theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Diskussionspapier:


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Daniel Bogner

Welche Autorität? Die Krise der Kirche als Chance der Institution

Dass sich die beiden großen Kirchen in Deutschland in Zeiten des Umbruchs befinden, gehört seit langem zum Standartrepertoire der Soziologen und Analytiker der Gegenwart. Längst ist auch vielen kirchlichen Verantwortungsträgern klar, dass der soziale Ort der Kirchen in der Gesellschaft einem fundamentalen Bedeutungswandel unterliegt. Diese Entwicklung ist zunächst einmal ein Faktum, noch bevor die Frage gestellt wird, wie man einem solchen Wandel am klügsten begegnet. Während einerseits in manchen Untergliederungen der Kirchen mit einer drastischen und schnell ins Horn gestoßenen Einsparpolitik auf die sinkenden Kirchensteuereinnahmen reagiert wird, verblüfft andererseits das Beharrungsvermögen der Institution, deren lange Geschichte unter den Bedingungen der finanziellen, aber auch inneren Krise zu einem Gewicht wird, das zügige thematische Schwerpunktverlagerungen zu verhindern scheint. Der christliche Glaube wird auf lange Zeit sicher nicht vollständig aus der deutschen Gesellschaft verschwinden – wohl aber steht um die aktuelle institutionelle Gestalt der Kirchen zu fürchten. Einiges bietet zu Zweifel Anlass, ob sie in der Lage sind, aus den ökonomisch erzwungenen Downsizing-Prozessen in zwar kleinerer, aber geläuterter Form und mit neuem Elan hervorzugehen.

Dass in jeder Krise eine Chance liegt, ist ebenfalls ein Allgemeinplatz. Schwieriger ist es die Bedingungen zu bestimmen, unter denen die Chance genutzt werden kann. Für die Großkirchen kann die gegenwärtige Krise der Anlass sein, ihren Begriff vom Institutionellen zu überdenken. Dafür bedarf es aber bestimmter Kriterien, die in den Neuordnungsprozessen als Kompass wirken und mit denen man sich davor schützt, Missverständnissen oder gar Illusionen zur eigenen institutionellen Rolle aufzusitzen. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Diskussion um recht verstandene kirchliche Institutionalität um einen Aspekt zu erweitern: Zentral sein soll der Begriff der Autorität in der Kirche. Die Erörterung bewegt sich zwangsläufig auf dem Grat zwischen theologischer und sozialwissenschaftlicher Argumentation – weil die Kirche einerseits ihr Selbstverständnis auch als Institution nicht anders denn theologisch begründen kann, und weil andererseits für Institutionen die soziale Wirklichkeit das Feld ist, auf dem sie ihre Wirksamkeit entfalten.


Strategien der Krisenreaktion

Bei einem vielschichtigen und intern so pluralen Organismus wie der katholischen Kirche ist es vielleicht vermessen, von „Strategien“ zu sprechen, mit denen auf die zunächst finanziell sich bemerkbar machende Krise reagiert wird. Zu sehr klingt darin die Illusion eines geordneten, steuerbaren und konzertierten Vorgehens an. Hilfreich ist es aber, in den zahlreichen Versuchen, sich innerkirchlich „neu aufzustellen“, nach wiederkehrenden Mustern zu suchen. Der Befund kann helfen zu erkennen, nach welcher theologischen Prämisse und mit welchen pastoralen Absichten die Reaktion – ob wissentlich oder nicht – verläuft. Gegenwärtig lassen sich offensichtlich drei verschiedene Typen des Umgangs mit der Krise feststellen, die alle ein bestimmtes Verständnis von der Institutionalität der Kirche zugrunde legen.


Das lokalkirchliche Selbstverständnis

Zunächst begegnet man vielerorts der Überzeugung, dass sich die Probleme der Kirche nicht auf den höheren Ebenen der Kirchenleitung oder der theoretischen Theologie lösen lassen, sondern im Kern an der Basis angegangen werden müssen. Die unterschiedlichen Facetten einer Krise werden dabei vermengt, wirtschaftlich-finanzielle Nöte letztlich als direkte Folge theologisch-pastoraler Fehler angesehen. Echte Veränderung komme dann „von unten“, dort sei der Ort, wo die Wirklichkeit auch am deutlichsten gesehen werde. Problemlösungen müssten deshalb vor allen Dingen pragmatisch sein und sich in der Alltagspraxis bewähren. So dürfe man auch nicht immer verlangen, dass die gefundenen Antworten auf die Herausforderungen an höherer Stelle auch direkt auf Akzeptanz oder gar Wohlwollen stoßen.

Eine solche Grundüberzeugung ist verbreiteter als mancher Ordinariatsverantwortliche wahrhaben mag: Impliziter Weise lassen sich wohl viele Gruppen auf Pfarreiebene von einer solchen Optik leiten, auch wenn daraus keine weiteren kirchenpolitischen Schlüsse gezogen oder die institutionell vorgegebenen Strukturen gar verlassen würden. Gleiches gilt nicht für viele der sich explizit so verstehenden „Basisgruppen“: Sie haben aus der Diagnose, dass die entscheidenden Veränderungen von unten kommen müssen und man eben nicht auf die Einsicht der Oberen warten kann, auch institutionelle Schlüsse gezogen – durch bewussten Auszug aus den kirchenamtlichen Strukturen, die Neugründung quasi-gemeindlicher Strukturen neben der verfassten Kirche oder die lediglich informelle Anlehnung an eine pfarreiliche Struktur, um deren Infrastruktur noch zu nutzen oder das eigene Restbedürfnis nach institutionellem Schutz zu befriedigen.

Gemeinsam teilen alle diese Initiativen und Gruppen einen deutlichen Affekt gegen das Institutionelle. Sie werfen der kirchlichen Institution mangelnde Flexibilität und zu starkes Beharrungsvermögen vor und bedauern deren notorisches Zu-Spät-Kommen im Aufgreifen aktueller Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft. Sich selbst begreifen manche solcher Gruppen, zumindest dort, wo sie sich explizit gegen die traditionellen Strukturen formiert haben, gerne als Bewegung („KirchenVolksBewegung“, „Initiative Kirche von unten“, „Christliche Friedensbewegung Pax Christi“, „Freckenhorster Kreis“ etc.), ungeachtet des zweifelhaften Beiklangs, der diesem Terminus gerade in Deutschland anhaftet. Von theologischer oder auch sozialer Relevanz ist die institutionelle und amtliche Gestalt der Kirche in den Augen dieser lokalkirchlich Engagierten nicht mehr, und wenn doch dann allenfalls in der Rolle einer negativen Hypothek: als das, wogegen man sich abarbeiten muss, was einem immer wieder Hindernisse in den Weg legt.


Der Weg amtlicher Steuerung

Das Gegenstück zur basiskirchlichen Herangehensweise „von unten“ ist die amtskirchliche Perspektive „von oben“. Kriterium hierfür ist die Überzeugung, dass die Kirche ein auf direktem Wege steuerbarer Organismus sei. Entscheidend ist die Absicht der direkten Steuerung: Könnte man die Sozialgestalt der Kirche auch als ein multi-polares, von vielfältigen Gegensätzen geprägtes und damit nur indirekt zu beeinflussendes Gebilde begreifen, geht der hier beschriebene Ansatz davon aus, dass die katholische Kirche mit ihrer vor allem im Kirchenrecht niedergelegten Organisationsstruktur einen übersichtlichen Sozialkörper darstellt. Die amtliche Struktur wirkt darin als das steuernde Zentrum – mit einer Spitze, verschiedenen regionalen und lokalen Substrukturen. Den Trägern dieser Strukturen kommt es zu, für den geregelten Ablauf der kirchlichen Hauptfunktionen zu sorgen, die Effizienz der Abläufe zu erhöhen und gegebenenfalls die Nichteinhaltung der aufgestellten Regeln zu sanktionieren.

Eine solcher Art beschriebene Herangehensweise lässt sich nicht zwangsläufig mit dem Klerus identifizieren. Sie findet sich gegenwärtig an vielen Stellen auf der Ebene der Kirchenleitung – in kirchlichen Einrichtungen auf Bundesebene, in den diözesanen Ordinariaten, aber auch in manchen Verbänden. Der Krise begegnet man mit den klassischen Instrumenten effizienter Unternehmenssteuerung. Dazu gehören Personalführung und –rekrutierung, Straffung der Strukturen, das Durchforsten von Haushalten und die Formulierung von Leitbildern, „Mission statements“ und Zielvorgaben. Die an vielen Orten zum Einsatz kommenden Unternehmensberatungen, aber auch die angesichts der sich verschlimmernden Zahlen je neu formulierten Pastoralpläne zeugen von der Absicht, die Kirche mittels organisationssoziologischer Methoden wieder auf einen Erfolgsweg zu führen.

Solche Versuche sind durch ein vehementes Festhalten am formellen Funktionieren der Institution geprägt. Krisen lassen sich meistern, so die Überzeugung, wenn sich nur die Institution reibungsfreier und effizienter gestalten ließe. Dies betrifft dann eigentümlicher Weise auch den traditionalen Habitus im kirchlich-organisatorischen Selbstverständnis, den man im Zuge des Lenkens und Leitens häufig mit zurückdrängt. Eine Spannung zwischen Theologie und Management wird sichtbar: Sich derart stark auf die amtlichen Strukturen der Steuerung zu stützen bedeutet eine ekklesiologische Option für ein eher konservativ geprägtes Kirchenbild. Die starke Anlehnung an die Instrumente der modernen Unternehmenskultur bewirkt allerdings manchmal ein leichtfertiges Hinweggehen über die unverbrüchlich geglaubten Grundfesten kirchlicher und theologischer Traditionen – wenn es denn der Effizienz dient.[1] Weil aber die Methoden des Managements nur selektiv und halbherzig angewendet werden, ist das Ergebnis eine seltsam anmutende Melange aus Partizipation und Instruktion, Duldsamkeit und Herrschaft, Hasenfüßigkeit und Leadership. Leidtragend unter solchen Vermengungen ist ein in der Breite für legitim erachtetes und organisch gelebtes Modell von Kirche, das von einer gelungenen Verbindung zwischen Geist und Struktur zeugen würde.


Die Forderung nach charismatischem Aufbruch

Eine dritte Richtung im Umgang mit den Krisenphänomenen zeigt sich in den vielfachen Versuchen, die für einen neuen Aufbruch notwendigen charismatischen Impulse zu fordern, diese aber „von oben“, das heißt kirchenamtlich setzen zu wollen. Leitend ist dabei die Einsicht von Verantwortungsträgern in den amtlichen Strukturen, dass allein über die strukturbestimmte und organisatorische Steuerung die Kirche nicht zum Leben erweckt werden kann. Vielfach kommen solche Rufe von den obersten Amtsträgern, den Bischöfen, welche in ihren eigenen Bistümern die großen Spannungen zwischen notwendiger Verwaltungsarbeit sowie gewünschtem, aber nicht planbarem geistlichem Leben wahrnehmen. Da das geistliche Amt in seiner aktuellen Ausprägung die Letztverantwortung sowohl im Verwaltungshandeln der Kirche als auch in ihrer Seelsorge innehat, entsteht ein Paradox: Die obersten Verwaltungsbeamten fordern eine Relativierung der Strukturen, beklagen die „Überorganisation“ der Kirche und mahnen zu geistlichen Aufbrüchen. Anstatt zu versuchen, eine fruchtbare Spannung zwischen Geist und Struktur zu halten, findet eine Auf- bzw. Abwertung der jeweiligen Pole statt. Es entsteht der Eindruck eines „verordneten Aufbruchs“.

In dieser Tendenz liegen die kirchlichen Großereignisse der vergangenen Jahre: Kirchentage finden weiterhin fast regelmäßig im Zweijahresrhythmus statt und unterliegen dabei einem fulminanten Bedeutungswandel. Da das kirchliche Milieu, auf das sie sich stützen, nicht mehr wie vor Jahrzehnten vorhanden ist, ziehen sie Besucher an, deren Kirchenzugehörigkeit sich wesentlich durch die Teilnahme an solchen Großereignissen ausdrückt. Nachhaltige Wirkung in der Fläche, also in Pfarreien und lokalen Gruppen, hat das Ereignis dann oftmals gar nicht mehr. Ähnliches gilt für ein Großereignis wie den Weltjugendtag, von dem sich viele Vertreter des kirchlichen Amtes neuen Wind, eine Belebung der Strukturen und neuen Zulauf zur Institution erwarten. Solche Wellen bleiben aber aus, weil die Rezeptionsschemata der Jugendtagsteilnehmer nach anderen Gesetzen funktionieren und sich deshalb nicht für die Lösung bestimmter Probleme funktionalisieren lassen, die sie selbst nicht verursacht haben.

Ein besonders deutliches Beispiel für die hier beschriebene Tendenz einer „Belebung von oben“ ist das Bemühen, den in den kirchlichen und kulturellen Kontexten Asiens und Afrikas beheimateten Ansatz der „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ auch in Deutschland umzusetzen. Er stößt sich an den gegenüber seinen Entstehungskontexten anders gelagerten Sozialstrukturen in Deutschland, wo das Prinzip der Wohnnachbarschaften als Vergemeinschaftungsmodell nicht tragfähig ist, sowie an einem anderen Platz der Kirche innerhalb der Gesellschaft.[2] Dass Kirchenleitungen der Versuch, solche Ansätze zu implementieren, sympathisch erscheint, ist einleuchtend: Sie erhoffen sich davon eine Reanimierung der überkommenen Territorialgemeinde, die sich weitgehend selbst organisiert und sich bewusst in die vorhandenen Kirchenstrukturen einfügt. Eine wirkliche Anfrage an überkommene Modelle der Pastoral stellt der Ansatz der „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ nicht dar.[3]

Der Weg eines kirchenamtlich initiierten charismatischen Aufbruchs erscheint als eine Strategie mit zweifelhaften Erfolgsaussichten. Denn es ist ein Paradox, die beiden Pole des Organismus „Kirche“ auf die geschilderte Art und Weise miteinander kurz zu schließen. Organisation und Geist, prophetischer Impuls und priesterliche Linie machen nur in Doppelstruktur die Institution aus. Erst in ihrer Distanz zueinander bedingen und ergänzen sie sich. So wie die zahlreichen kirchlichen Bewegungen, auch wenn sie es manchmal nicht wahrhaben wollen, auf den Referenzrahmen der Institution verwiesen sind, um in ihrer Zeichenhaftigkeit verstanden zu werden, gilt auch umgekehrt: Amt und Institution bedürfen des Charismas, des lebendigen Geistes der Jugend, der ungefragten, lebendigen Stimmen „von unten“. Diese Stimmen im Ganzen sind es, welche die Vielfalt des Kirchenkörpers ausmachen, den die Institution in eine Form zu fassen versucht.[4] Jeder Versuch allerdings, solche Stimmen durch Akte des amtlichen Willens und im Stile des regulären institutionellen Selbstvollzuges zu erzeugen, muss als künstlich und gewollt erscheinen. Er verfehlt seine Wirkung. Der Geist ist wirksam gerade dadurch, dass ihn niemand gefragt hat, ob und wo er wirkt.


Wahre und falsche Autorität

Im Vordergrund soll nun nicht die Frage stehen, welche Erfolgsaussichten jeder einzelne der drei skizzierten Wege der Krisenreaktion beanspruchen kann. Ausgangspunkt war die Frage, welche Rolle der Institutionalität der Kirche zukommt. Die drei oben beschriebenen Profile offenbaren dabei ein jeweils unterschiedliches Verständnis. In herausgehobener Weise sichtbar wird dies am Begriff der Autorität in der Kirche.

Dieser ist deshalb so eng mit dem der Institution verbunden, weil sich darin die theologische und die soziologische Perspektive treffen: Zwar ist die Kirche ein Sozialkörper, der auch nach den Regeln des sozialen Funktionierens einer Institution beschrieben werden kann, aber sie ist mehr als das. Es zeichnet sie gegenüber herkömmlichen Institutionen wie Behörden oder Verbänden aus, dass sie ihre Wesens- und Zielbestimmung nicht aus sich selbst schöpft, sondern aus einer transzendenten Vorgabe heraus existiert. Nicht ein gemeinsames Interesse ihrer Mitglieder ergibt ihre Daseinsberechtigung, sondern umgekehrt: Ihre Mitglieder versammeln sich, weil es eine Vorgabe gibt, die zusammenruft. Man könnte sagen: Das „erste Wort“ eines göttlichen Sprechers ist die Autorität, die den Sozialkörper Kirche legitimiert. Deren Institutionalität hat im Kern keinen anderen Sinn als den, die Zusammenkunft der diesem „ersten Wort“ Zuhörenden und Folgenden immer wieder auf es hin auszurichten und auf diesen Kernvollzug und dessen Konsequenzen hin zu organisieren. Nur daraus kann die Kirche ihre Autorität beziehen und darauf hin ihrerseits Autorität ausüben. Wenn es also um die Zukunft der Institution Kirche geht, ist ein Bild von dem in ihr herrschenden Modell von Autorität hilfreich. Das kann Rückschlüsse darauf erlauben, wann ein der kirchlichen Institution adäquater Typus von „legitimer Herrschaft“ (Max Weber) vorliegt und somit die Voraussetzung gegeben ist, auch als Institution neue Akzeptanz gewinnen zu können. 


Ignorierte, vermengte, verschleierte Autorität – eine Einordnung nach Max Weber

Betrachtet man nun die beschriebenen Wege der Krisenreaktion, treten sehr unterschiedliche Auffassungen von der Autorität zu Tage, die zum Teil in Konkurrenz zueinander stehen, zum Teil sich gegenseitig ausschließen. Hilfreich ist bei einer solchen Betrachtung eine methodische Anleihe bei M. Weber, der in seiner Theorie zur Beschreibung legitimer Herrschaft drei Typen von Autorität unterscheidet: Während rationale Autorität auf den Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen baut, traditionale Autorität ihre Kraft aus dem Alltagsglauben an die Gültigkeit („Heiligkeit“) von jeher geltender Traditionen bezieht, schöpft charismatische Autorität aus der außeralltäglichen Hingabe an die Wirkmächtigkeit einer Person oder der durch sie geschaffenen Ordnungen.[5]

Auf der Folie dieser Unterscheidungen wird sichtbar, dass der lokalkirchliche Lösungsversuch insbesondere auf einer negativen Positionierung zur Autorität und insbesondere aus einer deutlichen Abgrenzung zur Dominanz der rationalen und traditionalen Autorität beruht. Bei vielen Gruppen mit lokalem Aktionsradius in der Kirche herrscht die Überzeugung, dass überkommene Traditionen dringend à jour gebracht werden müssten und dass in vielen pastoralen und auch dogmatischen Fragen allein mit den doktrinären und kirchenrechtlichen Satzungen kein Boden wieder gut zu machen ist. Dass es ein originäres und notwendiges Verständnis von Autorität in der Kirche gibt, wird auf praktischem Wege weitgehend geleugnet, allenfalls könnte man von einer Autorität der unmittelbaren Erfahrungen (z.B. das intensive Kleingruppenerlebnis) sprechen.

Die amtskirchliche und auf Steuerung bedachte Herangehensweise nimmt dagegen ganz bei dem von Weber als „rationale Autorität“ bezeichneten Modell Zuflucht. Dominante Komponente im Verständnis von kirchlicher Autoritätsausübung in diesem Paradigma ist es, die formalen Strukturen des kirchlichen Apparates ordnungsgemäß funktionieren zu lassen. Die Ausübung von Autorität findet wesentlich über das Steuern und Kontrollieren derjenigen Abläufe und Vollzüge statt, die im Kirchenrecht, in Beschlusstexten kirchlicher Gremien und in den Satzungen kirchlicher Organisationen und Behörden vorgegeben sind. Traditionale Autorität spielt zunächst eine Rolle, da die kirchlichen Strukturen landläufig eben sehr klerus-orientiert aufgebaut sind, wird aber auch wieder umgangen, wo modernes Management und Effizienzorientierung die Leitsterne des Handelns werden.

Alle Versuche, die auf das durch eine kirchliche Eventkultur u.a. geweckte Charisma im Volk der Gläubigen setzen, stehen vor der Hand zunächst im Gegensatz zur rationalen und traditionalen Autorität. Der ambivalente Charakter solcher Autorität wird aber schnell deutlich, wenn man die stimulierende Rolle des kirchlichen Amtes in den Blick nimmt: Die geistliche Belebung des Kirchenvolkes erhoffen sich die amtlichen Repräsentanten gerade von anderswo her, von etwas, für das sie selbst nur indirekt Sorge tragen können, dessen sie aber zur weiteren Legitimation der durch sie vertretenen Institution bedürfen. Unterm Strich kann man von einer geliehenen Autorität sprechen, die beansprucht wird. Paradox wird es, weil das Amt den neuen Aufbrüchen zwar großen Stellenwert einräumt und sich scheinbar in die Rolle des Lernenden und Hörenden begibt, aber letztlich doch am uneingeschränkten eigenen Macht- und Entscheidungsmonopol festhält. Die Autorität des Charismas wird damit untergraben, dessen Impulse oftmals allzu schnell auf die Mühlen der institutionellen Organisationsinteressen gelenkt.

Der Versuch, die unterschiedlichen Typen von Autorität in der Kirche mit Hilfe der von Weber skizzierten Formen legitimer Herrschaft zuzuordnen zeigt, dass die unterschiedlichen Tendenzen der Krisenreaktion sich jeweils verstärkt auf einen einzelnen Typus festlegen. Gleichwohl ergibt sich ein komplexes Bild: Die Autoritätsformen spielen ineinander und überlappen sich – jede einseitige Bevorzugung eines der Modelle scheint zu kurz zu greifen. Gerade die katholischen Traditionen haben diese Mischgestalt der Autorität auch immer wieder explizit zum Ausdruck gebracht: „Schrift und Tradition“, „Amt und Prophetie“, pastorale Sorge und initiativer Aufbruch bilden die Gegensatzpaare, aus denen das Selbstverständnis der Kirche sich speist. Sie lebt von der Notwendigkeit, sich aufgrund der Parusieverzögerung in der Zeit einzurichten, aber gleichwohl jederzeit das Außer-Alltägliche der Gottesverkündigung im Alltäglichen zu repräsentieren. Diese complexio oppositorum gibt ihr einen im Vergleich zu anderen Institutionen besonderen Charakter. Liegt es nicht nahe, dass dieser besondere Charakter auch eine eigene, heute wieder neu zu findende Form von Autorität erforderlich macht?


[1] So z.B. die Besetzung von Leitungspositionen mit Laien, wo dies bislang in der Regel unmöglich erschien, die Zusammenlegung gewachsener räumlicher Strukturen, vor allem aber die Einführung eines Kosten-Nutzen-Kalküls im Bereich der Pastoral, wo zuvor eine durch den Stil priesterlicher Sorge getragene Praxis von Raum und Zeit stand.
[2] Dazu zählt vor allem, dass es in der deutschen Kirche anders als vielerorts eine traditionell stark organisierte Laien- und Verbandslandschaft gibt, die in weiten Zügen bereits seit langem die Vergemeinschaftungsaufgaben übernimmt, welche von den „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ erwartet werden. Außerdem gibt es gegenüber vielen Ländern des Südens, zumal solchen, in denen Christen in der Minderheit sind, eine veränderte staatskirchenpolitische Ausgangslage. Katholische Christen waren in der deutschen Gesellschaft seit 1848 immer mehr oder weniger gesellschaftsgestaltend aktiv und hatten dafür oftmals auch den Raum. Amt und Laien stehen daher in der Bundesrepublik nicht unter demselben Druck, den Schulterschluss zu üben, wie beispielsweise in Ländern Afrikas oder Asiens, wenn sie politisch aktiv werden wollen. Im Gegenteil: Viele kirchlich gebundene, aber politisch aktive Laien fühlen sich ja auch gehindert durch eine manchmal sehr staatstragend oder zumindest vorsichtig sich äußernde Haltung der Kirchenleitungen.
[3] Es drängt sich der Eindruck einer um die politische Spitze gekappten Befreiungstheologie auf – letzteres zu sein kann der Ansatz damit aber nicht mehr beanspruchen. Zum Ansatz der Kleinen Christlichen Gemeinschaften generell vgl. Lebendige Seelsorge, Nr. 4 (2005), Würzburg 2005, darin Praxisteil mit mehreren Beiträgen zum Thema.
[4] Vgl. hierzu treffend Gérard Rolland, „Der blinde Fleck, der mangelnde Leib“, in: Concilium 30 (1993), 362-369.
[5] Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1980; darin Teil III „Die Typen der Herrschaft“ (§ 2: Drei reine Typen legitimer Herrschaft).


Zum Autor:
Dr. Daniel Bogner, geb. 1972, Kollegiat am Max-Weber-Kolleg, Erfurt.

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