Cesare G. Zucconi, Christus oder Hitler? Das Leben des seligen Franz Jägerstätter, Würzburg 2011, Echter Verlag, 295 S., 24,80 EUR, ISBN 978-3-429-03399-6


Franz Jägerstätter war innerkirchlich lange eine umstrittene Figur. Der Bauer aus St. Radegund in Österreich, der zunächst seine militärische Grundausbildung absolviert hatte, verweigerte später den Kriegsdienst und wurde wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seine Verweigerung entsprang seiner allmählich gewonnenen religiösen Überzeugung, dass er als Christ der nationalsozialistischen Obrigkeit keinen Gehorsam schuldig war, sondern im Gegenteil mit dem Einrücken als Soldat seinen Glauben verraten würde, weil er für den Sieg eines Staates kämpfen würde, der dem Christentum den Kampf angesagt hatte. Ob dieser Widerspruch legitim gewesen sei, ob Jägerstätter als Christ nicht vor allem zum Gehorsam verpflichtet gewesen sei, ob er sich mit seiner Verweigerung nicht auch gegen die kirchliche Obrigkeit gestellt und die Opfer derjenigen, die als Soldaten gefallen waren, negiert hätte, wurde noch lange nach dem Krieg diskutiert. Noch im Vorfeld der Seligsprechung Jägerstätters im Jahr 2007 wurde seine Verweigerung etwa vom Wiener Militärgeistlichen Siegfried Lochner als Folge eines irrenden Gewissens bezeichnet. Wenn Jägerstätter damit richtig gehandelt hatte, hätten dann alle anderen – Katholiken, Kriegsteilnehmer – falsch gehandelt? Diese Fragen bieten bis in die Gegenwart hinein Konfliktpotential. Zucconi stellt sich leidenschaftlich auf die Seite Jägerstätters und zeichnet dessen Leben mit Engagement nach. Er bemüht sich dabei auch, die kirchenpolitischen Entwicklungen im Österreich der 1930er Jahre darzustellen und zu erklären.

Die Studie weist leider mehrere deutliche Schwachpunkte auf. So wünscht man sich eine stringentere Strukturierung des Materials, bei der  weniger Vor- und Rückgriffe gemacht und dafür eine genauere Klärung der historischen Geschehnisse geleistet worden wäre. Wenn eine Rekonstruktion des kirchlichen und politischen Umfelds Jägerstätters angestrebt wurde, dann sollte diese Rekonstruktion auch einigermaßen umfassend sein und nicht z.B. die politischen Hintergründe des "Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich als bekannt voraussetzen. Auch die recht eindimensionale Betrachtung des nationalsozialistischen Staates, in der Hitler meistens als alleiniger Akteur erscheint, ist nicht auf dem Stand der aktuellen historischen Forschungsergebnisse zum Nationalsozialismus.

Die größte Schwäche des Bandes ist aber die fehlende analytische Quellenerschließung. Zucconi lässt die Quellen ausführlich im Originalzitat zu Wort kommen, wobei er hauptsächlich auf die bereits vorliegende vollständige Edition der Briefe und Aufzeichnungen Jägerstätters [1] zurückgreift. Diese Vorgehensweise hat durchaus Vorteile, da die Leser so leichter in den Duktus der Quellen hineinfinden und über die Sprache der Lebenswelt der handelnden Personen näher kommen können. Sie ersetzt aber keine Quellenanalyse, und diese leistet der Autor leider nur ansatzweise:

Er verzichtet zum Einen auf eine Darstellung des theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergrunds der Glaubensaussagen in den Quellen. Ohne Klärung dieser Hintergründe können diese aber nur bedingt sprechen, weil die Erfahrungswelt und der Erwartungshorizont der Protagonisten fehlen und der Autor den Quellen nicht mehr als das ohnehin Offensichtliche entlockt. Zudem legt er wenig Wert auf die Darstellung der historischen Abläufe in einer nachvollziehbaren Form. So zitiert er ausführlich Jägerstätters Briefe, in denen dieser vor allem religiöse Fragen thematisiert. Er klärt die Hintergründe ihrer Entstehung aber nur grob und benennt die biographischen Daten oft erst mit Verspätung und ungenau, als käme es ihm auf diese nur in zweiter Linie an. Auch versäumt der Autor eine Thematisierung so naheliegender Fragen wie der, warum Jägerstätter bei seiner militärischen Grundausbildung noch kein Problem darin sah, den Treueeid auf Adolf Hitler abzulegen, warum er sich zum Beitritt zum Dritten Orden der Franziskaner entschloss, seine Frau aber erst im Nachhinein darüber informierte, oder warum er sich nach seiner Einberufung erst mit einer Woche Verspätung bei der für ihn zuständigen Kaserne meldete, um dort seine Verweigerung zu erklären.

Er geht auch über wichtige Momente in Jägerstätters religiösem Leben hinweg, die aufzuklären erhellend gewesen wäre. Jägerstätter fand es beispielsweise nötig, den Plan, seiner Einberufung zum Heer mit Verweigerung zu begegnen, zu beichten, obwohl er sich aus dezidiert religiösen Gründen dazu entschlossen hatte. Er lehnte nicht den Militärdienst an sich ab, sondern den bewaffneten Kampf für die Ziele und den Sieg des Nationalsozialismus, den er als antichristlich einordnete. Er erhielt in dieser Beichte keine Absolution, blieb aber bei seinem Entschluss, auch wenn er bis kurz vor der Vollstreckung des Todesurteils, als er von einem aus dem gleichem Grund hingerichteten Priester erfuhr, in Bezug auf die Legitimität seines Handelns keine endgültige Sicherheit hatte. Die Bedeutung der verweigerten Lossprechung für den gläubigen Katholiken wird aber ebenso wenig angesprochen wie die Bedeutung des Umstandes, dass Jägerstätter dadurch nicht umzustimmen war.
Zum Anderen fällt die Häufigkeit auf, mit der der Autor betont, dass Jägerstätter Priester, Bischöfe und katholische Soldaten keinesfalls kritisieren oder unter Druck setzen wollte, wenn er diesen und deren Aussagen zur Legitimität des Kriegsdienstes für den nationalsozialistischen Staat durch seine Verweigerung widersprach. Jägerstätter selbst war seinen Kritikern gegenüber durchaus tolerant, aber das Potential seines Widerspruchs sollte dennoch nicht weichgezeichnet werden, auch nicht dadurch, dass die entgegengesetzte Position nur im Nebensatz dargestellt wird und die Konflikte, die  Jägerstätter mit seinen Verwandten, in seinem Dorf, mit Priestern und auch mit dem Bischof von Linz austrug, nur verhalten wiedergegeben werden.

Wenn es sich nicht um eine missglückte Quellenparaphrase handelt, verlässt Zucconi schließlich mit seiner Aussage, dass Jägerstätter von Gott genügend Weisheit erhalten habe und deswegen eine größere Verantwortung habe tragen müssen, als dies bei anderen der Fall gewesen sei, denn nicht jedem sei "das äußerste Opfer abverlangt" worden (S. 203 f.), den Rahmen historischer Forschung und begibt sich auf das Feld der Glaubensaussagen.

Die Anführung von Nebenquellen, die zur Biographie Jägerstätters nur höchst indirekt etwas beitragen, wie die Biographie Papst Benedikts XVI. oder Berichte über andere Christen, die sich dem Nationalsozialismus verweigert oder entgegengestellt haben, fällt gegenüber den aufgeführten Mängeln bei der Quellenerschließung kaum noch ins Gewicht.

Insgesamt ist der wissenschaftliche Ertrag dieser Darstellung eher gering.


[1]Erna Putz (Hg.), Franz Jägerstätter. Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Wien/Graz/Klagenfurt 2007; Erna Putz, Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Linz/Passau 1987.



Zur Rezensentin:
Dr. Annette Jantzen, geb. 1978, ist Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der RWTH Aachen.

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