theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte


Robert E. Norton

George´s Circles: Forms of Community?

(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung III. Gemeinschaftskonzepte im 20. Jahrhundert zwischen Wissenschaft und Ideologie “ vom 09. bis 11. Januar 2009)

Gemeinhin wird von “dem” George-Kreis gesprochen, im Singular, als ob dies ein monolithisches Phänomen wäre, in sich verschlossen und dadurch geheimnisvoll, unnahbar und doch unmittelbar in die Gegenwart greifend.  Natürlich gab es viele Gründe, warum dieser Eindruck entstand und ebenso viele, warum Stefan George kein Interesse daran hatte, diesen Eindruck zu ändern.  Es war von Anfang an deutlich, schon zu Beginn seiner Karriere als Dichter in den frühen 1890er Jahren, dass George mit dem poetischen Wort eine Gegenwelt bilden wollte zur verhassten Wirklichkeit, eine Alternative zum Wilhelminischen Reich durch die dichterische Schöpfung stiften.  Dieser Drang blieb bis zum Endes seines Lebens bestehen, aber er erfuhr ständig neue Entwicklungen und Erweiterungen, und im Zentrum dieser späteren Bestrebungen stand “der Kreis,” das heißt, die Menschen, die George zunehmend anzog und aufnahm, darunter andere Dichter wie er, aber auch Maler, Grafiker, Musiker, Verleger, und vor allem Gelehrte: Philosophen, Literaturwissenschaftler, Historiker, Kulturwissenschaftler, Soziologen, und sogar Ökonomen.  Diese wiederum hatten natürlich ihre eigenen Wirkungssphären, so daß “der George-Kreis” nicht so sehr einem Sonnensystem ähnelte als einer kleinen, aber lichtstarken Galaxie mit einem feurigen Kern.  Dabei hatten viele dieser George zugehörigen Gruppierungen ihre eigenen Verhaltensregeln, einige wussten sogar von der Existenz der anderen überhaupt nichts, und wiederum andere schlossen einige der berühmtesten Geister der damaligen Zeit in sich ein.  Diese komplexe, alles andere als einheitliche Gemeinschaft nachzuzeichnen wird Ziel des Vortrags sein. 

Die Gemeinschaftsordnung, die George und seine Anhänger anvisierten, stellte nicht so sehr, wie es jüngst der Biograph Thomas Karlauf meinte, den “ungeheuerlichen Versuch, die Päderastie mit pädagogischem Eifer zur höchsten geistigen Daseinsform zu erklären,” dar, als vielmehr den noch ungeheuerlicheren Versuch, die gesellschaftlichen Normen und Werte der bürgerlichen Moderne—insbesondere die der prinzipiellen Gleichheit der Menschen, der individuellen Freiheit und der Würde des einzelnen Lebens—durch ein Modell zu ersetzten, das die völlige Einbindung des Einzelnen in eine festgefügte Struktur fordert, die eine unabänderliche Rangordnung untermauert, die wiederum von der dienenden Gefolgschaft der Untergeordneten gestützt, von ihrer bedingungslosen Hingabe genährt und von der unangefochtenen Herrschaft einer zentralen Autorität gelenkt wird.



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