theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte


Michael Hüttenhoff

“´Gemeinschaft´ in der Theologie Dietrich Bonhoeffers und Emanuel Hirschs ”

(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung III. Gemeinschaftskonzepte im 20. Jahrhundert zwischen Wissenschaft und Ideologie “ vom 09. bis 11. Januar 2009)

Obwohl Dietrich Bonhoeffer und Emanuel Hirsch zu den wichtigsten evangelischen Theologen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gehörten, gibt es bisher wenig vergleichende Untersuchungen. Das Thema „Gemeinschaft“ bietet sich für eine solche Untersuchung an, weil es für beide Theologen von zentraler Bedeutung war. In Bonhoeffers Briefen aus der Haft, in denen Bonhoeffer für ein nicht-religiöses Christentum eintrat (1944), spielte das Thema jedoch keine besondere Rolle mehr.

 Bei Hirsch (besonders „Die idealistische Philosophie und das Christentum“, 1923/24) und bei Bonhoeffer („Sanctorum Communio“, 1927/1930) findet sich eine in den Grundzügen übereinstimmende transzendentaltheologische Grundlegung der Gemeinschaftstheorie: Personalität setze Gemeinschaft voraus, weil das Ich erst am Du zur Person werde. Doch das Du sei vom Ich getrennt und ihm nicht unmittelbar durch Erkenntnis zugänglich. Beide postulierten daher, dass Gott die Beziehung zum menschlichen Du vermittele, und beide schrieben dieser Beziehung eine ursprüngliche ethische Qualität zu: das Ich habe Verantwortung für das Du. Nach Hirsch ist das Gewissen der Ort, an dem der Mensch Gott so begegnet, dass er diese Verantwortung erfährt.

Hirsch arbeitete mit einem weiten und einem engen, emphatischen Gemeinschaftsbegriff. Im weiten Sinn sei Gemeinschaft gegeben, wo Personen in der Wechselseitigkeit von Empfangen und Geben miteinander verbunden sind. Doch nach seinem emphatischen Gemeinschaftsbegriff setzt wirkliche Gemeinschaft darüber hinaus eine tiefe innere Verbundenheit voraus. In „Deutschlands Schicksal“ (1920) identifizierte er diese wirkliche Gemeinschaft mit der unsichtbaren „Gemeinschaft der Gewissen“. Weil nach Hirsch für das Gewissen der Bezug auf Gott konstitutiv ist, hatte für ihn diese Gemeinschaft einen religiösen Charakter. Die unsichtbare Gemeinschaft der Glaubenden in Christus sah er als die besondere innere Gestalt an, die diese Gemeinschaft durch den Glauben an Christus erhält. Von der unsichtbaren Gemeinschaft unterschied Hirsch die äußeren geschichtlichen Gemeinschaften, zu denen auch Staaten, Völker und Kirchen gehören. Das Volk war für Hirsch „der höchste erlebbare Sinnzusammenhang“ („Christliche Rechenschaft“, 1938 ff.) und unter den äußeren geschichtlichen Gemeinschaft der primäre Anwendungsfall des Gemeinschaftsbegriffes.  Die innere Gemeinschaft und die äußeren Gemeinschaften seien trotz der strikten Unterscheidung aufeinander angewiesen. Doch aus der Unterscheidung zog Hirsch die Konsequenz, dass die äußere Gestalt einer Kirche nicht aus dem Wesen der Gemeinschaft in Christus abgeleitet werden könne, sondern sich dem Kontext, und das heißt vor allem dem Volk anpassen müsse.

Auch bei Bonhoeffer gibt es einen weiteren und einen engeren Gemeinschaftsbegriff. Nach dem weiteren Begriff entsteht Gemeinschaft aus dem Willen zur Einheit voneinander geschiedener und verschiedener Personen. Unter diesen weiten Begriff fiel bei ihm auch die Gesellschaft. In dieser sei das Miteinander der Personen Mittel zum Zweck. Gemeinschaft im engeren Sinn besteht nach Bonhoeffer dagegen dort, wo das Miteinander der Personen Selbstzweck sei. Die Menschheit, „die alle Gemeinschaften umfassende Gesamtgemeinschaft“, teilte sich nach Bonhoeffer in zwei große Gemeinschaften bzw. Kollektivpersonen: die adamitische Menschheit der Sünde und die neue Menschheit in Christus. Obwohl Bonhoeffer in „Sanctorum Communio“ zögerte, die soziale Gestalt der Kirche ohne Einschränkung dem Gemeinschaftsbegriff zu subsumieren, war für ihn die Kirche der primäre Anwendungsfall dieses Begriffs. Die Kirche sei zwar Gegenstand des Glaubens. Sie habe eine Wirklichkeit in Christus die der Aktualisierung in konkreten Kirchen vorausgehe. Aber sie sei keine unsichtbare Wirklichkeit hinter den konkreten Kirchen, und deren Gestalt müsse dem Wesen der Kirche entsprechen. Kirche und religiöse Gemeinschaft standen für Bonhoeffer in einem Gegensatz. In der Vorlesung über das Wesen der Kirche (1932) kennzeichnete er die religiöse Gemeinschaft als „Gemeinschaftsform des Menschen in Adam“.

Durch die Verwendung des Gemeinschaftsbegriffs werden einerseits Menschen zu einer sozialen Einheit verbunden, andererseits Menschen ausgegrenzt, sofern der Begriff nicht auf die Menschheit insgesamt angewendet wird. Weil sich Hirschs und Bonhoeffers Theorien der Gemeinschaft durch den primären Anwendungsfall des Gemeinschaftsbegriffs unterschieden, wirkten sich das verbindende und das ausgrenzende Moment jeweils unterschiedlich aus. Bei Hirsch verband und trennte die Volkszugehörigkeit stärker als die Religionszugehörigkeit, bei Bonhoeffer dagegen verband und trennte die Zugehörigkeit zur Kirche stärker als die Volkszugehörigkeit. Das wirkte sich kirchenpolitisch und praktisch-theologisch unter anderem folgendermaßen aus:

a) Hirsch bejahte die Übernahme des Arierparagraphen in die Kirche (besonders „Arier und Nichtarier in der deutschen evangelischen Kirche“, 1933; „Theologisches Gutachten“, 1933/34), Bonhoeffer lehnte die Trennung von jüdischstämmigen und deutschstämmigen Christen ab. Der Arierparagraph war für ihn eine Häresie („Die Kirche vor der Judenfrage“, 1933; „Der Arierparagraph in der Kirche“, 1933).

b) Der scharfen Abgrenzung der Kirche von der Welt entsprach, dass Bonhoeffer für die Kirchenzucht bzw. die Gemeinde- und Lehrzucht eintrat („Nachfolge“, 1937; „Sätze über Schlüsselgewalt und Gemeindezucht im Neuen Testament“, 1937). Dagegen reduzierte Hirsch die Kirchenzucht auf einen religiös nicht bedeutsame Rechtsmaßnahme der kirchlichen Körperschaften („Christliche Rechenschaft“).

c) Nach Bonhoeffer hatten sich die Deutschen Christen bzw. die Reichskirchenregierung durch ihre Irrlehren von der wahren Kirche getrennt, so dass es mit ihnen keine Kirchengemeinschaft gebe. Scharf formulierte er: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.“ („Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft“, 1936). Nach Hirsch fanden die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche ohne Aufhebung der Kirchengemeinschaft innerhalb der evangelischen Kirche statt.

d) Hirsch bestritt aufgrund seiner Unterscheidung zwischen der unsichtbaren Gemeinschaft in Christus und den Kirchen als geschichtlichen Gemeinschaften, dass die ökumenische Arbeit zum Ziel haben könne, die Einheit der wahren Kirche sichtbar darzustellen. Konkrete Zusammenarbeit in praktischen Fragen hielt er für möglich und für geboten („Die Einheit der Kirche“, 1925; „Christliche Rechenschaft“). Die Dominanz der Gemeinschaft des Volkes wirkte sich darin aus, dass er die Friedens- und Versöhungsarbeit der ökumenischen Bewegung ablehnte („Evangelische Kirche und Völkerverständigung“, 1931). Obwohl auch Bonhoeffer bei seinen ökumenischen Gesprächspartnern um Verständnis für die Lage und die Anliegen der Deutschen warb, nahm er aktiv an der Friedens- und Versöhnungsarbeit des von Hirsch kritisierten „Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen“ teil.



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