Oliver Arnhold, Entjudung – Kirche im Abgrund. Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928-1939 und das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ 1939-1945 (Studien zu Kirche und Israel, Bd. 25/1 und 25/2), Berlin 2010, Institut Kirche und Judentum, 926 S., 24,80 EUR. ISBN 978-3-938435-00-7
Mit seinem zweibändigen Werk über die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen und das Eisenacher Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben will Oliver Arnhold einen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus leisten. Die Beteiligung der evangelischen Kirche in Deutschland an der Verbreitung völkischen und antisemitischen Gedankengutes soll nachgezeichnet und die Kontinuität von Karrieren und Konzepten nach 1945 herausgestellt werden. Organisation und ideologische Grundlagen der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen und des Eisenacher Instituts werden anhand umfangreicher, erst seit den 1990er Jahren wiederentdeckter Quellen dargestellt und analysiert.
Die organisatorische und ideologische Basis des Instituts stehen für Arnhold deshalb im Zentrum, weil die bisherige Forschung die kirchenpolitische Funktion des Instituts nicht ausreichend berücksichtigt habe. Diese Funktion bestimmt er als die Bindung der kirchlichen Mitte an die Organisation der Thüringer Deutschen Christen, um dem Ziel einer Nationalkirche näher zu kommen und Pluralisierungen zu vermeiden. Diese Bindung sollte durch den Antisemitismus und die „Entjudung“ des Christentums hergestellt werden, denn in den Augen der Protagonisten des Instituts konnte nur ein „judenfreies“ Christentum sich gegenüber einer neuheidnischen völkischen Religiosität behaupten. Ausführlich setzt sich der Autor in der Einleitung mit Susannah Heschels These von der ideellen Mittäterschaft des Instituts und der Kirche an der Shoah auseinander. [1] Grundsätzlich gibt er Heschel Recht, warnt jedoch mit Manfred Gailus vor einer Überschätzung des Stellenwerts des Instituts und seines tatsächlichen Einflusses. Auch habe das Institut keinen monolithischen ideologischen Block gebildet, sondern müsse als „ein komplexes Gebilde unterschiedlicher Fraktionen, die eigene Interessen verfolgten und in unterschiedlicher Radikalität ideologisch tätig wurden“ (33), betrachtet werden.
Das Werk umfasst drei Teile, die chronologisch gegliedert sind. Teil
I und II befinden sich in Band 1 und befassen sich mit der
Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen, Teil III in Band 2
behandelt die Arbeit des Instituts.
Teil I trägt den Titel „Aus dem Wieratal ins Reich“ und
beschäftigt sich mit der Gründung der Kirchenbewegung Deutsche Christen
im Wieratal in den Jahren 1928 bis 1933 durch die Pfarrer Julius
Leutheuser und Siegfried Leffler und mit der weiteren Entwicklung der
Kirchenbewegung. Die DC entstanden aus dem NS Pfarrer- und Lehrerkreis
Wieratal und etablierten sich in den folgenden Jahren rasch als
kirchenpolitische Bewegung. Zusätzlich zeichnet Arnhold die
auffallend parallel verlaufenden Biographien der beiden Gründer
Leutheuser und Leffler nach. Beide hatten die gleiche politische
Gesinnung, beide waren Anhänger einer religiösen
Überhöhung des militärischen Nationalismus und einer
rechtsgerichteten Ideologie, beide traten früh in die NSDAP ein
und lehnten die wissenschaftliche Theologie ab.
Teil II umfasst die Jahre 1933 bis 1939. Unter dem Titel „Durch Adolf Hitler zu Jesus Christus“ wird die Organisationsgeschichte der Kirchenbewegung DC behandelt. Die Bewegung gliederte sich zum Zwecke der Gleichschaltung 1933 als Gaugruppe in die 1932 gegründete reichsweite Glaubensbewegung DC ein. Doch noch im selben Jahr kam es zu einem theologischen Streit, der zum Bruch zwischen der Thüringer Kirchenbewegung und der Glaubensbewegung führte. Hintergrund war die Sportpalastkundgebung, in der Gauobmann Reinhold Krause die Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral gefordert hatte. Während sich die Glaubensbewegung von dieser Forderung distanzierte, unterstützte die Kirchenbewegung DC den Gauobmann. Die Glaubensbewegung konnte ihre zentrale Stellung nicht verteidigen, viele deutsch-christliche Kräfte aus dem gesamten Deutschen Reich schlossen sich den Thüringer DC an. Gestärkt durch diese Auseinandersetzung wagte die Kirchenbewegung ab 1934 auch den Kampf mit kirchenpolitischen Gegnern, wie zum Beispiel der Bekennenden Kirche. Allmählich kristallisierten sich bestimmte Leitlinien heraus, unter anderem der spezifisch schöpfungstheologisch-völkische Ansatz, die Abgrenzung vom Judentum und das Glaubensbekenntnis zum Nationalsozialismus „Ein Führer! Ein Volk! Ein Gott! Ein Reich! Eine Kirche!“. Außerdem forderten die DC eine Reform von Kirche und Gottesdienst, um eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus zu erreichen. Im März 1939 erstellte die Bewegung die sog. Godesberger Erklärung, in welcher der christliche Glaube in einen unüberbrückbaren religiösen Gegensatz zum Judentum gestellt wurde. Die Erklärung bildete die Basis für die Gründung des Eisenacher Instituts, ihre Erläuterung dient Arnhold als Überleitung zu Band 2, der Teil III des Werkes mit dem Titel „Eine freie, echte Forschungsarbeit“ enthält.
Behandelt wird der Zeitraum zwischen 1939 und 1945, in dem das Institut bestand. Themen sind der organisatorische Aufbau, die Mitarbeiter, Arbeitsgruppen, Projekte und Veröffentlichungen. Bis 1941 waren rund 180 Mitarbeiter, darunter immerhin 24 Professoren, an der Arbeit des Instituts beteiligt. Folgende Arbeitsschwerpunkte stellte der wissenschaftliche Leiter Walter Grundmann in seinem Eröffnungsvortrag vor: die Aufklärung der Öffentlichkeit, dass das Christentum nicht die Fortsetzung des Judentums sei, die Untersuchung des Kirchenrechts auf jüdische Einflüsse, die Eliminierung jüdischer Elemente aus Kultus, Liedgut und Liturgie sowie die Erarbeitung einer „entjudeten“ Ausgabe der vier Evangelien. Mit diesen Arbeitsschwerpunkten beschäftigten sich insgesamt 46 Forschungsaufträge und Arbeitskreise – die einen mehr „forschungs-“ , die anderen mehr „anwendungsorientiert“ - alle mit dem Ziel, jüdische Elemente aus Theologie und Kirche in Deutschland zu entfernen. Verbreitet wurden die Thesen des Instituts über Tagungen und Veröffentlichungen. Finanziert wurde die Arbeit hauptsächlich durch die beteiligten Landeskirchen, aber auch durch Zuwendungen des Evangelischen Oberkirchenrates Berlin und durch einen Förderkreis.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Arnhold dem Verhältnis von NS-Staat und Institut. Von Seiten des Instituts erhoffte man sich vergeblich die Anerkennung durch den NS-Staat und litt unter deren Verweigerung und den damit verbundenen Einschränkungen. Die antichristliche Propaganda führte aber nicht zu einer Schwächung des Antisemitismus oder gar einer Abkehr, sondern verschärfte noch die Radikalität völkischer und antisemitischer Positionen. Grundmann beispielsweise propagierte, dass hinter der christentumsfeindlichen Propaganda „jüdische Zersetzungskräfte“ am Werk seien (735).
Die apologetische Denkschrift Grundmanns vom Dezember 1945 und die zumeist ungehinderten Karrieren der Institutsmitarbeiter in Kirche und Staat nach 1945, vor allem aber der steile Aufstieg Grundmanns in der evangelischen Kirche der DDR und seine Stasi-Mitarbeit sind Gegenstand eines weiteren Kapitels. Zum Abschluss analysiert Arnhold den unterschiedlichen Umgang der Instituts-Leiter und -Mitarbeiter Grundmann, Leffler und Hans-Joachim Thilo mit ihrer Schuld. Unter Verweis auf Björn Krondorfers Anwendung des Modells der politischen Kohorte [2] betrachtet er die Generationenzugehörigkeit als mitverantwortlich für diese Unterschiede. Während Leffler genau wie Leutheuser zu der 1918er Kohorte gehörte, deren Weltsicht vom Erlebnis des Ersten Weltkrieges geprägt war, zählte Grundmann bereits zu der 1933er Kohorte, die den Aufstieg des Nationalsozialismus miterlebt hatte und für die in dieser Zeit der Beginn ihrer beruflichen Karriere lag. Thilo wiederum ist der 1943er Kohorte zuzurechnen, die in HJ und NS-Staat sozialisiert wurde. Leffler gestand bereits relativ früh, d.h. 1947, seine Schuld ein. Thilo stilisierte sich in doppelter Hinsicht zum Opfer: zum einen als Opfer der Verführung durch den Nationalsozialismus, zum andern als Opfer des Krieges. Die eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus gerieten dadurch aus dem Blick. Grundmann nutzte Lefflers Schuldbekenntnis zur Distanzierung von der Thüringer Kirchenbewegung DC und zur eigenen Reinwaschung. Er hatte seine weitere Karriere im Blick, für die ein Schuldeingeständnis nicht förderlich gewesen wäre.
Für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der evangelischen
Kirche trifft Arnhold ein vernichtendes Urteil. Die Kirche betrieb nach
1945 keine Aufarbeitung und keine Entnazifizierung. Noch im Jahr 1989
musste Leonore Siegele-Wenschkewitz konstatieren, dass die Jahre
1933-1945 eine Forschungslücke darstellten, über die der
Mantel des Schweigens gebreitet werde. So steht für Arnhold das
Institut exemplarisch für den Umgang mit der NS-Geschichte im
Bereich der Evangelischen Kirche und Theologie. Eine Mitschuld wurde
nicht eingestanden, die eigene Verstrickung verdrängt oder
verharmlost, eine Mitverantwortung geleugnet mit dem Hinweis, man sei
selbst vom Nationalsozialismus verfolgt worden. Antijüdische
theologische Konzepte blieben in der Theologie nach 1945 weiter
wirksam. Grundmanns Jesusbild, das er vor der Negativfolie des
Judentums entwarf, änderte sich auch in den 60er und 70er Jahren
nicht; es gelang Grundmann sogar, seine biblischen Kommentare und
andere Werke sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik zu
veröffentlichen. Bis in die 90er Jahre hinein galt Grundmann als
respektabler Neutestamentler.
Im Anhang von Band 2 finden sich neben Abkürzungsverzeichnis,
Personenregister, Abbildungen und ausführlichem
Literaturverzeichnis auch eine sehr hilfreiche Auflistung der
Arbeitskreise und Forschungsaufträge des Instituts mit ihren
Leitern und Mitarbeitern sowie eine Liste aller Institutsmitarbeiter
mit ihren Berufsbezeichnungen und den Arbeitskreisen, in denen sie
mitwirkten. Für zahlreiche Personen sind darüber hinaus
Biogramme erstellt worden, die eine rasche Information
gewährleisten.
Oliver Arnholds Werk ist die bislang umfangreichste und auf dem
größten Quellenbestand basierende Untersuchung des
Eisenacher Instituts. Der Autor arbeitet überzeugend die
antisemitische Motivation der Arbeit des Instituts heraus, ebenso die
Akzeptanz des Instituts in breiten kirchlichen Kreisen, nicht nur den
deutschchristlichen. Besonders hervorheben möchte ich seine
Auswertung, dass der Antisemitismus und das völkisch-theologische
Konzept des Instituts sich durch die Ablehnung seitens des NS-Staates
nicht abschwächten, sondern im Gegenteil noch radikalisiert
wurden. Dies ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass
Ablehnung durch staatliche Stellen oder NSDAP-Organe nicht
gleichbedeutend mit Gegnerschaft zum Nationalsozialismus war.
Die Darstellung des Forschungsstandes hingegen bietet wenig inhaltliche Information. Sie besteht in weiten Teilen aus einer bloßen Aufzählung der Werke; nur an einigen Punkten findet eine Auswertung und Auseinandersetzung statt, z.B. mit Susannah Heschels These von der ideellen Mittäterschaft des Institus an der Shoah. Es wäre interessant, etwas über die Ergebnisse aufgeführter Werke zu erfahren, z.B. zur Biographie Siegfried Lefflers oder zum eigenständigen Profil der Thüringer Kirchenbewegung DC. Auch in den Hauptteilen des Werkes gibt es einzelne Passagen, die – trotz der (positiv zu wertenden) Detailverliebtheit des Autors – zu wenige Informationen enthalten. Die Abschnitte über das „entjudete“ Neue Testament und andere Schriften für die pastorale Praxis beispielsweise geben zu wenig Einblick in den Inhalt der Schriften und lassen kein zuverlässiges Bild entstehen.
Aus meiner Perspektive wünschenswert wäre eine stärkere Berücksichtigung des Instituts-Arbeitskreises Fragen des Katholizismus als Beispiel für die Existenz einer „braunen“ Ökumene. Dieser Arbeitskreis arbeitete mit einer katholischen Gruppe nationalsozialistischer Priester und mit völkisch-religiösen Gruppen unter der Leitung von Ernst Graf zu Reventlow zusammen. Der Duderstädter Priester Richard Kleine, der in den Listen nicht erscheint, war seinen eigenen Aussagen zufolge Mitglied des Arbeitskreises und korrespondierte nachweislich mit Karl Dungs und Friedrich Kapferer. Dass diese doch recht ungewöhnliche Kooperation keine Beachtung findet, ist bedauerlich. [3]
Alles in allem aber ist es Arnhold gelungen, einen wesentlichen Beitrag zur Schließung einer seit langer Zeit bestehenden Forschungslücke zu leisten und die Instrumentalisierbarkeit der christlichen Glaubens- und Heilslehre zur Legitimation eines Unrechtsstaates (763) eindrücklich zu demonstrieren.
[1] Vgl. Susannah Heschel,
The Aryan Jesus. Christian Theologians and
the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008.
[2] Vgl. Björn
Krondorfer, Nationalsozialismus und Holocaust in
Autobiographien protestantischer Theologen, in: ders./Katharina von
Kellenbach/Norbert Reck (Hgg.), Mit Blick auf die Täter. Fragen an
die deutsche Theologie nach 1945, Gütersloh 2006, 23-170.
[3] Vgl. auch den
inzwischen erschienenen Beitrag Gabriele
Lautenschlägers Die „Fachabteilung
Römisch-Katholische Kirche“ in Eisenach, in: Dominik
Burkard/Wolfgang Weiß (Hgg.), Katholische Theologie im
Nationalsozialismus, Bd. 1/2: Institutionen und Strukturen,
Würzburg 2011, 441-470.
Zur Rezensentin:
Dr. Lucia Scherzberg, geb. 1957, Professorin für systematische
Theologie, Universität des Saarlandes.
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