theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Hans-Christian Roestel

„Calvinismus: Die Reformierten in Deutschland und Europa“ - Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin und der Johannes a Lasco-Bibliothek Emden (03. April bis 19. Juli 2009)






"Kelch", Stephanus Brozer, Klausenburg 1640
© Budapest, Ungarisches Nationalmuseum


Da er selbst auf die Kennzeichnung seines Grabes verzichtet hat, ist es heute sehr schwierig zu sagen, wo Johannes Calvin (eigtl. Jean Cauvin) nach seinem Tod am 27. Mai 1564 in Genf beigesetzt worden ist. Auf dem Genfer Friedhof Cimentière des Rois findet sich eine Gedenktafel.

Geboren wurde der Kirchenreformator, dessen Theologie sich streng an der Bibel und Prämissen wie Eigenverantwortung und Fürsorge orientiert, am 10. Juli 1509 im französischen Noyon. Seinen 500. Geburtstag nehmen das Deutsche Historische Museum Berlin (DHM) und die Johannes a Lasco-Bibliothek Emden zum Anlass einer gemeinsamen Sonderausstellung.

 

„Das Schiff der Kirche“, Jacob Gerritsz, Loef 1640/49 (zugeschrieben).
© DHM/Museum Catharijneconvent Utrecht.


So können auf einer Etage des Ausstellungsanbaus hinter dem Zeughaus, einem Entwurf des chinesischen Architekten I. M. Pei, rund 360 Exponate gezeigt werden: historisch bedeutsame Schriftstücke, Gemälde, liturgisches Gerät und andere Gebrauchskunst. Eine besondere Stellung nehmen aber auch Bibeldrucke und Gebetsliteratur ein. Das „Schiff der Kirche“ steht als Allegorie des Sieges der katholischen Kirche über Andersdenkende: Johannes Calvin feuert mit seinem Gewehr auf das Heck des Schiffes, andere Reformatoren wie Martin Luther, Jan Hus sowie einige Häretiker zitieren drohend, im Wasser treibend, aus ihren Schriften.

„Wir spannen einen weiten Bogen vom Spätmittelalter bis hinein ins 20. Jahrhundert. Allerdings wird die Ausstellung nicht chronologisch sondern thematisch gegliedert sein“, erklären Sabine Witt und Ansgar Reiß im Gespräch mit t.g. Gemeinsam haben die Historiker das Projekt kuratiert.

Während ein Bereich sich mit der Persönlichkeit Calvins und der Stadt Genf befassen wird, fokussieren die beiden anderen jeweils den Aspekt der „Staatlichkeit“ (Niederschlag der Religion in Staatsmodellen) sowie der territorialen Verbreitung des Calvinismus als evangelisch-reformiertem Glauben in Europa: Es werden besonders die Niederlande, die Region Ostfrieslands, die Schweiz, aber auch Ungarn als Zeugnis der Verbreitung in Osteuropa berücksichtigt.

Die Leihgaben werden von Gemeinden, Museen und Sammlungen in Deutschland und europäischen Nachbarländern wie den Niederlanden oder Ungarn zur Verfügung gestellt. Hierbei ist die Emdener Johannes a Lasco-Bibliothek mit rund 33 Stücken der größte einzelne Leihgeber. „Auch die Initiative zur Ausstellung war bereits 2006 von dieser Bibliothek ausgegangen“, erläutert Sabine Witt die Vorbereitungen. Im Wesentlichen würden Bücher und Gemälde, die das Fürsorgewesen in Emden beschreiben aber auch Porträts  A Lascos und Artefakte zum Demokratieverständnis wie Wahlurnen und Münzen zur Wahl des dortigen Presbyteriums gezeigt. „Was uns an Ostfriesland interessiert hat“, ergänzt die Kuratorin, „ist die Entwicklung zu einer kleinen aber sehr ausdrucksstarken Gemeinde“. Aus einer straffen Organisation und klein gehaltenen Hierarchien heraus habe man autonomes Handeln gegenüber dem herrschenden Geschlecht entwickeln können. „Die Modernität dieses Kirchenwesens zeigt sich auch heute in den USA, wo weitestgehend alle Gemeinden jenseits der katholischen Kirche autonom organisiert sind“, stellt Ansgar Reiß den unmittelbaren Bezug zur Gegenwart her und illustriert gleichzeitig, was die Gemeinde calvinistischer Prägung ausmacht.

Johannes a Lasco (1499-1560), Reformator polnischer Abstammung, war für die Entfaltung des vor allem unabhängigen ostfriesischen Kirchenwesens von Bedeutung: Auf ihn als Superintendent gehen noch heute bestehende Strukturen wie die Versammlung aller ostfriesischen Pastoren („Coetus“) oder der Kirchenrat zurück, in dem Prediger und Älteste gemeinsam die Angelegenheiten der Gemeinde bestimmen. Die Wirkung a Lascos liegt weiterhin in seinen manifesten Schriften wie der Kirchenordnung für die reformierten Gemeinden in London (1555).
In seiner Entstehungszeit hat der Calvinismus aufgrund der herrschenden weltlichen wie geistlichen Machtverhältnisse ungeheure Potentiale entwickelt. Was Ansgar Reiß so konkretisiert: „Spannend für die Reformierung und deren Publizistik ist, dass es lange keine rechtlich gesicherte Stellung gab, was letztlich auch die ungeheure Emigrierung, die Mobilität und auch publizistische Verbreitung erklärt“. Gezeigt werden Gemälde und Drucke, die den Glaubenskrieg der Niederlande gegen das habsburgisch-katholische Spanien im 16. und 17. Jahrhundert in einer Flut von Bildern umsetzten.

Die auch für Martin Luthers (1483-1546) dogmatische Umwälzung bedeutsame Bildpublizistik zeigt sich neben Einblattdrucken und Flugschriften vor allem in der Vielfältigkeit von Bibelausgaben und Bekenntnisliteratur (Exegese). Die Ausstellung zeigt hier niederländische, französische und englische Übersetzungen der Heiligen Schrift. Herausragend hier eine Ausgabe der „Geneva Bible“, einem Genfer Exildruck in englischer Sprache (Entstehung: 1560-1644). „Das ist die  Ausgabe, die die Pilgrimfathers mit nach Amerika nahmen“, erklärt Ansgar Reiß. „Bestimmende Sujets sind hier“, fügt Sabine Witt hinzu, „Motive von Exil und Flucht, die sich in der Illustration wieder finden: der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten oder die Geschichte um die Arche Noah“.
Der sich anschließenden Frage nach der praktischen Umsetzung der Theologie Calvins innerhalb der Gemeinden, also ihrer Rezeption, berücksichtigt die Ausstellung anhand des „Genfer Psalters“ und der verwandten Liederbuchliteratur nach.

Die Arbeit an dieser Liedersammlung, die den Prozess individualistischer Religionsausübung in Gebet, Andacht oder Hausmusik unterstützte, war um 1530 begonnen worden und fand ihr Ergebnis 1562 im Druck der Erstausgabe. Sabine Witt gibt einen Einblick in den Entstehungsprozess: „Rund hundert Druckereien waren an dem Projekt zur Verbreitung in Genf und Frankreich beteiligt. Ein Großunternehmen, das auf verschiedenen Schultern liegen musste, um gestemmt zu werden“. Druckorte waren beispielsweise Genf, Paris oder Lyon. 

An Bekenntnisschriften präsentiert die Ausstellung Ausgaben des „Heidelberger Katechismus“ (1563), der „Genfer Kirchenordnung“ (1541) oder des „Helvetischen Bekenntnisses“ (zuerst 1536).

Das Entscheidende an der Theologie Johannes Calvins ist, dass sie immer wieder aktualisiert wird,  in der jeweiligen Gegenwart neu formuliert und interpretiert wird: Hiervon legt die Bearbeitung Karl Barths aus dem Jahr 1934 als Sinnbild für den christlich motivierten Widerstand im Nationalsozialismus sowie der späteren DDR Zeugnis ab.
Zum Beschluss dieser Vorabbesichtigung jedoch soll der Blick noch einer Besonderheit gelten: Das Ungarische Nationalmuseum Budapest steuert einen prächtigen Goldpokal bei, dessen fein ziselierte Relief- und Emaillearbeiten dieses liturgische Gerät nicht in einem reformierten Umfeld vermuten ließen. Ein bedeutender Magnat stiftete das Gefäß in Erinnerung an die für die Reformierten Ungarns bedeutende Synode von Klausenburg (1541).

Die Ausstellung „Calvinismus – Die Reformierten in Deutschland und Europa“ wurde am 31. März 2009 eröffnet und läuft vom 1. April bis 19. Juli 2009 in der Ausstellungshalle („Pei-Bau“) des Deutschen Historischen Museums, Öffnung ist täglich 10-18 Uhr. Der veröffentlichte Katalog enthält auch die Beiträge des „Internationalen Calvin-Symposiums Berlin 2008“ (25 Euro, 448 Seiten, 350 überwiegend farbige Abbildungen, Buchhandelsausgabe: Sandkorn, Dresden 2009).

Zum  Autor:
Hans-Christian Roestel, geb. 1980, M.A., Journalist in Jork (bei Hamburg).

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