Beate Rossié
„Christenkreuz und Hakenkreuz“ Eine Ausstellung und eine begleitende Publikation zu Kirchenbau und sakraler Kunst im Nationalsozialismus
Wenig bekannt und für die meisten Menschen
überraschend ist
die Tatsache, dass in der Zeit des Nationalsozialismus eine Vielzahl
von
Kirchen errichtet wurde. Darunter waren monumentale Bauwerke bekannter
Architekten. Auch in der kirchlichen Kunst gab es damals eine intensive
Produktivität, wie großformatige Altarbilder, umfangreiche
Wand- und Deckenfresken sowie aufwendig gestaltete Taufsteine, Kanzeln
und Kirchenfenster belegen. Nicht selten lassen diese sakralen Bauten
und Kunstwerke NS-spezifische
Ausdrucksformen erkennen.
Dieser Thematik widmet sich die Wanderausstellung „Christenkreuz und
Hakenkreuz. Kirchenbau und sakrale Kunst im Nationalsozialismus“,
erarbeitet von den
Autorinnen Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus und Beate
Rossié,
der Verfasserin dieses Beitrags. Im Rahmen der Ausstellung werden
erstmals
Zahlen über den Kirchenbau der NS-Zeit in ganz Deutschland
vorgelegt.
Wie eine umfassende Recherche insbesondere bei Landeskirchlichen und
Bistums-Archiven ergab, wurden zwischen 1933 und 1944 in Deutschland
mehr als 1000 Kirchenbauten
beider Konfessionen neu errichtet oder umgestaltet. Über 560
Kirchen
wurden neu erbaut, mehr als 450 umgestaltet, häufig in
gravierender
Weise. [1] Aus dieser
großen
Zahl wurden signifikante Beispiele für sakrale Bauten und
Kunstwerke mit NS-spezifischen Charakteristika ausgewählt, die nun
in der Ausstellung zu sehen sind.
Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Baustile, die in der NS-Zeit
verbreitet waren und ideologische Inhalte transportierten. Im
Kirchenbau
jener Zeit häufig zu finden war etwa der romanisierende Stil, der
sich
besonders für zeitspezifisch nationalistische und militaristische
Interpretationen
eignete. Als Beispiel wird die 1938 fertig gestellte
Reformations-Gedächtniskirche
in Nürnberg gezeigt, ein Zentralbau im Rundbogenstil mit drei
starken
Türmen. Sie hat den Charakter eines wehrhaften Kastells und galt
dem Architekten Gottfried Dauner als „Ausdruck unserer heutigen,
herben, kämpferisch-heldischen Zeit“. [2] Wie ein traditionelles
niedersächsisches Bauernhaus dagegen wirkt die Lutherkirche in
Hamburg-Wellingsbüttel, 1937 nach dem Entwurf der Architekten
Bernhard Hopp und Rudolf Jäger errichtet. Mit ihrer geziegelten
Außenfassade und den Fachwerk-Emporen entspricht sie dem so
genannten „Heimatschutz-Stil“, dessen Vertreter eine
„bodenständige“ Bauweise postulierten. Die Lutherkirche wurde ganz
im
Sinne der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie gestaltet:
Ihre
Fassade ist mit altgermanischen Runen geschmückt, unter denen sich
nicht
nur die so genannte „Fruchtbarkeitsrune“ befand, die in vielen
NS-Emblemen verwendet wurde, sondern auch das Hakenkreuz.
Außerdem zeigt die Schau Beispiele für Sakralbauten im
neoklassizistischen Stil, der ansonsten eher repräsentativen
Staats- und Parteibauten vorbehalten war, sowie Beispiele für
Kirchen im Kontext des NS-Siedlungsbaus.
Einen weiteren Fokus richtet die Ausstellung auf sakrale Kunst, die
NS-Prägungen aufweist. Hier lassen sich verschiedene Ansätze
heraus arbeiten. Zum einen wurden christliche Motive mit
nationalsozialistischer Ideologie aufgeladen: So erschienen
Heiligenfiguren nun überwiegend als Kämpfer und
Helden, wie beispielsweise die martialische Darstellung des Hl. Michael
an der ehemaligen Garnisonskirche des kleinen niedersächsischen
Ortes
Faßberg bezeugt. Auch das Christusbild der damaligen Zeit wurde
einer
extremen Heroisierung unterzogen. Vor allem die „Deutschen Christen“
propagierten
einen „heldischen“ Jesus. Auf zahlreichen Altarbildern dieser Zeit wird
Christus als gewaltige, athletische Gestalt wiedergegeben, häufig
auch
mit vermeintlich „arischen“ Merkmalen wie blondem Haar und blauen
Augen.
In der Ausstellung ist das Beispiel eines Auferstehungsfreskos mit
hünenhaftem
germanischem Christus zu sehen, das der Maler Heinrich Brüne 1938
für
die Münchner Dreieinigkeitskirche geschaffen hat. Auch die
Skulptur
„Auferstehender“ in der mit Mitteln des Ministeriums für
Wissenschaft,
Erziehung und Volksbildung 1935 bis 1937 umgestalteten gotischen
Dorfkirche
im uckermärkischen Strasburg weicht in Physiognomie und Haartracht
von
der traditionellen Ikonographie ab. Der Bildhauer Günther Martin
war
zur damaligen Zeit für seine überlebensgroßen
Skulpturen
bekannt, die als Verkörperungen des „nordischen Menschen“ galten.
Zum anderen drang selbst die nationalsozialistische Bildwelt in den
kirchlichen Raum vor. So wurden NS-Propagandamotive in
Kirchenräumen zur Schau
gestellt, wie die Ausstellung anhand der monumentalen Skulpturengruppe
„Deutsche
Familie“ des Bildhauers Otto Flath deutlich macht. Die
überlebensgroßen, mittelalterlich anmutenden Figuren
exponierte man auf dem Altar der 1937
errichteten Lutherkirche in Lübeck. Blanker Antisemitismus geht
aus
einem Altarfresko in der Offenbacher Lutherkirche hervor. Die 1935
entstandene
Kreuzigungsdarstellung zeigt einen der Schächer neben Christus in
der
Art der aggressiven judenfeindlichen Karikaturen im antisemitischen
Hetzblatt
„Der Stürmer“. Die NS-spezifische Gestaltung dieser beiden
Lutherkirchen
ging auf den Einfluss der „Deutschen Christen“ zurück: Sowohl die
Pfarrer
der zwei Kirchengemeinden als auch die Landesbischöfe der
jeweiligen Landeskirchen waren DC-Vertreter. Adolf Hitler selbst
übersandte eine
Spende für die Wandbilder in der Vorhalle der Offenbacher Kirche.
Wie
die Ausstellung weiterhin dokumentiert, war sogar die Wiedergabe
uniformierter
Parteigenossen und nationalsozialistischer Symbole im sakralen Bereich
kein
Tabu. In einer Ingolstädter Aussegnungshalle etwa bildeten ein
SA-,
ein SS- und ein Reichsarbeitsdienstmann ganz im Sinne des
nationalsozialistischen Opferkults die Spitze eines Totentanz-Freskos.
An der Gestaltung der 1935 fertig gestellten
Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf sind nahezu
alle Aspekte einer von NS-Ideologie beeinflussten sakralen Kunst
ablesbar. Diese Kirche wird in der Schau ausführlicher
vorgestellt. Hier findet man den heroischen Christus als Altarkreuz.
Taufe und Kanzel sind nicht nur mit dem Propagandamotiv der deutschen
Mutter in der NS-spezifischen Ikonographie, sondern auch mit Portraits
von SA-Männern geschmückt. In dem monumentalen, mit
keramischen Reliefplatten verkleideten Triumphbogen wurden christliche
und nationalsozialistische Zeichen systematisch miteinander
verknüpft. Heute noch zu sehen sind dort Reliefköpfe von
SA-Männern und deutschen Frontsoldaten. Entfernt wurden nach 1945
nur die Hakenkreuze, das NS-Hoheitszeichen und das Emblem der
NS-Volkswohlfahrt. Wegen dieser besonders starken
nationalsozialistischen Prägung und
der Bandbreite ihrer NS-spezifischen Gestaltung schlugen die Autorinnen
der Ausstellung „Christenkreuz und Hakenkreuz“ bereits 2006 in einem
Gutachten
für das Kirchliche Bauamt über die
Martin-Luther-Gedächtniskirche
vor, hier eine Dokumentationsstätte für kirchliche
Architektur
und Kunst der NS-Zeit einzurichten.
Die in diesem Text erwähnten und andere Beispiele dokumentiert die
Ausstellung „Christenkreuz und Hakenkreuz“ auf fünfzig leichten
Bild-Text-Fahnen in deutscher und englischer Sprache. Gestaltung und
Entstehungsgeschichte der einzelnen Kunstwerke und Kirchenbauten werden
dargelegt, die ausführenden Künstler vorgestellt. Jedes
Beispiel wird durch aktuelle und historische Aufnahmen dokumentiert.
Die Ausstellung wurde erstmalig in der Gedenkstätte Deutscher
Widerstand in Berlin im ersten Halbjahr 2008 gezeigt. Von Januar bis
März 2009 war sie in der Galerie der Deutschen Gesellschaft
für christliche Kunst in München zu sehen. Vom 28. Mai bis
zum 30. Juni
2009 wird sie unter der Schirmherrschaft des Braunschweigischen
Landesbischofs in der dortigen Brüdernkirche Station machen.
Weitere Ausstellungs-Stationen sind in Planung.
Im Oktober 2008 erschien das Katalogbuch zur Ausstellung ebenfalls
unter dem Titel „Christenkreuz und Hakenkreuz. Kirchenbau und sakrale
Kunst im
Nationalsozialismus“, herausgegeben von Stefanie Endlich, Monica
Geyler-von
Bernus und Beate Rossié. [3]
Es enthält die vollständige Dokumentation der Ausstellung
sowie vertiefende Beiträge von Johannes Tuchel
(Nationalsozialismus und christliche
Kirchen), Holger Brülls (Kirchenbau im Nationalsozialismus), Beate
Rossié
(Kirchliche Kunst im Nationalsozialismus), Stefanie Endlich (Formen des
Umgangs
mit nationalsozialistischen Bauten und Kunstwerken), Manfred Gailus
(Protestantismus
und Nationalsozialismus aus rezeptionsgeschichtlichem Blickwinkel) und
Lucia
Scherzberg (Das kirchenreformerische Programm katholischer
pro-nationalsozialistischer
Theologen).
Ausstellung und Publikation stoßen auf großes Interesse.
Das spiegeln die Besucherzahlen, Ausstellungs-Anfragen,
Buchverkäufe und die Resonanz in Öffentlichkeit und Medien.
An den Reaktionen wird deutlich, dass hier ein wenig beachtetes Thema
öffentlich gemacht wurde. So schrieb Bernhard Schulz im Berliner
Tagesspiegel vom 20. April 2008, die Ausstellung habe „Erstaunliches
zutage gefördert“. Und im Besucherbuch hieß es, die
Ausstellung erinnere „an ein weitgehend verdrängtes Kapitel
der Kirchengeschichte“.
[1] Die
Zahlen beruhen auf Recherchen bei Landeskirchlichen und
Bistums-Archiven, bei Denkmalämtern und kirchlichen Bauämtern
sowie in zeitgenössischen Dokumenten
und Zeitschriften. Die Recherchen sind noch nicht abgeschlossen. Die
Autorin
bereitet ein vertiefendes Forschungsprojekt zu dem Thema vor.
[2] Gottfried Dauner,
Reformationsgedächtniskirche! In: Maxfeld-Bote, Monatsblatt der ev.-luth. Gemeinde
Nürnberg-Maxfeld, 1. Jg., August 1934
[3] Stefanie Endlich,
Monica Geyler-von Bernus, Beate Rossié (Hrsg.), Christenkreuz und Hakenkreuz. Kirchenbau
und sakrale Kunst im Nationalsozialismus, Metropol Verlag Berlin
2008, 163 S., 19,- €, ISBN: 978-3-940938-12-1
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