerechte ist nicht mehr das, was gut und gerecht ist, sondern das, was erfahrungsgemäß gut und gerecht ist. Ergänzt wird diese methodologische Neuerung durch den Anspruch der Philosophie, einer exakten Wissenschaft zu genügen und dies durch Orientierung an der Mathematik zu erreichen.

2. Das Gute und Gerechte findet bei Thomas noch im göttlichen Gebot seinen Ausdruck, weil es gut und gerecht ist; es ist nicht gut und gerecht, weil es geboten ist. Es ist zudem als gut und gerecht vom Menschen unmittelbar zu erkennen, nämlich aus der Vernunft, die teilhat an der göttlichen Vernunft. Erkennen (Mensch) und Gebieten (Gott) stimmen überein, ausgehend von der geteilten Vernunft, die beides ermöglicht: die Erkenntnis und das Gebot, das dann für die qua Vernunft zur Einsicht befähigte natura humana bloßen Erinnerungs- und in einzelnen Fragen auch Ergänzungswert hat; moralisch und rechtlich konstitutiv ist jedoch die Vernunft.[77] Demgegenüber stellen – nachdem noch Grotius mit dem Verweis auf den doppelten Geltungsgrund des Naturrechts (menschliche Vernunft als Urteilsvermögen und göttlicher Wille als deren Bestätigung; schließlich schuf Gott den Menschen als vernünftig) nach einem Ausgleich suchte –[78] v. a. Pufendorf und Thomasius durch die pietistische Betonung des göttlichen Willens die Vernunft als unmittelbare Moral- und Rechtsquelle in Frage, da moralische und rechtliche Urteile erst dann gelten sollen, wenn diese auch als Willensdekrete Gottes betrachtet werden können.[79] Damit wird für den Vernunftgebrauch des Menschen der Konnex zum Garanten einer unhintergehbaren Vernunft, also zu Gott, aufgelöst: Nicht mehr Vernunft durch Gott (Scholastik), sondern Vernunft und Gott (Moderne). Aus Kongruenz wird Konkurrenz. Naturrechtliches Argumentieren ist nicht mehr rückgebunden an Gott, da die lex naturalis von der lex aeterna getrennt gedacht wird bzw. letztere zunehmend keine Rolle mehr spielt.

Schockenhoff weist darauf hin, dass man angesichts dessen beim modernen Naturrecht nur insoweit von Vernunftrecht sprechen kann, als damit die „instrumentelle Vernunft“ des Menschen gemeint ist,[80] die ihre Bindung an die göttliche Vernunft aufkündigt. Vor diesem Hintergrund kann die Einlassung der Encyclopédie („Wer nicht vernünftig denken will, verzichtet darauf, Mensch zu sein, und muß deshalb als entartetes Wesen behandelt werden.“) in letzter Konsequenz als Kritik an den Menschen aufgefasst werden, die an der Gottverbundenheit ihrer Vernunft festhalten.

Dieses emanzipatorische Moment verkehrt sich bald in Unsicherheit über jene zentralen Moral- und Rechtsbegriffe, die bei Thomas noch intrinsische Bestandteile des Denkmodells bilden, da sie von Gott ausgingen und in Gott ontologisiert waren: das Gute und das Gerechte.[81] Wenn die menschliche Vernunft daran keinen Anteil mehr hat, bleibt nach dem Wegfall der Denkfiguren und Begrifflichkeiten des pietistischen Glaubens („Wille Gottes“) kein Grund mehr für eine verbindliche Bestimmung des Guten und Gerechten.

Das eigentliche Vernunftnaturrecht ist also bei Thomas zu finden. Das moderne „Vernunftnaturrecht“ basiert dagegen explizit auf einem konstitutiven Willen des Gesetzgebers, der von Gott (Naturrecht) auf den Staat (positives Recht) übertragen wird. Das moderne „Vernunftnaturrecht“ bereitet mit seinem „theonomen Moralpositivismus“[82], also gerade durch die explizite Bezugnahme auf den Willen Gottes, dem anthropogenen Rechtspositivismus den Boden, der die menschliche Konvention als non plus ultra des Rechts betrachtet.[83] Es kann zwar an einem „gottlosen“ Naturrecht weitergearbeitet werden, doch ist dieses gleichsam ohne Fundament und ohne Sinn, da es sich wesentlich nicht mehr vom Rechtspositivismus unterscheidet, sondern nur die Instanz der Willensbekundung wechselt. Letztlich wird über den Empirismus und die instrumentelle Vernunft, die als methodologisches Forschungsprinzip und als Voraussetzung einer Durchdringung des Besonderen für die aufstrebenden Naturwissenschaften konstitutiv waren, nicht nur die Bindung des Menschen an Gott hinterfragt, sondern auch die Vernunft in ihrer Bedeutung depotenziert: Sie ist nicht mehr Garant unmittelbarer Erkenntnis des naturrechtlich Gebotenen, des Guten und des Gerechten, sondern nur noch Werkzeug eines Verständigungsprozesses über nunmehr in ihrer Geltung offene Moral- und Rechtskonzepte. Wenn die Anwendung der instrumentellen Vernunft systematisch korrumpiert ist – wie dies in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts der Fall war –, fällt sie als Grundlage eines Naturrechts aus, soweit dieses in echter Opposition zum positiven (Un-)Recht stehen soll. Damit musste eine ernsthafte Rückbesinnung auf die Naturrechtstradition das moderne Naturrecht überschlagen und auf Thomas von Aquin zurückgehen.


Naturrecht in der Gegenwart

Mit Hegel beginnt zunächst die Phase des Rechtspositivismus im engeren rechtsphilosophischen Sinne, die in Hans Kelsens (1881-1973) Gedanken des „reinen Gesetzes“ kulminiert, für dessen Bestand allein das formal korrekte Zustandekommen im rechtstaatlichen Legislationsverfahren entscheidend ist.[84] Kelsen betont die Autonomie des Rechts und sieht dieses Ideal im neutralen Gesetzesstaat verwirklicht, in dem Rechtssicherheit ohne politische Einflussnahme, d. h. ohne außerlegislativen Normativismus verwirklicht ist.[85]

Doch das Gebot, sich aus Gründen der Rechtssicherheit an die verfahrenstechnisch richtig zustande gekommenen Gesetze – inhaltsunabhängig – in jedem Fall zu halten, wird in totalitären Regimen zum Prüfstein des Gerechtigkeitsempfindens. Hier setzt die Überlegung Gustav Radbruchs (1878-1949) ein, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zusammenzubringen, also – tendenziös ausgedrückt – das Hauptaugenmerk des positiven Rechts und das des Naturrechts. Er fordert, die Gesetzesbefolgung solle nicht allein vorbehaltlich des formal korrekten Zustandekommens des Gesetzes geschehen, sondern auch unter Berücksichtigung des mit dem Gesetz verordneten Inhalts. Als Prinzip eines solchen „Gerechtigkeitsvorbehalts“ führt er die Radbruchsche Formel ein, die besagt, dass Rechtssicherheit ein so hohes Gut ist, dass Gesetze gelten sollen, auch wenn deren Zweckmäßigkeit angezweifelt werden kann, es sei denn – und das ist die entscheidende Einschränkung –, „der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit erreicht ein so unerträgliches Maß, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat“[86]. Es gibt für Radbruch also keinen Zwang, einem ungerechten Gesetz Folge zu leisten.

Nicht nur in der naturrechtlichen Reorientierung, die mit dem Namen Gustav Radbruch verbunden ist, zeigte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bedeutung naturrechtlicher Überlegungen. Grundsätzlich erlebte das längst überwunden geglaubte Naturrecht als Reaktion auf die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nach 1945 eine Renaissance, v. a. in der neuthomistischen Soziallehre der katholischen Philosophie, zu der auch Suárez’ Theorie einen Beitrag leistete, vermittelt durch die Arbeiten des französischen Neuscholastikers Jacques Maritain (1882-1973), der die Naturrechtskonzeption suarezianischer Prägung aufgenommen und zeitgemäß weiterentwickelt hat (Man and the State, 1951).

Auch wenn die modernen Staatsverfassungen scheinbar eine positivierte Variante grundlegender Rechte bieten,[87] an denen sich das positive Recht zu messen hat, bleibt das Kernproblem der Naturrechtsthematik, die Letztbegründung der Verbindlichkeit des Rechts, auch im modernen Rechtsdenken und der zeitgenössischen Sozialphilosophie bestehen und wird mit der Erneuerung des Paradigmas des Gesellschaftsvertrages bei Rawls zu erfassen versucht oder soll im prozeduralen Gerechtigkeitsverständnis der Transzendental- (Apel) bzw. Universalpragmatik (Habermas) aufgelöst werden. Vor allem in der Auseinandersetzung mit den menschenverachtenden totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts hat sich die Bedeutung eines Naturrechts gezeigt, das von einer unhintergehbaren, gleichwohl dem Menschen zugänglichen göttlichen Vernunft garantiert wird: Es ist zu riskant, sich allein auf menschliche Konventionen und die instrumentelle Vernunft zu verlassen.


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[1] Vgl. dazu auch das erste Kapitel („Die Abhängigkeit des Naturrechtsgedankens vom Begriff der Natur“) in Wolf (1964): S. 27 ff.
[2] Naturentdeckung und Entstehung der Philosophie fallen also zusammen. So nennt Aristoteles die ersten Philosophen „Menschen, die über die Natur reden“ und sich so von denen unterscheiden, die „über die Götter reden“ (Aristoteles (1994): V. 981b). Der φιλοσοφος unterscheidet sich vom φιλομυτος durch die differenzierende Hinterfragung des Menschen und seiner Lebenswelt, durch die „Aufspaltung jener Totalität der Phänomene“ (Strauss (1977): S. 84), die sich dem Menschen in der Welt offenbart. Der Philosoph ist nicht mehr zufrieden mit der Naturbetrachtung im Ganzen und der Schöpfung als Erklärung, der Philosoph will die Natur analysieren und im Einzelnen begreifen.
[3] Ps 7, 7.
[4] Ps 7, 9.
[5] Ps 7, 12.
[6] Ex 3, 14. Im Hebräischen geht das Tetragramm „JHWH“ auf die Verben „HWH“ („sein, werden“) und „HJH“ („geschehen, veranlassen, da sein“) zurück. Da Gegenwarts- und Zukunftsformen bei hebräischen Verben identisch sind, ergeben sich mehrere Übersetzungsmöglichkeiten. „JHWH“ lässt sich mit „Ich bin“ oder „Ich bin da“ übersetzen oder auch mit „Ich werde (da) sein“. Der ganze Ausdruck könnte dann im Sinne der Verheißung des Landes, in dem „Milch und Honig fließen“ (Ex 3, 8) und in das Gott sein Volk führen will, gelesen werden als „Ich werde der sein, der da sein wird.“, was auch mit der Zusage an Mose übereinstimmt, die der Selbstoffenbarung Gottes unmittelbar voraus geht: „Ich bin mit dir.“ (Ex. 3, 12), was angesichts der Tatsache, dass die Aufgabe des Mose ja in der Zukunft liegt, nur als „Ich werde mit dir sein.“ gelesen werden kann. Andere Übersetzungsmöglichkeiten in Ex 3, 14 sind „Ich bin der, der ins Dasein setzt“, was den Schöpfergott herausstellt, oder „Ich werde mich (hilfreich) erweisen“, was dem Namen Gottes eine noch stärkere soteriologische Konnotation verleiht als die ontologische Zukunftsform „Ich werde (da) sein“.
[7] Besonders, wenn sozial schwache Gruppen, die „Witwen und Waisen“, unter bestimmten Regelungen zu leiden hatten, konnte der König geltendes Recht fallweise aufheben.
[8] Sophokles (1953): V. 453 ff.
[9] Strauss (1977): S. 86.
[10] Ebd.
[11] „Ei wohl, sagte Kephalos, jedoch übergebe ich euch nun die Rede, denn ich muß jetzt für die heiligen Dinge Sorge tragen.“ (Platon (1977 [2]): V. 331d).
[12] „Und Adeimantos fiel ein: Ihr wißt wohl auch nicht einmal, daß gegen Abend noch ein Fackelzug sein wird zu Pferde, der Göttin zu Ehren? – Zu Pferde? sprach ich, das ist ja neu. Sie werden also Fackeln halten und sie einander hinreichen im Wettstreit zu Pferde? Oder wie meinst du es? – Gerade so, sprach Polemarchos, und überdies werden sie noch eine Nachtfeier veranstalten, die sehr lohnen wird zu sehen. Wir werden also nach der Mahlzeit uns aufmachen und mit vielen jungen Leuten dort zusammensein und Gespräch pflegen. Bleibt also und tut ja nicht anders. – Da sagte Glaukon: Es scheint, wir werden bleiben. – Wenn du meinst, sprach ich, müssen wir wohl so tun.“ (A. a. O.: V. 328a f.).
[13] Odysseus tötet nach seiner Rückkehr 108 Menschen, die in seiner Abwesenheit sein Vermögen aufgezehrt haben, sühnt ein deliktisches Verhalten im Bereich des Eigentums mit Mord, eine extrem unverhältnismäßig harte Strafe, die jedoch von den Göttern geduldet wird: Zeus verlangt von den Bewohnern Ithakas, den Massenmord zu vergessen. Dieser „homerische Adelsethos“ zeige, „daß die Gerechtigkeit sich als zentraler Wert der Sozialmoral erst nach und nach durchsetzt“ (Höffe (2001): S. 18).
[14] Im Bundesbuch (v. a. in Kapitel 21) werden diverse Vergehen (Körperverletzung oder Beleidigung des Vaters oder der Mutter, Menschenraub) von Gott mit der Todesstrafe belegt.
[15] Strauss (1977): S. 95
[16] Cathrein (1901): S. 139.
[17] Protagoras (Fragment B1), zit. nach Diels / Kranz (1952): S. 263.
[18] Daran orientiert – gewissermaßen als Versuch eines Kompromisses – ist das rationale Naturrecht oder Vernunftrecht, das den modernen Naturrechtsdiskurs bestimmt. Der Begriff wird in der Aufklärung geprägt und entsteht aus dem neuen Naturverständnis als der ratio humana, die – und darin liegt das „Kompromissangebot“ an die Theologie – Gott nicht ersetzt, sondern lediglich dem Gedanken nachgeht, auf welche Instanz sich das Recht stützen kann, wenn er keinen Gott gäbe, auch wenn dieser Gedanke zu Missverständnissen führte, wie die Biographie Christian Wolffs, eines der herausragenden Vernunftrechtstheoretiker, eindrucksvoll belegt.
[19] Ma’at ist die ägyptische Göttin der Rechtsprechung. Der Name bedeutet soviel wie „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“, „Ordnung“, „Weisheit“.
[20] Dieses Bewusstsein beherrscht v. a. die Naturrechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts, die mit dem Verweis auf totalitäre Rechtssysteme mit „ungerechten Gesetzen“ die große Problematik des Rechtspositivismus offen legt.
[21] Insbesondere jedoch beim Epikureer Lukrez, der mit seinem Gedicht Von der Natur der Dinge das „einzige für uns erreichbare authentische [...] Dokument des philosophischen Konventionalismus“ schuf (Strauss (1977): S. 115).
[22] So findet sich bei Heraklit (Fragment 102, zit. nach Snell (1965): S. 33) eine Stelle, die diese Auffassung widerspiegelt: „Vor Gott ist alles schön, gut und gerecht; aber die Menschen wähnen, das eine sei unrecht, das andere recht.“
[23] Cicero (De finibus, V. 17), zit. nach Strauss (1977): S. 97.
[24] Strauss (1977): S. 98.
[25] Hier weist Leo Strauss auf die Schwierigkeit hin, den Menschen einerseits als Wesen zu betrachten, das Gerechtigkeit unbedingt braucht, um gut leben zu können, das anderseits aber nicht von Natur aus wissen soll, was gerecht bedeutet: „Leben in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit erfordert aber die Kenntnis der Gerechtigkeitsprinzipien. Wenn der Mensch so geartet ist, dass er nicht oder nicht gut ohne Gerechtigkeit leben kann, dann muss er sich von Natur aus der Prinzipien der Gerechtigkeit bewusst sein.“ (Strauss (1977): S. 101).
[26] Dass es unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Gerechtigkeit“ gibt, seien sie nun religiös, kulturell oder ideologisch motiviert, steht außer Frage, aber: „[d]ie Vielfalt der Gerechtigkeitsvorstellungen kann als Vielfalt von Irrtümern verstanden werden, die der Existenz der einen Wahrheit hinsichtlich der Gerechtigkeit nicht widerspricht, sondern sie voraussetzt.“ (Ebd.).
[27] Aristoteles (1983): V. 1134b.
[28] Vgl. Strauss (1977): S. 103.
[29] Ebd.
[30] Strauss (1977): S. 103.
[31] Thomas’ Vorstellung, dass eine vom Geist Gottes erleuchtete Vernunft zur Einsicht in den Geltungs- und Verpflichtungsgrund des Naturrechts befähigt, ist mit der Idee verbunden, dass gerade über diese Vernunft Gott zu erkennen ist. Mit dem engen Beziehung von Vernunftgebrauch und Gotteserkenntnis gelangt er zu einem Fundament, das in sich stimmig begründet ist, heute jedoch viele Menschen nicht mehr überzeugt, weil diese gewohnt sind, „glauben“ als „nicht-wissen“ zu verstehen und den Glauben zum Wissen in eine scheinbar unaufhebbare Spannung zu bringen.
[32] Schockenhoff (2010): S. 157.
[33] Grotius (1950): Erstes Buch, IV § 19 (vgl. Thomas v. Aquin: Sum. Theol., II-II 42, 2).
[34] Schockenhoff (2010): S. 152.
[35] Platon verwendet zur Letztbegründung des Rechts den Begriff des Sittlichen, das durch die Gesetzgebung geschützt werden soll. Das Sittliche jedoch ist nichts anderes als das Gute, das in Platons Ideenwelt als göttliches Ideal vom Menschen nur dann erreicht werden kann, wenn durch die Vorherrschaft der Vernunft die Harmonie seiner Seele sicher gestellt ist bzw. – übertragen auf das Gemeinwesen – der Philosoph in der πόλις das Sagen hat und damit für Gerechtigkeit gesorgt ist.
[36] Die jüngeren Stoikern der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte waren mehrheitlich der Ansicht, das Naturrecht sei mit der Vernunft als solcher gegeben und bilde ein allgemeines, mit der allumfassenden Weltvernunft (κοινος λόγος) identisches, absolut gültiges, ewiges Weltgesetz (lex aeterna).
[37] Schockenhoff (2010): S. 151.
[38] Auch Aristoteles betont die passive Rolle des Menschen, wenn er sagt, dass das Naturrecht bloß „erahnt“ wird: „Es gibt nämlich – wie alle ahnen – ein von Natur aus allgemeines Recht und Unrecht – auch wo keine Gemeinschaft untereinander bzw. wo keine Übereinkunft besteht.“ Dagegen seien die Gesetze des Staates nicht ursprünglich, sondern von Menschen gemacht und gelten insofern nur, wenn sie dem ewigen ungeschriebenen Naturrecht nicht widersprechen: „Unter Gesetz aber verstehe ich teils das besondere, teils das allgemeine; und zwar ist das besondere das, was von einzelnen Menschen für sie selber festgestellt wurde, und zwar entweder schriftlich festgelegt oder ungeschrieben.“ (Aristoteles (1980): V. 1373b).
[39] Trotz aller Naturrechtsskepsis innerhalb der Diskursethik fällt auf, dass hier eine Parallele zum prozeduralen Gerechtigkeitsverständnis der Transzendental- (Apel) bzw. Universalpragmatik (Habermas) besteht.
[40] Althusius’ bedeutendes Hauptwerk Politica methodice digesta („System der Politik“) erschien 1603.
[41] Reibstein (1955).
[42] Suárez hatte bereits – ähnlich wie zuvor Las Casas – gesehen, dass „alle Gewalt vom Volke ausgehen“ muss und für den Fall der Tyrannei – analog dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungskrieg – im Staatsrecht ein Widerstandsrecht des Volkes verankert, denn eine Tyrannei sei vergleichbar einem Angriff von außen, wobei „dieser Tyrann [..] der eigentliche Angreifer [ist]“ und sich infolgedessen „das ganze Volk [...] zum Krieg wider einen solchen Tyrannen erheben [dürfe]“ (Suárez (1965): S. 204).
[43] Vgl. Strauss (1977): S. 172 ff.
[44] Gierke (1958): S. 113.
[45] Kofler (1974): S. 356.
[46] Ebd.
[47] Sein Hauptwerk heißt De jure naturae et gentium (1672).
[48] Hobbes (1991): S. 96.
[49] Andererseits verweist Welzel auf die Bedeutung Pufendorfs hinsichtlich der Entwicklung einer Menschenrechtskonzeption (1962: S. 140 ff.). Bei Pufendorf erscheine der Begriff der Menschenwürde erstmals im Zusammenhang mit der Begründung des Naturrechts: Aus der natürlichen Gleichheit folge die natürliche Freiheit des Menschen (Welzel (1958): S. 47). Wie damit allerdings das Widerstandsverbot in Einklang gebracht werden soll, bleibt fraglich, denn in Konfliktsituationen (in der Tyrannei etwa) spitzt sich das naturrechtliche Dilemma in der Frage zu, was schwerer wiegt, die natürliche Freiheit oder der in ihrem Geist geschlossene Vertrag. Darauf bleibt Pufendorf die Antwort schuldig.
[50] Hammerstein (1995): S. 176 f.
[51] Medick (1981): S. 37.
[52] Hammerstein (1995): S. 176.
[53] Pufendorf zit. nach Welzel (1931): S. 590.
[54] Leibniz (2003): S. 83 (§ 75).
[55] Ebd.
[56] Ebd.
[57] Leibniz (2003): S. 79 (§ 73).
[58] Leibniz (2003): S. 83 (§ 75).
[59] Ebd.
[60] Von Thomasius ist in diesem Zusammenhang v. a. sein 1687 erschienenes Lehrbuch des Naturrechtes, sein rechtsphilosophisches Hauptwerk Fundamenta Iuris Naturae et Gentium (1705) sowie seine naturrechtstheoretische Einlassung über Bigamie bekannt (De crimine bigamiae, 1685), die er in radikaler Naturrechtsargumentation – weit über Pufendorf hinausgehend – als zwar gesetzlich verboten, naturrechtlich jedoch erlaubt darstellt. Juristisch beachtlich ist sein Ansatz einer Humanisierung des Strafrechts – Thomasius wendet sich insbesondere gegen die Folter – und seine ablehnende Haltung dem römischen Recht gegenüber, dem er ein deutsches Privat-, Feudal-, Straf- und Staatsrecht entgegenstellte.
[61] Schockenhoff (2010): S. 155.
[62] Buschmann (1989): S. 101.
[63] Vgl. den Artikel Naturrecht in Diderot / d’Alembert (1966 f.).
[64] Erwähnung finden sollen an dieser Stelle auch die Naturrechtsschriften Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings (1775-1854), v. a. seine frühe Aphorismensammlung Neue Deduktion des Naturrechts von 1795, in der er Recht als Freiheit (Dürfen) und nicht als Pflicht (Sollen) begreift. Zentral ist für Schelling erstens die Grenzenlosigkeit der Freiheit, die nur in der Freiheit anderer eine Schranke findet und zwar aus der Perspektive des Erhalts der eigenen Freiheit, die es zu schützen gilt: „Ich höre nur deswegen auf, meine Freiheit der Freiheit anderer moralischer Wesen entgegenzusetzen, damit umgekehrt diese aufhört, ihre Freiheit der meinigen entgegenzusetzen.“ (1982: § 46), und zweitens die Bedeutung der Freiheit für die Moralität: „Also ist die Freiheit nicht abhängig von der Moralität, sondern die Moralität von der Freiheit.“ (1982: § 35).Verwiesen sei im Zusammenhang mit dem idealistischen Naturrecht auch auf die Arbeiten Karl Christian Friedrich Krauses (1781-1832), dem in der deutschsprachigen Forschung nur eine untergeordnete Rolle zukommt, im Gegensatz zur spanischsprachigen Literatur (vgl. Dierksmeier (2004): S. 309, Anm. 1). Gleichwohl gehört Krause zur „Avantgarde des idealistischen Denkens“ (S. 309), die sich um 1800 in Jena des Naturrechtes annahm. Besonders wichtig ist Krauses Auffassung von der Unverlierbarkeit der Menschenwürde, die es gebietet, „einen Verbrecher nie anders als ein würdiges Subjekt – keinesfalls also (wie Fichte und Hegel meinen) nach den Handlungsgesetzen, die er in seinen Taten selbst aufstellt – [zu] behandeln“ (319).
[65] Kant behandelt in seiner praktischen Philosophie die „Tugendlehre“ und die „Rechtslehre“ getrennt voneinander.
[66] Jener Formel also, die Kant in seiner Grundlegung der Metaphysik der Sitten (1785) zum höchsten ethischen Prüfstein erhebt und nach der ich „niemals [soll] anders verfahren, als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden“ (Kant (1907): S. 398) bzw. „der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, [..] als Zweck an sich selbst [existiert], nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“ (Kant (1907): S. 429), deshalb müsse er „ in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden“ (ebd.).
[67] Einmal getrennt, lassen sich die Sphären von Recht und Moral nur noch schwer zueinander bringen und es fällt schwer, dem „unmoralischen Recht“ seine Rechtfertigung abzusprechen. Andererseits ist die Rechtssicherheit gefährdet, wenn es über die moralischen Belange keinen gesellschaftlichen Konsens gibt und sich private „Moralen“ über geltendes positives Recht stellen. Ein Konflikt, den Kant sah und mit der Trennung von Recht und Moral – aber auch mit der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Gebrauch der Vernunft – und seiner formalen Pflichtenethik zu bannen versuchte, der aber doch immer wieder aufbricht, wenn die Maxime des Handelns keiner Prüfung auf Verallgemeinerbarkeit zugeführt wird – weil sie ihr nicht würde standhalten können – und legales Handeln zu offensichtlich gegen moralisches Empfinden verstößt, Legalität gegen Moralität steht, partikulare Rechtsbefolgung gegen universell verstandene Verantwortlichkeit. Wenn trotz Gesetzestreue der Eindruck eines Wertevakuums entsteht, die Ausdeutung und Ausgestaltung der schmerzlich vermissten Werte jedoch zugleich umstritten ist, bleibt letztlich unklar, wie sich Recht und Moral im Sinne korrespondierender Leitlinien richtigen Handelns bedingen sollen, so dass diesem Einklang alle Betroffenen werden zustimmen können.
[68] Dierksmeier (2004): S. 309.
[69] Sein (Natur)Rechtskonzept legt er in Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Rechtswissenschaft im Grundrisse von 1821 dar.
[70] Hegel (1970 [2]): S. 248.
[71] Hegel (1970 [2]): S. 249.
[72] Hegel (1970 [1]): S. 311 f.
[73] Ebd.
[74] Hegel (1986): S. 35.
[75] Ebd. Gemeint sind die Gaius-Institutiones und die Digesten (Pandekten) des Corpus Iuris Civilis.
[76] Schockenhoff (2010): S. 162.
[77] Gott fügt nach Thomas zur lex naturalis nur „paucissima“ hinzu (Thomas v. Aquin: Sum. Theol. I-II 107, 4).
[78] Schockenhoff (2010): S. 153 f.
[79] Schockenhoff (2010): S. 163.
[80] Schockenhoff (2010): S. 163.
[81] Der Sein-Sollens-Fehlschluss kann daher als Argument gegen das Naturrecht nur dann verfangen, wenn diese Ontologisierung unberücksichtigt bleibt. Bei Thomas steht nicht eine isolierte menschliche Natur für das Gute und Gerechte Pate, sondern Gott, der das Gute und Gerechte ist, und an dem der Mensch qua Vernunft Anteil hat.
[82] Schockenhoff (2010): S. 154.
[83] Zuvor ist es noch die göttliche Konvention. Schockenhoff zeigt, wie Pufendorf und Thomasius den Ansatz Thomas von Aquins auf den Kopf stellen: Ihr „Naturrecht erscheint so nicht mehr als reale Teilhabe an der lex aeterna, sondern als ein Ensemble kontingenter göttlicher Willensakte, mit der Folge, dass die von Gott befohlenen oder verbotenen Handlungen keine intrinsische moralische Qualität mehr aufweisen. Sie sind nicht mehr deshalb gut oder schlecht, weil sie mit den naturgemäßen Strebenszielen des Menschen übereinstimmen und die praktische Vernunft ihre Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit der Wesensnatur des Menschen erkennt, sondern weil sie von Gott befohlen oder untersagt sind.“ (2010: S. 163)
[84] Ausgeführt in seinem epochalen Hauptwerk Reine Rechtslehre aus dem Jahre 1934.
[85] Vgl. Kelsen (1960).
[86] Radbruch (1973): S. 345. Nachdem Gustav Radbruch in der 3. Auflage seines Lehrbuch der Rechtsphilosophie 1932 noch ganz im Sinne der kantischen Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch unterschied („Wir verachten den Pfarrer, der gegen seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Gesetzestreue nicht beirren lässt.“, S. 32), erfährt sein rechtsphilosophisches Denken unter dem Eindruck des Unrechts der nationalsozialistischen Diktatur und des Versagens der gleichgeschalteten Justiz eine grundlegende Wendung. Die Radbruchsche Formel entstand gleich nach dem Krieg im Jahre 1946.
[87] So wie das deutsche Grundgesetz sich ausdrücklich auf überpositive Begriffe wie die „Würde des Menschen“ bezieht („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, Art 1 Abs. 1 GG). Ausdruck dessen ist aber auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948.


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