Eva Blome, Reinheit und Vermischung. Literarisch-kulturelle Entwürfe von Rasse und Sexualität (1900-1930), Köln 2011, Böhlau-Verlag, 354 S., 44,90 EUR, ISBN 978-3-412-20682-6


Die Faszination an interkulturellen Beziehungen ist bis heute ungebrochen, wovon erfolgreiche Kino-Schmonzetten wie Die weiße Massai ein Zeugnis ablegen, aber auch Erzählungen kanonischer Autoren, wie Bernhard Schlinks Kurzgeschichte Die Beschneidung[1]. Zeitgemäß wird hier eine kulturelle, keine rassische Differenz mehr (negativ) inszeniert, doch wird eine rassenübergreifende Vermischung in zahllosen Vampir-Liebesgeschichten symbolisch weitertradiert und erfreut sich bombastischer Erfolge, wie die Twilight-Romane von Stephanie Meyer und deren Verfilmungen ebenso wie die Fernsehserie True Blood bezeugen. In diesem Genre gilt das besondere Tabu der Sexualität zwischen dem Vampir und seiner menschlichen Geliebten, die in der Regel verheerende Folgen hat.

Eva Blomes These, „dass literarische Texte in Form von fiktiven Experimenten die negativen Folgen ‚interrassischer‘ Sexualkontakte inszenieren“ (13f), kann folglich auch für dieses neue trivialliterarische und populärkulturelle Genre gelten. Blome jedoch fokussiert Kolonialliteratur: literarische und nichtliterarische Texte aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und unternimmt damit den Versuch einer bidirektionalen Perspektivierung: die ästhetische und poetologische Dimension der Texte angemessen zu berücksichtigen und den historisch-soziokulturellen Bezüge gerecht zu werden. Anhand der ausgewählten Texte zeigt sie die literarisch-kulturelle Genese einer diskursiv hergestellten „symbolischen Differenz“. Diese bietet nach Blome einen Ausgang aus der Theoriekrise, in die das Rassekonzept mit seiner strikten Dichotomie von „Reinheit“ und „Vermischung“ geraten ist, weil es nicht mit den Mittel der Anthropometrie bewiesen werden konnte.

Das gemeinsame Thema, die „interrassische Beziehung“ und ihre Projektionsfigur „der Bastard“ oder „der Mischling“ werden in einer Vielzahl von literarischen und nichtliterarischen Zusammenhängen aufgegriffen: „in der Literatur des Kolonialdiskurses, in der Unterhaltungs- und exotistischen Literatur, in literarischen Texten der expressionistischen Avantgarde, aber auch in nicht-wissenschaftlichen, (proto)wissenschaftlichen und theoretischen Texten aus Kunst- und Kulturgeschichte sowie Rassenkunde und Eugenik“ (323). Und in dieser Vielfalt liegt auch eine der Thesen, die der Arbeit einen besonderen Reiz verleiht: Blome untersucht nicht nur „sich gegenseitig überlagernde machtpolitische, ästhetische und poetische Dimensionen der Verknüpfung von Sexualität und Rasse“ im Hinblick auf die Frage „Wie erfüllen narrative Entwürfe einen politischen Auftrag als Fiktion?“, sondern auch die „Attraktivität des Phänomens der Rassenvermischung für zeitgenössische ästhetische und poetologische Konzeptionen“ (18). Diesem Erkenntnisinteresse stellt sie die These voran, dass die „Bevorzugung ‚interrassischer‘ Sexualität als Erzählmodell […] einem spezifischen Interesse der antibürgerlich eingestellten Avantgarde an der Ästhetik der sogenannten ‚Primitiven‘“ entspringe und nicht nur in dystopischen, sondern auch utopischen Entwürfen zur Evidenz gelange. Dieser These widmet Blome den zweiten Teil ihrer Analyse, in dem sie nach der Darstellung der theoretisch-ästhetischen Fundamente des Primitivismus bei Wilhelm Worringer, Picasso oder Gauguin literarische Beispiele von Carl Sternheim, Klabund und Robert Müller untersucht, in denen das „Ideal der Verschmelzung“ unter denselben Prämissen, wie das der Trennung inszeniert wird.

Im ersten Teil der Textanalyse zeigt Blome, dass die von ihr untersuchten Texte von unter anderem Gabriele Reuter, Hans Grimm oder Willy Seidel eine Erzählprogrammatik generieren und eine „Interdependenz von Raum- und Rassenpolitik“ ebenso wie die der Kategorien „Rasse“ und „Geschlecht“ vorführen.

Im dritten und letzten Teil der Analyse wendet sich die Autorin „Kultur- und Rassetheorien der Weimarer Republik“ zu und weist hier auf die Verschränkungen zwischen dem Kolonialismus- und Antisemitismusdiskurs hin. Dieser Hinweis bleibt jedoch vage und im Schlusswort betont Blome die Notwendigkeit einer „Ergänzung“ der von ihr unternommenen Studie um antisemitische Rassenkonzepte, deren Ziel weniger darin liegen würde „Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik aufzuzeigen, sondern die komplexe Verschränkung und zugleich die Differenz dieser beiden Felder zu erweisen“(327).

Obwohl sich Blome dieser Lücke ihrer Arbeit bewusst ist, ist es nicht ganz nachvollziehbar, die Themenkomplexe von „Rasse“, „Sexualität“ und „Geschlecht“ zu behandeln und dabei den antisemitischen Rassismus auszuklammern, insbesondere auch, weil die von ihr einbezogenen Autoren wie Gobineau oder theoretischen Modeströmungen wie der Sozialdarwinismus mit der Veränderung und Verbreitung des Antisemitismus in dieser Zeit eng verknüpft sind. Einzuwenden ist hier jedoch, dass die Darstellbarkeit eines derart komplexen Diskurses eine Fokussierung notwendig macht.

Was jedoch nicht einleuchten will, ist die Struktur der Arbeit, genauer: der diachrone Ansatz. Die Autorin betont, dass sie bewusst nicht auf Spezialdiskurse wie den „Orientalismus, den Afrikanismus oder den Japonismus“ eingehen will: „In einer übergreifenden und komparativen Perspektive sollen hier vielmehr zunächst die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Diskurse in Erscheinung treten.“ Genau diese Absicht wird durch die diachrone Einordnung geradezu konterkariert, denn im Grunde tauscht sie diskursive Distinktionsparameter gegen historische und deutet damit neue, historisch begründete Spezialdiskurse an. Zudem fällt die chronologische Einteilung 1900-1914, 1915-1919, 1920-1930 auffällig mit Einschnitten der historischen Periodisierung zusammen, wodurch eine Kausalbeziehung zwischen ästhetischem Diskurs und politisch-historischer Entwicklung angedeutet wird, die nicht hinreichend belegt wird.

Trotz beider Monita muss abschließend betont werden, dass Eva Blome eine wichtige und beeindruckende Arbeit vorgelegt hat und eine Lücke geschlossen hat, deren Bestehen im 21. Jahrhundert stutzig macht und Rückschlüsse auf den Umgang mit der deutschen Kolonialvergangenheit erlaubt.

 

[1] Bernhard Schlink: Die Beschneidung. In: Liebesfluchten. Zürich 2000, S. 199-256.


Zur Rezensentin:
Dr. des. Paula Wojcik, geb. 1979, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum „Laboratorium Aufklärung“, Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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