theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Torsten Becker

„Zigeuner“ – nur ein polizeitaktischer Begriff ?![1]

Bericht zur Ausstellung „Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus“ unter Einbezug des Vortrags „Die ‚Dienststelle für Zigeunerfragen’ der Münchner Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti und Roma“ von Dr. Joachim Schröder am 22.11.2012

Seit 2008 beschäftigt sich in München eine Arbeitsgruppe des Polizeipräsidiums mit der Vergangenheit der Münchner Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus.[2] Diese präsentiert ihre Ergebnisse nun seit dem 9. November in einer Ausstellung, die von einer dreiwöchigen Vortragsreihe begleitet wird. Die Tafelausstellung möchte „Impulse für weitere Untersuchungen zur Geschichte der Münchner Polizei“ setzen und somit eine Zeit ins Zentrum der Analyse rücken, in der die Polizei nicht die „Grundrechte des Individuums“ schützte. Dass Themen wie Erinnerungskultur oder Vergangenheitsbewältigung gerade in München, der einstigen „Hauptstadt der Bewegung“, immer mit Interesse und Skepsis begegnet wird, zeigte sich erst kürzlich beim Bekanntwerden der Pläne für das NS-Dokumentationszentrum.[3] Hauptvorwürfe waren das verspätete Engagement sowie die Frage des Ausstellungsortes am ehemaligen Standort des „braunen Hauses“ in München. Nach der Absetzung der Gründungsdirektorin Irmtraud Wojak nach über zwei Jahren Amtszeit und der Erarbeitung eines neuen Konzeptes wurde am 09. März 2012 der Grundstein für den Bau in der Brienner Straße gelegt.[4] Geplante Eröffnung ist bereits 2014. Zu den Arbeitsgruppen des Dokumentationszentrums zählt auch die angesprochene Arbeitsgruppe des Polizeipräsidiums.[5] Unter kreativer und inhaltlicher Leitung von Dr. Joachim Schneider, seinerseits freier Historiker und im Rahmen des NS-Dokumentationszentrums tätig, entstand auch die Tafelausstellung, die noch bis zum 30. Dezember im Gebäude des Polizeipräsidiums zu sehen ist. Die Ergebnisse werden später in das Dokumentationszentrum zurückfließen und in der dortigen Ausstellung in neuer Form ihren Platz finden. Weiterhin ist eine Veröffentlichung der Rechercheergebnisse geplant.


1  „Die ‚Dienststelle für Zigeunerfragen’ der Münchner Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti und Roma“ – Der Vortrag

Nach einer kurzen Begrüßung und Einleitung, welche die Bedeutung der Polizeiarbeit für die Menschenrechte hervorhebt und daraus eine Verpflichtung für die Erinnerungsarbeit ableitet, referiert Dr. Joachim Schröder [6] mit dem Arbeitstitel „Bis zur restlosen Abschaffung der Zigeuner dürfte daher weiteres [...] nicht zu veranlassen sein“ – „Die ‚Dienststelle für Zigeunerfragen’ der Münchner Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti und Roma“. Sein Vortrag gliedert sich ähnlich der Ausstellung in drei chronologische Abschnitte. Beginnend mit der (I.) Entwicklung von der Landeszentrale zur Reichszentrale zur Bekämpfung des „Zigeunerwesens“ , über die (II.) Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus in München bis hin zur Frage nach einer (III.) Kontinuität nach 1945.

Der erste Teil des Vortrags vermittelt ein anschauliches Bild der Repression, der die „Zigeuner“ bereits 1899 ausgesetzt waren. In dieses Jahr ist die Gründung des „Nachrichtendienstes für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner“ zu datieren. Diese auch als „Zigeunerzentrale“ bekannte Informationsbehörde stand unter der Leitung Alfred Dillmanns, der in München somit eine zentrale Personenerfassungsstelle aufbaute und spätestens mit der Herausgabe des „Zigeunerbuchs“ ab 1905 auch andere deutsche Polizeidienststellen mit seinen Vorstellungen prägte. Die bestehenden Daten und Denkmuster wurden in Verbindung mit einem pseudowissenschaftlich gestützten rassischen Denken in der Zeit des Nationalsozialismus zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ (Runderlass Himmlers) genutzt.[7] Aus dem Nachrichtendienst wurde allmählich eine zentrale Stelle des NS-Staates, die auf die Recherchen und Aktenbestände der Münchner Vorgängerbehörde zurückgreifen konnte. So wurde 1936 die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ gegründet, der die Münchner Abteilung 1938 einverleibt wurde. Gemäß verfügbarer Informationen, befanden sich nach der „Machtergreifung“ ca. 200 Menschen in München, denen die rassischen Merkmale des „Zigeuners“ nach damaliger Vorstellung zugeschrieben wurden. Bereits zuvor versuchte man jedoch selbige aus München und anderen größeren Städten fernzuhalten, da ihnen eine erhöhte Kriminalitätsaffinität zugeschrieben wurde. Der Versuch einer scheinbar wissenschaftlichen Rasseneinteilung wurde im Anschluss an die Rassengesetze 1935 von der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ durchgeführt. Beim Auffinden der „zu Untersuchenden“ half erneut die zuständige Behörde in München, die durch die großräumige Erfassung und „Sesshaftmachung“ ausreichend Personendaten zur Verfügung stellen konnte. Dennoch zeugen bereits Aussagen, wie die von Prof. Dr. Robert Ritter, die Zigeunerfrage sei erst bei „Fortpflanzungsstopp“ und „Arbeitslagerhaft“ gelöst, vom Geist zukünftiger Unternehmungen.

Diese Ereigniskette führt den Referenten zum zweiten Teil des Vortrags, der Thematik der Verfolgung. Im Jahre 1939 erging vom Reichssicherheitshauptamt ein Erlass zur Deportation. Die darin geforderte Sammellagerbildung wurde jedoch in München nicht umgesetzt. Dr. Werner Katto machte in dieser Sache Meldung, dass die Betreffenden überwacht würden, eine Zusammenfassung in Lagern jedoch nur den „Wandertrieb“ fördere. Ohnehin unterlagen die als „Zigeuner“ erfassten Personen zu dieser Zeit bereits Repressionen, wie verminderten Löhnen, Zusatzsteuern sowie sozialer Ausgrenzung. Als anpassungsfähig galt nur, wer sich sterilisieren ließ. Erfolgte Deportationen wurden von einer Gruppe Münchner Polizisten begleitet, unter denen auch der Kriminaloberinspektor August Wutz war, der, wie seine Kollegen, nach dem Krieg nicht für sein Handeln in der Zeit des Nationalsozialismus verurteilt wurde. Der Vortragende macht deutlich, dass auch Misshandlungen und Tode bei solchen Transporten keine Seltenheit waren. Am Zielort angekommen, mussten sich die Deportierten medizinischen Experimenten unterziehen und kamen schlussendlich in vielen Fällen ums Leben oder wurden ermordet. Für die Münchner Forschung hebt der Referent die Aufgabe hervor, sich der Geschichten der – auch teilweise überlebenden – Opfer anzunehmen. Als Beispiel führt er Hugo Höllenreiner an, einen Zeitzeugen, dessen Erinnerungen von Anja Tuckermann wissenschaftlich bearbeitet wurden.[8]

Der weitere Werdegang der Münchner Beamten, die an den Deportationen beteiligt waren, leitet auf den letzten Teil des Vortrags über. So blieb eine Bestrafung der Verantwortlichen aus, während viele ehemalige Beamte trotz ihrer Karriere während der Zeit des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit erneut eine Anstellung bei der Polizei fanden. Ein Beispiel hierfür ist der bereits erwähnte August Wutz, der nach dem Krieg erneut in der „Zigeunerpolizeistelle“ arbeitete und somit seine alte Arbeit sinngemäß nun im demokratischen Nachkriegsbayern fortsetzen konnte. Während die betreffende Dienststelle später in „Landfahrerzentrale“ umbenannt wurde und noch bis in die 70er Jahre agierte, mussten die meisten Sinti und Roma auf Entschädigungszahlungen meist bis in die 80er Jahre warten. Vielen wurde die Möglichkeit jedoch gänzlich versagt, sofern sie nicht nachweisen konnten, aufgrund rassischer Merkmale in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden zu sein. Ein Großteil der Aktenbestände wurde derweil vernichtet, und auch die vorhandenen Akten ehemaliger Polizeibeamter liegen nur noch unvollständig vor. Um Anerkennung kämpfen die Sinti und Roma in Europa derweil immer noch, betont Dr. Schröder zum Abschluss des Vortrags.

In der anschließenden Diskussion wird schlussendlich der gesellschaftliche Mehrwert des Vorhabens der Arbeitsgruppe des Münchner Polizeipräsidiums ersichtlich. Hier treffen in den Reihen der interessierten Zuhörer Zeitzeugen bzw. deren Kinder aufeinander, die persönliche Anliegen und Geschichten ins Plenum tragen und hierbei unterschiedliche Erinnerungsfragmente aufdecken und betonen. So erzählt z.B. der Sohn eines Rechtskonsulenten von den Versuchen seines Vaters, Verfolgten zu ihrem Recht zu verhelfen. Ein weiterer Zuhörer, der sich als ehemaliger Beamter zu erkennen gibt, schildert aus der Polizeipraxis, die auch noch nach dem Krieg den „Zigeuner“ oder „Landfahrer“ als polizeitaktischen Begriff kannte. Insgesamt betrachtet, fokussieren Vortrag und Diskussion Erinnerung und Verarbeitung. Die chronologische Konzeption des Vortrags endet in den 80er Jahren, allerdings stellt sich dem Rezipienten immer die Frage nach der gesellschaftlichen und politischen Situation im Hier und Jetzt. Es kann gefragt werden, ob hier nicht auch die aktuelle Sichtweise der Sinti und Roma bereichernd für die Thematik gewesen wäre.[9]


2  „Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus“ – Die Ausstellung


Aufbau und Ersteindruck

Die Wahl des Veranstaltungsortes für die Ausstellung, die ganzwöchig vom 09.11. - 30.12.2012 im Polizeipräsidium zu sehen ist, ist sowohl pragmatisch als auch historisch betrachtet von Bedeutung. Zum Einen lädt die Polizei zu sich ein, um den Bürgern einen Eindruck von der Vergangenheit der Münchner Polizei zu geben und gleichzeitig eine spezifische Sichtweise auf das eigene Geschichtsbild zu offenbaren. Zum Andern ist das Gebäude selbst auch ein Teil der Münchner Geschichte des Nationalsozialismus. Im Hause waren zur Zeit des Nationalsozialismus mehrmals Regimegrößen wie Adolf Hitler, Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler zu Gast oder sogar dienstlich tätig. Einen lebendigen Eindruck hiervon vermittelt die Beamerinstallation in der Ausstellung, die eine kurze Stummfilmaufnahme vom 15. März 1933 zeigt. Zu sehen ist das von Menschenmassen sowie SA und SS Truppen begleitete Zurückholen des NSDAP Banners, das am 09. November 1923 – Tag des Hitler-Ludendorff-Putsches – von der Münchner Polizei konfisziert wurde. Eine Kameraeinstellung zeigt hierbei den Haupteingang des Münchner Polizeipräsidiums, wie er auch heute noch erhalten und auf der Aufnahme des Ausstellungsplakates zu sehen ist.

Von diesem filmischen Impuls abgesehen, wurde die Ausstellung augenscheinlich als Tafelausstellung konzipiert. Im Ausstellungsraum befinden sich 22 Tafeln von denen 5 blau markiert die Jahre 1919-33 behandeln, 12 mit roter Markierung die Jahre 1933-45, 3 grün markierte die Nachkriegszeit von 1945-63 und 2 der Einleitung und der Danksagung gewidmet sind. Den Schwerpunkt der Ausstellung bildet also rein quantitativ gesehen mit 12 Tafeln die Zeit des Nationalsozialismus im Zentrum des Raumes. Die Laufrichtung ist hierbei durch die Chronologie und eine Tafelnummerierung vorgegeben. Interaktive Elemente oder Originalexponate bietet die Ausstellung nicht, was sich jedoch nach der Ausarbeitung für das NS-Dokumentationszentrum noch ändern könnte.

Die einheitliche Tafelgestaltung unterteilt sich in drei Hauptbereiche. Im zentralen oberen Feld befinden sich der farbig hinterlegte Titel zur chronologischen Einordnung sowie die Nummerierung und das Logo des Polizeipräsidiums. Die eigentliche Tafelüberschrift steht unscheinbarer im Hauptfeld zusammen mit dem jeweiligen Fließtext. Ergänzend wird eine Auswahl an Aktenauszügen, zeitgenössischen Fotos, erklärenden Organigrammen sowie kurzen Zitaten präsentiert. Die Ausgestaltung der Fließtexte wird hierbei einem breiten Besucherkreis gerecht und führt als „roter Faden“ durch die Ausstellung. Trotz der durchdachten und strukturierten Ausstellungsgestaltung befinden sich einige verkleinerte Aktenausschnitte außerhalb des natürlichen Sichtfeldes des Betrachters. Wer alle Informationen erfassen möchte, ist also gezwungen, sich zu bücken und nahe (ca. 1-1,5m) an das Plakat heranzutreten, was anderen Besuchern die Sicht erschwert.

Der Inhalt

Der erste Teil der Ausstellung, der sich mit der Zeit vor dem Nationalsozialismus beschäftigt, versucht eine grobe Einführung in den historischen Kontext zu geben, in dem die NSDAP in München Gehör und Zuwachs finden konnte. Die Tafeln gehen hierbei speziell auf die Aufgabe der Polizei in der Zeit der Revolution nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein und versuchen, frühe Kontakte bestimmter Leitpositionen der Münchner Polizei zur NSDAP auszumachen. Im weiteren Verlauf wird jedoch auch die interne Unstimmigkeit der verschiedenen Polizeistellen (Münchner Polizei – Politische Abteilung – Landespolizei) hinsichtlich der Unterstützung und Bekämpfung der völkischen Bewegung analysiert. So entsteht nach anfänglichen und teilweise weiterbestehenden persönlichen Affinitäten das Bild einer Resistenz gegen die stärker werdende „Bewegung“. Was mit der Niederschlagung des Hitler-Ludendorff-Putsches einen ersten Höhepunkt erreichte, wird so in der Zeit der Republik u.a. durch Redeverbote und der Razzia im Braunen Haus im Jahre 1932 unterstrichen. Die Texte betonen ein politisches Geschichtsbild, das v.a. durch kurze biographische Skizzen, Quellen und den Bilderbereich erweitert wird.

Der zweite chronologische Abschnitt, der sich dem Schwerpunkt der Ausstellung widmet, kann schon aufgrund der größeren Anzahl an Ausstellungstafeln mit einer detaillierteren Sichtweise auf spezielle Abteilungen oder Opfergruppen aufwarten. Die Bandbreite reicht hier von der Beteiligung an der Verfolgung von Homosexuellen, Juden sowie „Zigeunern“ über das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde, Volksschädlinge und ausländische Zwangsarbeiter“ bis zur sog. „Partisanenbekämpfung“ und den ungewöhnlichen polizeilichen Tätigkeiten in den besetzten Gebieten. Neben diesen spezifischen Thementafeln führt die Ausstellung jedoch zunächst in den Kontext der „Machtergreifung“ ein und schildert die Umstrukturierung der Polizei im Rahmen der Zentralisierung sowie ihre Rolle bei der Bekämpfung des Widerstandes. Weiterhin wird das regimeunterstützende Handeln von Polizeibeamten geschildert und veranschaulicht, was unter „normaler Polizeiarbeit “ in dieser Zeit verstanden wurde.

Die Überleitung zum letzten Teil der Ausstellung wird durch eine Tafel zum Thema „Handlungsspielraum“ realisiert. Hierbei werden verschiedene Biographien dargestellt, die entweder in den Bereich der Resistenz oder der Unterstützung eingeordnet werden. Mit Martin Riedmayr findet sich hier z.B. ein Vertreter, der trotz seiner NS-Vergangenheit 1954 Präsident des bayrischen Landesamtes für Verfassungsschutz wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Kommandeur der Schutzpolizei in Smolensk, sowie Partei- und SS Mitglied. Nach dem Krieg wurde er als „entlastet“ eingestuft. Ein gänzlich anderes und seltenes Bild zeigt sich bei Franz Limmer. Er widersetzte sich der Abordnung zu einer Einsatzgruppe und belastete ehemalige Vorgesetzte nach dem Krieg in Spruchkammerprozessen. Trotz dieses Beispiels wird der Großteil der Münchner Polizei als Mitläufer oder Systemunterstützer präsentiert. Im Bezug auf die Führungspositionen rechtfertigt die Ausstellung hier, dass höhere Beamte unter einem erhöhten „Anpassungsdruck“ gestanden hätten. Weiterhin hätten sich die fehlenden „demokratischen Rechte“ negativ auf den Handlungsspielraum ausgewirkt. Anknüpfend hieran werden in den verbleibenden drei Tafeln der „Wiederaufbau und Neubeginn“, sowie „Kontinuitäten und Wendepunkte“ nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert. Hierzu zählen auch die „NS-Prozesse“ und eine Analyse des „Umgangs mit der Vergangenheit“. Wohl auch aufgrund der Notwendigkeit einer funktionierenden Exekutive blieb so der äußere Druck zur Vergangenheitsarbeit in der frühen Nachkriegszeit für den Großteil der Polizeiinstitutionen gering. Hier gerieten vor allem Gestapo-Mitarbeiter ins öffentliche Interesse der Vergangenheitsaufklärung, während Schutz- und Verwaltungspolizei weniger skeptisch betrachtet wurden. Auch der von Dr. Schröder im Vortrag erwähnte Fall des Beamten Zeiser findet einen Platz in der Ausstellung. Gemäß eines Schreibens des Bayrischen Hilfswerkes für die durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen an den Münchner Polizeipräsidenten, hat der Beamte Zeiser „ [...] sein Erstaunen darüber geäußert, dass der [vor ihm stehende] Zigeunermischling noch am Leben sei [...][10] als dieser verwundert nach dem Krieg den selben Beamten vor sich fand, der während des Krieges an seiner Repression und Verfolgung mitgewirkt hatte. Neben diesem Fall werden auch Wiederbesetzungen von Führungspositionen beleuchtet, die mit erfolgreichen Karrieren im NS-System einhergehen. Aber auch Pensionierungen bei ausbleibender Verwendungsmöglichkeit im Polizeidienst zeichnen das Bild einer zwielichtigen Aufarbeitungspolitik, die dennoch juristisch – durch Freisprüche in den Spruchkammerprozessen – legitimiert ist.

Abgesehen von diesen Impulsen, beinhaltet die Ausstellung im letzten Teil jedoch auch das Moment des Wandels. So wurde gerade in der Nachkriegszeit im Rahmen eskalierender Straßendemonstrationen, wie den „Schwabinger Krawallen“, ein Konzept der Deeskalation von der Münchner Polizei entworfen, welches als „Münchner Linie“ bekannt wurde. Weiterhin betont die Münchner Polizei nicht zuletzt durch den Aufklärungscharakter der Ausstellung ihr Gespür für Erinnerungsarbeit als Teil einer bewusst gelebten Geschichtskultur, die auch in die Zukunft ausgerichtet ist. Sie kooperiert hierbei mit Archiven und dem neuen NS-Dokumentationszentrum und könnte somit in ihrem Kontext als Vorbild für andere Bereiche öffentlichen Belangens fungieren. 


3  Ein Fazit der Erinnerungen


Die Ausstellung setzt es sich selbst zur Aufgabe, die Vergangenheit der Münchner Polizei im Nationalsozialismus zu beleuchten und der Forschung neue Impulse zu geben. Während erst eine Publikation genaueren Einblick in die Recherche und Schlussfolgerung bieten wird, kann für den Bereich der Geschichtskultur bereits jetzt ein enormer Mehrwert festgestellt werden. Die Münchner Polizei wagt sich mit ihrer problematischen NS-Vergangenheit selbstkritisch an die Öffentlichkeit und wird hierbei auch durch interessierte Besucher und Zuspruch belohnt. Wer sich von der Textlastigkeit der Ausstellung nicht abschrecken lässt, dem wird ein Gesamtüberblick über die politische und biographische Geschichte der Münchner Polizei präsentiert. Wenn der Ausstellung ein Mangel zuzuschreiben ist, besteht dieser gerade in jener Gesamtschau zu Ungunsten einer spezifischen Fragestellung. Der Vortrag hat gezeigt, dass für die Besucher auch die heutige gesellschaftliche Stellung der Sinti und Roma sowie die Situation im Anschluss an die Zeit des Nationalsozialismus von großem Interesse sind. Nicht zuletzt daran, kann man erkennen, dass die Zeitzeugengeneration zunehmend von den Nachkriegskindern abgelöst wird, die sowohl belastendes Erbe als auch Wandel und Wiederaufbau als zentrale Fragestellungen mitbringt.

Zum Autor:
Torsten Becker, geb. 1987,  ist Student der Katholischen Theologie und Geschichte. Er
verfasste diese Miszelle im Rahmen eines Stipendiums der Studienstiftung Saar.

[1] Die Aussage entstammt der Wortmeldung eines Diskussionsbeitrages des beschriebenen Vortrages.
[2] Veranstaltungen der Polizei Bayern: http://www.polizei.bayern.de/muenchen/news/veranstaltungen/index.html/167222 (abgerufen am 30.11.2012)
[3] Berichte waren sowohl in lokalen als auch überregionalen Artikeln zu finden. Warum München? In: Die Zeit, 08.03.2012 (Nr. 11) http://www.zeit.de/2012/11/NS-Dokuzentrum/komplettansicht (abgerufen am 30.11.2012)
[4] Grundsteinlegung für das NS-Dokumentationszentrum München: http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtinfos/Presse-Service/Pressemitteilungen-2012/0307Grundsteinlegung-NS-Dokuzentrum.html (abgerufen am 30.11.2012)
[5]Arbeitskreis Die Münchner Polizei im NS-Staat: http://www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de/team/arbeitskreise/ak-polizei (abgerufen am 30.11.2012)
[6] Clio Eintrag von Dr. Joachim Schröder: http://www.clio-online.de/forscherinnen=6664 (abgerufen am 30.11.2012)
[7] Thelen, Peter: Singularität des Holocaust unter Berücksichtigung der Roma, in: „Doppelte Vergangenheitsbewältigung“ und die Singularität des Holocaust, hg. v. Scherzberg, Lucia: /ojs2/index.php/tg_beihefte/issue/view/20/showToc (abgerufen am 02.12.2012)
[8] Tuckermann, Anja: Denk nicht, wir bleiben hier. Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner, München 2005.
[9] Möglich wäre hier auch im Sinne der Erinnerungskultur eine Bezugnahme auf das „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ gewesen, das in diesem Jahr in Berlin eingeweiht wurde. Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2012/10/2012-10-09-denkmal-sinti-und-roma.html (abgerufen am 02.12.2012)
[10] Dem Ausstellungstext folgend zitiert aus BayHStA, LKA 755 (PA Zeiser).

 

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