David Sorkin, The Religious Enlightenment. Protestants, Jews, and Catholics from London to Vienna (Jews, Christians, and Muslims from the ancient to the modern world 16), Princeton University Press, Oxford 2008, 35 $, 360 S., ISBN: 978-0691135021
Sorkins Anliegen ist es, in seinem Buch aufzuzeigen, dass die Aufklärung
nicht als rein säkulares Phänomen angesehen werden darf, sondern
auch eine fortwährende religiöse Dimension besitzt, die konstituierend
ist für Genese wie Evolution der Epoche. Diese Erkenntnis sollte
zwar nicht neu sein, doch scheint es immer wieder notwendig, sie hervorzuheben,
ist doch nach Sorkin die These der säkularen Natur der Aufklärungsbewegung
„a foundational myth“ (1) der amerikanischen Gesellschaft, der von der
linken wie der rechten Seite des politischen Spektrum der USA gerne aufgegriffen
und für die eigenen Zwecke benützt und weiter transportiert
wird.
Seine grundlegende These illustriert Sorkin anhand von sechs Figuren der europäischen Aufklärung, deren Gedanken und Theorien er sorgfältig darstellt und nachzeichnet und mit denen er nicht nur die religiöse Dimension der Aufklärung aufzeigen, sondern zugleich auch ihre Spannweite anschaulich machen möchte. Für die englische Aufklärung wendet sich Sorkin dabei dem englischen Theologen, Autor und späterem Bischof von Gloucester, William Warburton (1698-1179) zu, der als Vertreter der Moderation für Sorkin zu den religiös gesinnten Aufklärern zu rechnen ist. Im Genfer Calvinismus übernimmt der Theologe Jakob Vernet (1698-1789) diese Rolle. Für die Aufklärung im Deutschen Reich stellt Sorkin drei Figuren dar: Der Hallesche Professor der Theologie Siegmund Jakob Baumgarten vertritt dabei den deutschen Protestantismus, während für den katholischen Teil des Reiches der Wiener Professor des Kirchenrechts und spätere Landrat von Linz Joseph Valentin Eybel (1741-1805) zur Darstellung kommt. Eine besondere Rolle auch innerhalb des Deutschen Reiches spielt für Sorkin Moses Mendelssohn (1729-1786) als Vertreter der jüdischen Aufklärung. Schließlich geht Sorkin auch noch im Bereich der französischen Aufklärung auf den Lazaristen Adrien Lamourette (1742-1794) ein, zunächst Professor, dann Bischof von Lyon und während der Wirren der Französischen Revolution hingerichtet.
Diese sechs Personen, deren Theorien und deren Wirken angesichts der vielfältigen Herausforderungen der Zeit ausführlich dargestellt werden, bilden zugleich den Hintergrund, auf dem Sorkin den Begriff „religious Enlightenment“ näher zu bestimmen versucht. Dabei kommt er zu vier Charakteristika, die typisch sind für die religiöse Aufklärung bzw. den religiösen Aufklärer. So suchten die religiösen Aufklärer zum einen nach dem „mittleren Weg“ eines vernunftgemäßen (reasonable) Glaubens, der auf der Idee einer natürlichen Religion und dem exegetischen Prinzip der Akkomodation beruhte. Zum Zweiten vertraten sie, gestützt auf naturrechtliches Denken, die Idee der Toleranz. Als drittes Kennzeichen nennt Sorkin die Verankerung in der „public spere“ (21), der sich entwickelnden Öffentlichkeit, und als letztes schließlich das Eintreten für eine Staatskirche bzw. für eine enge Verbindung von Staat und Kirche (21ff.).
Hier werden auch die Probleme sichtbar, an denen Sorkins Argumentation leidet. So fehlt es manchmal an einer klaren Differenzierung zwischen damaligen und heutigen Termini und Bedeutungen. Mendelssohn etwa kann man wohl nur an heutigen Begriffen gemessen als Verfechter eines besonders engen Verhältnisses von Kirche und Staat bezeichnen. Unter den Vertretern der Aufklärung im Deutschen Reich aber sticht seine Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche keineswegs besonders hervor.
Auch sind manche der von Sorkin genannten Charakteristika einer religiös bestimmten Aufklärung eher vage. So wird wohl jeder der damaligen Denker – Theologen wie Philosophen, Gläubige wie Atheisten – für sich einen vernunftgemäßen Umgang mit Offenbarungsansprüchen und Glaubensfragen reklamieren. Ebenso ist die Beziehung zur bzw. die Verankerung in der entstehenden „öffentlichen Sphäre“ nicht unbedingt als besonders charakteristisch für religiöse Aufklärer anzusehen. Alle Denker der damaligen Zeit – unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund –waren wohl in gleicher Weise in diese „public sphere“ eingebunden. Überhaupt wäre kritisch rückzufragen, ob es nicht Aufgabe von Professoren oder Bischöfen war bzw. ist, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen, und ob nicht jede Publikation schon automatisch die Teilnahme an der öffentlichen Diskussion bedeutet, so dass eine Beschäftigung mit Büchern und Schriften des Aufklärungszeitalters zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen muss, die jeweiligen Autoren hätten versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Eng verbunden damit ist die Frage, nach welchen Kriterien die im Buch vorgestellten Personen ausgewählt wurden. Dass aus der Vielzahl der Autoren ausgewählt werden muss, ist unbestritten, doch Sorkin gibt an keiner Stelle explizit die Kriterien an, nach denen die Auswahl getroffen wurde. So bleibt letztlich völlig im Unklaren, wie repräsentativ diese Auswahl ist oder ob es gerechtfertigt ist, anhand von sechs Autoren ein Urteil über die gesamte Aufklärung zu fällen. Dabei ergeben sich durchaus Rückfragen an die vorgelegte Auswahl: So wäre zu begründen, inwieweit etwa Eybel als charakteristisch für die Aufklärung im katholischen Teil des Deutschen Reiches bzw. gar für eine katholische Aufklärung anzusehen ist. Eybels Werke können keine größere Bedeutung beanspruchen. Seine Schriften zur Volksaufklärung, die zum größten Teil aus aktuellem Anlass entstanden sind, erhellen nur die Stimmung der Zeit, seine kirchenrechtlichen Arbeiten leiden an Oberflächlichkeit und mangelndem Quellenstudium. Sie waren jedoch so stark von der josephinischen Aufklärung geprägt, dass er seine Professur an der theologischen Fakultät aufgeben musste. Ob nun vor diesem Hintergrund Eybel als der geeignete Repräsentant der Aufklärung im katholischen Teil des Deutschen Reiches anzusehen ist, kann bezweifelt werden.
So bleibt als Resümee festzuhalten, dass Sorkin zwar interessante Details und Einzelbeobachtungen zu den sechs von ihm behandelten, weithin vergessenen Autoren der Aufklärungszeit macht, dass er aber dabei scheitert, aus dieser Fülle von Einzelbeobachtungen in stringenter Weise herauszuarbeiten, was „religious enlightenment“ bedeutet und inwieweit diese religiöse Komponente die gesamte Aufklärungsbewegung beeinflusst.
Rezensent:
Matthias J. Fritsch
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