Lucia Scherzberg
“Kirche als Gemeinschaft in der Ekklesiologie katholischer Theologen in Deutschland und Frankreich (1920-1950) ”
(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung III. Gemeinschaftskonzepte im 20. Jahrhundert zwischen Wissenschaft und Ideologie “ vom 09. bis 11. Januar 2009)
Die neuscholastische Theologie, die gewissermaßen den
„Normalfall“ zwischen den beiden Vatikanischen Konzilien darstellte,
kannte in der Regel keinen eigenen Traktat über die Kirche. Kirche
wurde als Heilsanstalt gedacht, die den einzelnen Gläubigen die
Mittel zum Heil zugänglich machte.
Die katholische Reformtheologie der 20er Jahre bildete, beeinflusst durch die Erfahrung des Weltkrieges und die Rezeption der Phänomenologie, eine neue Perspektive aus. Gegen die als starr empfundene Neuscholastik und gegen die „subjektivistischen“ Tendenzen der Moderne setzte sie ein neues Bewusstsein der Kirche als Gemeinschaft. Romano Guardinis Vorträge über den Sinn der Kirche (1922) und Karl Adams Buch über das Wesen des Katholizismus (1924) wurden zu einflussreichen Schriften, in denen Gemeinschaft als die beherrschende Idee des Katholizismus erscheint.
1933 deutete Karl Adam die Machtübernahme der Nationalsozialisten
analog zum Kriegserlebnis als „Massenerlebnis der volkhaften Einheit“:
das
„katholische Ja zur neuen Bewegung“ habe seinen Grund darin, dass der
Nationalsozialismus „rücksichtslose Hingabe an die
Volksgemeinschaft“ sei. Vor dieser Gemeinschaft verblassten auch die
konfessionellen Unterschiede zwischen den Christen; deutlich
wird aber die Ausgrenzung der Juden.
Auch bekannte „braune“ Priester wie Joseph Roth oder Anton Heuberger
verbanden die Ideologie der Volksgemeinschaft mit religiösen und
theologischen Aussagen.
In der französischen Reformtheologie spielte das
Gemeinschaftsdenken ebenfalls eine wichtige Rolle. Zwischen Adams
„Wesen des Katholizismus“ und Henri de Lubacs „Catholicisme“ (1938)
bestehen zahlreiche Parallelen. Auch hier dient die Sicht der Kirche
als Gemeinschaft der Zurückweisung des neuscholastischen
Verständnisses der Kirche als Heilsanstalt und ist vom
zeitgenössischen Gemeinschaftsdiskurs, d.h. der personalistischen
Philosophie und der Gemeinschaftsideologie der „revolution nationale“
geprägt. Allerdings findet sich bei Lubac keine Ausgrenzung der
Juden.
Der Jesuit und Widerständler Alfred Delp setzte in seinen im
Gefängnis geschriebenen fragmentarischen Reflexionen über die
Kirche einen ganz anderen Schwerpunkt. Für ihn stand die
Rückbesinnung auf einen der
grundlegenden Selbstvollzüge der Kirche – die diakonía – im
Vordergrund.
Die Kirche müsse sich der realen Not der Menschen zuwenden und
sich
um Menschenwürde und Menschenrechte sorgen. Delp erwies sich hier
als
weitgehend resistent gegen die Gemeinschaftsideologie.
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