theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte


Michael Dellwing, Globalisierung und religiöse Rhetorik. Heilsgeschichtliche Aspekte in der Globalisierungsdebatte, Frankfurt-New York 2008,Campus Verlag, EUR 24,90, 163 S., ISBN 978-3593385839


Dass sich Michael Dellwing in seinem Buch „Globalisierung und religiöse Rhetorik“ bemüht, in der Globalisierungsdebatte keine Stellung zu beziehen, hat ihn nicht davor bewahrt, in der Wikipedia als globalisierungskritischer Autor rubriziert und von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für sein Werk schnodderig abgekanzelt zu werden. In der Auseinandersetzung über „Globalisierung“ nach religiöser Rhetorik zu forschen, ist offenbar bereits Hinweis genug, um den Autor als (verkappten) Globalisierungskritiker identifizieren zu können. Es bestätigt sich damit eine Grundannahme des Buches von Dellwing auf eindrückliche Weise: die Auseinandersetzung über die Globalisierung wird mit Hilfe religiöser Rhetorik geführt, weil es sich um einen Glaubenskrieg handelt, in dem rationale Argumente nicht mehr verfangen.

Das Werk ist weder ein Werk über Globalisierung noch über Religion. Es handelt über rhetorische Positionierungen in der Globalisierungsdebatte. Dass religiöse Vorstellungen sowohl auf Seiten des Liberalismus als auch des Marxismus in ihren Ursprüngen eine prägende Rolle gespielt haben, gehört zu den Selbstverständlichkeiten der Ideologiegeschichte. Doch werfen sich beide Seiten bis heute vor, verkappte religiöse Vorstellungen in ihrer Propaganda für oder gegen die universale Ausbreitung der liberalen Markgesellschaft zu vertreten. Dellwing geht in seinem Buch dieser Frage systematisch nach.

Zunächst steckt er den Rahmen seiner Untersuchungsmethode ab. Im Anschluss an Richard Rorty und Stanley Fish bedient er sich der theoretischen Grundannahmen des rhetorischen Pragmatismus, d.h. Rhetoriken und Vokabulare einer Debatte können sich nur im Verweis auf andere, bestehende Rhetoriken und Vokabulare behaupten. Im Fall der Globalisierungsdebatte ist das vor allem der Verweis auf religiöse Rhetoriken und Vokabulare.

Die Verwurzelung der liberalen und marxistischen Theorien in ihren jeweiligen religiösen Bezugstraditionen beschreibt Dellwing im Folgenden sowie die daraus bis heute resultierenden Nachwirkungen. Religiöse Überreste macht er aus, wenn er in der Idee der „unsichtbaren Hand“, die auf wunderbare Art den liberalisierten Markt ordnet, die „Idee einer göttlichen Ordnung“ sieht. So ist der Markt „eine Beschreibung, die auf der Basis des Glaubens an eine durch göttliche Organisation planvoll geleitete Welt aufkommt.“ Ferner sieht er in der liberalen Idee, dass der Mensch als „nutzenmaximierender homo oeconomicus […] Träger einer Vernunft“ sei, eine Parallele zu der religiösen Vorstellung von der potentiellen Fähigkeit des Menschen, Gott zu erkennen. Schließlich werde die Wende des Menschen hin zu einer „persönlichen ökonomischen Handlungsfreiheit“  ähnlich der religiös gedeuteten „erlösenden Befreiung“ beschrieben. (S. 44)

Weiter beleuchtet Dellwing die von liberaler Seite im gegenwärtigen Globalisierungsdiskurs verwandte religiöse Rhetorik. Von dieser Seite wird die Globalisierung zunächst als eine (Gott ähnliche) Macht beschrieben, die die Welt beeinflusst, jedoch nicht selbst gelenkt oder beeinflusst werden kann. Diesem Prozess wohne die Tendenz zum Guten inne, indem als Schlusspunkt der Entwicklung der allgemeine, weltweite Wohlstand prophezeit wird. Er könne schließlich auch den Ursprung des Leides in der Welt erklären, da ein Verstoß gegen die Prinzipien der liberalen Marktwirtschaft das Projekt allgemeinen Wohlstands zum Scheitern verurteile. Schließlich werde die liberale Weltanschauung von Unternehmensberatern und Consulting-Firmen so propagiert und verbreitet, wie es im religiösen Bereich traditionell Priester und Missionare mit der „wahren Lehre“ tun. (S. 68 - 99).

Im Weiteren befasst sich Dellwing mit der Rhetorik der Globalisierungsgegner. Auf Seiten des Neomarxismus macht er besonders eine Ähnlichkeit zwischen der Lutherschen Rede von Rom als dem Zentrum des Antichristen und der Verortung von IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) als Zentren des Bösen in einer globalisierten Welt aus. Mit Blick auf die Befreiung vom Übel der Globalisierung würden Anleihen aus der biblischen Apokalyptik genommen, so die Vorstellung eines neuen „Himmels“ und einer neue „Erde“ jenseits des liberalen Weltentwurfs. Ferner wird die Forderung nach dezentraler Organisation angesichts einer papistisch-zentralisierten liberalen Globalisierungs-Kirche erhoben. Die „wahre Lehre“ werde schließlich mit einem  enthusiastischen Sendungsbewusstsein vorgetragen.

Eine „unbequeme Nähe“ beider Rhetoriken konstatiert Dellwing abschließend. Beide Seiten des Globalisierungsstreits sicherten gerade durch ihre Bezugnahme auf religiöse Rhetoriken ihren Erfolg. Beide Seiten richteten ihre rhetorischen Anstrengungen auch nicht darauf, die andere Seite zu überzeugen. Sie reklamierten beide, die absolute Wahrheit zu vertreten und schafften dadurch Identitätsgewissheit in den eigenen Reihen. Daraus leite sich für ihn die Konsequenz ab: es gibt einen legitimen Standpunkt außerhalb der konfliktgeladenen Auseinandersetzung. Freilich hindert dies nicht diejenigen, die sein Buch zu rezipieren vorgeben, ihn in diesen Streit einzuordnen.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag über die Bedeutung des Religiösen in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen  über den Fortgang der Menschheitsgeschichte. Auch die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts bedienten sich der religiösen Rhetorik. Hier lassen sich frappierende Parallelen erkennen.

Die vielen Tipp- und Formatierungsfehler, aber auch der zuweilen schwerfällige Stil und manche redundante Argumentationen mindern allerdings das Lesevergnügen erheblich. Hier ist von Seiten des Verlages offenbar elementare Lektoratsarbeit vernachlässigt worden.


Rezensent:
August H. Leugers-Scherzberg

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