theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte


Martin Leutzsch

“Gemeinschaftsdiskurse im im deutschsprachigen Judentum 1900-1940”

(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung III. Gemeinschaftskonzepte im 20. Jahrhundert  zwischen Wissenschaft und Ideologie “ vom 09. bis 11. Januar 2009)

Die Frage nach Gemeinschaftskonzeptionen im deutschsprachigen Judentum von 1900 bis zur Shoah wirft zunächst das Problem auf, was als Quelle herangezogen werden soll. Wer in welchem Sinn Jude ist und was an Äußerungen und Praktiken jüdisch ist, war seit der Aufklärung ein vielschichtiges Problemfeld. Dieses Problem wird anhand möglicher jüdischer PartizipantInnen am Gemeinschaftsdiskurs erörtert. Dabei zeigt sich unter anderem, dass eines der wichtigen Foren des Gemeinschaftsdiskurses der Weimarer Republik, die frühe Phänomenologie, stark von Juden und Jüdinnen und Personen mit jüdischen Vorfahren getragen wurde, für die ihr eigenes Judesein keine oder eine marginale Rolle spielte. Ganz gleich, ob für eine TeilnehmerIn selbst jüdische Herkunft, Religions- oder Kulturzugehörigkeit wichtig war oder nicht, lässt sich für viele jüdische PartizipantInnen am Gemeinschaftsdiskurs als ein gemeinsamer Erfahrungshorizont die Erfahrung des Ausgeschlossenseins oder Ausgeschlossenwerdens eruieren.

Um Gemeinschaftsdiskurse und Gemeinschaftsformationen im deutschsprachigen Judentum 1871-1945 zu kontextualisieren, wird in Form einer – keineswegs erschöpfenden – Übersicht das Feld der deutschsprachigen Gemeinschaftsdiskurse überhaupt in seiner zeitlichen Entwicklung, seinen Segmenten und deren Überschneidungen vorgestellt und dabei jeweils auf jüdische PartizipantInnen hingewiesen.

Schließlich werden fünf Entwürfe dezidierter Juden, in denen „Gemeinschaft“ dezidiert auf „Judentum“ bezogen ist, charakterisiert (Leo Baeck, Hermann Cohen, Martin Buber, Franz Rosenzweig, Schalom Ben-Chorin). Es handelt sich dabei um Entwürfe, die mit Hilfe eines Gemeinschaftskonzepts eine religiöse (Neu-)Konstruktion des Judentums bieten. Dabei wird „Gemeinschaft“ von Baeck und Cohen mit einer Gruppengrenzen überschreitenden Ethik in Verbindung gebracht. Bei Buber stehen differenzierte Entwürfe von Gemeinschaft als gelebter Praxis von Gruppen im Mittelpunkt. Rosenzweig sieht eine zentrale Verwirklichung von Gemeinschaft im Vollzug der Liturgie. Ben-Chorin fordert die unbedingte Ausrichtung eines in Palästina entstehenden erneuerten Israel an der Offenbarung des Gottesworts.



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