Katharina Peetz
Bericht von der Generaldebatte der 23. Tagung des Schwerter
Arbeitskreises Katholizismusforschung zum Thema „Katholizismus und
Widerstand im Nationalsozialismus“ (15.11.2009)
Vom 13.11.2009-15.11.2009 fand unter der Leitung von Dr. Andreas Henkelmann und Dr. Nicole Priesching die 23.
Tagung
des Schwerter Arbeitskreises für Katholizismusforschung in der
Katholischen Akademie Schwerte statt. Acht
Nachwuchswissenschaftler/innen konnten ihre aktuellen
Forschungsprojekte in einem ca. 30-minütigen Vortrag
präsentieren und anschließend mit den übrigen
Tagungsteilnehmern diskutieren. Das Themenspektrum reichte dabei von
Einblicken in "das Katholische Krankenhauswesen im Ruhrrevier
1880-1914" (Arne Thomsen, Bochum),
über die "Vatikanische Ostpolitik: Die Beziehungen
zwischen dem Heiligen Stuhl und der DDR" (Marco Paolino, Viterbo) bis hin zu
der
politikwissenschaftlich orientierten Frage nach "Religion in der
demokratischen
Öffentlichkeit: Die deutschen Katholikentage seit 1978" (Claudio Kullmann, Köln).
Daneben
gab es auch Beiträge die schon thematisch in die Generaldebatte
überleiteten
– so z.B. der Vortrag von Thomas
Forstner
über "Formen von Verfolgung und Widerstand während des
Nationalsozialismus
am Beispiel der Erzdiözese München und Freising". In der am
Sonntag
stattfindenden Generaldebatte wurden zunächst drei
20-minütige
Statements zum Thema "Katholizismus und Widerstand im
Nationalsozialismus"
präsentiert, die als Impulse für die anschließende
Diskussion
dienten.
In einem ersten Statement plädierte Dr. Antonia Leugers (München)
unter dem Titel "Neue Perspektiven und Forschungsdesiderate zum
Verhältnis katholische Kirche und Drittes Reich" für eine
konsequente Aufarbeitung der Forschungsgeschichte zum Verhältnis
katholische Kirche und Nationalsozialismus: „Es geht darum, Forscher
und ihre Schulen und Schülerschaft, die
Forschungsinstitutionen und deren Freiheit oder Gebundenheit in
inhaltlicher oder finanzieller Hinsicht für deren Publikationen
und die sie kranzförmig umgebenden und
stützenden Organe und Organisationen“ umfassend zu untersuchen.
Des
Weiteren forderte Leugers, dass die Diskussionen um Wissen, Schweigen,
Amtspflicht,
Schuld und Versagen ausschließlich auf Grundlage der Quellen bis
1945
geführt werden sollten. Um zu verhindern, dass die Diskussion
stagniere, müssten diese Themen aus den interessegeleiteten
Nachkriegsdiskursen
herausgelöst werden. Diese Strategie verfolgt Leugers konsequent
mit
ihrem aktuellen Forschungsprojekt "Katholische Kriegsfriedensdiskurse
1914-1945",
das in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München
durchgeführt
werden wird. Schon jetzt zeige sich, dass der Kriegsdiskurs nicht nur
während der beiden Weltkriege, sondern auch in der
Zwischenkriegszeit den privaten
und öffentlichen Raum dominierte und so dem Friedensdiskurs seinen
Stempel
aufdrückte.
Prof. Joachim Kuropka
(Vechta) verdeutlichte in seinem Statement "Formen des
Widerstands im Katholizismus" zunächst anhand zweier Beispiele,
dass die „…Einordnungskriterien für das, was als Widerstand
betrachtet wird, sich in der Geschichte der Widerstandsforschung und
ihrer methodischen Zugänge…“ gewandelt haben. Daran
anschließend wandte er sich der Frage zu, in welchem Ausmaß
oppositionelle Handlungen von Katholiken und Kirche als Widerstand
betrachtet werden können.
Auffällig ist nach Kuropka, dass in diesem Kontext die aktuelle
Forschung
die Bewertung oppositioneller Handlungen durch das NS-Regime
vernachlässige.
Oftmals werde behauptet, dass die Sicherheitsbehörden des Regimes
in
ihren Berichten alle oppositionellen Regungen (steigender
Kirchenbesuch,
steigende Beteiligung an Wallfahrten und religiösen Kundgebungen -
auch von Kommunisten -, Intensivierung der Seelsorge…) überwertet
hätten,
um die eigene Bedeutung zu unterstreichen. Kuropka plädierte
dafür,
diese Berichte und das darin sichtbar werdende Spektrum von
Widerstandsformen
im Katholizismus stärker zu berücksichtigen, zumal mit den
Deutschland-Berichten der Sozialdemokratischen Partei eine Art
„Kontrollquelle“ vorliege. Darin würden die Katholiken
beispielsweise im Februar 1937 als „ die geschlossenste
Oppositionsgruppe, die es zurzeit in Deutschland gibt“ bezeichnet. Dass
das Widerstandspotential des Katholizismus ernst genommen wurde, zeige
sich auch an dem kirchenpolitischen Versuch, christliche Werte
beispielsweise in Schulungslagern in Richtung NS-Weltanschauung
umzuformen. Dabei bedeutete ,,die Bewahrung der christlichen Werte“
nach Kuropka eine „dauernde Infragestellung der Legitimität des
Regimes“ und damit auch eine Gefährdung seiner Machtgrundlagen.
Das Statement "Schweizer Katholizismus zur Zeit des
Nationalsozialismus: Nationalismus – Antisemitismus – Endzeitstimmung"
von Dr. Franziska Metzger (Fribourg)
kann als Plädoyer für einen
„verschränkungsgeschichtlich“ orientierten Zugang zum Thema
Katholizismus und Nationalsozialismus verstanden werden. Metzger
betonte dabei, wie wichtig es sei, die Komplexität
von Forschungszugängen in methodologischer und theoretischer
Hinsicht
zu erhöhen. Eine solche Komplexitätserhöhung könne
vor
allem dadurch erreicht werden, dass Selbstbeschreibungen der Zeit,
relevante
Diskurse und deren Verschränkungen konsequent aufeinander bezogen
würden. So werde mit dieser Methode z.B. die Frage beantwortet,
welche Diskursmechanismen in den Selbstbeschreibungen der Zeit wirksam
wurden und ob Umdeutungen des eigenen Verhältnisses zum
Nationalsozialismus stattfanden. Relevante Diskursfelder für die
Schweiz seien dabei vor allem die Bereiche Religion und Nation, geistige
Landesverteidigung, Überfremdung in Verschränkung mit
Antisemitismus und Antijudaismus, Krisensemantik und Endzeitstimmung. Diese
Diskursfelder seien in hohem Maße miteinander verbunden. Das
Diskursfeld geistige Landesverteidigung in Selbstbeschreibungen aus der
Zeit
des Zweiten Weltkriegs könne beispielsweise sowohl mit
pro-nationalsozialistischen als auch mit anti-nationalsozialistischen
Diskursen verschränkt sein. Im ersteren Fall werde unter
Einbeziehung
des Diskursfeldes Überfremdung
und
Antisemitismus/Antijudaismus die Schweiz als auserwählte,
sich
nach außen abschließende Nation dargestellt, wobei Juden
nicht
als Teil dieser Nation betrachtet würden. Im letzteren Fall werde
ebenfalls
das Auserwähltsein der Schweiz als Nation und moralische
Gemeinschaft
betont, allerdings unter Einbeziehung des Symbols „Gotthard“ als
Fluchtpunkt
bzw. Ausgangspunkt für die Rettung Europas vor dem
Nationalsozialismus.
Abschließend betonte Metzger, dass es bei der Analyse der
Diskurse
hilfreich sei, die Zwischenkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit in den
Blick
zu nehmen.
In der auf diese drei Statements folgenden Generaldebatte wurden vor allem folgende Punkte diskutiert:
1. Welche Konzeptionen des Widerstandsbegriffs sind
weiterführend bzw. problematisch?
In methodischer Hinsicht wurde neben der grundsätzlichen Überlegung, ob eher ein weiter oder ein enger Widerstandsbegriff heranzuziehen sei, betont, dass dem Bereich der Kollaboration von der Forschung bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Habe man einen sehr weiten Widerstandsbegriff, müsse auch der Gegenbegriff Kollaboration weit gefasst werden. Dann dürften aber auch Schüsse an der Front von katholischen Reichswehrmitgliedern nicht einseitig auf Zwänge zurückgeführt werden, sondern seien erklärungsbedürftig und letztlich eine Form von Kollaboration. Vor diesem Hintergrund wurde dafür plädiert, das feine Instrumentarium zur Einordnung verschiedener Widerstandsformen, wie z.B. Punktuelle Unzufriedenheit - Resistenz - öffentliche Disloyalität - Aktiver Widerstand um das Gegenbild zu ergänzen: punktuelle Zufriedenheit - Anpassung/Kooperation - Konsens/Loyalität - Aktive Partizipation.
Auf der inhaltlichen Ebene wurde angeregt für die NS-Zeit noch stärker die Inhalte von Predigten heranzuziehen. So seien Predigten immer auch Zeitdiagnosen. Es stelle sich die Frage, welche Zeitdiagnosen sich gerade in Predigten aus den ersten Jahren des Nationalsozialismus fänden. Es müsse im Einzelnen entschieden werden, ob es sich bei Warnungen vor dem Neuheidentum oder der Gefahr des Bolschewismus schon um Widerstand handele. Hierzu wurde kritisch angemerkt, dass Predigten gegen das Neuheidentum nicht erst seit 1933 gehalten wurden, so dass hier nicht zwangsläufig eine versteckte Kritik am Nationalsozialismus herausgelesen werden müsse. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob und inwieweit die Berichte der NS-Sicherheitsbehörden tatsächlich das Potential des katholischen Widerstands überbewerten.
2. Kritisiert wurde die in einigen Publikationen auftretende Gegenüberstellung der Opferzahlen. Dahinter stehe der Versuch, dem Katholizismus als ganzem Milieu Schuld zuzuschreiben bzw. das gesamte Milieu von Schuld freizusprechen. Jedoch sei es fraglich, ob der Katholizismus im Nationalsozialismus überhaupt als geschlossenes Milieu betrachtet werden dürfe – vielmehr zeichneten sich in diesem Kontext Interaktionen zwischen unterschiedlichen, vielschichtigen Gruppierungen ab. Gleichzeitig gehe es darum, stärker zu spezifizieren, was NS-Kirchenpolitik überhaupt heiße und was ihre zentralen Themen gewesen seien. Kontrovers diskutiert wurde die Aussage, dass die NS-Kirchenpolitik hauptsächlich auf eine konsequente geistige Umpolung der Menschen weg vom Christentum hin zur NS-Ideologie gezielt habe. So betonte ein Teilnehmer, dass es hierbei eher um eine grundsätzliche Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens innerhalb der deutschen „Volksgemeinschaft“ gegangen sei.
Gegen die Vorstellung eines geschlossenen katholischen Milieus wurde betont, dass sich die Katholiken gegenüber dem Nationalsozialismus vor allem in seiner Anfangsphase inkohärent verhalten hätten. Während die Thesen Alfred Rosenbergs mehrheitlich abgelehnt worden seien, hätten einige Katholiken die Durchsetzung der „Volksgemeinschaft“ nicht in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund müssten die diskursiv-inhaltlichen Überschneidungen zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus im Hinblick auf Kriegserlebnisse oder „Volksgemeinschaft“ stärker in den Blick genommen werden, da gerade diese Überschneidungen die Segmentierung des Katholizismus bewirkt hätten. Auch sei es sinnvoll, auf der Suche nach dem Spektrum von Anpassungen des Katholizismus die Zeit der Weimarer Republik zu berücksichtigen. Bei Untersuchungen hinsichtlich der Breite des katholischen Milieus werde hierbei deutlich, dass es schon damals innerhalb des Katholizismus unterschiedliche Positionen gab, die 1933 nicht einfach vereinheitlicht wurden.
3. Des Weiteren wurde auch die Forderung laut, verstärkt über die eigene Forschungsgeschichte auf einer Metaebene nachzudenken. Dazu sei eine sachliche Aufarbeitung der eigenen Forschungsvergangenheit ebenso nötig wie ein sachgemäßer Umgang mit Quellen. Grundsätzlich zeige der Blick auf die Forschungsgeschichte, dass die Quellen bis 1945 und die Quellen und Interpretationen der Zeit nach 1945 nicht streng genug auseinandergehalten würden. Vor dem Hintergrund einer diesbezüglich schärferen Trennung sollten Themengebiete wie Widerstand, Wissen, Schweigen, Amtspflicht, Schuld und Versagen neu verhandelt und diskutiert werden.
4. Welche methodischen Erweiterungen können die
Forschung zum Themenkomplex „Katholizismus und Widerstand im
Nationalismus“ voranzutreiben? Forschungen im Bereich
Katholizismus und Widerstand sollten nach Meinung vieler Teilnehmer in
der Zukunft auf die Langzeitperspektive setzen, sowie neue
Quellen und neue Gruppen in den Blick nehmen. Ziel sei dabei eine
Vielfalt der Methoden, die z.B. durch die Untersuchung der
Verschränkungen der Diskursebenen erreicht werden könne. Auch
sollten Transferprozesse und transnationale Prozesse stärker in
den Blick genommen werden.
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