theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

1. Anton Grabner-Haider / Peter Strasser, Hitlers mythische Religion. Theologische Denklinien und NS-Ideologie, Wien/Köln/Weimar (Böhlau-Verlag), 2007, 207 S., 29.90 Euro, ISBN: 978-3-205-77703-8

2. Rainer Bucher, Hitlers Theologie, Würzburg (Echter-Verlag), 2008, 228 S., 16.80 Euro, ISBN: 978-3-429-02985-2


Der Gegenstand beider Bücher ist die Bedeutung der Religion und der Theologie für die Weltanschauung und das politische Handeln Adolf Hitlers.

Von den hunderten Büchern über Adolf Hitler gab es vor den hier zu rezensierenden Büchern nur vier Monographien, deren Gegenstand der religiöse Gehalt der Weltanschauung Hitlers ist. 1968 erschien eines der Hauptwerke von Friedrich Heer (1916-1983): „Der Glaube des Adolf Hitlers. Anatomie einer politischen Religiosität“ (752 Seiten). Die gehaltvolle und brillant geschriebene Untersuchung des zu seiner Zeit berühmten Historikers, Publizisten, Dramaturgen und Schriftstellers, der auch an der Universität Wien lehrte, führte zu keinem Diskurs in der allgemeinen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Von 1970 bis 1974 wurde das von dem protestantischen Pfarrer Wolfgang Hammer verfasste dreibändige Werk „Adolf Hitler – Ein Dialog mit dem Führer“ (Bd. 1: „Adolf Hitler - ein deutscher Messias?“; Bd. 2: „Adolf Hitler – der Tyrann der Völker“; Bd. 3: „Adolf Hitler – ein Prophet unserer Zeit?“) publiziert. Die hervorragende Qualität dieses Werkes besteht in der sorgfältigen Interpretation der zitierten Texte von Adolf Hitler. Vielleicht wurde es gerade deshalb in den Feuilletons und der Forschung nicht rezipiert. Erst 27 Jahre später kam „Hitlers Gott. Vorsehungsglaube und Sendungsbewusstsein“ (2001) von Michael Rissmann, „studierter Historiker und Journalist“ auf den Markt. „Hitlers Religion. Die fatale Heilslehre des Nationalsozialismus“ von Michael Hesemann, ebenfalls studierter Historiker und Publizist, wurde 2004 veröffentlicht. Hingegen sind die Autoren der hier zu besprechenden Bücher Professoren. Anton Grabner-Haider studierte katholische Theologie und lehrt Religionsphilosophie an der Universität Graz. An derselben Universität lehrt Rainer Bucher. Er ist Professor und Leiter des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie.


Beginnen möchte ich die Besprechung mit dem Buch von Anton Grabner-Haider.

Anton Grabner-Haider hat sich wesentlich mehr vorgenommen als nur die „mythische Religion“ zu untersuchen. Statt sich mit dem im Haupttitel angegeben Thema, nämlich Hitlers mythischer Religion, intensiv auseinanderzusetzen und zu spezifizieren, was er unter dem Ausdruck „mythische Religion“ versteht, beschäftigt er sich darüber hinaus ausgiebig mit den im Untertitel angeführten so genannten „Denklinien“, die nach seiner Auffassung zur NS-Ideologie führen. Gleich im zweiten Satz der Einleitung führt er dazu aus, Hitlers „mythische Religion“ habe „eine lange Entstehungsgeschichte“, und fasst viele Denklinien zusammen. Dazu gehört der Kampf gegen die Zielwerte der europäischen Aufklärung. … Nun wurde dieser Kampf gegen die freie Entfaltung der kritischen und lernenden Vernunft schon im ganzen 19. Jahrhundert von vielen Philosophen, Theologen und von den höheren Klerikern beider Kirchen geführt.“ Anton Grabner-Haider vertritt im übernächsten Satz die These „dass die NS-Ideologie nach 1920 genau die gleiche Feindbilder (Hervorhebung von C. E. Bärsch) übernommen hat, welche wertkonservative Philosophen und Theologen, Bischöfe, Päpste und Konsistorialräte seit über 130 Jahren entwickelt und tradiert hatten.“ (S- 11).

Anton Grabner-Haider hat den großen Fehler gemacht, Hitlers „mythische Religion“ erst nach 124 Seiten, im 5. Kapitel und dann noch auf lediglich 32 Seiten (S. 145 – 176) dargestellt zu haben. In den vorhergehenden Kapiteln wird nicht dargelegt, was eine „mythische Religion“ ist oder was Anton Grabner-Haider damit bezeichnet und inwiefern wesentliche Elemente der Weltanschauung Hitlers dem Topos oder dem Begriff „mythische Religion“ zugeordnet werden können. Anton Grabner-Haider hat vielmehr seine Untersuchung in folgende Kapitel gegliedert:

 „1. Der Kampf gegen die Aufklärung“ (S. 19-54)

„2. Denklinien der Philosophie“ (S. 55-91)

„3. Denkmodelle der Theologen“ (S. 93-118)

„4. Grundzüge der NS-Ideologie“ (S. 119-143)

„5. Die mythisch-politische Religion“ (S. 145-176)

„6. Katholische Brückendenker“ (S. 177-198)

„7. Lernprozesse seit dem Holocaust“ (S. 199-226)

„8. Die politische Theologie Carl Schmitts von Peter Strasser“ (S. 227-239)

„Anhang: Über die Judenfrage in Europa“ … (von P. Fracesco Beradinelli in: Civilta cattolica. Rom 1890, 846-655)“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Anton Grabner-Haider zieht keine Denklinien vom Inhalt und Zweck der Aufklärung und deren Fortsetzung in der Philosophie und Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts bis zu Hitlers „mythischer Religion“.  Bis zu dem Kapitel „Hitlers mythische Religion“ wird der „Kampf gegen die Aufklärung“, die Fortsetzung dieses Kampfes in den philosophischen und theologischen „Denklinien“ des 19. und 20. Jahrhunderts und die „Grundzüge der NS-Ideologie“, in denen nichts über die  „mythische Religion“ steht, behandelt. Wie soll der Leser den Zusammenhang zwischen dem Inhalt der ersten vier Kapitel (um es zu wiederholen, immerhin 133 Seiten) erkennen? Das Gemeinsame und Verbindende der so genannten „Denklinien“ bzw. „Entstehungsgeschichte“ zu Hitlers „mythischer Religion“ ist für Grabner-Haider „Kampf gegen die Aufklärung“. Die Brücke zu Hitlers „mythischer Religion“ besteht für ihn darin, dass auch Hitler ein „Feind“ der Aufklärung gewesen ist. Es ist also fragwürdig, dass Grabner-Haider den „Kampf gegen die Zielwerte der europäischen Aufklärung“ (S. 11), also die Negation von etwas zum Kriterium einer Denklinie erklärt. Merkwürdig ist ferner, dass er das Kapitel „Der Kampf gegen die Aufklärung“ (S. 19-54) mit Ausführungen über die „Anfänge der Religion„ die „offene“ und „geschlossene Religion“ sowie den „Lehren der Bibel“ beginnen lässt. Dazu gelangt Anton Grabner-Haider in der Einleitung zu folgenden Überlegungen. Er unterscheidet zwischen „zwei Formen des Christentums“ (S. 13) und „zwei Formen der Religion“ (S. 22ff). Das „frühe Christentum“ sei das Christentum der „Laienchristen“ (S. 13) und eine „offene Religion“ (S. 22). Die „zweite Form“ des Christentums sei das Christentum der „Klerikerchristen“ (S. 13). Das sei eine „geschlossene Religion“ (S. 28). Im frühen Christentum, „das bis 350 n. Chr.“ in „starker Vielfalt und Offenheit gelebt wurde“ habe „die Verwirklichung moralischer Werte im Vordergrund“ (S. 13) gestanden. Hingegen sei das „geschlossene und politische Christentum“ der „Klerikerchristen unter Kaiser Theodosius I. für eine monopolhafte römische Reichsreligion eingerichtet“ worden (S. 13). Nach Anton Grabner-Haider beginnt damit eine zweite Denklinie und Entstehungsgeschichte bis zum Nationalsozialismus: „Erst durch die spätrömischen Kaiser Konstantin I. und Theodosius I. ist es zu einer geschlossenen und scharf abgegrenzten Reichsreligion geworden. Nun beerbte die NS-Ideologie diese geschlossene und politische Religion, sie radikalisierte sie“ (S. 22). Anton Grabner-Haider scheut sich auch nicht, den jüdischen Monotheismus in die Konstruktion seiner so genannten Denklinien, die zum Nationalsozialismus führen einzufügen:

„Nun zeigt die genaue Analyse, dass die NS-Ideologie zum einen eine Verschärfung und Radikalisierung sowohl des jüdischen als auch des christlichen Monopolanspruchs darstellt, dass sie zum anderen aber als zynische Persiflage auf diese Religionsform gesehen werden kann. Deswegen soll hier gezeigt werden, wie dieser jüdische und christliche Monopolanspruch auf die einzig wahre Religion in bestimmten geschichtlichen Situationen entstanden ist und wie er sich durch die Jahrhunderte entwickelt hat.“ (S. 12)

Anton Grabner-Haider beruft sich weithin auf die Autorität jüdischer Philosophen, um eine gewisse „Denklinie“ zwischen der „hebräischen Bibel“ und dem Holocaust zu postulieren:

„Nach dem Schrecken des Holocaust hatten jüdische Philosophen erkannt, dass die Ausgrenzung des Fremden bereits in der jüdischen Kultur und in der hebräischen Bibel ihren Anfang nahm, etwa als die Könige Hiskija und Joshija im 7. Jahrhundert v. Chr. alle fremden Kulte im Lande zerstören ließen. Diese Denker hatten die Vermutung ausgesprochen, dass die durch viele Jahrhunderte geübte Selbstausgrenzung der Juden vielleicht am Holocaust und an der Schoa nicht unbeteiligt war. Dieser Frage wird hier nachgegangen, indem auch auf die Kulturgeschichte der Bibel und ihre Wirkungsgeschichte Bezug genommen wird.“ (S.12).

Der „Bezug“ besteht vornehmlich darin, dass Anton Grabner-Haider am Anfang des ersten Kapitels („Der Kampf gegen die Aufklärung“) auf 17 Seiten (S. 19-35) die Geschichte der Religion bis zum jüdischen Monotheismus des 8. und 7. Jahrhunderts und die „christliche Reichsreligion“ auf den 6 Seiten (S. 36-41) darstellt. Am Anfang standen die offenen Religionen der frühen Kulturen und des Polytheismus. Die Geschichte der geschlossenen Religion „des jüdischen Monotheismus“ wird mit der „Bewegung Allein Jahwe“ abgeschlossen. Quellen und deren Interpretation sowie Argumente pro und kontra zu seiner These fehlen. Anton Grabner-Haider stützt seine These mit Fußnoten, in denen auf die Sekundärliteratur verwiesen wird. Um Namen und Titel herauszubekommen, muss man immer wieder zu den Anmerkungen am Schluss des Buches blättern. Diejenigen „jüdischen Philosophen“, die erkannt haben sollen, „dass die Ausgrenzung des Fremden bereits in der jüdischen Kultur und der hebräischen Bibel ihren Anfang nahm“ (S. 12) und dass die „geübte Selbstausgrenzung der Juden“ in vielen Jahrhunderten vielleicht „am Holocaust und der Schoa nicht unbeteiligt war“ werden erst ganz am Schluss des Buches unter dem Titel „Jüdische Impulse“ behandelt. Dort werden Emmanuel Levinas, Jean-Francois Lyotard und Jacques Derrida auf vier Seiten in Form von Paraphrasen behandelt. Texte über die in der Einleitung behauptete Verschärfung und Radikalisierung „des jüdischen Monopolanspruchs“ oder dem möglichen Kausalzusammenhang zwischen der Selbstausgrenzung der Juden „und dem Holocaust“ bei Levinas, Derrida und Lyotard werden nicht zitiert. Die Implikation seiner These, nämlich die historisch gleich bleibende kollektive Schuld der Opfer, sei es auch nur eine „Mit-Schuld“ kommt Anton Grabner-Haider nicht in den Sinn.

In dem gesamten Buch – in allen Kapiteln und Abschnitten – wird paraphrasiert und auf eine dünne Sekundärliteratur verwiesen. Das gilt für die komplizierte Geschichte der jüdischen Religion, bei der sogar die zweitausend Jahre währende Zeit nach der Zerstörung des zweiten Tempels und dem damit verbundenen Wechsel der Interpretation der jüdischen Religion vergessen wird. Das gilt für die Dogmen und Kirchengeschichte nach Christi Geburt bis zu Theodosius I. und Konstantin I. sowie für alle Phasen des Mittelalters. Selbst bei der Darstellung der Aufklärung, immerhin ein zentrales Moment seines Paradigmas von Religion, auf den Seiten 41 bis 48 („Denklinien der Aufklärung“) sowie der „hellen Impulse“ der Philosophie (S. 60-64) im Kapitel „Denklinien der Philosophie“ wird paraphrasiert. Die Titel der religionsphilosophischen Werke seiner Hauptzeugen John Locke und  Emmanuel Kant werden noch nicht einmal im Text genannt. Wie kann der Leser, der nicht spezialisiert ist, irgendetwas überprüfen? Als Hauptzeugen für die „dunklen Impulse“ (S. 55) der Philosophie nach der Aufklärung gelten Fichte, Hegel, Schelling, Schopenhauer und Nietzsche. Auch hier wird nicht zitiert, um den Widerspruch zur Aufklärung argumentativ zu entwickeln, geschweige nachgewiesen, das „Motiv“ der Philosophie Fichtes, Hegels, Schellings, Schopenhauers und Nietzsches sei deregelsH „Kampf gegen die Aufklärung“. Manchmal wird vorschnell auf den Nationalsozialismus angespielt. Bei der Hegel’schen Konzeption der Geschichte geschieht das so:

„Im Aufgehen und im Vergehen von Völkern und Kulturen zeige sich die Weltgeschichte als göttliches ‚Weltgericht’ – auch diese Ideen finden sich einhundert Jahre später in der NS-Ideologie“ (S.72). In der Fußnote 39 steht „W. Röd Der Weg II. S. 266-270. H. F. Fulda, G. W. F. Hegel, S. 76-90.“

Im Hinblick auf Schellings Philosophie wird behauptet, dessen „Gedanken sind auf Umwegen bis zu Hitler gekommen“ (S. 70). Als Beweis für die „Denklinien“ bis zum Nationalsozialismus reicht ein Sprung zur Philosophie Heideggers: „Martin Heidegger hat dieses dunkle Denken Schellings mit Begeisterung aufgegriffen und durch viele ‚Wortnebel’ verdichtet.“ In der dazugehörigen Fußnote 34 steht lediglich „G. Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft. Neuwied 1962, S. 114-140. W. Röd, Der Weg II. S. 240-244.“

Verweise auf Sekundärliteratur, Sekundärliteratur und nochmals Sekundärliteratur kann der Leser auch im Kapitel „Denkmodelle der Theologen“ finden, in dem auf 26 Seiten (S. 93–118) die „Denklinien“ seit der Restauration bis in das Jahr 1920 paraphrasierend zusammengefasst werden. Lediglich im Anhang zum gesamten Buch ist ein Artikel eines Chefredakteurs einer katholischen Zeitung aus dem Jahre 1890 über die „Judenfrage in Europa“ (S. 41-254) abgedruckt. Genau so verfährt Anton Grabner-Haider in den Kapiteln „Grundzüge der NS-Ideologie“ und „Die mythisch-politische Religion“. Auch in dem Kapitel „Theologische Brückendenker“ (S. 177-198) wird vorwiegen paraphrasiert und auf Sekundärliteratur verwiesen. Worauf Anton Grabner-Haider offensichtlich hinaus will, sind die „Lernprozesse seit dem Holocaust“ die letzten .Kapitel beschriebenen werden. Am Schluss des Buches heißt es dazu: ““Kritische  Laienchristen und aufrechte Kulturchristen wählen auf autonome Weise das aus den christlichen Lehren aus, was zu ihrem moralischem Kernbestand gehört; etwa die Forderungen der Bergpredigt Jesu“. Der Lernprozess „wird getragen von den Zielrichtung der rationalen Aufklärung, von den Erkenntnissen der Kulturwissenschaften, von den Impulsen der kritischen Philosophie“(S.222).   

Für die Beurteilung  des Buches sind vor allem die Kapitel über die „Grundzüge der NS-Ideologie“ und „Die mythisch-politische Religion“ maßgebend. Die „Grundzüge des NS-Ideologie“ bestehen nach der Einteilung des Kapitels 4. in  „Ideologie des Feindes“, „Kampf der Rassen“, „Die erwählte Nation“ und „Mythos der Herrenmenschen“. In dem Abschnitt die „Ideologie des Feindes“ (S. 120-124) nennt Anton Grabner-Haider im Hinblick auf das Thema „Ideologie des Feindes“ Heidegger, Augustinus, Carl Schmitt, Hegel und verweist auf die Analyse Jacques Derrida und Hans Urs von Balthasar. Eine nationalsozialistische Quelle findet der Leser nicht. Selbst im Kapitel „Der Kampf der Rassen“ behandelt Anton Grabner-Haider den Rassismus der Nationalsozialisten nicht unmittelbar. Vielmehr begnügt er sich mit der Paraphrase der Werke von Vorläufern (Arthur de Gobineau, Houston St. Chamberlain und Oswald Spengler) (S. 125-128). In dem Abschnitt „Die erwählte Nation“ gelangt er mit schnellen Schritten vom „Erlösungsglauben“ in der jüdischen Bibel über den „Weltgott“ der Christen und die „Theologen“ der „frühen Neuzeit“ (z. B. Jan Hus) und dem „imperialen Nationalismus des späten deutschen Kaiserreiches“ (S. 129) immerhin zu dem „Mythus des 20. Jahrhunderts“ von Alfred Rosenberg. Das 700 Seiten umfassende Werk wird mit der Angabe von acht Fußnoten nur unzureichend behandelt. Eine Stelle zum Thema „Die erwählte Nation“ wird nicht angegeben. Damit bleibt die Behauptung, die genauere Analyse, dass die NS-Ideologen das Selbstbild der römischen Reichskirche übernahmen und perfektionierten“ (S. 135) eine bloße Meinung. Der Leser muss also, um sich selbständig seines Verstandes bedienen zu können, zu den Anmerkungen blättern, Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ besitzen, die in der Anmerkung gefundenen (meist vielen) Seiten lesen, um dann den Prozess des Vergleichens erst einmal beginnen zu können. Das ist in dem Abschnitt der „Mythos der Herrenmenschen“, wo auch zwei Fußnoten zu Hitler zu finden sind, nicht anders. Hatte Anton Grabner-Haider wenigstens Mitleid mit dem Leser, wenn das dem Titel gemäße Zentrum des Buches, nämlich Hitlers „Mythische Religion“ behandelt wird? Dieses Kapitel ist in folgende Abschnitte eingeteilt: „Der blinde Glaube“, „ Die verschärfte Religion“, „Die Kraft der göttlichen Vorsehung“, „Der Endkampf gegen die Juden“, „Schicksal und göttliche Führung“ und schließlich erst am Schluss „Die mythische Religion“ (S. 170-177). Der größte Fehler dieses Kapitels besteht darin, dass der Begriff „mythische Religion“ nicht bestimmt wird. Anton Grabner-Haider erklärt weder was er unter dem Adjektiv „mythisch“ noch unter dem Substantiv „Religion“ versteht, wo doch offensichtlich ist, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, die Begriffe Mythos und Religion zu bestimmen und dann noch miteinander zu verbinden. Auch in diesem Kapitel wird mit dem Verweis auf dreißig Fußnoten nur paraphrasiert. Anton Grabner-Haider konnte sich nicht dazu entschließen, auch nur zwei oder drei Schlüsselzitate zu interpretieren um dann die Subsumtion unter den Tops „mythische Religion“ vornehmen zu können oder zu mindestens dem Leser die Gelegenheit dazu zu geben. Auszuschließen ist natürlich nicht, dass Anton Grabner-Haider die Leser dazu hinführen wollte, Kants Definition in der Antwort auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ in die Tat umzusetzen. Mit der Methode Grabner-Haiders wird der Eindruck einer sehr unseriösen Argumentation erweckt.

Als Beleg für die Methode Anton Grabner-Haider soll aus dem Abschnitt „Die verschärfte „Religion“ im Hauptkapitel („Die mythisch-politische Religion“) zitiert werden: „ Für ihn (Hitler, C.E.B.) war das Dasein der Juden auf einer Religionslüge aufgebaut, denn sie wollten nur ihre politische Macht vergrößern. Wollte er das gleiche mit seiner mythischen und politischen Religion erreichen? Es sei ein genialer Trick der Juden, ihre Rasse als eine Religion darzustellen, darauf bauten alle ihre Lügen auf; mittels der Religion hätten sie in Europa die Toleranz erschlichen. Kulturgeschichtlich gesehen übernahm Hitler mit seinem politischen Projekt genau den Monopolanspruch der jüdischen Priester, der Allein-Jahwe-Bewegung und der mosaischen Wende, freilich ohne das zu wissen, denn auch er bekämpft nun alle anderen Überzeugungen in der Politik und strebte das Monopol der Weltdeutung an.“ (S. 158)

Gegen das Buch kann viel eingewendet werden. Dass Grabner-Haider die Komplexität des politischen -religiösen Lebens  nicht behandelt hat, ist bei seinem großen Thema der größte Fehler. Vielleicht eignet sich das Buch dazu, ein Forschungsprojekt zu konzipieren. Aber er hat weder begründet, dass Hitler eine „mythische Religion“ hatte noch konnte er  die „Denklinien“, die zu Hitlers „mythischer Religion“ führen beweisen.

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Reiner Buchers Buch über „Hitlers Theologie“ ist unbedingt zu empfehlen. Rainer Bucher konzentriert sich auf das Thema der Theologie, bestimmt den von ihm verwendeten Begriff Theologie, dokumentiert die Schlüsselzitate und begründet seine Schlussfolgerungen. Dem Theologen gelingt es ausgezeichnet, dem Leser den Zusammenhang von Politik und Theologie in den Schriften und Reden Hitlers zu vermitteln. Sowohl der theologische als religionspolitologische Laie kann die in klarem Deutsch formulierte Darstellung verstehen. Darüber hinaus können weiterführende Fragen entdeckt werden.

Das, was an diesem Buch das Besondere ist, soll zunächst am Beispiel des Vorworts und des letzten Kapitels gezeigt werden.

In den ersten zwei Sätzen erklärt Rainer Bucher wie er die Theologie Hitlers beurteilt:

„Hitlers Theologie ist intellektuell krude, ihr Rassismus ist erbärmlich und ihr Gott ein Monster. Es gibt keine Gnade und keine Barmherzigkeit und in ihr daher auch keinen Frieden.“ Im darauf folgenden Satz steht, was noch nie so eindeutig geschrieben wurde: „Aber sie wurde, worauf alle Theologie zielt: praktisch.“ Das Besondere besteht in der Aussage über das Verhältnis von Theologie und Praxis. Für Rainer Bucher „ist das nicht der einzige, aber der unabweisbare Grund, sich mit ihr zu beschäftigen.“ Das, was Praxis wurde, „geschah aus der Mitte der deutschen Gesellschaft und mit großer und lang andauernder Unterstützung ihrer Eliten wie breiter Schichten der Bevölkerung“. Der „Gott Hitlers“ habe „eine große Macht besessen“, die „erst durch die vereinten Armeen der Sowjetunion, Amerikas, Englands und vieler anderer“ gebrochen wurde, aber er hätte auch „durch Hitler siegen können“.

Der Theologe interessiert sich weiterhin für folgende Fragen: „Was brachte innovative, gegenwartssensible, später zu Recht berühmte Theologen dazu, Hitler enthusiastisch zu begrüßen?“ … „Welche religiösen Strukturen und welche theologiehaltigen Diskurse wies Hitlers Gesellschaftsprojekt selbst auf, dass es so attraktiv werden konnte?“ Eine im Verlauf der Untersuchung spezifizierte Antwort wird im Vorwort angekündigt: „Hitler schien Modernisierung ohne Pluralisierung und damit Relativierung eigener Geltungsansprüche ohne liberale Freisetzung des Subjekts zu versprechen“. Das Besondere an dem Buch ist schließlich auch, dass schon im Vorwort kurz und dann im Nachwort ausführlich das Motiv der individuellen Erfahrung beschrieben wird: der Besuch des 1953 geborenen und in Bayreuth katholisch erzogenen Theologen während der Jugend in Auschwitz.

Das Besondere dieser Untersuchung soll hier auch durch einen Verweis auf das originelle Schlusskapitel gezeigt werden. In diesem Kapitel wird das Ergebnis der Untersuchung aus der Perspektive der „Sehnsüchte und Versuchungen“, die nach dem Ende der Herrschaft geblieben seien, zusammengefasst. Die „Macht, die im Gott Hitlers selbst steckt“ sei „nicht für immer besiegt“ (S. 157), weil die in die Theologie Hitlers transformierten „Sehnsüchte auch unabhängig von der Theologie Hitlers existieren“ (S. 158). Diese Sehnsüchte seien die Sehnsucht nach „Erlösung“ und deren Entgleisung, wie im Falle der Theologie Hitlers, nämlich der „Sehnsucht nach Selbsterlösung“, die „Sehnsucht nach Gemeinschaft“, die „Sehnsucht nach dem ‚heroischen’ Leben“ sowie die „Sehnsucht nach Kränkungslinderung“ (S. 159 bzw. 159ff). Aber von den damit einhergehenden Versuchungen ist nach Rainer Bucher die größte die „Versuchung des ‚theologischen Totalitarismus’“. Dieser wird durch zwei Merkmale charakterisiert: „Formal macht er Gott durch Totalisierung der eigenen Partialität verfügbar, material aber opfert er Gottes Güte Gottes Allmacht. Theologischer Totalitarismus verfügt über Gott“ (S. 168). In diesem Kontext gibt Rainer Bucher eine Antwort auf eine Frage, die plausibel scheint und viel gestellt wird: Wie ist der religiöse oder theologische Gehalt der Weltanschauung Hitlers mit seiner Berufung auf die Natur als Grundlage seiner Rassedoktrin zu vereinbaren? Rainer Bucher spezifiziert die Theologie Hitlers als „Physikotheologie“ (Hervorhebung C. E. Bärsch), ein Begriff, der am Anfang des 18. Jahrhunderts aus ‚physikos’, also ‚natürlich’ und Theologie gebildet wurde, wonach das Dasein und die Wirkung Gottes aus der zweckmäßigen und sinnvollen Ordnung der Natur abgeleitet wurde: „Hitler“ so Rainer Bucher, „teilte, mit vielen damals, die Sehnsucht nach einem einheitlichen Prinzip, aus dem alles erklärbar sein sollte. Seine Theologie kann theologiegeschichtlich als kulturalistisch-rassistische Variante einer ‚Physikotheologie’ begriffen werden, wie sie in der frühen Neuzeit entwickelt wurde und welche aus der zweckmäßigen Ordnung der Natur auf die Existenz ihres Schöpfers schloss“ (S. 168).

Mit den einfachen Worten des Rezensenten: Der allmächtige Schöpfer schuf die Natur und damit auch die Rassen, also auch die Überlegenheit der arischen Rasse als, so Hitler, „Kulturbegründer“ im Kampf ums Dasein. Zwischen Gott und den biologischen Elementen der Rassedoktrin besteht insofern kein Widerspruch.

Die zitierten Konsequenzen im Hinblick auf „Sehnsüchte und Versuchungen“,  die Rainer Bucher als „praktisch-theologische Gewissenserforschung“ (S. 157) versteht,  sind das Resultat einer folgerichtig aufgebauten Gliederung. Die drei Teile „Abgrenzung“ (S. 17-76), „Strukturen“ (S. 77-146) und „Konsequenzen“ (S. 147-170) umfassen zehn Kapitel. Daran schließen sich das „Persönliche Nachwort“ (S. 171-173), Anmerkungen sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis an. Im Anschluss an die „Physikotheologie“ ist von Interesse, wie Rainer Bucher im Kapitel I – „Hitlers Theologie: Um was es darum geht und um was nicht“ (S. 17-36) – den von ihm „verwendeten Theologiebegriff“ (S. 32) definiert. Haben das Denken und die Überzeugungen Hitlers überhaupt die Qualität einer Theologie? Rainer Bucher nennt die Bedenken und leitet die von ihm bevorzugte Bestimmung des Topos „Theologie“ mit zwei Argumenten ein. Erstens seien „Theologie und Religion“ weder „christliche Reservate noch an und für sich etwas Gutes“ und nicht für etwas „zu reservieren, dem man zustimmen kann“, und zweitens sei Theologie „auch nicht auf wissenschaftlich-akademisches Reden über Gott einzuschränken“ (S. 33). Seine Schlussfolgerung: „Theologie wird im Folgenden wörtlich verstanden als ‚Rede von Gott’ allerdings“ – jetzt wird hinzugefügt – „mit individueller Relevanzoption ‚persönlichem Konsequenzpotenzial’“ und „gerade dies kann man Hitler nicht absprechen“ (S. 34). Diese Unterscheidung zwischen der privat gelebten Religiosität der Innerlichkeit einerseits und der Theologie als Rede vom Gott eines Laien andererseits, betont Rainer Bucher mit Recht. Man kann gegen seinen wissenschaftlichen Ansatz nicht einwenden, man könne sich nicht vorstellen, dass Hitler religiös war. Für Rainer Bucher ist nicht die sowieso schwer nachzuweisende wahre innere Religiosität die Voraussetzung der Argumentation, sondern das Handeln; die Übereinstimmung der Rede von Gott mit dem Handeln, also von Theologie und Praxis. Genau das wird im Verlauf der Untersuchung - auf der Grundlage der Zitate in seinem Text – mit guten Gründen nachgewiesen. Vom Anfang der Karriere Hitlers bis zum Ende werden die theologischen Implikationen der Politik sowie die politischen Implikationen der Theologie Hitlers dargelegt. Vielmehr als in der sozialwissenschaftlichen Literatur zum Nationalsozialismus wird das für die Moderne zentrale Thema des Volkes in den Reden und itlers geblieben sei

Schriften Hitlers berücksichtigt. Indem Rainer Bucher die für Hitler unzertrennbare Verknüpfung von Mensch, Volk, Geschichte und Gott untersucht, arbeitet er heraus, dass Hitlers Ziel die Herstellung der Identität des Volkes und die Einheit aller Mitglieder des Volkes als Kollektivsubjekt war. In dem Kapitel über die Bedeutung des Glaubens in der Weltanschauung Hitlers stellt Rainer Bucher den Zweck heraus, den nach Hitler der Glaube hat: „die Formierung des Einzelnen“ (S. 101) bzw. „das Volk in einem und nur einem Glauben zu einen“ (S. 105. Hitlers Gottesbegriff“ (S. 89-100) wird auf der Grundlage der in die Argumentation unmittelbar integrierten Zitate analysiert und definiert. Hitlers Theologie wird auch in dem Kapitel „Die ‚Vorsehung’: die Geschichtstheologie Hitlers“ dargestellt. Hitler kombiniert zwei „Verständnisse“ von „Vorsehung“, erstens als „Einsicht in ein gottgewolltes Weltgesetz“ und zweitens „als gottgewollte individuelle ‚Erwählung’ innerhalb des Geschichtsprozesses“ (S. 88). Anders als im „eschatologischen Vorbehalt“ der christlich-theologischen Kategorie der Vorsehung sei bei Hitler eine schon auf die Gegenwart und Politik bezogene Argumentation festzustellen: „Bei Hitler wird der Begriff ‚Vorsehung’ zur unmittelbar wirksamen Legitimationskategorie des eigenen Projektes“ (S. 88), „Im Nationalsozialismus und eben auch in ihm, Hitler selbst, handelt Gott im Rahmen seiner Pläne“ (S. 86). Vor allem sei das Volk der Gegenstand der Theologie Hitlers: „Der Gottesbegriff und die Größe, das deutsche Volk, werden von Hitler in signifikanter Weise aufeinander bezogen“ (S. 93). Das gelte auch für die Rasse der Arier.  Der Zusammenhang zwischen Hitlers Theologie und dem Rassismus wird in dem Kapitel „Hitlers Theologie und die Vernichtung des europäischen Judentums) am deutlichsten nachgewiesen. „Die theologische Legitimation des Holocaust ist keine singuläre Argumentationsstruktur im Denken Hitlers, die sich etwa aus dem religiösen Charakter des Judentums quasi spiegelbildlich ergeben hätte. Sie ist vielmehr die fatale Konsequenz der theologischen Argumentation Hitlers selbst. Kontinuierlich vom Beginn und bis zum Schluss seiner öffentlichen Tätigkeit begreift Hitler sein politisches Projekt als theologisch fundiert, gerade auch in seiner schlimmsten Auswirkung: der Ermordung des europäischen Judentums“ (S. 122). Die „Vernichtung des Judentums“ sei für Hitler „die Wiederherstellung einer verletzten göttlichen Ordnung“ (S. 115).

Diese Erklärung ist neu. Für sie sprechen hier nicht zu zitierende Aussagen Hitlers in „Mein Kampf“.

Der Hauptteil der Untersuchung über die Theologie Hitlers wird in einem Kapitel mit dem ungewöhnlichen Titel „Kirchenreform mit Hilfe der Theologie Hitlers“ abgeschlossen. Hier versucht der Theologe Rainer Bucher die „Attraktivität“ des Nationalsozialismus für diejenigen (wenigen) katholischen Theologen zu erfassen und zu begreifen, die dem Nationalsozialismus zustimmen. Auch hier kann sich der Leser ein Urteil bilden, weil aus den Schriften von Karl Adam, Joseph Lortz und Michael Schmaus direkt zitiert wird.

In dem dritten und letzten Teil des Buches mit der Überschrift „Konsequenzen“ (vor dem schon hier dargestellten Schlusskapitel „Sehnsüchte und Versuchungen“), untersucht Rainer Bucher die Argumente, die dafür sprechen, dass die Politik Hitlers interessanterweise in einigen Hinsichten mit dem Projekt der Moderne übereinstimmen und in anderen Hinsichten – natürlich – Widerspruch besteht.

Am Schluss sollen vom Rezensenten – evangelisch-lutherischer „Laienchrist“ und als Politologe theologischer Laie – einige Fragen gestellt werden, zu denen er durch das Buch von Rainer Bucher angeregt wurde:

1. Ist  in der „Theologie Hitlers“ und der nationalsozialistischen Propaganda wegen des Glaubens an die Qualität „des Ariers“ (vom “Allmächtigen“ geschaffenes „Ebenbild des Herrn") eine moderne Antwort auf das Problem der Sehnsucht nach der Präsenz Gottes enthalten?

2. Ist im Hinblick auf das katholische Dogma des corpus Christi mysticum der national-sozialistische Glaube an die unsterbliche Identität des Kollektivsubjektes „deutsche Volksgemeinschaft“ eine teilweise Säkularisierung des christlichen Glaubens an die Einheit aller toten, lebenden und noch nicht geborenen Christen enthalten?

3. Sollte angesichts dessen, aber nicht nur deshalb, dass „Hitlers Theologie“ unmittelbar   zwölf Jahre „praktiziert wurde“ und danach immer noch vielseitige Folgen hat, die Frage nach dem metaphysisch Bösen im Gegensatz zu dem nur individuell – moralisch Bösen – in der Theologie viel intensiver beachtet und öffentlich diskutiert werden als es zur Zeit der Fall ist? Oder ist es auf jeden Fall nötig, dass Theologen nur die „Personifikation des Bösen widerlegen?

4. Was sind die rein theologischen Gründe der antijüdischen Texte in „Neuen  Testament“?

 
Wie dem auch sei, das schmale Buch Rainer Buchers über „Hitlers Theologie“ ist nicht minder lehrreich als faszinierend . Die flüssig geschriebene Untersuchung ist frei von theologischen, philosophischen und ideologischen Auseinandersetzungen und Referenzen. Rainer Buchner hat vielmehr einen neuen Ansatz zur Wahrnehmung und Beurteilung der Weltanschauung Hitlers gefunden und in seinem Buch über die  begründet. Damit hat er auch zur Erkenntnis des theologisch-politischen Problems über Hitlers Theologie hinaus beigetragen.

 
Rezensent:
Claus-Ekkehard Bärsch



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