theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Kevin Spicer, Hitlers’s Priests. Catholic Clergy and National Socialism, Dekalb, Illinois: Northern Illinois University Press 2008, published in Association with the United States Holocaust Memorial Museum, 369 S., 34.95 $, ISBN 978-0-87580-384-5


Kevin Spicer hat in jahrelangen akribischen Recherchen, die ihn in kirchliche und staatliche Archive in ganz Deutschland führten,  vielfältige Informationen über die sog. „braunen“ Priester zusammengetragen. Im ausführlichen biographischen Anhang werden die wichtigsten Daten von 138 Priestern genannt, die Mitglied der NSDAP waren und/oder Hitler öffentlich in Wort und Schrift unterstützten. Von diesen waren 109 deutsche Welt- und 19 Ordenspriester; zehn stammten aus Diözesen außerhalb Deutschlands, aber wirkten zwischen 1933 und 1945 in Deutschland bzw. arbeiteten eng mit deutschen „braunen“ Priestern zusammen. 53 der 138 waren registrierte Mitglieder der NSDAP – hier wird jeweils auch das Datum des Eintritts angegeben - besonders interessant, wenn es vor 1933 lag. 42 waren promoviert, und 28 gaben ihr Priesteramt auf, um für den NS-Staat zu arbeiten, viele von diesen heirateten.

Das Buch beschäftigt sich (leider) nicht mit allen diesen Priestern, was sicherlich auch die Kräfte eines einzelnen Forschers überstiegen hätte, sondern mit einer engen Auswahl. Drei Kapitel zeichnen ein detailliertes und aufschlussreiches Bild über Philipp Haeuser, Anton Heuberger und Richard Kleine; zwei Kapitel beschäftigen sich mit den sog.  Alten Kämpfern, d.h. mit Priestern, die lange vor 1933 zur NSDAP gestoßen waren. Dazu gehören bekannte Namen wie Abt Alban Schachleiter, Josef Roth, der Leiter der katholischen Abteilung im Reichskirchenministerium und Lorenz Pieper, dazu noch Bernhard R. Stempfle, Christian Josef Huber, Magnus Gött und Johannes Müller. Eine kleinere Anzahl von Priestern, die mit Richard Kleine zusammenarbeiteten, wird im Kapitel über Kleine noch erwähnt: dazu gehören u.a. die prominenten Theologieprofessoren Karl Adam, Dogmatiker in Tübingen, Joseph Lortz, Kirchengeschichtler in Münster sowie Joseph Mayer, Moraltheologe in Paderborn, der in seinen Schriften positiv zur Eugenik Stellung genommen hatte.

Über die Darstellung individueller Fälle hinaus will Spicer eine Antwort auf die Frage geben, was katholische Priester zum Nationalsozialismus trieb, und generell die gesamte katholische Kirche hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Nationalsozialismus auf den Prüfstand stellen. Auch wenn die nationalsozialistischen Priester eine Minderheit innerhalb der katholischen Kirche bildeten, eröffne das Studium ihrer Motive und ihres konkreten Verhaltens einen Weg, auf dem die Reaktion der Kirche und ihrer Priester auf den Nationalsozialismus generell geprüft werden könne. Die Motive der „braunen“ Priester, den Nationalsozialismus zu unterstützen, waren unterschiedlich: Spicer nennt einen übersteigerten Nationalismus, den Wunsch, aus Konflikten mit den Kirchenoberen wegen des Zölibats, Alkohol oder anderen Ursachen herauszukommen, Antisemitismus u.a.  Für die Einschätzung der Haltung der Kirche allgemein tritt jedoch das Motiv des Antisemitismus in den Vordergrund: Spicer schließt sich hier der These David Kerckers an, dass der theologische, soziale und ökonomische Antisemitismus, der von der Kirche gefördert bzw. geduldet wurde, eine Grundlage für den breiteren rassistischen und eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten gebildet habe. Spicer formuliert dies im Blick auf die katholischen Priester und die katholischen Gläubigen so, dass der theologische Antisemitismus die Brücke zum rassistischen Antisemitismus gebildet habe.

Spicer kommt zu vielen äußerst interessanten Ergebnissen, die hier kurz präsentiert werden sollen. Besonders beeindruckend und auch beklemmend ist seine Schilderung der Auseinandersetzungen zwischen den „braunen“ Priestern und ihren kirchlichen Vorgesetzten. Es ist erstaunlich, wie häufig und wie lange von den Bischöfen die Unbotmäßigkeit ihrer Priester hingenommen wurde, ohne dass sie zu drastischen Disziplinierungsmaßnahmen griffen. Das Vorgehen gegen diese Priester war zwar sicherlich nicht einfach, und man muss vielen Bischöfen auch zugestehen, dass sie deren Haltung nicht billigten, aber häufig erscheint es so, dass der Antisemitismus oder die Befürwortung des Nationalsozialismus weniger das Problem waren als theologische oder disziplinäre Fragen. Dies arbeitet Spicer sehr schön z.B. am Fall Philipp Haeusers, Anton Heubergers oder auch Abt Schachleiters heraus.

Ähnliches gilt für die Zeit nach 1945. Viele der „braunen“ Priester kehrten nach einer gewissen Zeit in ein normales Dienstverhältnis zurück. Hier gibt es allerdings auch Beispiele für die Verhinderung einer bischöflichen Sanktion, wie den Versuch des Hildesheimer Bischofs Machens, Richard Kleine nicht mehr als Religionslehrer arbeiten zu lassen, der an dem Urteil der Entnazifierungsbehörde und an der Unterstützung Kleines durch Erzbischof Jaeger von Paderborn scheiterte. Besonders deutlich ist bei Haeuser und Kleine zu erkennen, dass sie zu keiner Zeit von einem Unrechtsbewusstsein hinsichtlich ihrer Haltung zum Nationalsozialismus geplagt wurden,  sondern dass sie ihre Überzeugungen bis zu ihrem Lebensende beibehielten.

Die meisten Priester hielten trotz ihrer Einstellung an ihrem Priesteramt fest und litten unter Sanktionen, wenn sie denn einmal verhängt wurden. Sie unternahmen alles, um eine Suspendierung vom priesterlichen Amt zu vermeiden, d.h. sie unterwarfen sich, wenn es gar nicht anders ging, um dann bei der nächsten Gelegenheit den bischöflichen Verboten wieder zuwider zu handeln. Dieses unbedingte Festhalten an der Ausübung des Priesteramtes setzte viele dieser Priester gewissermaßen zwischen alle Stühle: in ihren Diözesen und unter den Mitbrüdern waren sie nicht wohl gelitten, und die Nationalsozialisten begegneten ihnen insbesondere nach der Machtübernahme mit Misstrauen, was vor allem die „Alten Kämpfer“ sehr verdross, weil ihre Verdienste um die „Bewegung“ nicht gewürdigt wurden. Im Zweifelsfall war bei den Nationalsozialisten der Antiklerikalismus stärker.

Besonders auffallend ist das ungeheure Sendungsbewusstsein, das die von Spicer geschilderten Priester entwickelten. Sie hielten sich für Propheten, von denen das Schicksal ihrer Kirche abhing; sie glaubten, zu Höherem berufen zu sein, als sie tatsächlich in ihren kirchlichen Karrieren realisieren konnten. In ihren theologischen Arbeiten entwickelten sie, wie man das bereits von Karl Adam kennt, ein heroisches, männliches und soldatisches Christusbild und plädierten für eine Entfeminisierung des Christentums; Haeuser ging sogar soweit, Hitler mit Jesus Christus zu vergleichen. Viele bemühten sich um eine Ökumene auf völkisch-nationaler Grundlage (bes. Kleine, Schachleiter, Johannes Müller) und betonten die Einheit der Deutschen als Volksgemeinschaft unter Ausschluss der Juden (bes. Kleine, Roth).

Ein übersteigerter Nationalismus,  Nähe zum „völkischen“ Denken und ein ausgeprägter Antisemitismus finden sich bei allen „braunen“ Priestern. Dennoch gibt es signifikante Unterschiede, die Spicer sehr gut herausarbeitet, die seine These vom theologischen Antisemitismus als Brücke zum rassistischen aber nicht unbedingt bestätigen. Philipp Haeuser war ein glühender Antisemit, was schon in seinen frühesten Arbeiten deutlich wird; er lehnte jedoch den rassistischen Antisemitismus ab, sprach sich auch deutlich dagegen aus, und ein getaufter Jude war für ihn kein Jude mehr. Überhaupt stand er der Behauptung einer Überlegenheit aus dem „Blut“ skeptisch gegenüber.  Bei Richard Kleine ist es eher umgekehrt: für ihn spielte schon immer das „Blut“ die entscheidende Rolle; Juden gehörten schon in seinen frühesten Schriften nicht zur deutschen „Volksgemeinschaft“, wurden seiner Überzeugung nach auch durch die Taufe nicht wirklich verändert und sollten deshalb als „Judenchristen“ von den anderen Christen separiert werden. Es hat eher den Anschein, als habe er den theologischen Antisemitismus nachträglich zur Rechtfertigung seines Rassismus gebraucht. Anton Heuberger schließlich ist der Prototyp des verhinderten Genies – seine Hinwendung zum Nationalsozialismus ist klar motiviert durch die tatsächliche oder scheinbare Verkennung seiner Talente durch seine Vorgesetzten. Die Untersuchung der „braunen“ Priester gibt einen bedrückenden Einblick in die Verfassung der katholischen Kirche, vor allem ihres theologisch motivierten Antisemitismus und der daraus resultierenden Handlungsunwilligkeit im Blick auf die Judenverfolgung, sowie die Unfähigkeit, sich gegen die „braunen“ Priester durchzusetzen. Die katholische Kirche für den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten verantwortlich zu machen, gibt die Studie allerdings nicht her – hier scheint sich Spicer auf eine These festgelegt zu haben und nicht wirklich die Ergebnisse seiner Recherchen heranzuziehen.

Zum Umgang mit den Quellen ist folgendes anzumerken: Spicer hat eine Unmenge an Material in eindrucksvoller Weise bearbeitet, an einigen Stellen stützt er sich jedoch für sensible Informationen auf Quellen, die bereits Interpretationen enthalten, d.h. Gedächtnisprotokolle, bei Briefen auf die Gegenüberlieferung oder auf Texte, die aus der Retrospektive entstanden sind, ohne dies deutlich zu machen. Beim Lesen des Fließtextes entsteht der Eindruck, man habe es mit Originalzitaten zu tun. Z.B. zitiert Spicer eine Verwarnung des damaligen Generalvikars Michael Buchberger gegenüber Joseph Roth, dieser solle sich zurückhalten, weil ein bedeutendes Mitglied der Jüdischen Gemeinde gedroht habe, andernfalls nichts mehr für katholische Wohlfahrtseinrichtungen zu spenden, nach den Memoiren „Mein deutsches Ringen und Werden“ von Philipp Haeuser. Ein Brief des Generalvikars Eberle von Augsburg auf Geheiß Bischof Kumpfmüllers und ein Gespräch zwischen Eberle und Haeuser werden ebenfalls mit vielen wörtlichen Zitaten nach Haeusers Memoiren  wiedergegeben.  Von einem hochbrisanten Gespräch zwischen Richard Kleine, Erzbischof Lorenz Jaeger von Paderborn und dem mecklenburgischen Landesbischof Walther Schulz existiert im Nachlass Kleine nur ein Gedächtnisprotokoll, das von Kleine nach dem Treffen angefertigt wurde. Spicer erwähnt zwar, dass es sich um Notizen Kleines handelt, erweckt aber durch die wörtlichen Zitate den Eindruck, als habe sich das Gespräch genau so abgespielt.  Alle Zitate sind zudem ins Englische übersetzt, ohne dass das deutsche Original in Fußnote oder Anhang zugänglich ist; man kann die Übersetzung also nicht am Original überprüfen.

Durch den biographischen Anhang, die Fotografien, das ausführliche Register und die Quellenangaben lässt sich sehr gut mit dem Buch arbeiten. Die äußere Aufmachung ist ansprechend, abgesehen davon, dass jeder Kapitelanfang mit einem riesigen Hakenkreuz „verziert“  ist – das muss dann vielleicht doch nicht sein.

Eine Übersetzung des Buches ins Deutsche wäre wünschenswert.


Rezensentin:
Lucia Scherzberg


 

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