theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Christian Rutishauser, Christsein im Angesicht des Judentums. Ignatianische Impulse, hg. v. S. Kiechle SJ und W. Lambert SJ, Band 28. Würzburg 2008, Echter-Verlag, 8,90 €, 93 S. ISBN: 9783429029807


Der Verfasser dieses Büchleins ist Direktor des Lassalle-Hauses in Schönbrunn in der Schweiz. Als Judaist und Angehöriger des Jesuitenordens weiß er sich dem jüdisch-christlichen Gespräch in besonderer Weise verpflichtet, was nun in einer kleinen und zugleich programmatischen Schrift in der Reihe „Ignatianische Impulse“ zum Ausdruck kommt. Diese Reihe befasst sich mit Themen wie: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur (Vgl. S. 2), die dem Jesuitenorden gegenwärtig sehr wichtig erscheinen. Das Judentum steht seit der 34. Generalversammlung des Ordens im Jahre 1995 an der Spitze der Religionen, mit denen der Dialog in besonderer Weise gepflegt werden soll. Damit führt der Orden das Erbe Kardinal Beas fort, unter dessen maßgeblicher Mitverantwortung im Zweiten Vatikanischen Konzil Nostra aetate entstanden war. Er verbleibt somit bei der Linie des Zweiten Vatikanums, das den Konflikt um die Verhältnisbestimmung von Kirche und Judentum schließlich mit der Platzierung im vierten Kapitel von Nostra aetate entschied. Dadurch wird der Eindruck prolongiert, die Behandlung der Frage sei auch in Zukunft am besten im Rahmen des interreligiösen Dialogs aufgehoben. (Vgl. 31f.)

Die Arbeit umfasst 91 Seiten und gliedert sich nach einer Einleitung (7-11) in folgende drei Kapitel: „I. Endlich jüdisch-christliches Gespräch“ (13-33), „II. Ein Blick in die Heilsgeschichte“ (35-68), „III. Zur Spiritualität jüdischer Denker“ (69-86). Ein kurzes Nachwort sowie Literaturangaben und Anmerkungen beschließen das Bändchen, das – über die Programmatik des Ordens hinaus – als Grundorientierung für alle zu verstehen ist, die sich der ignatianischen Spiritualität verpflichtet wissen.

Der Verfasser macht in der Einleitung kein Hehl daraus, dass der Orden von seinem Gründer her auf Judenmission angelegt war, wenn auch in einer durchaus nicht aggressiven Weise, weil Ignatius selbst eine „besondere Zuneigung zu den Juden“ (9) gehabt habe. Heute gehe es darum, dass das Gespräch der Kirche mit dem Judentum nicht nur Spezialisten betreffen dürfe. Vielmehr müsse überzeugend dargelegt werden, dass Jesus selbst sowie die Urkirche vom Judentum her zu verstehen seien und das Judentum bis heute Gottes Bundesvolk sei. (8f.) Rutishauser versteht sein Buch als einen Beitrag zur Aufarbeitung der „großen und  zuweilen tragischen Geschichte“, zumal in der jüngsten Vergangenheit das jüdisch-christliche Verhältnis durch die Shoah zutiefst erschüttert worden sei. (11)

Im ersten Kapitel arbeitet Rutishauser den Beitrag der Juden zur Kultur der Neuzeit heraus und bringt die Entstehung des Staates Israel mit der Shoah in Verbindung. Dann stellt er die revolutionäre Bedeutung der Konzilserklärung Nostra aetate heraus und berichtet von einigen wichtigen Weichenstellungen auf reformatorischer Seite vor dem Konzil und von Dialogkonferenzen, an denen  er selbst teilgenommen hat. Dass in der nachkonziliaren Zeit dem Pontifikat Johannes Pauls II. eine herausragende Bedeutung zukommt, ist zwar vielen bekannt, bedarf aber immer noch weiterer Verbreitung. Unter seinem Pontifikat sind auch eine Reihe wichtiger vatikanischer Texte, zumal über das Verständnis der Bibel, erarbeitet worden. Hier ragt das Schreiben der Glaubenskongregation von 2001 mit dem Titel Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel besonders heraus. Auf diesem Hintergrund hätten sich bereits erste Früchte gezeitigt, so dass in Dabru emet (Redet Wahrheit) auch eine erste jüdische Stimme vorliegt, die das veränderte Verhältnis der Kirche zum Judentum öffentlich würdigen konnte. Neue institutionelle Einrichtungen wie der Internationale Rat der Christen und Juden oder der Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und mehrere universitäre Institute sind entstanden. In den Umkreis der neueren Bemühungen gehöre auch die Initiative des Jesuitenordens wie etwa das Kardinal-Bea-Institut an der Universität Gregoriana in Rom und das Päpstliche Bibelinstitut in Jerusalem. (32) Der Missionsauftrag werde im Jesuitenorden zwar nicht vernachlässigt, wohl aber durch den interreligiösen Dialog ergänzt. (30) Angesichts erfreulicher Aufbrüche in der Spiritualität meldet  Rutishauser gewisse Bedenken an, die jüdische Pessachfeier liturgisch nachzuspielen. (28)

Im umfangreichen zweiten Kapitel werden Judentum und Christentum zunächst als „Geschwisterreligionen“ vor- und die Bedeutung Jesu als Jude aus Nazareth herausgestellt. Als solcher habe er keine neue Religion stiften wollen, sondern seine Sendung als Reformer des Judentums verstanden. (38) Deshalb sei die Kirche als „Judentum für die Heiden“ (39) zu verstehen, denen durch das Christusereignis eine Tür geöffnet worden sei. „Der Sinaibund, durch den sich Gott sein Volk erworben hatte, wurde neu gesetzt und erweitert.“ (40) Dieser Satz hätte gut einer intensiveren Interpretation bedurft, zumal Paulus, der den Heiden zum Volk Gottes Zugang verschaffte, nicht in gleicher Weise an den Sinaibund dachte wie die Abendmahlstradition des Markusevangeliums. Mit Recht stellt Rutishauser heraus, dass Markion mit seiner Verwerfung alles Jüdischen von der Kirche nicht akzeptiert wurde. Ein lesenswerter Abschnitt für die Erschließung der Evangelien ohne die alten antijüdischen Klischees findet sich auf den Seiten 43-50. Gerade auch die Bergpredigt des Matthäusevangeliums sei ein Beispiel dafür, dass Jesus als Jude mit seinen jüdischen Mitbrüdern darum ringe, „wie die Offenbarung Gottes zu aktualisieren ist“. (47) In weiteren Abschnitten wird die Entwicklung des Judentums nach der Zerstörung des Zweiten Tempels dargestellt. Diese habe „zu einem jüdischen Neuaufbruch“ (52) geführt, letztlich zur Geburt des rabbinischen Judentum, für das gilt: „Ähnlich wie die Kirche das Alte Testament durch die Brille des Neuen Testaments liest, so blickt auch das Judentum nun durch Talmud und Midrasch auf den Tenach“ (56), d.h. die Bücher der Hebräischen Bibel, wobei die mündliche Tora durchaus den Rang von Offenbarung erlangt, wie Rutishauser an Beispielen zeigt. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird der Staat Israel in seiner Vor- und Entstehungsgeschichte behandelt. Die verschiedenen Strömungen, die die Gründung, die durch die Shoah beschleunigt wurde, vorbereitet haben, führen bis heute zu innerisraelischen Auseinandersetzungen. Zumal sei der Streit „um eine säkular-zionistische oder religiös-rabbinische Kultur des Judentums noch in vollem Gang“. (66) Rutishauser lobt die vorsichtige Politik des Vatikans, die erst spät zu diplomatischen Beziehungen geführt habe. (67f.) Insgesamt dürfe aber weder „die Frage der Gerechtigkeit für die Palästinenser noch die heilsgeschichtliche Rolle des Christentums oder die theologische Bedeutung der jüdischen Diaspora“ (67) ausgeklammert werden.

Im dritten Kapitel wird die Spiritualität jüdischer Denker zunächst an der kabbalistischen Mystik und am Chassidismus gezeigt. Besonders hervorgehoben werden die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden wie Isaak Luria und Moses Cordovero. Cordovero habe die Botschaft des reinen Erbarmens verkündet. Die eindrucksvolle Mystik des Erbarmens gehe so weit, dass – in Nachahmung Gottes – der Mensch nicht nur den Mitmenschen Heil verschaffe, sondern darüber hinaus selbst Gott aus dem Exil in der Welt erlösen könne. (75) Aus der jüngeren Vergangenheit werden Martin Buber als Dialogiker des Daseins, Emmanuel Levinas als Streiter für die Priorität des Anderen und Joseph Dov Soloveitchik als orthodoxer Theologe vorgestellt, für den das Lernen und Eintauchen in den Text der Tora „die eigentlich spirituelle Übung“ ist. Indem sich der Mensch den Prinzipien des Religionsgesetzes unterwirft, wird er zu Gottes Mitschöpfer in der Welt. (83) Rutishauser ist überzeugt, dass sich zwischen halachischer Frömmigkeit und ignatianischer Spiritualität viele Ähnlichkeiten entdecken lassen. „Lässt sich der halachische Mensch durch die Gebote formen, so gleicht sich der ignatianische Mensch dem Christus der Schrift an. Die Offenbarung, in beiden Glaubensgemeinschaften durch Bibel und Tradition vermittelt, ist das notwendige Gegenüber für die persönliche religiöse Erfahrung.“ (85) Hier wäre freilich zu bemerken, dass in der formalen Ähnlichkeit beider Größen zugleich die umso größere inhaltliche Verschiedenheit beider Spiritualitäten deutlich wird.

Im kurzen Nachwort vergleicht Rutishauser Sabbat und Sonntag miteinander und plädiert trotz aller inhaltlicher Differenzen beider Traditionen, dass der beste Ort des Gedenkens im Übergang von Sabbat zum Sonntag gegeben sei. „Mein Traum ist es seit langem, hier eine kleine Liturgie, gespeist aus der Eigenart beider Traditionen, zu feiern als sichtbares Zeichen der Verbundenheit von Juden und Christen.“ (89)

Die Bedeutung dieses Büchleins liegt in seiner Programmatik, von der her sich die vom Orden vertretene ignatianische Spiritualität in all ihren Formen prägen lassen soll. Doch programmatische Überlegungen haben es an sich, dass sie in vielen Punkten nach Ergänzung und Vertiefung rufen. Die Literaturauswahl ist spärlich geblieben, die Anmerkungen allzu knapp. Es wäre aber schon sehr viel erreicht, wenn das vom Verfasser Dargelegte zur allgemeinen Grundlage ignatianischer Spiritualität gemacht würde. Insofern kann das Büchlein allen empfohlen werden, denen das jüdisch-christliche Verhältnis nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch in der spirituellen Praxis am Herzen liegt.


Rezensent:
Josef Wohlmuth



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