Stefan Breuer, Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2005, 202 S., 29,90 Euro, ISBN: 3-534-17994-3.
Stefan Breuer ist ein Phänomen. Fast schon im
Zweijahresrhythmus publiziert der Hamburger Soziologe eine neue
Monographie,
die sich im weitesten Sinne mit der Geschichte der nationalen und
„völkischen“
Rechten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen befasst. Stets
greift er
dabei auf Max Webers Herrschaftssoziologie und dessen idealtypische
Methode
zurück. Breuer interessiert sich in erster Linie für eine
Typologisierung der
von ihm analysierten Sachverhalte, die er meist aus dem
zeitgenössischen
Schrifttum und der Sekundärliteratur zum jeweiligen Thema
rekonstruiert. Man
wird daher nicht darin fehlgehen, sein Werk unter dem Oberbegriff
„Historische
Soziologie“ zu subsumieren. Wie andere Autoren, die dieser Disziplin
zuzuordnen
sind, benutzt Breuer historische Ereignisse als Materialquelle für
die
Soziologie, deckt historische Verlaufsprozesse auf und nimmt
systematische
Vergleiche vor. Auch darin folgt er seinem Ideengeber Max Weber, den
man mit
Fug und Recht als Gründervater der Historischen Soziologie ansehen
kann.
In einem seiner letzten Bücher beschäftigt sich Breuer ausführlich mit dem Zusammenhang von Nationalismus und Faschismus. Sein Ausgangspunkt ist originell: Er stellt den „neuen Konsens“ der Forschung, wonach der Faschismus in erster Linie aus seiner Ideologie heraus zu erklären sei, in Frage und wendet sich kritisch gegen den britischen Historiker Roger Griffin, der einer der wichtigsten Vertreter dieser Interpretationsrichtung ist. Zu diesem Zweck argumentiert Breuer auf zwei Ebenen: Zum einen stuft er die zentrale Bedeutung herab, die Griffin dem Nationalismus für die Konstituierung und Konsolidierung faschistischer Bewegungen zugebilligt hat. Zum anderen präsentiert er eine eigene Definition des Faschismus, die in erster Linie auf dessen soziale Praxis rekurriert. Beides geschieht im primär theoretisch orientierten ersten Kapitel, in dem Breuer zunächst einmal die Spannbreite des europäischen Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert auslotet. Dabei unterscheidet er zutreffend zwischen einem Liberal-, Links- und Rechtsnationalismus und weist die Ansicht zurück, dass der Nationalismus zum alleinigen Ideenbestand der politischen Rechten gehört habe.
Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels setzt sich Breuer jedoch nicht mehr systematisch mit den möglichen Verbindungslinien zwischen Rechtsnationalismus und Faschismus auseinander. Stattdessen bemüht er sich um eine eigene Faschismusdefinition, in der der Nationalismus kaum mehr zu entdecken ist. Folgt man Breuer, so sei der Faschismus durch eine „spezifische Verbindung von Gewalt, Charisma und Patronage im Rahmen einer Partei“ (S. 59) gekennzeichnet. Diese vier Bestandteile, die er aus einer Kombination von Webers Soziologie mit einigen ausgewählten Einzelforschungen deduziert hat, stellen Breuers „faschistisches Minimum“ dar. Sie implizieren jedoch vier Festlegungen, die im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht mehr kritisch hinterfragt werden. Mit seiner Faschismusdefinition privilegiert Breuer paramilitärische Gewalt anstelle von Propaganda, vernachlässigt bürokratische Sozialbeziehungen zugunsten charismatisch-personalistischer Bindungen, schätzt weltanschauliche Zielvorstellungen geringer ein als materielle Bereicherungsmöglichkeiten und verkleinert den Bewegungscharakter des Faschismus zugunsten parteiartiger Strukturen. Alle vier Aspekte bedürften, gerade angesichts vieler abweichender Forschungsergebnisse, einer ausführlicheren Begründung.
Der im engen Sinn darstellende Teil der vorliegenden Studie besteht in einer Analyse der nationalistischen und faschistischen Bewegungen in Frankreich, Italien und Deutschland. Breuer nutzt diese Ausführungen nicht, um seine Faschismusdefinition zu erläutern, sondern untersucht auf konventionelle ideengeschichtliche Weise die unterschiedlichen Nationalismen. In Frankreich, so weist er überzeugend nach, war der Nationalismus so stark, dass er das Aufkommen faschistischer Bewegungen regelrecht verhinderte. In Italien wurde der Nationalismus seit den 1930er Jahren in einen rassistischen Imperialismus transformiert. Dass damit ein „Relevanzverlust der Nationsidee“ (S. 143) einherging, wie Breuer mutmaßt, ist wenig plausibel, liegt in einer Radikalisierung des Nationalismus doch geradezu eine notwendige Voraussetzung des Rassenimperialismus. Schließlich zeichnet Breuer das Spannungsfeld von „völkischem“ Nationalismus, an wilhelminisch-imperialistische Vorstellungen anknüpfenden „neuem Nationalismus“ sowie genuin nationalsozialistischem „Rassenaristokratismus“ nach, in dem sich der Aufstieg der NSDAP bis 1933 vollzog. Am Schluss steht ein knappes Resümee, in dem Breuer die überragende Bedeutung des Charismas für die Mehrheitsfähigkeit des Faschismus hervorhebt.
Breuers Analyse ist intellektuell äußerst anspruchsvoll und regt zweifellos zum neuerlichen Nachdenken über das Phänomen des Faschismus an. Meines Erachtens sind jedoch drei Einwände vorzubringen: Erstens lassen sich unter Breuers Faschismusdefinition nur das italienische und das deutsche Beispiel fassen, wobei in beiden Fällen niemals alle vier Elemente Gewalt, Charisma, Patronage und Partei gleichzeitig zutrafen. Zweitens steht Breuers ideengeschichtliche Herangehensweise in einem Spannungsverhältnis zu seiner Faschismusdefinition. Anstatt deren Bestandteile in ihren Verflechtungen und Wechselwirkungen zu untersuchen, rekurriert er fast ausschließlich auf das Reich der Ideen und die programmatischen Auseinandersetzungen in nationalistischen und faschistischen Bewegungen in Frankreich, Italien und Deutschland. Kaum einmal wird deutlich, welcher Stellenwert der Ideologie im Allgemeinen und den Ausprägungen des Nationalismus im Speziellen für den Faschismus zukommt. Insofern endet Breuer mit dem Allgemeinplatz, dass der Faschismus keine Ideologie, sondern ein Aggregat von Ideologien sei (S. 194 f.). Diese Position dürfte spätestens seit Ernst Noltes Werk „Der Faschismus in seiner Epoche“ aus dem Jahre 1963 unumstritten sein.
Der dritte Einwand hat mit der idealtypischen Methode zu tun, die aus der Sicht des Historikers gravierende Nachteile aufweist. Damit sind bekanntermaßen lediglich Abweichungen vom Idealtyp zu messen, und sie ist zur Begriffsbildung für historische Phänomene nur wenig geeignet. Die großen Unterschiede, die zwischen den faschistischen Bewegungen bestanden, und die Dynamik etwa des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus lassen die idealtypische Methodik fast schon notgedrungen scheitern. Nimmt man einmal die NSDAP als Beispiel, so macht es aufgrund ihres permanenten Struktur- und Funktionswandels kaum Sinn, sie unter einen einzigen Begriff wie „Faschismus“ zu rubrizieren, zumal wenn dieser, wie bei Breuer, zugleich ihre Bewegungs- und Systemphase erfassen soll. Dieser Einwand gilt auch für idealtypische Klassifizierungen wie „Totalitarismus“ oder „Radikalnationalismus“, die ebenfalls nur für Teilaspekte der fraglichen Phänomene gelten. In Zukunft wird es vornehmlich darauf ankommen, den Geltungsbereich derartiger Begriffe „mittlerer Reichweite“ präziser als bisher auszuloten. Insofern ist Breuers Versuch, Faschismus zu definieren, zu einem guten Teil anachronistisch.
Rezensent:
Armin Nolzen
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